Читать книгу Der Teufel lauert auch im Paradies - Henning Marx - Страница 6
Kapitel 3
ОглавлениеEkaterina Hilpertsauer war auf der Suche nach einem geeigneten Yoga-Unterricht für sich und ihren Mann. Sie waren erst wenige Wochen verheiratet. Nachdem sie, als sie sich im Krankenhaus kennengelernt hatten, anfangs skeptisch gewesen war, ob das mit ihnen unter diesen Umständen gutgehen könne, war sie schließlich ihrem Herzen gefolgt. Nicht einen Tag, nicht einmal eine Sekunde hatte sie ihre Entscheidung bereut. So gesehen musste sie dankbar dafür sein, kurz nach dem Jahreswechsel angefahren worden zu sein, wodurch sie aufgrund der Gesamtumstände Personenschutz erhalten hatte. Das alles lag inzwischen gefühlte Lichtjahre zurück. Obwohl sie bereits sechsunddreißig war, hatte sie zum aktuellen Sommersemester ein Studium der Sozialpädagogik aufgenommen. Auch diese Entscheidung hatte sich als überaus passend erwiesen. Nur ihre Suche nach einem geeigneten Yoga-Unterricht fügte sich nicht so einfach, wie sie erwartet oder gehofft hatte. Zwei Wochen zuvor hatte sie eine Probestunde in dem großen Yoga-Ashram auf dem ehemaligen Patrick-Henry-Gelände besucht. Das »Yoga der Erneuerung« hatte die komplette Siedlung, wie man hörte, sogar gekauft, in der bis zum Abzug der amerikanischen Truppen Soldaten mit ihren Familien gewohnt hatten. Eine ehemalige Turnhalle war zu einem öffentlichen Übungsraum umgebaut worden: Die Fenster hatte man bis auf den Boden gezogen und Parkett verlegt. Die ganze Halle wirkte lichtdurchflutet. Ordentlich verteilt lagen dort unzählige orangefarbene Matten, Kissen und Decken für die festen Mitglieder des Ashrams. Für Gäste und Interessenten waren im Randbereich der Halle rote Matten mit weißen Kissen und Decken bereitgelegt; niemand musste diese Dinge mitbringen. So schön das auch ausgesehen hatte, hatte Ekaterina die Atmosphäre überhaupt nicht gefallen. Durch die große Zahl der Teilnehmenden kam sie sich letztlich verloren vor, auch wenn die anderen Übenden um sie herum sehr freundlich zu ihr gewesen waren. Außerdem erklang ein Gong, sobald die »Leitenden« die Halle betraten, woraufhin alle Anwesenden dreimal »Guru« skandieren mussten, gefolgt von einem »Wir verbeugen uns in Demut«, das mit einer tiefen Verneigung verbunden wurde. Fortgeschrittene Assistenten gingen bei den Übungen durch die Reihen und korrigierten einzelne Teilnehmer. Auch das hatte Ekaterina nicht gefallen, plötzlich von hinten angefasst zu werden, während sie sich auf eine Aufgabe konzentrierte. Beim ersten Mal war sie zusammengezuckt. Wütend hatte sie den Kopf gedreht und sich gerade noch beherrscht, als sie in das Gesicht einer freundlich wirkenden Assistentin geblickt hatte – zum Glück. Wenn es ein Mann gewesen wäre, der ihr von hinten unter die Achseln gegriffen hätte, hätte sie für nichts garantieren können. Sie bestimmte inzwischen wieder selbst, wer sie berühren durfte – ausnahmslos! Nachdem sie mehrere Tage mit sich gehadert hatte, hatte sie Lene Huscher von ihren Zweifeln erzählt. Die hatte ihr wiederum den Tipp eines Yoga-Angebots in Gaiberg gegeben, das eine Freundin von ihr besuche und dort sehr zufrieden sei. Mit der Kommissarin hatte sie sich auf Anhieb verstanden. Bereits als sie das erste Mal bei ihr im Büro gewesen war, um Anzeige zu erstatten, hatte sie ein gutes Gefühl gehabt, auch wenn Lene sie zuerst weitergeschickt hatte. Sie würde ihr nie vergessen, wie sie sich um sie gekümmert hatte, nachdem sie der Kommissarin kurz darauf verzweifelt erneut auf dem Gang des Polizeipräsidiums begegnet war.
Problemlos hatte Ekaterina Hilpertsauer zu einem kleinen Fachwerkhaus am Ende der Hauptstraße direkt am Waldrand gefunden. Ein kleines Schild hatte sie um das Haus herum zu einem größeren Pavillon aus Holz geführt, dessen Nord- und Ostseite gezimmert war, während die Wände zu den anderen beiden Himmelsrichtungen fast ausschließlich aus Glas bestanden. Mehrere Schafe grasten auf der Wiese zu ihrer Rechten, die an ein Gehege grenzte, in dem ein großer Hahn stolz vor seinen Hennen flanierte. Die Abendsonne tauchte die Idylle in ein warmes Licht. Als sie unerwartet angesprochen wurde, erschrak sie leicht, weil sie keine Schritte hinter sich gehört hatte.
