Читать книгу Der Teufel lauert auch im Paradies - Henning Marx - Страница 14
Kapitel 11
ОглавлениеNachdenklich hatte Thomas Sprengel endlich das »Peppers« erreicht, wo sich die Kollegen wöchentlich zum Stammtisch trafen. An diesem Abend war es ungewöhnlich voll. Auch hatten sich Mitarbeiter der verschiedenen Dezernate zahlreich eingefunden, die sich auf die Bar sowie vier Tische verteilten. Dem müden Hauptkommissar missfiel der Lärmpegel erheblich, aber er hatte sich hier mit Lene auch verabredet, damit sie nicht kochen mussten. Keineswegs unhöflich, aber bestimmt drängelte er sich zwischen zwei Gäste an die Bar, um bei Bea seine Bestellung aufzugeben, bevor er sich zu den anderen an einen Tisch setzte.
»Hi, Bea«, übertönte er die Geräuschkulisse, sich an die am Zapfhahn stehende Barfrau wendend.
Die blickte kurz auf, um zu sehen, wer da etwas von ihr wollte. »Grüß dich, Thomas«, erwiderte sie trotz des Andrangs erstaunlich entspannt.
Sie schien sogar zu lächeln, aber das wirkte immer so. Zu ihrem elfenartigen Körper und den langen blonden Haaren hatte sie die Natur mit Gesichtsmuskeln gesegnet, die keinerlei Tendenz zeigten, hängende Mundwinkel unterstützen zu wollen. Oder lag das einfach daran, dass sie eine glückliche Beziehung führte? Ob die Mundwinkel wohl auch der Schwerkraft einer politischen Tätigkeit trotzen würden? Jedenfalls war sie sicherlich ein gutes Vorbild für die drei Kinder ihrer Partnerin, mit der sie seit fünf Jahren zusammenlebte. Das wiederum hatte sie so gut verborgen, dass nur aufgrund der kurzzeitigen amourösen Ambitionen seines Mitarbeiters Heiner Janetzky wenige Kollegen davon wussten.
»Überlegst du noch?«, fragte Bea stirnrunzelnd nach, während sie das gezapfte Pils abstellte.
»Äh ... nein, ein Alt-Cola und ... habt ihr noch ein Steak?«
Bea nickte. »Mit Salat?« Sie lachte umgehend, als sie sein enttäuschtes Gesicht sah. »Schon gut, ich rede mal mit deiner Frau. Ich möchte keineswegs, dass meine Gäste leiden.«
Diese Aussicht zauberte schlagartig ein Lächeln auf seine Lippen und seine Augen begannen zu leuchten. »Du bist ein Schatz, Bea!« Zu seinem Leidwesen hatte er mit Lene ausgemacht, an seinen Münchner Verhältnissen ernsthaft etwas zu ändern. Er war auch auf einem guten Weg, vier Kilo waren bereits runter. Nur an diesem Abend war er einfach mental zu geschwächt und überhaupt: der Regen, die Vernehmung, der Lärm, ach, was sollte er sagen ... Auch der stärkste Mann wurde ab und zu mal umgehauen. Dumm war nur, dass Bea von Lene über ihre Vereinbarung informiert worden war, um genau solche Situationen zu verhindern. Aber was alle Kollegen an Bea schätzten, war ihr Einfühlungsvermögen. Sie hatte ausnahmslos ein Gespür für die Stimmung ihrer Gäste und das, was diese gerade benötigten. Unvergessen blieb die »Abendsonne«, die sie Heiner verordnet hatte, als der in einem emotionalen Loch saß. Unvergessen auch wegen der daraus letztlich entstandenen Spekulationen und einer Wette, die Horst Jung in seinem jugendlichen Leichtsinn ziemlich teuer gekommen war.
Er setzte sich zu Lene, die ihm liebevoll über den Oberschenkel streichelte, weil auch ihr nicht verborgen blieb, wie geschafft ihr Gatte daherkam. Kurze Zeit später stellte Bea ein Alt-Cola vor Thomas und einen Caipirinha vor Lene ab, die überrascht zu ihr aufschaute, weil sie keinen bestellt hatte. Die Barfrau legte ihr daraufhin die Arme um die Schultern und beugte sich zu ihrem von Thomas abgewandten Ohr nach unten. Sofort schaute der zur anderen Seite und versuchte dennoch, etwas zu verstehen, was aber angesichts des Lärms aussichtslos war. Doch er hätte schwören können, den Blick seiner Frau im Rücken zu spüren.
»Auf dein Wohl, Lene«, hob er ihr sein Glas hoffnungsfroh entgegen, nachdem Bea an ihm vorbei zur Bar gegangen war.
Lene nahm ihren Cocktail und stieß mit ihm an. Ihr Gesicht verriet, wie immer in solchen Situationen, nicht das Geringste.
»Das war Beas Vorschlag«, verteidigte er sich prophylaktisch.
