Читать книгу Die Eiswolf-Saga. Teil 3: Wolfsbrüder - Holger Weinbach - Страница 13

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Anno 966 – Überfahrt

Im Schiff wurde es für Faolán täglich unerträglicher. Jede Faser seines Körpers schmerzte. Mit rücklings gebundenen Händen saß oder lag er auf den Planken, je nachdem wie ihn das Schiff durchschüttelte. Er konnte nicht viel mehr tun, als den Nordmännern aus dem Weg zu rollen, wenn sich einer näherte, und in den vorüberziehenden Himmel oder auf das Ufer zu starren. Wo brachten die Nordmänner Svea, Brandolf und ihn hin? Wie sollten sie jemals wieder heimkehren?

Faoláns Blick schweifte über die Barbaren. Ohnmacht breitete sich in ihm aus. Dies waren keine Mönche, die man überlisten konnte! Dieses Schiff war kein Schlafsaal, aus dem man sich nachts herausschleichen konnte. Stattdessen fühlte Faolán sich wie ein Stück Vieh, das sich an Händen und Füßen gefesselt auf dem Weg zum Schlachter befand. Dass Svea und Brandolf sich seinetwegen in der gleichen Lage befanden, lastete wie ein bleiernes Joch auf seinen Schultern.

Andererseits … ein Anfang war gemacht. Hatte Svea nicht genau diese Worte gewählt? Ihre Hilfe am Strand hatte zumindest ihre eigene Situation verbessert.

Faolán hatte sich vorgenommen, so wenig wie möglich aufzufallen. Es sollte zumindest die Wahrscheinlichkeit des Überlebens auf diesem Schiff erhöhen, wenn er nicht mehr den Zorn der Nordmänner erregte. Es schien ihm zu gelingen. Von den beiläufigen Fußtritten der Krieger im Vorübergehen abgesehen, die ohnehin jeder Gefangene abbekam, schenkten die Barbaren ihm keine weitere Beachtung.

Mit Ausnahme des Anführers! Immer wieder spürte Faolán den durchdringenden Blick dieser eisblauen Augen auf sich ruhen.

»Er heißt Bjoren, wenn ich mich nicht irre«, raunte Brandolf Faolán zu und zeigte mit dem Kopf in des Anführers Richtung. »Und der Schmächtige dort drüben heißt Garm oder Gorm. Ich bin mir nicht sicher. Die beiden scheinen sich nicht sonderlich zu mögen. Sie debattieren häufig. Ihre gesamten Haltung bezeugt förmlich die gegenseitige Abneigung.«

»Vielleicht ist dieser Gorm sein Ratgeber?«, antwortete Faolán apathisch. Im Augenblick interessierten ihn weder Namen noch Streitigkeiten der Nordmänner.

Brandolf war anderer Meinung. »Die Augen dieses Gorms funkeln kampfeslustig, wenn er mit dem anderen spricht. Seine Miene ist wie aus Granit. Und dieser Bjoren schüttelt zu resolut den Kopf, als dass es die Reaktion auf seinen Ratgeber sein könnte.«

»Was kümmern uns die Querelen der Nordmänner?«, zuckte Faolán mit den Schultern und drehte sich auf die Seite.

»Sei stets bereit«, brummte Brandolf. »Es mag lange dauern, doch wenn es soweit ist, musst du wissen, auf wessen Seite du stehen willst. Beide genießen großen Respekt unter den Männern. Für beide treten sie zur Seite, wenn sie durch das Schiff gehen. Wenn ich mich nicht täusche, gibt Gorm hinter dem Rücken des Anführers Anweisungen. Einige der Männer hören auf ihn. Die beiden sind Konkurrenten, nicht Freunde.«

Faolán wollte auf keiner Seite dieser Barbaren stehen. Er wollte nur weg von ihnen. Gemeinsam mit Svea und dem Edelherrn. »Wie soll ich bereit sein, wenn meine Hände gefesselt sind?«, versuchte Faolán das Gespräch zu beenden und schob noch ein mattes »mein Herr« hinterher. Er schloss die Augen. Am liebsten wollte er wieder schlafen, doch Brandolf ließ ihm keine Ruhe.

»Du musst sie im Auge behalten. Beobachte sie, wie ich.« Faolán antwortete nicht, doch Brandolf ließ nicht locker und stieß ihn mit dem Knie an. »Versprich mir, dass du die Augen nach diesen beiden offen hältst.«

»Was soll das bringen? Werden wir nicht ohnehin früher oder später wie Vieh verkauft?«, fragte Faolán resigniert.

