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1.3.2.1 Wachsende Einkommens- und Vermögensungleichheit

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Die Globalisierung wird häufig für die wachsenden Einkommens- und Vermögensunterschiede zwischen den Industrie- und Entwicklungsländern sowie innerhalb der Länder mitverantwortlich gemacht. Begleitet wird diese Entwicklung durch einen nennenswerten Abbau sozialer Errungenschaften in den Industrieländern, was letztlich wieder auf den Standortwettbewerb zurückzuführen ist.

»One of the most important factors of rising income inequality is the impact of globalisation, or the process through which the global economy has become more integrated through a complex series of ›flows‹, including technology and information, trade and investment. Just as it has in the past, technology is destroying old jobs and creating new ones. This is making high-skilled workers even more valuable and killing off the jobs of some middle and low-skilled workers. It´s also helping to shift the balance between labour vs. capital, delivering a larger share of income to the owners of capital, such as entrepreneurs, and a smaller share to the people who work for them.«73

Weitere Ursachen neben der Globalisierung bzw. des damit induzierten technologischen Fortschritts, der mit einer größeren Nachfrage nach ausgebildeten Arbeitskräften verbunden ist, sind die höhere gesellschaftliche Akzeptanz der Lohnspreizung, die Schwächung der Gewerkschaften, das erhöhte globale Arbeitskräfteangebot einschließlich der Produktionsverlagerung74 sowie eine weniger aktive staatliche Umverteilungspolitik, da die Reichen einen zunehmend stärkeren Einfluss auf die Politik haben.75

Eine weitere wichtige Ursache für die sich verschärfende Ungleichheit in der Einkommens- und Vermögensverteilung ist die wachsende Macht der multinationalen Unternehmen aufgrund der Globalisierung. Hohe Gewinne aufgrund ihrer marktbeherrschenden Stellung und/oder diverser Steuervermeidungspraktiken ermöglichen vor allem ihren Aktionären enorme Vermögenszuwächse.

Wenn eine hochentwickelte Volkswirtschaft mit einer weniger entwickelten Volkswirtschaft verflochten wird, in der es ein großes Angebot an geringqualifizierten, billigen Arbeitskräften gibt, dann gehören die Arbeitnehmer, vor allem die weniger gut ausgebildeten, in den entwickelten Volkswirtschaften zu den Verlierern.76 Ähnliche Effekte zeitigen die neuen Technologien als zentrale Treiber der Globalisierung. Immer leistungsfähigere Computer, Industrieroboter und Künstliche Intelligenz haben die Produktionsprozesse immer stärker automatisiert. Von dieser Automatisierung profitiert in erster Linie das Kapital und hochqualifizierte Arbeitskräfte, die Arbeitsplätze der gering qualifizierten werden dagegen wegrationalisiert. Nach Ansicht von Acemoglu u. a. hat diese Kombination von Globalisierung und Automatisierung zu größerer Ungleichheit geführt.77

Einen Beitrag zur wachsenden Ungleichheit im Zuge der Globalisierung leistete auch die Deregulierung der Finanzmärkte. Die dadurch ausgelöste zunehmende Konzentration im Bankgewerbe förderte einen Trend zu riskanteren Geschäften, bspw. mit Finanzderivaten, was zu höheren Einnahmen und Profiten führte. »Die Mega-Profite an der Wall Street machten (aber) nicht nur die Finanzinstitute und Betreiber von Hedgefonds reich, die sich auf riskante Geschäfte im Namen wohlhabender Kunden spezialisierten, die hohen Vergütungspakete und Bonuszahlungen der Spitzenmanager verstärkten auch allgemein die Ungleichheit.«78

Die nachfolgende Abbildung 1.9 aus dem World Inequality Report dokumentiert für ausgewählte Länder welchen Anteil die Top 10 % der Einkommensbezieher am Nationaleinkommen ihres jeweiligen Landes haben. Der Anteil stieg in allen Ländern, wenn auch mit unterschiedlicher Geschwindigkeit.