»Schlawiner«, war alles, was sie dazu sagte, bevor sie sich an ihrem Getränk erfreute. »Wie war euer Tag? Du siehst mitgenommen aus.«
Kein Kommentar, das war nun wirklich verdächtig, aber die Frage lenkte ihn ab. Er erzählte von Peter Hüsings Vernehmung, dem LSD und dass der Festgenommene bereits wegen einer Vergewaltigung vorbestraft war, die er allerdings abstritt. Selbst wenn seine Version stimmte, hatte er Sex mit einer Minderjährigen gehabt.
»Der ist nicht zufällig CSU-Mitglied gewesen?«, konnte Lene sich einen sarkastischen Kommentar nicht verkneifen. Alle am Tisch lachten, obwohl das nur traurig war. Wie wollte ein Politiker zum Wohle der Gesellschaft entscheiden, wenn er sich und seinen Verstand offensichtlich überhaupt nicht unter Kontrolle hatte. Während es zu einer Diskussion über Verantwortungsbewusstsein kam, tippte Frank Hartenstein, der mit dem Rücken zu den beiden am Nebentisch gesessen hatte, Lene und Thomas auf die Schultern.
»Ich habe mit einem halben Ohr mitgehört«, eröffnete er ihnen. »Aufgrund der Drogen, auch im Zusammenhang mit der Vorstrafe, ist mir eingefallen, dass wir bereits vor knapp vier Jahren eine Anzeige gegen Mitglieder dieses Yoga-Zentrums wegen einer Vergewaltigung gehabt haben.«
»Nicht vielleicht gegen Peter Hüsing?«, formulierte Thomas Sprengel seinen gefühlten Lottogewinn, obwohl er dazu neigte, dessen Aussage zu glauben.
Frank Hartenstein lachte, schüttelte dabei aber zu Thomas´ Enttäuschung den Kopf. »So einfach wird das wohl doch nicht. Nein, gegen den Leiter dieses Camps und gegen Unbekannt, falls ich mich noch richtig erinnere.«
»Wie geht das?«, wunderte sich Lene.
Ihr Mitarbeiter wehrte mit der Hand ab. »Weiß ich im Detail nicht mehr. Das war völlig abstrus. Lest euch die Akte durch. Morgen suche ich sie euch raus und bring sie dir, Lene.«
»Du willst uns nur auf die Folter spannen«, beschwerte sich Kommissar Sprengel säuerlich. Er konnte es schon nicht leiden, wenn Horst Jung ihn piesackte, indem er immer erst am Schluss mit den wirklich interessanten Informationen herausrückte.
Frank Hartenstein zwinkerte nur belustigt. »Ich habe bereits Feierabend und möchte mich nett unterhalten, ohne über Psychos zu räsonieren.«
»Das ...«, setzte Lenes Mann gerade an, als er von Bea abgelenkt wurde, die einen Teller für ihn auf den Tisch stellte.
»Guten Appetit, der Herr«, grinste Bea ihn über beide Backen an.
Thomas Sprengel vergaß umgehend seinen Protest, als er ein saftiges Steak neben einem wahrhaftigen Berg Pommes und einem winzigen Salat erblickte. »Oh«, kam es aus seinem tiefsten Inneren. »Danke, Bea.«
»Wohl bekomm´s ...«
»Danke.«
»... der Hüfte«, kniff Lene die Lippen aufeinander, weil sie Mühe hatte, sich ein Grinsen zu verkneifen.
Wenn sie Bea schon das Okay gegeben hatte, warum musste sie ihm dann noch eine reinfahren? »Das ist nicht fair«, lamentierte ihr Mann, während er Messer und Gabel zur Hand nahm.
Horst Jung war dagegen weniger vornehm und langte einfach über den Tisch, um sich an den Pommes zu bedienen. »Die darfst du doch gar nicht«, legte er den Finger dabei nicht nur an die Kartoffelschnitze, sondern gleichfalls in die Wunde.
Der Kopf des so dreist Beklauten schnellte von Lene zu ihm herum. »Finger weg, Schmarotzer«, fuchtelte er mit seiner Gabel der Hand seines jungen Mitarbeiters hinterher. »Heb deinen Hintern selbst erst mal von der Couch.«
Lene musste endgültig im Verein mit Horst über ihren Mann lachen und nahm ihm die Gabel aus der Hand, mit der sie umgehend mehrere Pommes aufspießte.
»Was, du auch noch?«, fragte er sie entgeistert.
Aber Lene schob ihm nur kommentarlos die Gabel in den Mund, damit endlich Ruhe war.
Die Gespräche plätscherten vor sich hin. Während Thomas noch aß, hörte er mal hier und mal dort zu. Das Steak war köstlich – und der Salat auch. Nicht deswegen blieb ihm der letzte Bissen fast im Hals stecken. Lene hatte ihn angestoßen und Horst Jung reckte bereits neugierig den Hals, weil Harald Krämer das »Peppers« betrat: ohne Schnauzer, aber mit einem großen Blumenstrauß in der Hand. Und nicht nur das. Er kam an ihren Tisch, wo er zu aller Überraschung Franz mit Handschlag begrüßte, bevor er sich weiter zum Ende der Bar begab.
