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Kapitel 14

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Jo Kühne saß gemütlich hinter seinem Schreibtisch und schaute die beiden Kommissare aufmunternd an. Ihm war durchaus klar, dass Thomas Sprengel und Lene Huscher nicht bei ihm waren, um Urlaub zu beantragen. »Was kann ich für euch tun?«

»Wir sind der Meinung«, Thomas räusperte sich, »dass es gut wäre, beide Dezernate an der Aufklärung der Todesumstände von Sylvia Tröger zu beteiligen.«

»Wenn ich euch nicht kennen würde«, schmunzelte ihr Chef, »würde ich meinen, ihr hättet außerberufliche Interessen. Aber ihr seid ja schon verheiratet. Also was gibt es?«

Lene ergriff das Wort und erzählte von Cornelia Fabers Aussage. »Wir vermuten, dass sie kein Einzelfall gewesen sein dürfte. Sylvia Tröger könnte bei der Suche nach ihrer Schwester auf ähnliche Hinweise hinsichtlich Marions Schicksal gestoßen sein. Möglicherweise ist die nicht nach Indien und Nepal gereist, sondern bei einer Prozedur, wie sie Frau Faber über sich hat ergehen lassen müssen, sogar verstorben.«

»Hmmh«, war Jo Kühne interessiert, aber skeptisch, »was spricht dagegen?«

»Mutter und Schwester hätten gemerkt, wenn das auf der Karte nicht Marions Schrift gewesen wäre ...«

Der Kriminaldirektor nickte. »Und es scheint mir nicht sehr wahrscheinlich, dass ein Ableben von vorneherein einkalkuliert war. Dann hätte Frau Faber ebenfalls prophylaktisch eine Abschiedskarte schreiben müssen. Oder hat sie das?«

Lene schüttelte den Kopf.

»Gut«, zeigte der wie immer braun gebrannte Triathlet bis hierher keine interpretierbare Reaktion. »Was habt ihr mir noch anzubieten?«

»Diese Erneuerungsbewegung«, holte Thomas Sprengel weiter aus, »hat sich von der sogenannten ›3HO‹ abgespalten, der ...«, er musste erst auf seinen Zettel schauen. Diesen esoterischen Slang konnte er sich einfach nicht merken. Hoffentlich verschonte ihn Lene mit dem Thema Yoga. Sie hatte bereits vor einem Jahr angedeutet, das ausprobieren zu wollen, und zu seinem Unglück war Ekaterina inzwischen vollkommen begeistert ... und Susanne, puh. Immerhin war Heiko bisher gegen diesen Frauenkram resistent geblieben. »... ›Healthy Happy Holy Organization‹ eines Yogi Bhajans. Anfang der Neunziger hatte Matthias Untersberger einen Ashram der ›3HO‹ in Hamburg übernommen, dessen Gründerehepaar in die USA zurückkehren wollte. Wenige Jahre später ist bekannt geworden, dass Untersberger für ausgewählte Suchende psychogene Drogen verwendete. Sexgeschichten wurden ebenfalls kolportiert. Für Yogi Bhajan waren Drogen sowie das Berühren der Schüler und Schülerinnen im Unterricht undenkbar, so dass Untersberger aus der ›3HO‹ ausgeschlossen wurde, weil er die Statuten massiv verletzt hatte. Anders als erwartet, traten aber die anderen Ashram-Mitglieder ebenfalls aus und Untersberger gründete die Erneuerungs-Bewegung, die sich über die Jahre immer erfolgreicher international ausbreitete. Er benutzt weiterhin die von dem Yogi gelernten Techniken, verzichtet aber auf die strengen moralischen Regeln Yogi Bhajans, wodurch sich scheinbar erst sein Erfolg einstellen konnte, wenn man die Entwicklung mit den Zahlen der ›3HO‹ vergleicht. Die meisten der parallel gegründeten Firmen produzieren alles, was man für Yoga braucht, und sind als Tochterfirmen kaum den Erneuerungsleuten zuzuordnen. Der Jahresgewinn aller Sparten vor Steuern beläuft sich inzwischen auf fast dreißig Millionen Euro.«

Jo Kühne pfiff durch die Zähne. »Ich hätte nicht gedacht, dass man mit ein bisschen Alle-haben-sich-lieb so viel Geld verdienen kann. Aber du willst ein Motiv konstruieren, sehe ich das richtig?«

Auf den Kopf gefallen war ihr Chef wahrlich nicht. »Genau. Wenn Sylvia Tröger auf etwas gestoßen sein sollte, das den Ruf dieses Vereins nachhaltig beschädigt hätte, würde das gesamte Marketing ins Leere laufen.«

»Bei einem einzigen Fehltritt?«, zweifelte Kühne diese Wirkung an.

»Das wäre durchaus möglich«, fügte Lene hinzu. »Frau Faber hat noch ein wenig über Interna geredet. Die meisten in den Ashrams folgen der Bewegung aufgrund ihres charismatischen Führers. Wenn dem ein Verbrechen gegen ein Mitglied nachgewiesen würde, wären er und das Konzept absolut unglaubwürdig.«

»Das kann ich ...«, wollte Jo Kühne relativieren, wurde aber von seinem Kommissar höflich unterbrochen. »Darf ich?«

Sollte er der Werbung für eine Soko ausgesetzt werden? »Bitte«, blieb er jedoch gelassen und offen für die Argumente der beiden.

