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Kapitel 12
ОглавлениеNachdem Thomas Sprengel morgens die Arbeit aufgeteilt hatte, war er mit Horst Jung zum Yoga-Ashram gefahren, um mit dem Leiter des Zentrums zu sprechen. Am späten Abend war auch Heiner Janetzky endlich aus seinem Mallorca-Urlaub zurückgekehrt. Franz Hilpertsauer sollte ihn in Kenntnis setzen, um gemeinsam weiter nach Zeugen zu suchen, die die Aussage von Peter Hüsing bestätigen oder widerlegen würden. Zum Unwillen des Hauptkommissars war es Fatma Ünal gelungen, den Haftrichter davon zu überzeugen, den Verdächtigen Hüsing bereits wieder auf freien Fuß zu setzen, wenn auch mit der Auflage, sich täglich auf einem Polizeirevier zu melden. Er sah zwar ein, dass augenblicklich wenig gegen dessen Version sprach, aber ein bisschen Zeit musste man ihnen schon geben, Verdachtsmomente zu finden oder Zweifel auszuräumen. Zugegebenermaßen hielt er es nicht für wahrscheinlich, dass Hüsing am Tod von Frau Tröger eine Schuld traf. Es gab jedoch noch keine Gewissheit und bezogen auf eine eventuelle Fluchtgefahr war er der Meinung, Kontakte nach Indien könnten sehr wohl dazu genutzt werden, in dem Milliarden-Einwohner-Land unterzutauchen. Ohnehin würde der Fall eine mühevolle Kleinarbeit werden. Die Spurensicherung hatte in der Wohnung von Sylvia Tröger nicht den geringsten Anhaltspunkt finden können. Es hatte dort weder einen möglichen Grund für ihren Tod gegeben, noch ließ irgendetwas darauf schließen, ob sich für die junge Frau bei der Suche nach ihrer Schwester Hinweise ergeben hatten, die ihnen unter Umständen hätten weiterhelfen können. Am Ende gab es gar keinen Fall, weil Sylvia Tröger im Rahmen eines »bad trips« vollständig die Kontrolle verloren hatte?
Den beiden Kommissaren stand ihre Überraschung ins Gesicht geschrieben, nachdem eine formell gekleidete Sekretärin sie in das Büro des Ashram-Leiters geführt hatte. Es war nicht nur die hochwertige Einrichtung oder das Fehlen irgendwelcher Esoterik-Devotionalien, sondern gleichermaßen die elegante Erscheinung eines Mannes in einem perfekt sitzenden Business-Anzug – ohne Krawatte, wie das inzwischen bevorzugt wurde, wenn man sich lässig geben wollte. Als ob das vom Tragen dieses Accessoires abhing.
»Ich sehe schon«, wirkte der Kopf des Yoga-Paradieses amüsiert, »Sie haben etwas anderes erwartet. Grüße Sie, Matthias Untersberger.« Mit kräftigem Druck reichte er beiden die Hand.
»Morgen, Sprengel, Kripo Heidelberg«, stellte der Hauptkommissar sie vor, indem er auch auf seinen Kollegen deutete. »Das ist Herr Jung.«
»Angenehm«, zeigte sich Herr Untersberger höflich, »auch wenn der Anlass weniger erfreulich ist.« Bei der letzten Bemerkung wechselte sein aufgeschlossener Gesichtsausdruck zu einem betrübt-ernsthaften. »Setzen Sie sich doch. Möchten Sie einen Kaffee?«, blieb er seinen geschliffenen Umgangsformen treu, während er auf zwei bequeme Sessel vor seinem Schreibtisch deutete.
»Danke, nein«, lehnten seine Besucher ab.
»Was kann ich für Sie tun?«, zeigte ihr Gesprächspartner keinerlei Interesse an Small-Talk.
