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8. Kapitel

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Serik

»Und deswegen sollte man es vermeiden, Kirschkerne zu essen«, faselt Maik, der mir gegenüber am Tisch sitzt. Ich weiß nicht, wie lange er noch einen Monolog führen will, aber er dauert eindeutig mein halbes Leben.

Meine Eltern haben mich gezwungen, auf eins dieser Treffen zu gehen, das ihnen einen Schwiegersohn verspricht. Es ist ein Verkuppeln auf ganz hohem Niveau mit dem einzigen schwulen Sohn eines Geschäftspartners, den ich schon zweimal aus Mitleid mit ins Bett genommen habe.

Wir harmonieren nicht. Kein bisschen. Trotzdem sitze ich hier in diesem Sushi-Restaurant, in dem es keine feste Bedienung gibt. Das Ambiente ist zwanghaft aufpoliert worden, aber dadurch wirkt es leider noch billiger. Die wenige goldene Deko an den schwarzen Tischen ist aus Plastik und die dunkle Farbe blättert an den Stuhllehnen bereits ab. Die Kellner knallen uns Teller mit Häppchen vor die Nase und Maik bestellt alles auf einem Tablet. Wenn er eine romantische Atmosphäre schaffen wollte, hat er es nicht geschafft.

Maik hat mich hergelotst, weil das Restaurant in einer Zeitschrift gelobt wurde. Das kann ich ehrlich gesagt nicht nachvollziehen. Maik hat braune Locken und einen Bart, der ihn aussehen lässt, wie einen Baumfäller. Was soll ich nur mit ihm? Er ist in keiner Weise mein Typ. Wir teilen nicht einmal denselben Humor.

Die Tische stehen jedenfalls unerfreulich nah beieinander. Die Frau neben mir ist inzwischen so nah an mich heran gerutscht, dass ich sie schmatzen hören kann. Dazu beleidigt ihr süßliches Parfüm meine Nase. Soll das Yasmin sein? Schrecklich.

Die Geräuschkulisse ist mehr als unpassend für ein Date und das Geklapper mit dem Besteck ist kaum auszuhalten. Wären wir doch wenigstens zu dem Sushi-Restaurant gegangen, bei dem die Einrichtung nicht nur auf den ersten Blick gut aussieht, sondern es auch ist.

Bisher habe ich die Sushirollen nur mit dem Stäbchen angeschubst und zur Seite gerollt. Wie lange muss ich hier sitzen, bis ich gehen kann, ohne unhöflich zu sein? Eine Stunde vielleicht? Theoretisch können wir zwei hier verbringen, aber das schaffe ich nicht. Mein Terminkalender ist voll und später muss ich noch in diesen heruntergekommenen Club. Ich kann kaum glauben, wie mein Leben sich innerhalb von ein paar Jahren verändert hat. Hätte ich nicht die chronischen Knieschmerzen und den Ermüdungsbruch im Oberschenkel gehabt, es wäre alles anders gelaufen.

Wahrscheinlich habe ich mich zu sehr verausgabt? Wer kann mir das schon beantworten. Wollen meine Eltern mich deswegen zu einer festen Partnerschaft drängen? Ist es ein Versuch, sich anzunähern?

»Hier, Serik. Nimm all unser Geld und gestalte dir dein Leben so, wie du nur möchtest! Hoffentlich entschädigt es dich dafür, dass du dein Bein nie wieder richtig belasten kannst. Das mit deiner Verletzung tut uns leid. Wir wollten dich nicht über deine körperlichen Grenzen bis zum Zusammenbruch quälen.«

Von wegen. Nichts macht es gut. Ich bin ein Schmerztabletten-Junkie, der zu nichts taugt.

Die Schultern drücke ich durch, aber ich kann mich nicht zu einem Lächeln zwingen. Zwar gebe ich vor, höflich zu sein, dennoch fällt es mir manchmal schwer. Besonders gerade. Maik ist so eine Quasselstrippe. Nur zum Trinken hört er mal auf zu reden. Luft scheint er ja nicht zu benötigen.

Der einzige attraktive Kerl kommt mit roter Nase und glühenden Wangen ins Restaurant gepurzelt. Sein Lachen ist so ehrlich und einnehmend, dass ich gar nicht wegsehen kann.

Es ist unmöglich …

Die langen strammen Beine und die Präsenz, als würde jeder Anwesende im Raum innehalten und verstummen, können nur zu einer Person gehören. Aleksei ist ein schöner Mann. Einer, der mein Herz ungewollt schneller schlagen lässt. Ich wische meine Hände an der Hose ab, da kullert mein Essstäbchen schon auf den Boden.

Dunkle Augen haben mich ausfindig gemacht. Er hat ein Funkeln in ihnen, das meine Neugierde weckt. Ich mag seine rote Nase und wie der bevorstehende Winter Alekseis Gesicht eine andere Farbe gegeben hat. Es lässt mich an Scheinwerferlicht auf Eis denken, das in meiner Erinnerung nie kalt war, sondern mir das Gefühl von Geborgenheit geschenkt hat.

