Читать книгу Der Teufel lauert auch im Paradies - Henning Marx - Страница 8

Kapitel 5

Оглавление

Weil der Mond nur eine schmale Sichel am Himmel bildete, war es zwischen den Palmen, Bäumen und Büschen so dunkel, dass sich einzelne Konturen kaum auseinanderhalten ließen. Während sie vorsichtig barfuß über den Rasen huschte, war von ihrem Sari nicht das geringste Geräusch zu vernehmen. Wie eine Einbrecherin hatte sie sich aus einem Dienstboteneingang seitlich am Haus gestohlen und peinlich darauf geachtet, beim Öffnen und Schließen der Tür kein Geräusch zu verursachen, auch wenn nur die Köchin im Haus war. Als sie sich im Schutz der Grünanlage weit genug von der Villa entfernt hatte, beschleunigte sie ihre Schritte und bewegte sich sicher wie eine Katze auf eine markante Palme zu. Sie hätte den Weg selbst mit verbundenen Augen gefunden, so oft wie sie in den letzten Jahren in der Dunkelheit der Nacht hierhergekommen war. Als sie nur noch wenige Meter von der hohen Palme entfernt war, löste sich ein Schatten von deren Stamm und trat leise auf sie zu.

Narindar hatte es viel einfacher, sie zu treffen. Er kam oftmals erst spät von der Plantage zurück und war als junger Mann auch nicht in der gleichen Weise in seinen Aktivitäten eingeschränkt, so dass er insbesondere am Abend meistens kommen und gehen konnte, wie es ihm beliebte. Erleichtert nahm er sie kurz bei den Händen und führte sie in das Wurzelgeflecht eines alten Banyan-Baumes, wo sie die Dunkelheit vollkommen einhüllte. Auch wenn sie dort weit vom Haus entfernt waren und sich unbeobachtet fühlen konnten, mussten sie vorsichtig sein. Ihre heimlichen Treffen würden als moralisch verwerflich betrachtet werden und wären von ihrem Mentor und Ziehvater niemals gebilligt worden.

»Es ist schön, dass du kommen konntest«, flüsterte Narindar, während sie sich im halben Lotus Rücken an Rücken zwischen die Wurzeln setzten. Auf diese Weise konnten sie die Wärme und Nähe des anderen spüren, aber hinreichend den Anstand waren, ohne Gefahr zu laufen, von ihren Gefühlen überrumpelt zu werden.

»Heute war es ganz einfach«, erklärte Ardas leise. »Er ist noch nicht wieder zurück und die Köchin schläft um diese Zeit fest.«

Sie schwiegen eine Weile, um die Anwesenheit des anderen zu fühlen. »Was ist mit dir?«, fragte Ardas schließlich besorgt, weil sie spürte, wie angespannt sich Narindars Rücken anfühlte. Bereits seit drei Jahren trafen sie sich immer wieder an dieser Stelle, nachdem sie sich seit der Pubertät auch als Frau und Mann zueinander hingezogen fühlten und sich ineinander verliebt hatten. Sie kannten sich seit ihren Kindertagen im Slum. Schon damals war Narindar anders gewesen als die anderen Jungs. Er hatte mit ihr, einem Mädchen, gespielt und sie stets beschützt. Leider hatten sie bisher keinen Weg gefunden, wie sie ihre Liebe jemals würden leben können. Ihr Ziehvater war bereits dabei, einen geeigneten Mann für Ardas zu suchen, weil sie es auf Dauer besser haben sollte, auch wenn er einmal nicht mehr wäre, wie er stets betonte. Ardas graute es bei dieser Vorstellung. Auch wenn sie nicht glaubte, dass er sie gegen ihren Willen weggeben würde, wollte sie niemand anderen als Narindar, der sie nicht nur begehrte, sondern ihr seit beinahe zwanzig Jahren bewies, sie auch zu verehren.