Brandolf schwieg eine Weile, aber er gab noch nicht auf. »Das wissen wir nicht. Bis dahin kann noch viel geschehen. Versprich es mir einfach. Halte sie im Auge.«

Faolán wusste, dass Brandolf ihn erst ihn Ruhe lassen würde, wenn er ihm dieses Versprechen gab. Er schnaufte durch. »Gut, ich verspreche es.«

In den nächsten Tagen hielt Faolán nur halbherzig Wort. Tage und Nächte schlichen bedeutungslos an ihm vorüber, während er zwischen Wachsein und Schlaf driftete. Nachts lag er oft da und konnte kein Auge zu tun. Nach der Dämmerung rafften die Mannschaften die hellen Segel, holten mit präziser Schnelligkeit die Masten aus den Kielverankerungen und legten sie längs in die Rümpfe. Dann glitten die drei Schiffe durch Nebel und Finsternis dahin, nicht viel mehr als lange, schmale Schemen, die wie monströse Blätter flussabwärts trieben.

Faolán hatte längst aufgegeben, die Tage zu zählen. Es mochten an die zwei Wochen vergangen sein, als er von schrillem Gekreische aus dem Schlaf gerissen wurde. Mit pochendem Herzen schnellte er empor, bis die Fesseln ihn schmerzhaft an die Realität erinnerten.

Ein ungewohnter Geruch lag in der Luft. Es dauerte eine Weile, bis Faolán ihn zuordnen konnte. Salz! Er sah sich um. Durch den Morgendunst erkannte er, dass der breite Strom sich flussabwärts in mehrere Arme verzweigte. Das umliegende Land war flach und zu beiden Seiten säumten hohe Gräser die Gestade.

Weiß-graue Vögel begleiteten die Schiffe der Nordmänner, umkreisten die Masten und ließen sich auf der Rah nieder. Auf dem Tau direkt über Faolán saßen mehrere dieser merkwürdigen Tiere. Ihre Schreie hatten ihn geweckt, die wie irrsinniges Gelächter klangen.

»Möwen!«, brummte Brandolf auf Faoláns fragenden Blick hin. »Wir nähern uns der Küste. Rutsch besser zur Seite!«

»Weshalb?«, raunte Faolán schlaftrunken. Kaum hatte er es ausgesprochen, klatschte ein weißer Klecks Vogelexkremente direkt neben ihm auf das Holzdeck.

»Deshalb! Es sei denn du bist der Ansicht, Vogeldreck könnte den Zustand deiner Kleidung aufbessern«, antwortete Brandolf zynisch.

Faolán rückte beiseite, soweit der Platz es zuließ, und sah in die Ferne. Hatte Brandolf nicht gesagt, sie näherten sich der Küste? Sein Herz begann schneller zu schlagen. Bisher hatte er nur von den Meeren und Ozeanen gehört oder gelesen. Faolán konnte es sich nicht vorstellen, wie es sein würde, kein Land mehr zu sehen. Nur Wasser unter und um sich und Gottes weiter Himmel darüber. Er konnte zwar ganz gut schwimmen, doch der Gedanke an endloses Wasser ließ seinen Magen etwas flau werden.

Noch am Morgen ließen die Schiffe das weitverzweigte Flussdelta hinter sich. Was Faolán dann zu sehen bekam, verschlug ihm den Atem. Fasziniert reckte er den Hals nach allen Seiten und suchte den Horizont ab. Wasser, soweit das Auge reichte! Kein Land tauchte in der Ferne auf. Nicht einmal eine Insel. Die Schiffe hielten auf das offene Meer zu. Faolán wurde zunehmend nervöser, je weiter das Festland fortrückte.

Der Wind frischte auf und der Seegang brachte das Schiff stärker ins Schwanken als bisher. Die Gefangenen hatten Mühe, an Ort und Stelle liegenzubleiben. Faolán rollte mehrere Male unkontrolliert über die Planken und schlug mit dem Kopf gegen die Bordwand. Es brachte ihn und Brandolf unweigerlich in Kontakt mit dem Vogeldreck, den sie zu vermeiden versucht hatten.

»Das hat sich ja gelohnt, sich die ganze Zeit zu verrenken«, brummte Faolán.

»Immer noch besser, als sich der Scheiße direkt auszusetzen«, knurrte Brandolf.

