Читать книгу Ein Spatz auf dem Eis - Hiroki Jäger - Страница 5
1. Kapitel
ОглавлениеAleksei
Joseph seufzt wohlig meinen Namen und rollt sich von mir herunter. »Das, was ich über dich gehört habe, war eine absolute Untertreibung.« Der Typ schnauft, als würde er gleich einen Herzinfarkt bekommen, während ich neben ihm liege und mich frage, wann er endlich gehen wird.
»Ach ja?« Die Haare zwirbele ich mir um die Fingerspitze, ehe ich sie mir hinter das Ohr lege. Auf einer Skala von eins bis zehn war sein erbärmlicher Versuch, mich zum Höhepunkt zu bringen, eine Eins. Er hat andauernd gefragt, ob ich komme, bis ich gar nicht mehr abschalten konnte. Dazu der penetrante Alkohol-Mundgeruch und mir wurde der letzte Spaß geraubt.
»Du bist so schön«, brummt er, rückt an mich heran und küsst meine Schultern. Sein Bart kratzt über gereizte Haut und ich verziehe das Gesicht.
»Ich kann es kaum glauben. Deine Augen sind wie geschmolzene Milchschokolade und deine Haare sind so hell und weich. Ich habe noch niemanden gesehen, der an dich rankommt, du bist so … Wow. Kein Wunder, dass ich dich nie vergessen konnte.«
Was redet der da?
Anstatt aufzustehen, kuschelt er sich an mich und bereitet mir damit eine eisige Gänsehaut. Ich rümpfe die Nase und schiebe ihn von mir weg. Was will der denn jetzt? Sehe ich so aus, als wäre ich im Kuschelmodus? Auf keinen Fall. Der soll sich bloß verziehen. Das sage ich ihm vielleicht ein wenig zu deutlich.
»Nimm deinen Muskelarsch und verpiss dich.«
»Was? Was ist los?« Sein Brustkorb bebt, während er nach Luft schnappt. Aus seinen hellen Augen starrt er mich entsetzt an.
Ich trete die Decke vom Bett herunter und stehe auf. Auf dem Boden liegen noch die Klamotten, die wir uns vor wenigen Minuten wild vom Körper gerissen haben. Ich beachte sie nicht weiter, gehe zur Tür hinüber und ziehe diese auf.
»Na los, verschwinde!«
Das Licht des Clubs lässt mein Zimmer in bunten Farben flackern. Der Typ ist grün, rot und blau, ehe er merkt, dass ich es ernst meine. Jede Sekunde, in der er nur starrt, fühlt sich an wie eine halbe Ewigkeit. Beim Aufspringen reißt er meine Pflanzen vom Fensterbrett herunter.
»Also haben alle recht?«, schreit er. »Du bist so eingebildet, dabei hast du neben deinem Aussehen gar nichts. Nur ein hübsches Gesicht für einen verdorbenen Charakter!« Er fischt sich seine Hose von der umgekippten Gitarre.
Was denkt er sich dabei? Erst demoliert er meine geliebten Pflanzen und nun präsentiert er mir sein wahres Gesicht? Mir wird flau im Magen, trotzdem starre ich ihm direkt in die Augen, in denen es zu brodeln scheint, und beiße die Zähne zusammen.
»Es war ein Fehler, den Männern nicht zu glauben, die mich vor dir gewarnt haben«, sagt er und zieht sich das Hemd über seinen Sixpack.
»Und?« Mit erhobener Augenbraue verschränke ich die Arme vor der Brust. »Was hast du erwartet?« Meine Mundwinkel zucken, während ich mir ein lautes Lachen verkneife. »Ich wollte geilen Sex und den habe ich nicht bekommen. Was soll ich jetzt machen? Das noch mal ertragen? Wofür? Eine weitere grottige Erfahrun…«
»Schlampe!« Er stampft auf mich zu, aber ich weiche nicht zurück. Näher und noch näher. Mir prallt sein Alkoholgeruch ins Gesicht, was mich schwer schlucken lässt. Widerlich.
Die Hand wirft er in die Luft und ich kann nicht mehr ausweichen, stoße mit der Schulter gegen die Wand und kriege eine Backpfeife ab. Autsch. Die hat gesessen. Meine Wange brennt und kribbelt, während mir die Tränen in die Augen schießen.
Spinnt der?
Er bemängelt meine Oberflächlichkeit, aber bei sich legt er ebenso viel Wert auf sein Erscheinungsbild. Er hat Bräunungscreme am Hemdkragen und so viel Gel in den Haaren, damit selbst jetzt noch jede Haarsträhne perfekt in Form liegt. Allerdings sieht er nur aus wie eine billige Kopie des verführerischen Gotts des Donners: Thor. Ja, ich mag kraftstrotzende Männer, nur haben diese öfter den Drang, ihre Muskeln zu zeigen und ihre Fäuste sprechen zu lassen.
»Tschüss, Süßer«, zische ich.