Als Thomas Sprengel dem Leiter des Zentrums die genauen Umstände zu Sylvia Trögers Tod darlegte, verdunkelte sich dessen Miene zusehends, während er schweigend mit aneinandergelegten Fingerspitzen zuhörte. Am Schluss nickte er nachdenklich. »Wie kann ich Ihnen also helfen?«
»Haben Sie eine Vorstellung, woher oder warum Sylvia Tröger LSD genommen haben könnte?«
Der Angesprochene kniff ein wenig die Augen zusammen und versuchte, die Absicht hinter der Frage zu ergründen, bevor er antwortete: »Falls Sie denken, Yoga würde immer noch hauptsächlich von Menschen praktiziert, die Drogen als Teil der Revolution gegen das Establishment betrachten, irren Sie sich. Yoga und die unkontrollierte Einnahme von Drogen passen nicht zusammen. Folgerichtig ist das in jedem Ashram unserer Gruppe verboten. Im Wiederholungsfall kann der Konsum sogar zum Ausschluss führen.«
»Sie wollen behaupten, dass niemals jemand Drogen nimmt, auch nicht kifft oder so?«, hakte Horst Jung skeptisch nach.
»Herr Jung«, dozierte der Ashram-Leiter ein wenig von oben herab. »Hier leben kaum noch Leute aus der Flower-Power-Bewegung. Und wie Sie bereits überrascht zur Kenntnis genommen haben, halten Sie sich in einem Büro auf, das Sie so in jeder Firmenzentrale finden. Wir sind ein global operierendes Wirtschaftsunternehmen im Bereich Gesundheit und Wellness. Drogen schaden erstens unserem Image und zweitens – salopp formuliert – weichen die nur das Hirn auf, so dass sie für unsere versprochenen Ziele kontraproduktiv sind. Sie können das absolut nüchtern betrachten. Wir haben keinerlei Verständnis für die beabsichtigte Legalisierung von Cannabis, wie das inzwischen häufiger in der Politik diskutiert wird.«
»Verstehe«, nickte der junge Kommissar. »Wie sehen denn Ihre Ziele aus?«
»Wir versprechen«, setzte Matthias Untersberger an, »nein, wir garantieren den Menschen Wohlbefinden durch eine ganzheitliche Lebensweise.«
»Sehr interessant«, unterbrach Thomas Sprengel jede weitere Ausführung, weil er nicht hergekommen war, um Werbeinformationen einzuholen. Es sah zumindest so aus, als ließe sich damit eine Menge Geld verdienen. Was hier herumstand und -hing, war eindeutig teurer als das Mobiliar im Vorstandsbüro von Günther Katz, dem Internetmillionär, der inzwischen auch seine Berufungsverhandlung verloren hatte. »Sie haben somit keine Erklärung für den Drogenmissbrauch?«
»Von unserer Seite verstößt das eindeutig gegen die Gruppenregeln«, unterstrich Matthias Untersberger nochmals die kodifizierte Haltung im Ashram.
Zur gleichen Zeit saß Lene Huscher bei einer Frau Ende zwanzig in der Küche, die akkurat aufgeräumt war. Nirgends stand oder lag Geschirr herum, kein Krümel war zu sehen. Cornelia Faber war die junge Frau, an deren Fall sich ihr Mitarbeiter Hartenstein erinnert hatte. Seitdem sie den Ashram verlassen hatte, arbeitete sie mangels einer anderen Ausbildung als Raumpflegerin hauptsächlich abends und nachts in einer Kolonne, die Büros reinigte. Die Frau machte auf Lene den Eindruck, als habe sie zwar Schicksalsschläge erlitten, lasse sich aber dennoch nicht einfach unterkriegen. Zäh wäre wohl die richtige Beschreibung.
»In Ihrer Akte habe ich gelesen, dass es zu keinem Schuldspruch gekommen ist, weil Sie vor den ... Handlungen Ihr Einverständnis gegeben haben. Können Sie mir das erklären?«
Cornelia Faber saß mit verschränkten Armen an die Stuhllehne zurückgelehnt da und schnaufte mit einem verächtlichen Gesichtsausdruck. Sie war misstrauisch, weil sie nicht verstand, warum nach Jahren jemand von der Kripo bei ihr auftauchte und alte Wunden aufzureißen drohte. »Weil es Menschen wie mich gibt, die zu doof zum Lesen sind«, entgegnete sie eine Spur zu patzig.