»Yogi ...«, Thomas Sprengel schnaufte, weil er ein weiteres Mal seinen Zettel bemühen musste. »Yogi Bhajan war ebenfalls eine überaus charismatische Person. Der hat das allerdings mit dem Dienst an den Menschen und den Mitgliedern der ›3HO‹ sehr ernst gemeint. Bis zu seinem Tod hielt sich das Wachstum der Erneuerungsbewegung in Grenzen, danach fehlte es der ›3HO‹ an einer ...«, er zögerte, weil er nicht wusste, wie er das formulieren sollte, Lichtgestalt ging überhaupt nicht, »... alles überstrahlenden Persönlichkeit«, rettete er den Satz schließlich. »Im Laufe der Zeit setzte zudem eine gewisse Erosion ein, indem beispielsweise nach dessen Tod ›holy‹ nicht mehr ausschließlich mit ›heilig‹, sondern immer häufiger auch mit ›ganzheitlich‹ übersetzt wurde.« Der Hauptkommissar stöhnte. »Frag mich nicht, was daran so schlimm sein soll, aber Tatsache ist, dass nach Bhajans Tod das Wachstum der Erneuerungsbewegung rasant zugenommen hat. Das könnte natürlich nur zufällig gewesen sein, weil sich die Zeiten deutlich geändert haben und die Leute sich heutzutage weniger gerne in strenge Regeln fügen.«

»So viel redest du ja selten am Stück, Thomas«, spottete sein Chef angesichts dieses ausführlichen Vortrags. »Die Mitglieder würden sich nach einem Eklat mehr der ›3HO‹ zuwenden, die sich immerhin auf den Gründer dieser Form des Yogas berufen kann, aha.« Kühne kaute auf seiner Unterlippe, während er nachdachte. »Aber wie haben die das gemacht?«, fragte sich der Behördenleiter. »Es war doch absoluter Zufall, dass Sylvia Tröger die Tür in ihrem Wahn nimmt, selbst wenn die absichtlich in der Schallschutzwand offen gelassen worden wäre?«

»Dazu haben wir leider noch keine belastbare Idee«, mussten die beiden Ermittler eingestehen. »Aber wir versuchen weiterhin, Zeugen zu finden, über deren Aussagen wir den Weg von Frau Tröger möglichst von ihrer Wohnung bis zu der Schallschutzwand rekonstruieren können. Insofern wäre es gut, wenn zumindest Lene uns bei den Ermittlungen unterstützt. Sie könnte sich um den Themenkomplex ›sexueller Missbrauch und Vergewaltigung‹ wie bei Frau Faber kümmern«, begründete Kommissar Sprengel ihr Anliegen.

»Deren Klage wurde damals abgewiesen«, warf Jo Kühne scheinbar unbarmherzig ein. »Und andere Fälle sind in Heidelberg nicht bekannt, oder?«

»Bisher nicht«, bestätigte die Dezernatsleiterin, »aber du weißt selbst, wie viele Frauen sich nicht trauen, Anzeige zu erstatten. Das dürfte insbesondere gelten, wenn sich eine derartige Klausel findet.«

»Hüsing ist draußen?«, wollte ihr Chef noch wissen.

Sein Hauptkommissar nickte griesgrämig. »Genau betrachtet könnte Hüsing Sylvia Tröger das LSD auch nur verabreicht haben. Damit bliebe immerhin eine Körperverletzung, vielleicht mit Todesfolge. Mit dem bin ich noch nicht fertig. Aber ich gebe zu, dass derzeit nichts für eine solche Annahme spricht.«

»Viel Gerede um wenig Substanz«, fasste Jo Kühne das Gehörte emotionslos ohne jeden Vorwurf zusammen. »Macht mal, wenn das zeitlich drin ist. Habt ihr euch eigentlich schon gefragt, ob Marion Tröger unfreiwillig ins Ausland verschoben worden sein könnte?«

Lene und Thomas schauten sich überrascht an. »Ehrlich gesagt, waren wir bisher nur mit Sylvia Tröger beschäftigt.«

»Eure Hypothese, Sylvia Tröger könnte etwas gefunden haben, muss nicht deren Tod betreffen«, erläuterte ihr Chef seinen Gedankengang. »Möglicherweise geht es auch um Menschenhandel in irgendeiner Form. Das würde jedenfalls die eigenhändige Karte erklären, zu der man sie gezwungen haben könnte.«

»Du bist uns einen Schritt voraus«, gestand Thomas ein.

»Deswegen bin ich ja auch Kriminaldirektor«, lachte Kühne und klatschte sich mit beiden Händen auf die Oberschenkel. »Spaß beiseite. Ich muss mich im Gegensatz zu euch nicht um die Detailarbeit kümmern. Ihr solltet euch den Laden genauer ansehen. Ich werde mal bei unseren Freunden vom BKA anfragen, ob die vielleicht Informationen für uns haben.«

Zufrieden verließen Lene Huscher und Thomas Sprengel das Büro ihres jederzeit kooperativen Chefs. Thomas gab Lene im dritten Stock einen Kuss auf die Wange und schaute ihr wie immer noch hinterher, wie sie mit diesem leichten Hüftschwung die Treppen geradezu hinabschwebte. Und wie immer winkte sie nochmals nach hinten, ohne sich umzudrehen, weil sie wusste, dass er noch da stand, um sich an ihrem ... ja, kleinen Hintern zu erfreuen. Jetzt durfte bloß Horst Jung nicht vorbeikommen, der ihn jedes Mal damit aufzog, wie paralysiert er seiner Frau beim Abschied hinterherstarrte.

Der Teufel lauert auch im Paradies

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