»Kann ich Ihnen helfen? Möchten Sie am Unterricht teilnehmen?«
Ekaterina drehte sich um und sah sich einem sehr schlanken, sie freundlich anlächelnden Mann gegenüber, der vollständig in elfenbeinfarbenes Leinen gekleidet war. Sie hätte nicht sagen können, wie alt er war.
»Ja, ... guten Abend«, gab sie zögerlich zurück, »mein Name ist Ekaterina Hilpertsauer.« Sie hielt dem Mann die Hand hin, der diese mit einem wohldosierten Druck schüttelte.
»Akal Dharam«. Er verneigte sich kurz. »Komm, die anderen warten schon. Darf ich dich Ekaterina nennen?«, fragte er beiläufig, während er sie zur Tür an der Ostseite des Pavillons führte.
»Gerne«, erwiderte sie überrascht über sich selbst, weil sie in der Regel Wert darauf legte, zunächst bei einem Distanz erhaltenden »Sie« zu bleiben.
»Hast du bereits Yoga-Erfahrung, Ekaterina?«, erkundigte sich Akal Dharam Singh, während er die Tür hinter ihr wieder schloss.
»Ich habe bisher nur einen Probeunterricht in dem großen Yoga-Ashram neben der Autobahn mitgemacht«, erwiderte sie der Wahrheit gemäß.
»Gut, das bekommst du hin«, lächelte er sie an. »Nur eine Bitte hätte ich! Falls du dich entscheiden solltest, regelmäßig zu kommen, könntest du dich um hellere Kleidung bemühen!«
Ekaterina schaute an sich hinunter. Sie trug ein orangefarbenes Shirt über einer schwarzen Jogging-Hose. Damit war sie in dem Ashram nicht weiter aufgefallen. Dort hatte es von äußerst knappen und bunten Tops nur so gewimmelt. Als sie wieder aufschaute, fiel ihr erst auf, dass alle Anwesenden, fünf Frauen sowie drei Männer, durchweg in Weißtöne gekleidet waren und helle Schaffellmatten auf dem Holzboden lagen, überhaupt alle Stoffe in Weiß gehalten waren. »Oh«, war es ihr sehr peinlich, »ich wusste nicht ...«
»Die Wenigsten können Hellsehen, Ekaterina.« Akals Augen ruhten mild und ein wenig belustigt auf ihr. »Vielleicht denkst du darüber nach, sobald du dir sicher bist, häufiger kommen zu wollen. Ich will sagen, überstürze nichts, was am Ende nur Geld kostet.« Er klatschte leise in die Hände, um sich die Aufmerksamkeit der Gruppe zu sichern. »Ich bringe uns hier Ekaterina mit, die gerne Yoga ausprobieren möchte«, stellte er sie der Runde vor. »Das sind Leander, Brigitte, Susanne, Tom, Dharma, Ulrike, Snatam und Nirinjan.«
Alle lächelten ihr zu und verneigten sich leicht.
»Dharma, bitte richte ihr eine Matte neben Susanne«, bat Akal. Er überlegte kurz. »Ich vertraue sie dir an, Susanne, wenn du dir das zutraust!«
Susanne Adam lachte überrascht. »Ich melde mich bei dir, wenn ich mir unsicher sein sollte.«
Akal nickte nur knapp.
Ekaterina machte große Augen, weil sie eine Mentorin bekam. Das war alles ganz anders als in dem riesigen Ashram. Irgendwie hatte sie das Gefühl, der Name »Susanne« sollte ihr etwas sagen, aber sie kam nicht darauf. Sie konnte sich gerade noch bei Dharma für die Matte bedanken, als alle auch schon im Halbkreis um Akal saßen, der auf seinem Schaffell die Beine in einen halben Lotus überschlagen und mit einer dünnen Decke bedeckt hatte. Alles war so anders. Richtiggehend aufgeregt war sie. Nach einem verstohlenen Blick machte sie es einfach den anderen nach, legte die Hände in Gebetshaltung vor der Brust zusammen und schloss die Augen.
»Ong namo guru dev namo«, tönte Akal in einer Stimmlage, in der sie die Worte einfingen, sie geradezu absorbierten. Das war es, was sie gesucht hatte. Beim zweiten Mal setzten die anderen mit ein und der ganze Raum wurde von dem Klang erfüllt. Als sie sich bei der dritten Wiederholung ebenfalls traute, hatte sie das Gefühl, als gäbe es nur noch diesen Klang.
