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3. Kapitel
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Ich habe Sodom und Gomorra betreten.
Mein Onkel hat uns hergeschickt, um die alte Security zu ersetzen, aber ich bin geschockt vom ersten Eindruck des Ladens. Was sollen wir ausgerechnet in diesem Schwulenclub? Die Luft ist so feuchtwarm, als wären wir in einem Tropenhaus. Das Kondenswasser tropft von der Decke und von den Spiegeln, die überall aufgehängt wurden.
Hier verhalten sich alle wie Prostituierte, die erwartungsvoll einen Freier suchen. Zwar habe ich schon einiges vom ›MakeMeMoan‹ gehört, aber tatsächlich hier zu sein, ist kaum mit den Erzählungen vergleichbar.
Es ist ein Nachtclub, in dem der Boden klebt, als wäre er die letzten Monate nicht gewischt worden. Die Wände sind beschmiert mit Sprüchen und Namen, die teilweise wieder heruntergekratzt wurden. Neben der viel zu lauten Musik, kann ich nur die Gäste grölen hören. Es ist unterste Schublade. Die Lichter blenden, die Musik ist abgehackt elektrisch und außerdem stinkt es.
Die süßlichen Frucht-Parfüms kratzen in meinem Rachen, obendrein bin ich mir sicher, Terpene von Hanfpflanzen im Zigarettenqualm zu riechen. Dass die Kerle heimlich auf den Toiletten rauchen, zeigt nur, dass hier niemand richtig durchgreift. Das Rauchen in Diskotheken ist seit Jahren nur noch in gesonderten Räumen erlaubt. Und davon sehe ich hier keinen.
Der Club ist ganz und gar nicht meins. Wenn mein Onkel mich nicht gebeten hätte, den Auftrag anzunehmen, hätte ich in der Sekunde abgelehnt, als ich den Namen gelesen habe.
›MakeMeMoan‹ es klingt so billig, wie es auf den ersten Blick rüberkommt.
Dass ich meine neuen Stiefel angezogen habe, bereue ich spätestens, als ich in etwas Dickflüssiges trete. Mir rennt eine Gänsehaut die Beine hoch und kribbelt in meinem Rücken weiter. Ekelerregend.
»Herr Yazdani! Ich freue mich, Sie zu sehen! Schön, dass Sie es so kurzfristig einrichten konnten!«
Herr Meyer ist der Inhaber des Clubs. Er ist ein kleiner, rundlicher Mann mit sonnengegerbter Haut, der uns herumführt. Anstatt uns das Ambiente vorzustellen, wenn keine Gäste hier sind, bevorzugt er es, uns ins kalte Wasser zu werfen. Aber damit habe ich kein Problem.
Für diesen Club bin ich der Sicherheitschef. Meine Angestellten laufen uns nach und sehen sich ebenfalls um. Es sind gute Jungs, mit denen ich schon viele Jahre zusammenarbeite. Sie wissen, worauf ich Wert lege und wie wichtig es ist, aufmerksam zu sein.
An den Ecken, die problematisch sind, nicke ich ihnen zu. Jeder nimmt einen Platz ein und überwacht diesen.
Eigentlich ist es nur ein Job und trotzdem bin ich angespannt, wenn ich mich hier umsehe.
Die Tänzer und selbst die Kellner tragen hautenge Kleidung oder Stofffetzen, die ich nicht einmal als solche bezeichnen kann. Die Gäste schieben Trinkgeld in ihre Tangas oder Höschen und gieren das Personal an, als wären wir in einem Strip-Club.
Wie können sie sich das bieten lassen? Und warum wurde ausgerechnet unsere Firma beauftragt hier aufzupassen? Natürlich ist es eine Herausforderung, die ich gerne annehme, aber ich habe eine private Differenz mit solchen Clubs. Meine Sexualität behalte ich strikt für mich, doch die Fassade könnte bröckeln bei der Unmenge an attraktiven Männern. Normalerweise meide ich Schwulenbars komplett. Ich möchte außerdienstlich nicht in diesen Kreisen gesehen werden. Aber nun muss ich jedem Gast meine Aufmerksamkeit schenken und kann mich nicht von dem Gedanken abhalten, dass ich sie um ihre Offenheit beneide.