Ausgiebig betrachtet Joseph mich. Seine Blicke gleiten an mir hoch und herunter, ehe sie an meinen Lippen hängen bleiben. Seinen Mund presst er zu einer harten Linie zusammen, was mir unangenehmes Herzrasen bereitet.
»Warum bist du nur so ein eingebildetes Stück Scheiße? Spiel nicht schwer zu haben. Du willst mich doch. Ich weiß das.« Seine Blicke scheinen mich in eine Ecke drängen zu wollen. Ebenso wie seine Haltung. Er will mich berühren, mich an der Wand einkesseln, aber ich hebe die Hand schützend hoch.
Es ist eindeutig, dass er mich begehrt und dennoch hasst. Kann ich es ihm verübeln? Nein. Ich weiß, wie ich auf Männer wirke. Es ist die milchweiße nackte Haut, die schemenhaft von den Partylichtern beleuchtet wird und mein Engelsgesicht. Außerdem habe ich beeindruckende, dunkle Augen, und Lippen, von denen jeder gerne kosten würde.
Zumindest höre ich das andauernd. Diese Beschreibungen und dass ich zu schön bin, um wahr zu sein. Es beschert mir Sexpartner und Orgasmen. Meistens jedenfalls.
»Ist noch etwas?«, frage ich und tippe mit dem Fuß auf der Stelle. »Ich frier mir meinen Arsch ab, wenn du dich nicht endlich verziehst.« Wie lange will der in meiner Zimmertür stehen?
Josephs Atem bringt mein Gesicht zum Kribbeln. Den Mund öffnet er leicht, als ob er mich küssen will, doch ich weiche zurück. Die Faust landet neben mir im Türrahmen und ich zucke zusammen. Mein Nacken prickelt und mein Magen rumort nun lautstark. Der soll bloß nicht auf die Idee kommen, mich mit Gewalt willig zu machen! Wenn er aufdringlich wird, ziehe ich ihm meine Gitarre über den Kopf. Das heißt, wenn ich aus meiner Schockstarre erwache. Ich halte die Luft an und kralle die Finger in meine Ellenbogen, als er die geballten Hände hebt und kraftlos wieder fallen lässt.
»Ich dachte, du wärst anders«, flüstert er und streichelt mir mit dem Rücken des Zeigefingers über die Wange. »Alle sagen, du frisst jeden Mann lieblos und servierst ihn danach ab. Aber vorhin, da hast du mich angesehen, als wärst du so allein auf der Welt. Ich wollte dir die Einsamkeit nehmen.«
»Das hast du aber nicht, tut mir leid.«
Will er einziehen? Soll ich in der Zwischenzeit den Mietvertrag aufsetzen? Das nächste Mal schnappe ich mir keinen, der derart stolz auf sein Gemächt ist. Joseph hat mir direkt seine Umrisse in der engen Hose präsentiert und ich war neugierig. Das war ein überaus überzeugendes Argument für Sex. Okay, ich muss zugeben, es war auch erregend, wie er mich angestarrt hat und manchmal denke ich, dass es da mehr gibt, das ich gerne hätte, nur …
Es ist lächerlich, Glück bei Sexpartnern zu suchen, trotzdem glaube ich, kurz davor zu sein, es zu finden. Wozu sollten sonst die ganzen One-Night-Stands gut sein? Verschwende ich am Ende noch meine Zeit?
»Gute Nacht.« Ich schubse ihn aus dem Türrahmen und knalle die Tür zu.
»Mach auf!«, schreit er und tritt gegen das klapprige Holz. »Du Mistkerl!«
Die Musik des Clubs ist dumpf zu hören, genau so wie Josephs Gebrüll.
»Aleksei! Ich schwöre, ich mache dich fertig!«
»Ja, ja!« Von wegen! Trotzdem rast mein Herz, die Finger zittern und ich schließe doppelt ab. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Vor allem bei der Delle im Holz kann ich froh sein, dass er nicht mit der Faust auf mein Gesicht gezielt hat.
Ich lecke mir über die trockenen Lippen und hole tief Luft. Joseph flucht noch und ich versuche mein Herz zu beruhigen. Es hüpft ängstlich in seinem Käfig herum, dabei sind wir nicht mehr in Gefahr. Solange ich Männern wie Joseph nicht zeige, wie mich ihre Gestalt einschüchtern kann, bin ich sicher. Sobald sie Angst schnuppern, werden sie noch schneller handgreiflich.
Ich schnappe mir die Tagesdecke vom Boden und lege sie mir um die Schultern. Die drei Kakteen stelle ich auf die Fensterbank zurück und lege die Erdkrümel wieder in ihre Töpfe.
Meine Hüfte tut weh. Keine Ahnung, was der Kerl gemacht hat, aber es war unangenehm. Immerhin hat er ein Kondom benutzt. Alles andere wäre jetzt der Tropfen, der das Fass überlaufen lässt. Die Spuren unserer gemeinsamen Katastrophe werfe ich in den Mülleimer, ehe ich mich ins Bett fallen lasse.