»Hast du von der toten Deutschen im Tempel gehört?«

»Meine Ohren sind groß«, erschrak Ardas ein wenig angesichts dieses Themas. »Deva hat es entsetzt und aufgelöst der Köchin berichtet, als ich zufällig in der Speisekammer war.«

Ardas spürte, wie Narindar mit dem Kopf nickte, als verstünde er die Reaktion von Deva. »Er hat mich gebeten, den Leichnam auf die Plantage zu bringen, zu verbrennen und die Knochen in der Mühle zu mahlen, um das Mehl irgendwo zu verstreuen.«

»Das tut mir leid.« Ardas drückte sich sanft gegen seinen Rücken. »Hast du schon ...?« Sie schluckte bei der Vorstellung.

Narindar atmete tief durch. »Ich konnte es nicht«, gestand er ihr schließlich. Als sie nichts erwiderte, fuhr er fort. »Sie war doch auch ein Mensch! Er aber hat von ihr geredet, als sei sie ein ... ein Möbelstück, das ein Gast kaputt gemacht hat. Außerdem war sie zu mir immer sehr nett, obwohl sie wusste, wer ich bin.«

»Warst du auch bei ihr?«, sprach Ardas den absurden Gedanken aus, der sich tief in ihrem Unterbewusstsein gebildet haben musste. Aber Männer sollten wohl anders als Frauen sein, hatte man ihr wenigstens ihr ganzes Leben lang vermittelt.

»Niemals!« Sie konnte nicht sehen, wie er ärgerlich die Stirn runzelte, hatte aber für einen Augenblick den Eindruck, dass er beinahe aufgesprungen wäre.

»Entschuldige, Liebster«, beruhigte sie ihn wieder, indem sie ihm eine Hand auf die Schulter legte. »Ich weiß auch nicht, wo der Gedanke plötzlich herkam. Vielleicht hat man mir doch zu oft erzählt, dass Männer ...«

Narindar fiel ihr sanft, aber bestimmt ins Wort. »Ich liebe nur dich, tausendblättriger Lotus meines Lebens. Noch nie hatte ich Augen für ein Mädchen oder eine Frau außer dir.«

»Nein«, sie lächelte verlegen, aber glücklich über die gut gewählten Worte. Nein, es gab keine Zweifel. Sie nahm die Hand von seiner Schulter. »Was hast du stattdessen mit der Toten gemacht?«

»Ich habe sie am Waldrand hinter der Plantage beerdigt und in den am nächsten stehenden Baum ein Kreuz geschnitzt, weil ich davon ausgegangen bin, dass sie vermutlich ... Psst.«

Ein Ast hatte in der Nähe geknackt. Narindars Herz pochte wild, Ardas wurde stocksteif. Sie lauschten angestrengt. Zu ihrer Erleichterung hörten sie kurz darauf ein leises Hecheln. Wenig später spürten sie, wie Napoleon, ein intelligenter Dobermann, friedlich an ihnen schnüffelte. Ardas streichelte ihm über den Kopf und gab ihm einen Kuss auf die Schnauze, bevor der Wachhund sich leise trollte. Er war ihr Postbote. Wenn einer den anderen sehen wollte, klemmten sie eine Nachricht in die Naht an seinem Lederhalsband. Das barg zwar ein gewisses Risiko, aber wer von der offenen Stelle nichts wusste, konnte sie kaum erkennen, solange er das Halsband nicht genauer untersuchte.

»Was machst du, wenn er dich danach fragt?«, sorgte sich Ardas.

Er zuckte mit den Schultern. »Dann werde ich sagen, ich hätte die Asche in den Fluss geschüttet und die Reste des Feuers vergraben.«

»Und wenn er das überprüfen will?«

»Ich weiß, er hat viel für uns getan«, brachte Narindar seinen Widerstreit zum Ausdruck, ohne auf ihre Frage einzugehen. »Im Grunde verdanken wir ihm alles. Aber er hat den Tod so ungerührt zur Kenntnis genommen. Geld war das Einzige, an das er gedacht hat. Je älter ich werde, desto weniger kann ich mich damit abfinden, bei Drogengeschäften und Prostitution zu helfen. Das ist nicht richtig«, wurde seine Stimme lauter.