»Wie darf ich Sie verstehen?«, ignorierte Lene Huscher die ablehnende Haltung.
»Was wollen Sie eigentlich von mir?«, brach sich das ungute Gefühl, das sich bei der jungen Frau eingestellt hatte, energisch Bahn. »Damals hat mir auch keiner geglaubt.«
Die Kommissarin war sich sicher, die schroffe Reaktion richtig zu interpretieren. Es war keinesfalls klar, ob Frau Faber das Ganze vollständig verarbeitet hatte. Nach kurzem Zögern legte sie deshalb die Karten auf den Tisch und berichtete von Sylvia Trögers Schicksal.
»Also gut.« Frau Faber beugte sich vor und stützte die Unterarme auf die Tischplatte, auf der ein Wachstischtuch ausgebreitet war. »Ich habe denen vertraut, so einfach erklärt sich das. Yoga hat mir gutgetan. Ich komme aus einer armen Familie – ja, die gibt es auch in Deutschland. Das sind die Menschen, die den Hochwohlgeborenen ihren Luxus ermöglichen und zum Dank wie lästige Insekten behandelt werden.« Ihre Augen spiegelten den über Jahre angestauten Zorn Frau Fabers wider. »In meinem ersten Ashram in Hamburg konnte ich in eine Wohngemeinschaft ziehen und in der dortigen Küche arbeiten, wofür ich neben Kost und Logis ein kleines Taschengeld erhielt. Die Übungen entfalteten mit der Zeit ihre positiven Wirkungen. Das erste Mal in meinem Leben hatte ich keine Sorgen, weil meine Bedürfnisse bescheiden waren und ich ja rundherum versorgt war. Nach ein paar Jahren nahm ich die Gelegenheit war und wechselte in den Heidelberger Ashram, weil dort eine Stelle als Köchin frei geworden war, wodurch sich zusätzlich mein kleiner Lohn aufbesserte. Damals war ich überglücklich. Nicht lange nach meinem Umzug wurde ich gefragt, ob ich in das Spezialprogramm aufgenommen werden wolle.«
»Was darf ich darunter verstehen?«, musste Lene die Erzählung unterbrechen.
»In jedem der Erneuerungs-Ashrams üben Externe, die nur zu den Yoga-Einheiten kommen und viel Geld bezahlen. Der äußere Zirkel besteht aus allen, die in dem Ashram leben und teilweise, wie ich, dort arbeiten. Wer sich entscheidet, endgültig zu bleiben, kann sich einer besonders intensiven Übung unterziehen. Allerdings muss man darauf warten, gefragt, also ausgewählt zu werden«, erklärte die auffallend schlanke Frau, während sie sich eine blonde Haarsträhne hinter ein Ohr klemmte, die ihr in die Stirn gefallen war. »Ich dumme Kuh war damals so stolz, dass ich bei dem zweiten Gespräch mit dem Untersberger überhaupt nicht mehr darauf geachtet habe, was ich da eigentlich unterschreibe.«
»Aber ...«
»Ich weiß, was Sie sagen wollen«, unterbrach Frau Faber die Kommissarin. »Ich war jung, gerade Köchin geworden, mein altes Leben lag längst hinter mir. Bis dahin hatte es nie einen Anlass gegeben, misstrauisch zu sein. Ich vertraute diesen Leuten, deren Organisation ich bis dahin ein besseres Leben verdankte. Dazu wurde ich noch für meine Disziplin und die Anmut meiner Übungen gelobt, um schließlich gefragt zu werden, ob ich besonders intensiv an mir arbeiten wolle, um endgültige Befreiung zu erlangen. Natürlich wollte ich das, diese außergewöhnlich herausfordernde Ausbildung, die nur den begabteren Suchenden offen stand. Die Einverständniserklärung unterschrieb ich quasi blind. Der Untersberger kann reden, dass Sie sich wie Gott persönlich fühlen, glauben Sie mir!«
»Sie wussten also nicht, was passieren konnte?«
»Was mir klar war, war die Einwilligung in eine Form roten Tantras«, erwiderte Frau Faber ärgerlich.