Es ist diese lockere Art, wie Aleksei mir zuwinkt, als würde er sich freuen, mich hier zu sehen. Tut er das? Mich kratzt das Hemd am Hals und ich kann wie alle anderen Restaurantbesucher nur wortlos starren. Ich verstehe es nicht. Ein Mann wie er hat mich nie gereizt. Warum kribbelt es also in meinen Fingerspitzen, als er sich an den Tischen vorbei quetscht, um sich neben mich zu stellen?

»Serik! Was machst du denn hier?«

Lächelnd lehne ich mich zurück und betrachte ihn von oben bis unten. Schicke Klamotten. Für wen hat Aleksei sich so herausgeputzt? Enge Jeans, ein Hemd und eine rote Bomberjacke, die seine Figur verhüllt.

Mehrmals zieht er die Nase hoch, als er auf meine Antwort wartet.

»Ich esse. Und was machst du? Suchst du dir einen Sugardaddy?« Den Kopf neige ich zur Seite und mustere ihn.

Meine Gehässigkeit prallt komplett an ihm ab. Unbekümmert sieht er sich im Restaurant um und entzückt meine Sinne mit einem Duft von Sandelholz und Minze.

Warum ist er in seiner Männerwahl nur so anspruchslos? Es ist bedauerlich. Aleksei hat dieses gewisse Etwas, das mich nachts nicht zur Ruhe kommen lässt. Es gibt sicher Dutzende Männer, die davon träumen, von ihm eines Blickes gewürdigt zu werden. Wie viele Verehrer hat er? Sind es alles One-Night-Stands oder hat er auch länger anhaltende Affären?

»Ich bin mit einem Freund hier«, erklärt er grinsend und streicht sich das Haar hinter das Ohr. Auf diesem kleben einzelne Schneeflocken-,

»Hallo, ich bin Aleksei«, stellt er sich Maik vor, der nur die Nase rümpft. Jemand, der eine Menge Wert auf Markenkleidung legt, wird nicht mit Aleksei reden, egal wie höflich er ist.

»Störe ich?« Mit hochgezogenen Augenbrauen dreht er sich mir zu, aber ich schüttele den Kopf. Die drei Leberflecken, die er an seinem linken Mundwinkel hat, verschwinden in einem Grübchen, als er lächelnd sagt: »Cool! Dann können wir uns ja zu euch setzen!«

Seinen bunt gefleckten Turnbeutel wirft er neben mich auf den freien Stuhl, ehe er diesen laut knarrend zurückzieht.

»Auf keinen Fall!«, sagt Maik und springt empört auf. »Wir haben ein Date!«

Ob es Sinn macht, dass er das so plump erzählt? Das halbe Restaurant beobachtet uns und ich habe keine Lust darauf, in der Zeitung zu landen, nur weil der Idiot nicht die Klappe halten kann.

»Millionenerbe Serik Yazdani ist nach seinem Karriereende wieder aufgetaucht! Seine Begleitung: ein Mann! Mehr dazu auf Seite 3.«

Das wäre es ja noch.

»Jesse!«, ruft Aleksei und winkt seinen rothaarigen Freund herüber.

Der Typ sieht gefährlich aus. Kein ›ich schlag dir in einer dunklen Ecke die Fresse ein‹, sondern ein ›ich schmeiße mich hier und jetzt auf dich, wenn du Aleksei anfasst‹.

Das ist also sein Wachhund?

»Was machst du bei denen?«, fragt Jesse und würdigt mich keines Blickes. »Ich habe uns den besten Tisch gesichert. Komm, die Bedienung bringt uns hin.«

»Sorry«, säuselt Aleksei mir zu und packt sich seinen Turnbeutel. »Wir sehen uns ja später. Ich singe dann nur für dich.« Verspielt schießt er mich mit Fingerpistolen ab, ehe er seiner Begleitung folgt.

Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass die beiden einen annehmbaren Platz haben.

Neugierig lege ich den Arm auf der Lehne ab, um mitzubekommen, wohin sie gehen. Sie sitzen an einem langen Tisch mit unzähligen Fremden, aber auch eingequetscht am Fenster.

»Ich möchte gehen«, sagt Maik mit gedämpfter Stimme. Anscheinend hat ihm das Gespräch den Appetit verdorben. »Können wir wenigstens noch zu dir?«

Also will er sich in meinen Armen trösten? Der Gedanke ist nicht sonderlich ansprechend. Tief hole ich Luft und sehe auf meine Armbanduhr herunter. »Meine Schicht fängt gleich an.«

»Du musst arbeiten?«, fragt er kopfschüttelnd. »Aber du kommst doch aus einer wohlhabenden Familie. Du hast doch genug Kohle.«

Habe ich. Dennoch wollte ich einen Cut zu meinem vorherigen Leben und habe deswegen bei meinem Onkel angefangen. Wer hätte ahnen können, dass meine Eltern mir trotzdem im Nacken hängen? Mein ganzes Leben lang, haben sie mich gedrillt und irgendwie fällt es mir immer noch schwer, mich von ihnen zu lösen. Trotz allem sind sie eben meine Familie.

Seufzend reibe ich mir über die Stirn und hebe die andere Hand.

»Wir möchten zahlen, bitte«, sage ich dem Kellner und zücke schonmal das Portmonee aus der Hosentasche. Es ist besser, wenn der Tag schnell endet.

Ein Spatz auf dem Eis

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