Etwas Gutes hatte diese traurige Begegnung dennoch: Ich habe nicht vor Lust geschrien, also kann ich morgen Abend wenigstens performen. Die Auftritte auf der Bühne sind mir am Wichtigsten. Es gibt nichts, das ich mehr genieße, als die Nächte, in denen ich mein Talent unter Beweis stellen kann. Vielleicht verknallen sich die Typen in mich, weil ich von der Liebe singe? Allerdings wissen sie nicht, wie es in mir drin aussieht. Sie sehen mich und drücken mir ihre Hoffnungen auf, die ich allesamt nicht erfüllen kann.
Sie stellen sich bestimmt keinen Kerl vor, der nachts alleine im Bett liegt und das kalte Laken neben sich streichelt. Für sie bin ich doch eine Fantasie-Gestalt, die immer nur vögelt und hyperaktiv herumhüpft. Niemand kennt mich wirklich.
Mit den Fingern zeichne ich ein Herz auf den weichen Stoff. Es ist komisch, dass ich mich nach Wärme sehne, mich jedoch von ihr erdrückt fühle, sobald sie zum Greifen nah ist.
Genervt kuschele ich mich in die Decken und presse die Augenlider zusammen. Es bringt nichts, sich den Kopf zu zerbrechen. Der Abend ist gelaufen und morgen gibt es wieder andere Männer, die mir nachsabbern. Schließlich bin ich jeden Tag von willigen Kerlen umgeben. Das geht mit meinem Job Hand in Hand.
Das ›MakeMeMoan‹ ist ein Gay-Club, oder eher gesagt eine Bar mit Dancefloors, in der ich arbeite und wohne. Es war nicht mein Traum, in diesem Zimmer unterzukommen, aber manchmal muss man sich an den rettenden Strohhalm klammern, bevor man ertrinkt. Besser, als auf der Straße zu hocken, nachdem ich beim letzten Job rausgeflogen bin.
Es war meine eigene Schuld. Ich habe den sexy Transkerl hinter der Bühne vernascht und na ja, dann habe ich meinen Auftritt verpasst. Ich konnte ja nicht ahnen, dass der Inhaber mich direkt rauswirft. Der hat mir die totale Szene gemacht, obwohl auch er regelmäßig in den Genuss meines Körpers gekommen ist. Dabei hatte er trotz unserer Intimitäten keinen alleinigen Anspruch auf mich. Das hat er nur nicht verstanden. Mistkerl. Außerdem stehe ich nicht auf Typen, die ihre Fäuste sprechen lassen. Wenn Sex sich wie eine Erniedrigung anfühlt, ist es für mich nicht das Richtige.
Meine Augenlider sind schon schwer, aber ich sehe zu meinem Nachtschränkchen hinüber. Die Rosenblätter liegen neben der Vase, als würden sie mich auffordern wollen, den Strauß wegzuwerfen. Es ist nicht so, dass mir ein Liebhaber jemals welche geschenkt hätte. Vielleicht gibt es Blumen ausschließlich für Männer, für die man sich bemüht. Ein Kerl, den man hingegen nur ficken will, bekommt dementsprechend Cocktails oder harte Shots ausgegeben. Der Alkohol fließt, die Hemmschwelle sinkt und somit geht es schnell ins Bett. Willenloser Sex. Rein und raus. Das ist alles, was ich wert bin. Zumindest hat nie jemand etwas anderes behauptet. »Du bist nur so schön, damit es von deinem widerlichen Charakter ablenkt«, sagen die One-Night-Stands, die mich zwar berühren, aber dennoch nur an der Oberfläche kratzen. Liebenswert? Ich wäre es gerne.
Es kommt mir vor, als würde sich mein Leben nie ändern. Ich stecke fest in diesem Loch aus gierigen Händen, die nach mir grabschen und Mündern, die mich küssen wollen. Der Ausweg ist in so weite Ferne gerutscht, dass ich ihn nicht einmal erahnen kann. Um mich herum ist nur Finsternis, die mich eingeschlossen hält. Und trotzdem hoffe ich, den Ausgang mit Hilfe der vielen Männer zu finden, die mir für einen Moment Wärme versprechen.
Ich vergrabe das Gesicht im Kissen und wische mir über die brennenden Augenwinkel.
Blumensträuße sind hingegen ein anderes Kaliber. Es ist ein Zeichen der Anerkennung, nicht wahr? Eine Aufmerksamkeit, ein ›ich bin froh, dass es dich gibt‹. Wie wäre es wohl, wenn mir jemand Rosen schenken würde? Eigentlich bin ich nicht kitschig und auch kein hoffnungsloser Romantiker, aber manchmal …
Ab und an, wenn ich einkaufen gehe, stehen direkt am Eingang schwarze Eimer, gefüllt mit bunten Sträußen. Ich kann mich meistens gezielt an ihnen vorbei quetschen, nur manchmal … manchmal kann ich nicht widerstehen.
Ich streichele mir über die Seite und nehme mich selbst in den Arm. Ist es heute nicht kälter als sonst?