Verflucht, woran denke ich da nur? Ein Job ist ein Job.
Mir zwinkert ein Kellner zu, der sich seine braunen Locken aus dem Gesicht pustet. Im Vorbeigehen wirft er mir einen Handkuss zu und er beobachtet mich selbst noch, als er hinter der Bar verschwindet, um neues Bier zu holen. Seine Blicke liegen auf mir und er grinst mich wissend an, während mein Mund so trocken wird, als hätte ich seit Stunden nichts mehr getrunken. Er winkt mich zu sich herüber, doch ich drehe mich weg. Ich habe keine Zeit für Spielereien.
Die Lichter flackern im Rhythmus der Musik. Bei jedem neuen Lied werden wir kurz in Dunkelheit und dann wieder in grelles Licht getaucht. Die Gäste tanzen, werfen die Arme in die Luft und verschütten dabei noch mehr Alkohol. Aber das macht ihnen nichts aus. Die klebrige Flüssigkeit lässt ihre Haut schimmern, und die vielen kleinen Tröpfchen auf ihren Schultern sehen aus wie funkelnde Diamanten.
Ein Kerl rempelt mich an und fällt beinahe über meine Füße, ehe er mich anmault und mir seinen Alkohol-Atem entgegen schleudert.
»Die Party ist hiermit für Sie beendet. Mein Kollege begleitet Sie nach draußen.«
Ich winke Mattheo herüber und lasse ihn sich um den Betrunkenen kümmern. Mattheo ist ein hagerer Blondschopf mit einer zwielichtigen Vergangenheit. Über die unübersehbare Narbe auf seiner Wange gibt es viele Gerüchte. In den Raucherpausen witzeln die anderen Sicherheitsmänner oft darüber, woher er sie haben könnte. Mattheo lächelt jedoch nur und hüllt sich in Schweigen. Dieses Verhalten hat uns bereits die beeindruckendsten und ausgefallensten Theorien beschert. Niemand kann auch nur erahnen, was wirklich passiert ist. Mir hat Mattheo sich in einer kalten Dezembernacht anvertraut. Wir standen vor einer Disko und haben die letzten Gäste durchgewunken. Er erzählte von einer unfassbar schönen Frau und wie er ihr geholfen hat, als sie belästigt wurde. Dabei zückte der fremde Mann ein Messer und verletzte ihn. Die Narbe wird Mattheo sein Leben lang begleiten. Allerdings auch die Frau, die er damals beschützt hat. Es ist kaum vorzustellen, aber in ein paar Wochen haben sie ihren ersten Hochzeitstag. Bei manchen klappt es mit der Liebe eben doch.
»Du Wichser, ich fick dein Leben!«, schreit der Gast mich an und Mattheo schiebt ihn in Richtung Ausgang.
Die Kundschaft ist jedenfalls unterirdisch. Sie benehmen sich, als könnten sie machen, was sie wollen, und auch in den wenigen Sitzecken, die es hier gibt, fallen sie auf. Wie sie die Angestellten begrabschen und sich auf den Schoß ziehen wollen, ist etwas, das wir unterbinden müssen. Im Vorfeld gab es schon Gespräche, um was wir uns kümmern sollen. Dennoch ist es etwas anderes, es real zu sehen. Es gibt keinen Eintrittspreis, sodass sich die heruntergekommensten Schlucker hier tummeln. Sie wollen sich günstig amüsieren? Dafür ist das ›MakeMeMoan‹ perfekt.
Da lobe ich mir die exklusiven Läden Hamburgs, in denen ich nur Männer kennenlerne, die in ähnlich gehobenen Kreisen verkehren.
Arme Leute sind hinterlistig. Alles, was sie wollen, ist Geld oder berühmt werden. Sie benutzen einen nur als Sprungbrett. Es ist meine Wahrheit, die ich auf die harte Weise lernen musste.
***
»Sie wurden mir wärmstens empfohlen. Ich hoffe also auf das Beste«, sagt Herr Meyer, nachdem ich allen meinen Jungs einen Bereich zugewiesen habe. »Ihnen muss ich noch einen besonderen Platz ans Herz legen, der Ihre Aufmerksamkeit verlangt.«
Hat er sich das Highlight für den Schluss aufbewahrt?
