Читать книгу Ein Spatz auf dem Eis - Hiroki Jäger - Страница 10
6. Kapitel
ОглавлениеSerik
»Wo gehst du hin?«, fragt Alie. »Willst du nicht im Bett bleiben?« Bei den vielen Partys, die wir im VIP-Bereich verbracht haben, hat er schon lange um meine Gunst gebuhlt. Ich nahm an, es wäre eine gute Idee, ihn einzuladen. Etwas Ablenkung war nach diesem Abend dringend nötig.
Seine Augen sind große, dunkle Knöpfe, die mich mustern. Er räuspert sich und wirft mir von unten flüchtige Blicke zu, während er den Arm um seine Körpermitte legt.
Vielleicht gefällt es ihm nicht, dass ich nach unserer gemeinsamen Nacht durch mein Apartment laufe. Aber was soll ich tun, wenn ich nicht schlafen kann?
Der Mann, den ich abgeschleppt habe, ist genau derselbe Typ wie Aleksei. Goldenes Haar und eine ebenmäßige, makellose Haut. Ich habe selten einen Mann wie Aleksei gesehen. Er hat einen strengen, aber gleichzeitig auch unsagbar sinnlichen Mund. Sein reizvolles Grinsen verfolgt mich, ebenso wie ich noch die Wärme spüre, als er mich im Club berührt hat. Die Gänsehaut, die ich hatte, hat bis in meine Lenden geprickelt. Seine Augen sind schwarze Sandstürme, die meine Aufmerksamkeit an sich reißen, während ich ihm auf die leicht geöffneten Lippen starre. Sein markantes Gesicht ist umrahmt von langem goldenen Haar und ich kann nicht aufhören, an ihn zu denken.
Alie geht ins Schlafzimmer zurück und hustet absichtlich laut.
Sie sehen sich ähnlich. Allerdings ist jemand, der nur aussieht wie Aleksei, nicht dasselbe.
Warum habe ich das getan? Ich habe kein Interesse an leichten Männern. Das ist ein Fakt. Aber ich mag hübsche Dinge, mochte sie immer.
Vielleicht wurde ich auch so erzogen. Meine Eltern sind reich und mir hat es nie an etwas gefehlt. Ich habe ein gewaltiges Luxusapartment über den Dächern Hamburgs und so viel Geld, dass ich nicht einmal mehr weiß, wofür ich es ausgeben soll.
»Serik?« Alie kommt mit der Decke um seine Brust auf mich zu. Ansonsten hat er nur die knappe Pants an, die seinen Hintern so gut betont. »Kommst du wieder ins Bett?«
Seine Blicke huschen an mir vorbei zu meinen Bücherregalen, in denen ich alle Klassiker der modernen Literatur habe. Meine Privatlehrer haben auf diese Art der Bildung sehr viel Wert gelegt. Aber auch Größen wie Stephen King, Dan Brown und John Grisham verschlinge ich regelrecht. Mit offenem Mund starrt Alie auf die Vitrine, in der meine Auszeichnungen und Medaillen verstaut sind.
»Sind das alles deine?«
Ja, aber darüber müssen wir nicht reden. Von hinten streichele ich ihm über die schmalen Schultern. Sie sind ganz kalt.
»Wir sollten ins Schlafzimmer zurück.« Bevor ich ihn rauswerfe. Eigentlich liebe ich Jungfrauen ja, aber Alie war eine Enttäuschung. Ein Ersatz kann eben die Gier nach dem Original nicht befriedigen.
Vielleicht sollte ich wirklich die flüchtigen One-Night-Stands aufgeben und mir jemanden für eine Beziehung suchen. Meine Familie nervt ohnehin seit einiger Zeit damit, dass ich mir endlich einen Partner an die Seite holen soll, den ich mit auf Events nehmen kann.