»Oh ja, in der wir ja gar nicht stecken«, gab Faolán bissig zurück. Zu spät erkannte er, dass er Widerworte gegen seinen Herrn gerichtet hatte, und zog instinktiv das Genick ein. Aber Brandolf reagierte nur mit einem strengen Blick. Was sollte er auch tun? Und hatte Faolán etwa nicht recht? Sie steckten bis zum Kinn in der Scheiße, dass sie fast daran erstickten. »Warum also sollte ich wegen diesem Vogeldreck hier auch noch einen Aufstand machen?«

Es war ein einziges Wort, das Brandolf sagte und Faolán wie ein Hammerschlag zum Schweigen brachte: »Würde!«

Auch der Edelherr schwieg und richtete seinen Blick zum Bug. Unbeirrt hielten die Schiffe ihren Kurs. Die Seeleute prüften die Ladung und zurrten sie fest. In ihren Gesichtern erkannte Faolán freudige Erwartung. Offenbar befanden sie sich hier in ihrem Element. Faolán hingegen wurde es flau im Magen. »Werden wir immer weiter auf den Horizont zuhalten, bis uns nur noch Wasser umgibt?«, fragte er besorgt.

»Ich vermute, sie halten sich entlang der Küste, soweit es ihr Kurs ermöglicht«, antwortete Brandolf.

Faolán behielt den schmaler werdenden Küstenstreifen im Auge. Bald würde er ganz verschwinden, als wäre er nie da gewesen. Kaum hatte er den Gedanken gefasst, bellte der Anführer einen Befehl und das Schiff drehte nach Steuerbord ab. Das Segel über Faolán füllte sich und der Mast knarrte, als das Schiff Fahrt aufnahm. Der neue Kurs lag parallel zur Küste. Faolán atmete durch. Obwohl er wusste, dass er mit gefesselten Händen und Füßen sich im Ernstfall keine Minute über Wasser würde halten, geschweige denn zur Küste schwimmen können, war dieser dunkle Streifen am Horizont das Sinnbild einer fernen Hoffnung und Sicherheit. Es beruhigte ihn, zumindest für den Augenblick und so starrte er unablässig auf die Küste.

Mit beeindruckender Geschwindigkeit pflügten die Schiffe sich durch die graue See. Der Bug stieg auf und klatschte mit Wucht auf die Wellen zurück. Faolán befürchtete, jeden Augenblick ein Knirschen und Splittern der Planken zu hören, so kräftig wurde er durchgeschüttelt. Doch die Schiffe hielten der Belastung mühelos stand. Gischt spritzte auf und ging als feiner Sprühregen über dem Deck nieder.

Faolán suchte mehr Halt und drückte sich in die Ecke an einen Spant, doch gefesselt konnte er nach nichts greifen. Immer wieder rutschte er aus seiner Nische heraus. Als er gerade wieder versuchte, sich in die Ecke zu drücken, ging einer der Nordmänner durch die Reihen und nahm allen Gefangenen die Handfesseln ab und lockerte den Strick um die Fußgelenke, sodass sie beinahe normale Schritte machen konnten.

Sofort nutzten einige der Gefangenen die Gelegenheit, stürzten an die Reling und übergaben ihren Mageninhalt der See. Die Nordmänner brachen in raues Gelächter aus.

Der Anführer stand breitbeinig am mannshoch aufragenden Bugsteven, unberührt von den Bewegungen des Schiffes. Er schien wie mit dem Schiff verschmolzen zu sein. Keine Bewegung brachte ihn aus dem Gleichgewicht, und er starrte in die Ferne, als könnte er sein Ziel bereits sehen.

Faolán beobachtete, wie der aufgesetzte Drachenkopf, der ihn bei seiner Gefangennahme in Schrecken versetzt hatte, auf offener See abgenommen wurde. Die Männer schlugen den Aufsatz in Tücher und verstauten ihn sicher im Rumpf. Das Schiff wirkte trotzdem nicht minder bedrohlich und schnitt wie ein scharfes Schwert durch die Wogen, jedem Widerstand trotzend.

Der erste Tag auf hoher See verging, und Faolán gewöhnte sich überraschend schnell an das stetige Schaukeln. Die Seeluft und die Anstrengung, sich ständig in Balance zu halten, ermüdeten ihn. An diesem Abend fand er mit Sonnenuntergang in den Schlaf und mit freien Händen war es sogar verhältnismäßig bequem.