Wir laufen weiter an den Spiegeln entlang, die anscheinend an jeder Wand hängen.
In dem Gang, in den wir gehen, gibt es nur indirekte rote Beleuchtung. Es sind Fenster anstatt Türen, hinter denen Kerle übereinander herfallen. Manche Scheiben sind mit Zeichnungen verziert, die im UV-Licht schrill leuchten, sodass wir nicht alles unverblümt präsentiert bekommen. Bei anderen kann ich jedoch jedes kleinste Detail sehen. Es ist anstößig. Von mir aus wäre ich nie auf die Idee gekommen, auch nur einen Fuß in diesen Laden zu setzen.
Vor einem blauen Raum stehen zwei Männer, die aufmerksam dabei zusehen, wie drei Kerle miteinander rummachen.
Ich ziehe die Augenbrauen hoch und lege die Hand an die Hüfte. So etwas Geschmackloses habe ich noch nie erlebt.
Seufzend drehe ich mich dem Inhaber zu. »Soll ich mir das wirklich ansehen?«
»Auf den müssen Sie besonders Acht geben.«
»Auf wen?«
»Aleksei. Er ist unser Unterhaltungskünstler.«
Bitte? Das kann er doch kaum ernst meinen. Welchen von denen meint er? Den rothaarigen Muskelprotz, den Blonden, oder den Kleinen mit den Tattoos?
»Viele Leute kommen her, um ihn zu sehen und zu erleben. Er spielt eine Unmenge Geld in die Kasse.«
Ich wende mich fassungslos vom Inhaber ab und mein Nacken beginnt zu kribbeln. Es sind schwarze, lustverschleierte Augen, die mich betrachten, als würden sie verhungern. Zum Beat der Musik räkelt sich der blonde Mann und ich kann mir schon denken, wer der Animateur ist, von dem gesprochen wurde. Der macht sogar aus so etwas Obszönem eine Darbietung, die andere genießen sollen.
Das lange Haar umrahmt sein Gesicht, während er mich betrachtet, als wäre ich sein nächstes Opfer.
Sieht er mich? Oder starrt er blind die Kerle an, die vor dem Fenster lauern?
»Also sind das hier Sexräume?«, frage ich Herrn Meyer, der sich grinsend an der Nase kratzt. Ist das hier für seine private Unterhaltung? Eine Art Swinger-Club?
»Normalerweise nur für unsere Gäste, aber Aleksei macht immer, was er will. So ist er eben.«
Und das lässt man ihm durchgehen?
Mir rinnt der Schweiß über den Nacken. Aleksei perlt dieser hingegen über den Adamsapfel, die Kehle hinunter. An seinem Hals hat er seitlich ein Tattoo. ›Lover‹ steht dort. Wie kommt er nur auf dieses Motiv? Die Muskeln sind sehnig und flach und ich kann mir vorstellen, wie erregend er sich unter einem winden kann. Straffe, im Licht schimmernde Haut und Blicke, die mein Herz hart gegen meinen Brustkorb schlagen lassen.
Das Problem bei diesem Job ist, dass die Männer, die hier herumlaufen, auch auf Männer stehen. Dementsprechend ist mit Sicherheit einer unter ihnen, der mir gefällt. Das ist grundsätzlich nicht schlimm, nur: Ausgerechnet Aleksei ist genau mein Typ. Gerade er bringt das Blut in meinen Adern zum Brodeln und mich zum Verstummen.
Er hat ein atemberaubend schönes Gesicht. Es ist kantig, aber er lässt den breiten Kiefer hinter den fransigen, langen Haaren verschwinden. Es klebt ihm verschwitzt an den ausgeprägten Wangenknochen und an der Schläfe. Es sind volle Lippen, denen stöhnende Laute entweichen, die ich von dieser Seite des Fensters nicht hören kann.
Obwohl er blond ist, hat er dunkle Augenbrauen, die ihm durch ihre Dicke etwas Maskulines geben, das mich anspricht.
Der Blick, den er mir zuwirft, lässt mich einen Schritt näher herantreten.
Er sieht so traurig aus, flüstert meine innere Stimme, als würde das Wasser, das am Fenster herunterrinnt, ihm über die Wangen fließen.