Die neuste Gala mit meinem Lebensgefährten und mir – da würden nicht nur meine Eltern ausflippen. Die Zeitungen wären mit Sicherheit voll mit Klatsch und Tratsch. Bei der Erinnerung an meinen Namen in der Schlagzeile, grummelt mein Magen schmerzhaft. Bindungen sind heikel. Intime Dinge können an die Öffentlichkeit gelangen und vieles ruinieren.
Eine Beziehung wäre ein Wagnis. Dazu noch, wenn mein Partner keine Frau ist. Meine Eltern haben zwar aufgegeben, sich eine Schwiegertochter zu wünschen, trotzdem fällt es mir schwer, ihnen einen Mann zu präsentieren. Es würde alte Wunden aufreißen und ich bin mir unsicher, ob ich den Skandal noch einmal ertragen könnte.
Sie wollen nur, dass ich glücklich bin, aber das ist leichter gesagt als getan.
Wie dem auch sei, es ist ein verschwendeter Gedanke.
Die Kerzen puste ich aus und folge Alie ins Schlafzimmer, um ihm beim Anziehen zu helfen. Den Rest der Nacht möchte ich für mich allein haben. Während Alie sich leise fluchend in meinen Fahrstuhl begibt und fährt, laufe ich zum Fenster hinüber. Die Lichter der Nacht erhellen die Straßen und ich kann in ihnen nur die Scheinwerfer des ›MakeMeMoan‹ sehen.
War es ein Fehler, wieder nach Deutschland zu kommen und hier zu arbeiten? Mein Onkel hatte mich gebeten, ihm auszuhelfen, aber was ist der Preis dafür? Ich verbringe mein Leben im Schatten und er drängt mich ins Licht, in dem sich auch andere Gestalten tummeln. Die Männer dort sind wie Schmetterlinge, die von Blume zu Blume flattern. Außerdem ist mir jemand aufgefallen, der zur gefährlichsten Sorte gehört.
Ist es nicht seltsam, wie unverblümt Aleksei mit seiner Sexualität umgeht? Es ist gleichzeitig beeindruckend, wie auch abschreckend. Für so ein Verhalten wäre ich an den Pranger gestellt worden, aber Aleksei lebt sich aus, wie er möchte. Er ist aufdringlich und sexbesessen. Warum muss ich mich dennoch wundern, was es mit diesem Blick auf sich hatte? In dem Moment, als er mir nachgerannt ist, sah er aus, als hätten seine Eltern ihn auf einem Jahrmarkt vergessen. Er hat verzweifelt nach meiner Hand gegriffen, als wollte er sagen: »Bitte lass mich nicht allein.«
Wie kann er nur derart verloren aussehen? War es womöglich nur eine Einbildung? Vielleicht wollte ich es ja sehen. Ich weiß ja nicht einmal, wer Aleksei wirklich ist. Trotzdem lässt die Neugierde mich nicht schlafen. Warum hat er ausgerechnet mich so angesehen?
Seufzend streiche ich mir über den Nacken und wende mich ab. Warum zerbreche ich mir nur den Kopf? Das alles gehörte sicher zu seiner Masche dazu, mich aufzureißen. Er will mich mit Tricks um den Finger wickeln.
Mein Herz pocht im selben heftigen Rhythmus gegen meine Rippen, als wären es die Beats im Club. Dieser neue Job stellt mich vor Schwierigkeiten, die ich nicht erahnt hätte. Ich übe die Arbeit als Sicherheitschef gerne aus, nur war ich noch nie in einer Gay-Bar eingesetzt. Es strapaziert meine Nerven und ich kann den Männern gar nicht dabei zusehen, was sie offen ausleben, was ich nie durfte. Es ist, als hätte mein Onkel mich in die Hölle geschickt, um zu warten, wann ich meinen inneren Teufel nicht mehr verstecken kann. Und dann kommt die Presse und zerreißt mich in der Luft.
An Homosexualität ist nichts verwerflich, ich weiß das. Allerdings sehen viele das anders und ich möchte nicht mehr erleben, wie verstohlen mit dem Finger auf mich gezeigt wird.