Am nächsten Morgen war die See ruhiger. Proviant wurde ausgegeben. Zum ersten Mal seit seiner Gefangennahme war Faolán in der Lage, das Stück Brot und das Wasser mit seinen eigenen Händen zu sich zu nehmen. Mit den Händen auf den Rücken gebunden, hatte er es immer nur in den Mund getopft und eingeflößt bekommen. Faolán fühlte sich besser als in den letzten Wochen. Seine Arme schmerzten kaum noch und obwohl seine Situation unverändert bedrohlich war, keimte Hoffnung auf, alles könnte sich doch noch zum Guten wenden.

Die neue Freiheit der Gefangenen hatte zur Folge, dass die Nordmänner ein wachsameres Auge auf sie hatten. Faolán und Brandolf versuchten weiterhin, nicht aufzufallen. Dennoch sprachen sie mehr miteinander. Leise und hauptsächlich, wenn keiner der Nordmänner in unmittelbarer Nähe war. Und zu Faoláns Überraschung drehten sich die Gespräche nicht nur um ihre Situation und die Barbaren. Brandolf zeigte Interesse an Faoláns Leben im Kloster, fragte gezielt nach den Machtverhältnissen, aber auch seinen Werdegang und nach seinen Freunden Konrad und Ering.

»Und du weißt nicht, wie du ins Kloster gekommen bist?«, hakte Bran­dolf nach.

Faolán schüttelte den Kopf. »Meine früheste Erinnerung ist der Gewölbekeller, in dem ich erwachte. Abt Degenar und Bruder Ivo standen neben mir, wie an einem Krankenlager. Wobei es mit den Kerzen eher wie eine Gruft ausgesehen haben muss.« Er schmunzelte. Er mochte diese Erinnerung, auch wenn sie düster war. Aber es war der Augenblick, da er die zwei Menschen kennenlernte, die ihm über viele Jahre wie Eltern gewesen waren. Wie ein Vater, den er nicht kannte. »Es gab Gerüchte, wie Ivo mich im Wald gefunden hat. Mit einem Pferd, heißt es. Doch er hat mir diese Geschichte nie selbst erzählt. Wann immer ich ihn danach gefragt habe, antwortete er mir ausweichend.«

»Auf einem Pferd, in einen Mantel gehüllt …«, sinnierte Brandolf. Seine Augen lagen in der Ferne seiner eigenen Erinnerung, erkannte Faolán.

»Wisst Ihr etwas darüber?«, fragte er Brandolf erstaunt.

»Es ist nur eine alte Geschichte, die ich vor vielen Jahren erzählt bekommen habe«, antwortete Brandolf genauso ausweichend wie einst Bruder Ivo. Faolán spürte, dass mehr dahinter steckte, doch er merkte auch, dass er mit einer Nachfrage beim Edelherrn auf Granit stoßen würde.

»Und wie kam es, dass Konrad und du Freunde wurdet?«, wechselte Brandolf das Thema. »Für Novizen eine außergewöhnliche Freundschaft, wie ich finde.«

Bereitwillig erzählte Faolán von seinem ersten Treffen mit Konrad, als Drogo Faolán hinter dem Klostergarten in die Enge getrieben hatte. Konrad war ihm zu Hilfe geeilt und hatte Drogo und seine Speichellecker in die Flucht geschlagen. Es waren schöne Erinnerungen, auch wenn sie schmerzten. Weshalb hatte er sich mit Konrad nicht ausgesprochen, bevor er zum Kloster aufgebrochen war? Falscher Stolz?

Im Gegenzug gewährte der Edelherr Einblicke in sein Leben. Er berichtete von seinem Vater, dass er schon vor dem Kaiser gestanden und wie er seine Gemahlin Lykke kennengelernt hatte. Er sprach hauptsächlich über die Burg und seine Aufgaben als Edelherr. Dann kam er auf seine Kinder zu sprechen. Sein Tonfall wurde weich und seine Augen glänzten. Als er über Lydis und Heinrich sprach, erkannte Faolán den Schmerz des Verlusts in Brandolfs Gesicht. Er hatte weitaus mehr Gründe, sich nach der Heimat zu sehnen als Faolán, dachte er sich und ein schlechtes Gewissen befiel ihn. Ohne Faolán könnte Brandolf jetzt bei seiner geliebten Familie sein.

Der Gedanke verdross Faolán, und das Gespräch versiegte durch sein Schweigen. Er begann, die Nordmänner zu beobachten, wie Brandolf es wollte. In Gedanken gab er den Männern Namen, ordnete ihnen Eigenschaften zu, die sie prägten, und beobachtete, wie sie agierten. Wenn sie sprachen, überlegte er, was sie sagten. Plötzlich fiel ihm auf, dass er sich ausmalte, sie würden von ihren Familien, ihrer Heimat und anderen friedvollen Dingen sprechen. Begann er, sich seine Entführer gutzureden? Es war absurd, doch ein Teil von ihm beabsichtigte genau das!