Was ist mit ihm? Und warum interessiert es mich derart? Jemand, der sich so widerlich anbietet, ist unter meiner Würde.
Was mache ich gerade eigentlich? Starre ich ihn etwa an? Die Hände balle ich zu Fäusten und schiebe sie mir in die Hosentaschen. Das gibt es doch nicht. Ich arbeite, zum Donnerwetter noch mal.
»Nun denn. Haben Sie noch andere Räume, die Sie mir zeigen wollen?« Ich muss mich wieder auf das Wichtige konzentrieren. Außerdem habe ich kein Interesse an promiskuitiven Männern. Zwar kann ich einen guten Körper anerkennen, aber ich bevorzuge Jungfrauen. Sie haben eben das gewisse Etwas. Es wäre ideal, wenn sie niemals diese zurückhaltende Unschuld verlieren würden, egal, wie oft ich mit ihnen schlafe. Leider stehle ich ihnen den Moment und danach ist es nicht mehr dasselbe. Es ist nur ein Traum, jemanden zu finden, der einen für immer auf diese Art verzaubert.
Ist es überhaupt möglich, jeden Morgen denselben Mann zu küssen und dabei hingerissen von ihm zu sein? Es scheint mir, als wäre es eine absurde Idee eines Hollywoodproduzenten. In meinem Leben wollte ich bisher nur einen Mann mehrmals küssen. Und er hat mir gezeigt, warum es besser ist, dies nicht zu tun.
Der Inhaber winkt mich hinter sich her und ich folge ihm. Einen letzten Blick werfe ich Aleksei zu, der sich in seinem Rausch vergisst und sich an dem rothaarigen Mann festkrallt.
Wieder auf den Dancefloors lasse ich meinen Blick schweifen. Der Kellner mit den braunen Locken bringt mir eine Cola und quetscht noch eine Zitrone an den Rand, sodass seine Finger flüchtig meine berühren.
»Ich bin Timmy«, sagt er und ich schüttele den Kopf.
»Ich trenne Arbeit und Privates.«
Die Enttäuschung ist ihm ins Gesicht geschrieben. Allerdings hält sie nur so lange an, bis er einen von meinen Jungs erspäht und sich auf die Socken macht, um ihm ein Getränk zu bringen. Anscheinend mag er Männer in Anzügen. Und was soll ich sagen? Elgin ist mit seinem südländischen Teint zwei ausgiebige Blicke wert. Dazu noch der Bodybuilderkörper. Neben dem Job macht er unvorstellbar viel Sport. Boxen und Kickboxen sind seine wahre Leidenschaft. Was meine wahre Leidenschaft ist, behalte ich für mich.
Die Cola halte ich fest. Zwar würde ich mir gerne die unliebsamen Gefühle mit der Frische herunter spülen, aber hier trinke ich sicherlich nichts. Zumal es auch etwas Härteres bräuchte, um den Gang mit den Fenstern zu vergessen.
Was habe ich da nur für einen Moment gedacht? Warum sollte ich mehr über Aleksei wissen wollen? Es gibt hier unzählige Männer, die mit Schönheit gesegnet sind und ich bin überwältigt von so jemandem? Das ist unvorstellbar. Seufzend drücke ich mich durch die Tänzer und verschaffe mir einen Überblick.
Die Musik dröhnt in meinen Ohren und je länger ich an dunkle Augen denke, desto schlimmer werden meine Kopfschmerzen. Es ist nur ein Job. Egal, ob mein Onkel mich hier mit Absicht hingelotst hat, ich werde mich nicht lächerlich machen lassen.
Sie alle leben aus, was ich stillschweigend genieße. Der Trotz schreit, dass ich aufhören sollte, reserviert zu spielen, aber ich kann nicht. Ja, es ist eine Gay-Bar, aber ich bin kein Idiot, der sich den nächstbesten nimmt. Da können sie noch so reizvoll mit ihrem Hintern vor mir wackeln.
Genervt reibe ich mir über die Stirn. Das werden von nun an lange Nächte. So begeistert, wie die Gäste von mir sind und ihre Finger auf meinen Bauch legen wollen, muss ich meine Jungs noch einmal instruieren, wie wir sie höflich und doch bestimmt abweisen.