Keiner traute seinen Augen, nachdem vor nicht allzu langer Zeit Franz Hilpertsauer den unbeliebten Krämer wegen dessen Entgleisung mit körperlichem Nachdruck an die Luft gesetzt hatte. »Was ist denn hier los?«, war Horst Jung der Erste, der sich mit gedämpfter Stimme quer über den Tisch an den schmunzelnden Kollegen wandte. Bevor der antworten konnte, sahen alle noch verblüffter, wie Harald Krämer den Blumenstrauß bei Sonja ablieferte, die wie meistens am Kopfende der Bar saß. An dem verwunderten Gesicht von Beas Partnerin war zweifelsfrei abzulesen, dass die von der Aktion ebenfalls überrascht wurde.
»Häh?«, schüttelte Thomas Sprengel den Kopf, während seine Hand eigenmächtig die Gabel auf dem Teller platzierte. »Rede endlich, Franz! Oder habe ich Halluzinationen?«
Doch sein Mitarbeiter grinste nur umso mehr, weil er sich über die verständlichen Reaktionen seiner Kollegen köstlich amüsierte.
»Franz!«, kam es scharf von Lene, die im Allgemeinen besser über das informiert war, was hinter den Kulissen passierte, aber an diesem Abend genauso ahnungslos wie die anderen war.
»Ihr werdet es kaum glauben«, begann Franz, nur um gleich wieder eine Pause einzulegen, um die Spannung noch ein wenig zu steigern.
Sein Chef drohte zu platzen. Horst Jung hätte bereits eine Kopfnuss kassiert.
»Da hat es doch gestern Abend bei uns geklingelt und ratet, wer mit einem Geschenk vor der Tür stand!«
»Nein«, »nicht wahr«, »gibt es das«, kam es von verschiedenen Seiten. »Und der wollte was?«
»Ekaterina sprechen«, erklärte Franz ohne weitere Unterbrechungen. »Ich war erst skeptisch, schloss ihm die Tür vor der Nase und fragte Ekaterina, ob sie den überhaupt sehen wolle. Kurz darauf kam sie tatsächlich mit dem Krämer ins Wohnzimmer, wo er ihr ein Buch in die Hand drückte und sich endlos dafür bedankte, ihn nicht angezeigt zu haben.«
So habe ich mir das zwar nicht vorgestellt, dachte Thomas Sprengel, aber das Ergebnis ist vielleicht sogar noch viel besser.
»Deine Frau scheint ein Engel zu sein«, stellte Horst Jung ehrlich beeindruckt fest.
Franz Hilpertsauer nickte nur, wobei man ihm sein Glück ansah. »Dann hat er sich wortreich bei ihr entschuldigt und mir zugegeben, dass es schon recht gewesen sei, ihn damals hier herausbefördert zu haben. Man glaubt es kaum, gell.«
»Das ist der Megahammer«, war ihr Jüngster vollkommen perplex.
»Wo hast du den Wagen geparkt?«, erkundigte sich Lene Huscher, als sie mit ihrem Mann das »Peppers« verließ.
Bei dieser Frage musste Thomas Sprengel immer an ihren ersten Abend denken, nachdem sich damals die Runde ihrer Freunde rücksichtsvoll, weil frühzeitig verabschiedet hatte. »In der UB«, gab er zurück. »Der hat sich sogar seinen Schnauzer abrasiert«, konnte er das Geschehene noch nicht fassen.
»Sieht eindeutig weniger nach Swingerclub aus«, erwiderte Lene lakonisch.
Ihr Mann musste bei der Vorstellung lachen, wie sich über die Wampe von Harald Krämer ein Netzshirt spannte, während der untrainierte Hintern in einem String-Tanga steckte.
»Würdest du mich an deinen Gedanken teilhaben lassen, mein Schatz?«
Er malte ihr sein Bild als Szene in einem Etablissement, das sich irgendwo in einem gemischten Wohn- und Gewerbegebiet befinden könnte. Auf dem Weg zum Parkhaus legte er liebevoll seinen Arm um Lene.
»Du hast Ideen«, schüttelte sie gut gelaunt den Kopf.
»Du hast doch davon angefangen«, verwahrte er sich entrüstet gegen diesen impliziten Vorwurf.
Die Kommissarin schmiegte sich an ihren Mann, während sie inzwischen auf den Uni-Platz einbogen. »Weißt du was? Wenn Frank recht behält und da noch mehr dran sein sollte, ... so Sachen, die in mein Dezernat fallen, dann könnten wir doch eine Soko einrichten. Meinst du nicht auch, dass euch das personell entlasten würde?«
»Ganz selbstlos, nicht wahr?« Er drückte seine Frau zärtlich an sich.
»Wie immer. Du kennst mich doch.«