Plötzlich wurde es hektisch auf dem Schiff. Mit wilden Bewegungen und Hornstößen wurden die anderen Schiffe auf etwas aufmerksam gemacht: Kleine, schnelle Boote stachen aus Buchten hervor und hielten auf die Flotte zu.

Unter vollen Segeln mussten die tief im Wasser liegenden Schiffe von der Küste aus gut zu sehen sein. Für schnelle Räuber stellten sie eine reiche Beute dar. Doch die Seeleute waren darauf vorbereitet. Bjoren bellte ein paar knappe Befehle. Die Ruderbänke wurden besetzt, Riemen tauchten ins Wasser und zogen gleichmäßig durch. Die drei Schiffe gewannen an Fahrt. Anfangs glaubte Faolán, die kleinen Boote wären schneller und hätten eine Chance, den Weg zu blockieren. Die Geschwindigkeit der Langschiffe reichte jedoch aus, um die Angreifer auf Distanz zu halten. Nach kurzer Zeit fielen die Boote zurück. Der Angriff war abgewehrt. Faolán atmete durch. Sie hatten gewonnen. Er freute sich, als wäre er Teil der Mannschaft.

Du Narr, schalt er sich. Du bist nichts weiter als ein Teil ihrer Beute, die sie vor anderen Räubern geschützt haben!

Am nächsten Morgen wachte er auf, als er gegen einen Spanten schlug. Verwirrt sah er auf. Der Wind hatte aufgefrischt. War es wirklich Morgen? Der Himmel war dunkel, als wollte auf den Morgen gleich die Abenddämmerung folgen. Wellen türmten sich auf und schüttelten die Schiffe durch. Faolán hatte Mühe, sich an seinem Platz zu halten. Er krallte sich an Tampen oder Spanten fest und ging den Nordmännern so gut wie möglich aus dem Weg, die nach den Befehlen ihres Anführers durch das Schiff liefen, um es auf das heraufziehende Unwetter vorzubereiten.

Der Seegang nahm zu. Jetzt kämpften sogar einige der Nordmänner gegen Übelkeit an – und verloren. Faoláns Magen hingegen verhielt sich ruhig. Zum ersten Mal war er dankbar, dass die Nordmänner nur wenig Proviant an ihre Gefangenen verteilten.

Die Wellen türmten sich inzwischen höher als die Bordwände. Der Sturm brach los!

Neben der Gischt peitschte jetzt auch Regen nieder. Innerhalb weniger Augenblicke war Faoláns Kleidung durchnässt. Der Wind riss unablässig an ihm, als wollte er ihn über Bord ziehen. Die Seeleute kämpften mit den Tampen. Der Steuermann hatte sich mit einem Seil am hinteren Steven festgebunden und lag auf der Pinne, um das Schiff auf Kurs zu halten. Die eingespielten Seeleute holten das Segel so schnell ein, dass Faolán glaubte, es fiele geradewegs auf das Deck. Dann half die gesamte Mannschaft, den Mast umzulegen, aufzubocken und das nasse Segeltuch wie ein Zeltdach darüber zu spannen. Die Enden wurden an den obersten Planken vertäut. So deckte das Segel einen Großteil des Schiffsrumpfes ab. Der Regen floss davon direkt wieder in die See ab, statt sich im Rumpf zu sammeln.

Ein Nordmann ging durch die Reihe der Gefangenen und löste die Fußfesseln. Auch für sie ging es jetzt ums nackte Überleben und jeder musste mithelfen, das Schiff seetauglich zu halten. Der Nordmann schrie die Gefangenen an und gestikulierte wild, was sie zu tun hatten. Faolán verstand und machte sich an die Arbeit.

Er schlitterte über die nassen Planken, während er versuchte, die Beute der Barbaren unter das schützende Segeltuch zu zerren. Die gefesselten Schweine quiekten dabei, als schlüge ihr letztes Stündlein und die Hühner in den einfachen Käfigen schlugen wild mit den Flügeln.