»Beruhige dich«, ermahnte ihn Ardas. »Du hast ja recht! Aber was willst du tun? Er wird dich nie gehen lassen, wenn du ihm seine Geschäfte vorwirfst. Du weißt viel zu viel.«

»Bin ich undankbar?«, haderte er mit seiner Situation. »Aber man muss doch allen Menschen mit Respekt und Liebe begegnen. Er hat mir noch empfohlen, zur Morgenmeditation zu gehen, wenn mich die Tatsache ihres Todes so aufwühle. Meditation dient der Entfaltung von Mitgefühl, aber doch nicht dazu, grausam sein zu können.«

Ardas schwieg. Was sollte sie ihm sagen? Es stimmte. Auf der einen Seite war ihr Ziehvater immer gut zu ihnen gewesen. Er kümmerte sich auch herzlich um diejenigen, die ihm etwas bedeuteten. Auf der anderen Seite ordnete er alles seinem Streben nach Reichtum unter und benutzte Menschen wie Marionetten. Sie hatte ebenfalls zunehmend mit ihrem Gewissen zu kämpfen. Auch wenn sie persönlich Glück hatte, kam in der Haltung ihres Ziehvaters durchaus die in ihrer Heimat noch sehr verbreitete Haltung zum Ausdruck, der Mann könne beliebig über die Frau verfügen.

»Ardas?«, unterbrach Narindar ihre Gedanken.

»Ja?«

»Ich möchte dich etwas fragen.«

Sie stutzte angesichts dieser für ihre Freundschaft ungewöhnlichen Ankündigung. »Ja?«

»Du musst aber ganz ehrlich antworten, versprichst du das?«

Sie fühlte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte. »Wie ich das immer getan habe.«

»Du hast recht.« Er zögerte einen Augenblick, als müsse er eine innere Hürde überwinden, bevor er schnell weitersprach. Dennoch konnte Ardas die Nervosität in seiner Stimme wahrnehmen. »Möchtest du mich heiraten und mit mir zusammenleben?«

»Das wird er nicht zulassen«, gab sie erschrocken zurück. »Wenn du damit zu ihm gehst, wird er mich sofort wegschicken und einem anderen geben.«

»Du hast meine Frage nicht beantwortet«, insistierte Narindar angespannt.

»Ja, ich wünsche mir nichts anderes in diesem Leben«, gab sie glücklich zu, bevor die Vernunft sie sofort wieder gefangen nahm. »Aber dafür gibt es keinen Weg.«

»Und wenn ich einen fände? Würdest du mit mir fortgehen?«, ließ er nicht locker.

Ihm ist es wahrhaft ernst, ging es ihr durch den Kopf. Dennoch seufzte sie niedergeschlagen: »Er würde uns überall finden.«

»Würdest du?«

Für einen Moment gab sie sich dem sehnlichst gewünschten Gedanken hin und malte sich ein gemeinsames Leben mit Kindern aus, bevor sie aus tiefstem Herzen antwortete: »Ja, das würde ich.«

Narindar hätte vor Glück jubeln können. Dabei war gar nichts passiert. Dennoch, in diesem einen Satz lagen all die gemeinsamen Jahre und die Gefühle füreinander, die Ardas in derselben Weise empfand. In diesem Moment fühlte er sich unbeschreiblich ... reich, unverwundbar und grenzenlos. Er würde einen Weg finden, davon war er im Überschwang seiner Emotionen felsenfest überzeugt. Nur wusste er noch nicht, wie. Aber dieses Detail verdrängte er und spürte erneut bewusst ihren Rücken, den er über die Jahre genauso gut kennengelernt hatte wie seinen eigenen.

Als es Zeit wurde, erhoben sie sich und verließen lautlos den Schutz der Wurzeln ihres Banyans. Neben der Palme nahm Narindar wie üblich ihre Hände in seine. Sie ahnte mehr, wie er unsicher seinen Kopf auf sie zubewegte und kam ihm entgegen. Zum ersten Mal berührten sich zärtlich ihre Lippen. Wenn es nicht so dunkel gewesen wäre, hätte er das leichte Rot auf ihren Wangen erkennen können. Ardas schlich sich mit einer Mischung aus Glück, Aufregung, aber auch Unruhe und Besorgnis ins Haus zurück. Lange noch lag sie wach, spürte der Berührung auf ihren Lippen nach und hielt den angenehmen Geruch seiner Haut fest, den sie wahrgenommen hatte.

Der Teufel lauert auch im Paradies

Подняться наверх