Abb. 1.9: Einkommensanteil der Top 10 % in ausgewählten Ländern (1980-2016)79

Abbildung 1.10 macht zudem deutlich, dass sich die Einkommensungleichheit in den meisten OECD-Ländern seit den 1980er Jahren deutlich zugenommen hat.


Abb. 1.10: Zunehmende Ungleichheit im Einkommen in OECD-Länder 1980-201380

Unter nahezu allen Ökonomen besteht mittlerweile Konsens darüber, dass eine zu große Einkommens- und Vermögensungleichheit sich negativ auf das Wachstum auswirkt. In den Jahrzehnten zuvor hoben Ökonomen oft die positiven Effekte der Ungleichheit hervor. Demnach strengen sich Ärmere in einer Gesellschaft stärker an, wenn sie sich an Besserverdienern orientieren.

Die OECD geht davon aus, dass die zunehmende Ungleichheit den Industrieländern seit Anfang der 1990er Jahre durchschnittlich fünf Prozentpunkte Wachstum kostete. Umgekehrt gilt, dass weniger Ungleichheit im Einkommen und Vermögen Wachstum fördert, da dadurch Finanzkrisen weniger wahrscheinlich werden, die politische Stabilität weniger gefährdet ist und das Arbeitspotenzial nicht durch soziale Verwerfungen (psychische Krankheiten, Kriminalität, mangelnde Bildung) geschwächt wird. Vor allem die fehlenden Mittel ärmerer Schichten für Bildung reduzieren langfristig das Humankapital und das Wachstum.81

»But there‘s growing concern over what happens when the gap between rich and poor grows too wide and when economic growth delivers benefits only to the well off. Evidence increasingly suggests that high inequality slows economic growth and reduces social mobility. Many also fear that widening divisions threaten the stability of our societies and could hold back the development of consensus on meeting common challenges.«82

Der serbisch-amerikanische Ökonom Branko Milanovic hat die Entwicklung der Einkommens- und Vermögensverteilung weltweit untersucht und dabei zwischen der Ungleichheit innerhalb der Länder und zwischen den Ländern unterschieden. Die nachfolgende Abbildung zeigt, dass nicht alle im selben Maße von der Globalisierung profitieren.


Abb. 1.11: Anstieg des realen Pro-Kopf-Einkommens in Relation zum globalen Einkommensniveau 1988-200883

Auf der horizontalen Achse finden sich die ärmsten Menschen der Welt, ganz rechts die Reichsten (die globalen »ein Prozent«). Die vertikale Achse gibt Aufschluss über das kumulative Wachstum des Realeinkommens zwischen 1988 und 2008. Am stärksten stiegen die Realeinkommen der Personen um das 50. Perzentil der globalen Verteilung (beim Median, bei Punkt A wozu in erster Linie die Mittelschicht in den asiatischen Ländern zählt84) und die der reichsten Personen (des reichsten 1 Prozents bei Punkt C). Am geringsten waren die Einkommenszuwächse der Personen rund um das 80. Perzentil (Punkt B); diese Personen gehören überwiegend der unteren Mittelschicht der reichen Länder an.85 In Asien hat sich mithin dank relativ großer Einkommensgewinne eine neue Mittelschicht gebildet, wenn auch noch deutlich niedrigerem Einkommens- und Vermögensniveau als in den Industrieländern. Die Mittelschichten der »alten« Industrieländer haben relativ wenig profitiert. Die einkommensmäßig untere Hälfte der Bevölkerung von Westeuropa und Nordamerika hatte kein oder nur geringe Einkommensgewinne und hat damit relativ gesehen verloren. Entstanden ist eine globale Plutokratie, eine Gruppe besonders politisch einflussreicher Superreicher. »Die soziale Ungleichheit in vielen westlichen Industrieländern ist dadurch gestiegen, von Kompensation keine Spur.«86