Faolán hatte Mühe, nicht über Bord zu gehen. Zwischen den Wellenbergen erhaschte er hin und wieder einen kurzen Blick auf die beiden anderen Langschiffe. Aus der Entfernung sahen sie wie hilfloses Treibgut in der aufgewühlten See aus. Bei einem waren ebenfalls das Segel eingeholt und der Mast umgelegt worden. Am dritten Schiff jedoch steckte das Segel auf halben Weg scheinbar fest. Das Tuch flatterte wild im Sturm. Das Tauwerk verfing sich ineinander. Es schien unmöglich, die Rah weiter zu bewegen.

Die Intensität der Böen nahm zu. Sie fegten über das Meer und drückten das dritte Schiff immer wieder zur Seite. Mehrere Male war es dem Kentern nahe. Einige der Männer auf dem Schiff begannen, die Tampen mit Beilen durchzuschlagen.

Geistesgegenwärtig band Faolán sich ein Seil um die Hüfte und hielt sich an der Bordwand fest. Gebannt beobachtete er die kämpfende Mannschaft. Er war nicht der Einzige. Immer mehr Nordmänner sahen hinüber, wo ihre Kameraden rangen.

Befand Svea sich auf diesem Schiff? Faoláns Herz setzte einen Schlag aus und er betete um die Gunst Gottes und aller Heiligen.

Seine Gebete erwiesen sich als nutzlos. Die Tampen waren längst noch nicht alle durchtrennt, da wurde die Belastung für den Mast zu groß. Mit einem ohrenbetäubenden Knall, der selbst durch das Brüllen des Orkans zu hören war, zerbarst er in der Mitte. Faolán sah Männer zur Seite springen, um nicht erschlagen zu werden. Einige versuchten, die restlichen Taue zu kappen und die herabstürzende Masthälfte mitsamt Segel ins Meer zu lenken. Doch die Rah stürzte mitsamt Segel auf das Deck. Splitter flogen nach allen Seiten und ein riesiges Loch klaffte im Rumpf.

Faolán vergaß den tobenden Sturm. Er hörte weder das Tosen, noch nahm er die Wogen wahr. Er krallte sich an der Bordwand fest, den Blick auf das Unglücksschiff gerichtet. Dort kämpften Seeleute und Gefangene Seite an Seite verzweifelt darum, das eindringende Wasser herauszuschöpfen. Ein paar Männer mühten sich ab, das Loch notdürftig zu schließen. Doch das Wasser schoss unaufhaltsam in den Rumpf. Innerhalb weniger Augenblicke sank das Schiff.

Das darf nicht wahr sein. Gütiger Gott, lass es nicht wahr sein!, flehte Faolán. Sein Blick fiel auf einen Schiffbrüchigen, der sich verzweifelt an ein Stück Treibgut klammerte. Er versuchte, zu einem der verbleibenden Schiffe zu gelangen. Aus seinem offenen Mund mochten Schreie kommen, die gegen den Sturm nicht mehr als ein Flüstern waren und niemand hören konnte. War das ein Mann oder eine Frau?

Svea!, rief Faolán in Gedanken. Er krallte sich noch immer an die Bordkante. Svea … Svea! Gütiger Gott, bitte lass es nicht Sveas Schiff gewesen sein!

Gelähmt starrte Faolán auf die dunklen Wellen, wo er eben noch einen Schiffbrüchigen gesehen hatte. Doch das Meer hatte sich ihn geholt. Betäubt vor Entsetzen sah Faolán sich um. Die Besatzungen der beiden anderen Langschiffe unternahmen nichts. Keine Hilfe. Kein Rettungsversuch. Mit starren Mienen sahen sie auf die Stelle, wo eben noch ihre Kameraden um ihr Leben gekämpft hatten. Jetzt waren dort nur noch schäumende, todbringende Berge und Täler aus Wasser.

Faolán wusste, dass die Barbaren nichts hätten unternehmen können. Und doch verfluchte er sie für ihre Untätigkeit. Svea! Wie sollte es weitergehen, wenn sie unter den Unglücklichen gewesen war? Ohne sie war jede Mühe vergebens! Konnte Gott so grausam sein?

Die Nordmänner krochen einer nach dem anderen unter das Segeltuch. Mit Ausnahme von Bjoren. Der Anführer blieb am Steven stehen und starrte auf die See und in den Sturm hinaus, als wollte er sie mit seiner bloßen Anwesenheit und seinem Willen bezwingen.