»Wenn du möchtest, treffen wir uns das nächste Mal eine halbe Stunde vor dem Unterricht. Dann kann ich dich ein wenig korrigieren oder dir die eine oder andere Frage beantworten«, schlug Susanne ihrem Schützling am Ende der Stunde vor. »Ekaterina, richtig?«
»Stimmt. Und du heißt Susanne«, versicherte die sich ebenfalls noch einmal.
Susanne Adam überlegte einen Augenblick. »Ekaterina Hilpertsauer?« Sie sah die Gefragte erwartungsvoll an.
Bei der fiel endlich der Groschen. »Du bist Lenes und Thomas´ Freundin«, stellte sie erfreut fest. »Aber wie hast du mich zugeordnet?«, wunderte sie sich.
»Na ja,« lachte Susanne sie an. »Dein Vorname kommt ja nicht so oft vor. Und außerdem hat Lene dich einmal als bildhübsche Frau beschrieben. Wie hat sie gesagt: ›Sie ist die schönste Braut, die ich je gesehen habe‹.«
Ein Anflug von Röte zeigte sich auf Ekaterinas Wangen. »Lene hat natürlich maßlos übertrieben«, wiegelte sie verlegen ab.
»Nur keine falsche Bescheidenheit«, sah Susanne ihrem Naturell entsprechend keinen Grund, ein Blatt vor den Mund zu nehmen. »Ich kann Lenes Einschätzung nur bestätigen.«
»Danke.« Ekaterina wirkte in diesem Moment fast schüchtern, wie immer, wenn es um ihr Äußeres ging. »Ich würde dein Angebot gerne annehmen, wenn es dir wirklich nicht unbequem ist?«, wechselte sie das Thema sofort wieder.
»Nein, überhaupt nicht«, erwiderte Susanne von ganzem Herzen. Auch sie hatte in den ersten Wochen davon profitiert, von Akal einen der Erfahreneren an die Seite gestellt bekommen zu haben.
Zusammen waren sie um das Haus herum bis zu ihren geparkten Autos gegangen, nachdem sie sich von den anderen Teilnehmern verabschiedet hatten. Ekaterina hatte nicht mehr länger mit Akal Dharam sprechen können, weil der sich wegen einer Kuh entschuldigt und sofort nach der Stunde mit Leander den Übungsraum verlassen hatte. Susanne vermutete, dass Akals Kuh kurz davor stand, ihr Kalb zur Welt zu bringen.
»Also, Ekaterina«, verabschiedete sich Susanne, als sie bei den Pkws angekommen waren. »Bis Donnerstag oder erst nächste Woche?«
»Ich werde am Donnerstag kommen«, freute sich ihr Schützling unübersehbar.
Ekaterina betrat das Wohnzimmer ihrer Wohnung in der Weststadt, in dem sie zu ihrem Glück ihren Mann auf dem Sofa vorfand. Eigentlich hätte er an diesem Tag mitkommen wollen, aber die Tote auf der Autobahn hatte die Arbeitszeit des Kommissars unvorhersehbar verlängert.
Franz schaute hoch. »Du strahlst ja förmlich«, stellte er zufrieden fest, während er sein Buch zur Seite legte. »War es gut?«
»Viel besser, als ich gehofft habe.« Sie schmiegte sich an ihn und gab ihm einen Kuss. »Aber wie sieht es bei dir aus?«
»Vielleicht haben wir bereits eine erste Spur. Aber lass uns lieber über deinen Abend reden. Mir reicht es für heute, mich mit den Untiefen der menschlichen Psyche auseinanderzusetzen.« Franz nahm die Frau, auf die er Jahre gewartet hatte, liebevoll in den Arm. Nie würde er sie wieder hergeben, solange sie ihn auch wollte.
»Stell dir vor«, endete Ekaterinas Erzählung von ihrer Yoga-Stunde, »wen ich dort getroffen habe?« Fragend schaute sie ihn an.
Seine Hand wanderte zu ihrer vollen Brust. »Ich weiß nicht«, fiel ihm niemand ein.
»Wenn du nichts anderes im Sinn hast«, lächelte sie, öffnete aber ganz nebenbei den Reißverschluss ihres Shirts, »wundert mich das nicht. ... Susanne Adam. Ich soll dir einen Gruß ausrichten.«
»Was für ein Zufall«, fand auch Franz und schob seine Hand zärtlich unter ihr Bustier.
»Du scheinst nicht beim Thema zu sein, mein Lieber«, flüsterte sie ihm ins Ohr.
»Nicht ganz, da ist mir was zugefallen«, blieb er ehrlich, woraufhin sie wie eine Katze auf seinen Schoß glitt und ihm einen feurigen Kuss auf die Lippen presste.
»Mehr gibt es nur, wenn du mir versprichst, nächste Woche mitzukommen.« Sie schaute erwartungsvoll. Erst als Franz lächelnd nickte, schob sie ihr Bustier nach oben, um ihm uneingeschränkte Zugriffsrechte zu gewähren.