Die Autoren des World Inequality Reports präsentierten nachfolgende Abbildung 1.12, in der die Entwicklung der globalen Ungleichheit daran gemessen wird, welche Perzentile in welcher Höhe einen kumulativen Zuwachs am Einkommen zwischen den Jahren 1980 und 2016 realisierten. Im Unterschied zu Milanovic stützen sich ihre Daten nicht auf Haushaltbefragungen, sondern auf Steuerdaten. Dadurch ergeben sich deutlich höhere Einkommenszuwächse der oberen 1 Prozent, während der Zugewinn der globalen Mittelschicht geringer ausfällt. Der Rücken wird also flacher und der Rüssel reckt sich steiler in die Höhe.87


Abb. 1.12: Die Elefantenkurve der globalen Ungleichheit und Wachstum 1980-201688

Milanovic dokumentiert zudem überzeugend, dass mit der Verringerung des Bevölkerungsanteils der Mittelschicht in ausgewählten westlichen Demokratien sowie dem steigenden Einkommensanteil der reichsten fünf Prozent seit Anfang der 1980er Jahre der Stimmenanteil verschiedener rechtspopulistischer europäischer Parteien bei Parlamentswahlen deutlich zugenommen hat.89 »Globalisation figures prominently in discussions of populism. Especially in its post-1990s variant – which might be better called ›hyperglobalization‹ – international economic integration seems to have produced domestic disintegration in many countries, deepening the divide between the winners and losers of exposure to global competition. (…) The high points of globalization in previous eras have also been marked by a populist backlash.«90

Nach Acemoglu u. a. sind vor allem gesellschaftliche Gruppen, die sich ökonomisch abgehängt fühlen und das Vertrauen in die Institutionen verlieren, bevorzugt Zielgruppen von Bewegungen, die das politische System destabilisieren wollen. Einkommensungleichheit, Arbeitslosigkeit, geringe Produktivität sowie Vertrauensverlust in die Institutionen gehörten zu den Faktoren, die aus der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre auch eine Zeit der politischen Instabilität machten.91

Die Einkommenspolarisierung – es gibt mehr Personen an beiden Enden der Einkommensverteilung und weniger in der Nähe des Medianwerts – bedingt durch die Schrumpfung der Mittelschicht und die Verringerung ihres relativen Einkommens – führt nach Milanovic zudem zu einer Krise des Wohlfahrtsstaats. Staatliche Sozialversicherungssysteme kommen unter Druck, weil die Reichen sich immer weniger solidarisch mit den Ärmeren zeigen und vielmehr ihre eigenen privaten Sicherungssysteme errichten. Das Ergebnis ist eine soziale Segregation (adverse selection) und es fällt einer sehr ungleichen oder polarisierten Gesellschaft immer schwerer, einen großen Sozialstaat zu erhalten.92

Viele Studien belegen zudem, dass Reiche einen unverhältnismäßig großen Einfluss auf die Politik ausüben, sei es durch Parteienspenden oder (bezahlten) Lobbyismus. Auf diese Weise erreichen sie wirtschaftspolitische Eingriffe, die ihnen zugutekommen und ihre Position sichern: niedrige Steuern auf höhere Einkommen, höhere Steuerabsetzbeiträge, Steuersenkungen für die Unternehmen, die zu höheren Gewinnen aus privaten Veräußerungsgeschäften führen, weniger Vorschriften usw.93

Ökonomische Ungleichheit wird größtenteils durch ungleiche Eigentumsverhältnisse bei Kapital bestimmt.94 Seit 1980 kam es in fast allen Industrie- und Schwellenländern zu einem Transfer von öffentlichem Vermögen auf privates. Während nationales Vermögen in beträchtlichem Umfang gestiegen ist, liegt öffentliches Vermögen in reichen Ländern nun negativ oder nahe null. Dies begrenzt natürlich auch die Möglichkeiten der Regierungen, die Ungleichheit zu bekämpfen.95


Abb. 1.13: Privates und öffentliches Vermögen in ausgewählten Ländern 1970-201696

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