Der Orkan tobte brüllend weiter, während sich unter der Mannschaft eine unheimliche Stille ausbreitete. Am Rande des gespannten Segeltuchs drückte Faolán sich in eine Lücke und starrte in den pechschwarzen Himmel. Regen peitschte auf seine nackten Beine und Füße. Er drückte sich tiefer unter das Segel, wo es nicht genug Platz für alle gab. Die Gefangenen mussten ohnehin abwechselnd den Schutz verlassen und das eindringende Wasser mit Kübeln aus dem Rumpf schöpfen. Bald würde auch Faolán an der Reihe sein. Entkräftet schloss er die Augen. Er wollte nichts mehr sehen und nichts mehr hören. Er betete, dass Svea sich auf dem zweiten Schiff befand.

Das Brüllen des Orkans drang in seine Ohren, flutete seine Gedanken, seine gesamte Welt. Es drohte, ihn zu betäuben, ihn zu ertränken. Die rollenden Bewegungen des Schiffes machten ihn schläfrig. Eingekeilt zwischen Brandolf und einem anderen Gefangenen betete er unablässig weiter. Für die ertrunkenen Seelen. Für Gefangene wie für Barbaren. Und für Svea.

Svea …

Faolán erwachte. Er war eingenickt, trotz des Sturms und des Seegangs. Der Regen war stärker geworden. Faoláns Blick schweifte zum Bug. Der Anführer stand noch immer am Steven, bis auf die Knochen durchnässt, und trotzte dem Unwetter. Er hielt sich an einem Tau fest, das er mehrfach um seinen Unterarm geschlungen hatte. Mit seinen eisblauen Augen versuchte er, das Unwetter zu durchdringen. Glaubte er tatsächlich, auf diese Weise die entfesselten Naturgewalten bezwingen zu können? Sein Umhang bot ihm keinen Schutz und flatterte im Wind wie die Flügel eines heidnischen Engels. Oder waren es Schwingen des Todes und er ein Gesandter der Hölle, um alle mit sich ins Verderben zu reißen?

Die See warf sich gegen das Schiff und die Gischt schäumte in weißen Flammen um Bjoren. Es hatte den Anschein, als spräche der Krieger mit der See. Als hieße er ihre Herausforderung willkommen. Bjoren stand aufrecht, als sei er mit dem Steven verwachsen.

Aus dem Augenwinkel bemerkte Faolán, dass Gorm unter dem Segel hervorkroch. In einer Hand hielt der kleine Mann ein wild flatterndes Huhn. Mit der anderen hangelte er sich zum Steven vor. Sein Gespräch mit Bjoren war kurz. Am Ende riss Gorm dem Huhn den Kopf ab und schleuderte es in die See. Sollte das ein Opfer sein, um das Meer zu beruhigen? Es waren Heiden und wahrscheinlich glaubten sie an derartigen Zauber sinnlosen Tötens, dachte Faolán.

Beide Nordmänner warteten eine Weile und starrten in den Sturm. Nichts veränderte sich. Faolán schüttelte den Kopf. Sie glaubten tatsächlich, den Sturm damit beeinflussen zu können. Die beiden Männer sprachen wieder miteinander. Diesmal waren ihre Worte hitziger. Bjoren reagierte forsch und schüttelte vehement den Kopf. Doch Gorm gab nicht nach und deutete wiederholt auf die Gefangenen, wo auch Faolán am Rande des Segeltuchs saß.

»Was hat das zu bedeuten?«, fragte er Brandolf. Bevor der Ritter eine Antwort gab, weiteten sich Faoláns Augen. »Menschenopfer! Er fordert ein Menschenopfer …!«

Brandolf widersprach nicht. Faolán konnte es nicht fassen. Nur weil ein kleines, sinnloses Opfer keinen Erfolg gezeigt hatte, hofften diese Heiden jetzt darauf, mit größeren Opfern das Meer beruhigen zu können? Begriffen sie denn nicht, dass selbst ein ganzes Schiff mitsamt Mannschaft noch nicht Opfer genug war?

Der Anführer beendete die Diskussion mit einer scharfen Handbewegung. Gorm sah ihn hasserfüllt an, gab aber nach und kroch mit verbitterter Miene unter das Segeltuch. Bjoren schenkte ihm keine weitere Beachtung und wandte sich wieder der See zu, eine Hand fest um das Seil geklammert.

Bevor Faolán den Edelherrn auf den Vorfall ansprechen konnte, wurden ihnen Kübel in die Hände gedrückt. Sie waren an der Reihe, Wasser aus dem Schiffsrumpf zu schöpfen. Mit Seilen um die Hüften stellten sie sich am Bug gegen die hereinbrechenden Wellen. In Faoláns Augen war es ein aussichtsloser Kampf. Für jeden entleerten Kübel schleuderte das tosende Meer die doppelte Menge Wasser zurück.