»Könnten Sie mir den Begriff erklären?«, bat Lene, der diese Terminologie fremd war.
»Tantra hat die Einswerdung zum Ziel und dient damit der Erweckung der Kundalini, einer Energie, die am Ende der Wirbelsäule schlummert und zur Entfaltung gebracht werden soll, um ein kreatives und selbstbestimmtes Leben führen zu können. Rotes Tantra setzt dazu Sexualpraktiken ein, die eine außergewöhnliche Beherrschung verlangen. Verwechseln Sie das bitte nicht mit weißem Tantra, das ausschließlich Gruppenmeditationen nutzt. Im Allgemeinen wurden die Menschen im Ashram zu einem enthaltsamen Leben angehalten, um die Sexualenergie nicht zu vergeuden, sondern für die eigene Heilung zu nutzen. Es wurde stets betont, dass nur besonders ausgewählte und fortgeschrittene Schüler zu rotem Tantra eingeladen werden. Eigentlich kann man dabei gar nicht mehr von rotem Tantra sprechen.« Sie brach ab, weil der Gedanke, wie sie manipuliert worden war, sie nach wie vor fassungslos machte.
»Deshalb haben Sie dann Anzeige wegen Vergewaltigung erstattet?«, verstand Lene Huscher das Verhalten der Frau noch nicht ganz.
»Untersberger wiegelte damals ab, die Unterschrift sei nur eine Formalie, um das Informationsgespräch zu dokumentieren«, kamen Wut und Enttäuschung in der Frau hoch, »und da habe ich unterschrieben und nicht gesehen, dass auf den möglichen Einsatz von psychogenen Drogen hingewiesen wurde. Angeblich um Blockaden zu lösen, die sich selbstredend im Sexualbereich befinden.« Unter Tränen berichtete die mitgenommene Frau, was ihr schließlich widerfahren war.
Die Kommissarin hörte der gutgläubigen Frau schockiert zu und konnte das Gehörte kaum fassen. Der Teufel lauerte also auch im Paradies.
»Was ich Sie noch fragen wollte«, drehte sich Thomas Sprengel auf dem Weg zur Tür noch einmal zu dem ihnen folgenden Leiter des Zentrums um. »Wieso war eigentlich die Tür in der Schallschutzwand offen?«
»War sie das?«, gab sich Matthias Untersberger zunächst überrascht. »Natürlich«, schlug er sich mit der flachen Hand leicht vor die Stirn, »sonst wäre Frau Tröger vermutlich noch am Leben. Ehrlich gestanden, ich weiß es nicht. Vielleicht wurde sie nach Wartungs- oder Mäharbeiten versehentlich nicht abgeschlossen?«
»Wen könnten wir dazu befragen?«, gab sich der Hauptkommissar nicht mit einer Vermutung zufrieden.
»Am besten fragen wir meine Sekretärin«, schlug ihr Gesprächspartner vor, bereits im Begriff die Tür zu seinem Vorzimmer zu öffnen.
Horst Jung lenkte den Passat zurück zum Präsidium. Zuerst schwiegen beide. Der junge Kommissar, weil er auf die nervös wirkenden Verkehrsteilnehmer achten musste. Thomas Sprengel, weil er seine Gedanken sortierte. Nach einiger Zeit fragte er schließlich seinen Mitarbeiter: »Und, was hältst du davon?«
Der zuckte zunächst nur mit den Schultern, weil er sich ganz auf den dichten Verkehr konzentrieren musste, der sich über die neu gestaltete, unübersichtlichere Verkehrsführung an der Bahnstadt vorbei Richtung Heidelberger Innenstadt quetschte.
Sein Chef wartete ausnahmsweise geduldig eine Antwort ab.
Erst als Kommissar Jung den Wagen auf den Parkplatz des Präsidiums dirigierte, fiel ihm die ihm gestellte Frage wieder ein. »Wenn ich bedenke, wie viel Geld im Spiel zu sein scheint, ließe sich möglicherweise ein Motiv konstruieren ...«
»Könnte sein«, nickte der Dezernatsleiter nachdenklich, während sie ausstiegen.