Die See blieb unerbittlich. Sie glich einem Raubtier, das nach langer Hetzjagd seine Beute endlich erlegen wollte. Weitere Männer kamen unter dem Segeltuch hervor und schöpften mit allem, was irgendwie Wasser fassen konnte. Sie torkelten wie trunken über die Planken und hatten mehr damit zu tun, an Bord zu bleiben, als den Wasserpegel zu senken.

Inmitten des Chaos’ bemerkte Faolán zwei Gestalten, die unter dem Segeltuch hervorschlichen. Doch statt mit Eimern zu helfen, standen sie nur da. Faolán klammerte sich an eine Spante. Er wischte sich das Wasser aus dem Gesicht und sah erneut hin.

Es war Gorm, der am Rande des Segels stand. Er redete auf einen Burschen ein, der mehrere Male nickte. Das Wanken des Schiffes schien dem Jüngeren kaum etwas auszumachen. Mühelos hielt er das Gleichgewicht, als wäre er ein Teil des Schiffes. Faolán sah, wie Gorm ihm einen schmalen Gegenstand übergab, den der Bursche in seinem Ärmel verschwinden ließ.

Ohne etwas zu erwidern ging der junge Nordmann zum Steven vor, direkt auf Bjoren zu. Während die Mannschaft um das Überleben aller rang, ging er ungehindert zwischen ihnen hindurch. Es hatte den Anschein, als bemerkte ihn außer Faolán niemand. Schritt für Schritt näherte der Bursche sich dem Steven. Auch Bjoren nahm ihn nicht wahr. Unbeirrt starrte er auf die tosende See.

Faolán schob sich entlang der Bordwand Richtung Steven, ohne den jungen Nordmann aus den Augen zu lassen. Es war ein Instinkt, dem er folgte, ohne zu wissen, was er tun sollte.

Breitbeinig blieb Gorms Handlanger hinter Bjoren stehen. Er zog den Gegenstand aus seinem Ärmel hervor. Faolán verkrampfte, sein Herz raste. Es war ein Dolch! Faolán öffnete den Mund, um Bjorens Namen zu rufen, doch der Wind drückte ihm die Worte in den Rachen zurück, dass er sich beinahe daran verschluckte.

Außer ihm schien niemand die Gefahr zu erkennen.

Der Handlanger hob den Dolch. Die Klinge fuhr nieder.

Im gleichen Augenblick strauchelte der Verräter und hielt sich am Steven fest.

Bjoren bemerkte die Bewegung. Reflexartig drehte er sich um, sah die Klinge und versuchte, unter ihr wegzutauchen. Es gelang ihm nicht. Die Klinge fand ihr Ziel. Blut floss über Bjorens Gesicht. Der Anführer wankte. Er suchte Halt an seinem Attentäter, ging zu Boden und riss ihn mit sich. Der Dolch rutschte harmlos über die Planken.

Das Handgemenge am Steven rief mehrere Seeleute herbei. Der Attentäter lag auf Bjoren, der sich nicht regte. Die Nordmänner zerrten den Burschen hoch. Faoláns Blick blieb auf Bjoren gerichtet. Er konnte nicht glauben, dass es das Ende des Anführers sein sollte. Wie Donner hämmerten Faoláns Herzschläge.

Da bewegte Bjoren sich. Zunächst nur einen Arm, dann raffte er sich auf und zog sich schließlich am Seil zum Steven hoch.

Der Attentäter glotzte sein Opfer an. In seinem entsetzten Blick lag die Erkenntnis, versagt zu haben. Ratsuchend sah er sich um und fand schließlich Gorm, der am Rande des Geschehens stand. Der Attentäter wollte einen Schritt auf Gorm zumachen, doch zwei Nordmänner hielten ihn fest und zwangen ihn in die Knie.

Faolán suchte nach seinem Kübel, der an einem Seil angebunden war. Er wusste nicht, ob jemand bemerkt hatte, dass er den Schurken mit einem glücklichen Wurf des Eimers zu Fall gebracht hatte. Aber er wusste, dass es besser wäre, es nicht darauf anzulegen. Er wollte sich nicht in die Rivalitäten der Nordmänner einmischen, sich nicht auf eine Seite schlagen.

Wieder fiel sein Blick auf den Kübel, der im Rhythmus des Schiffes in Bjorens Nähe hin und her schaukelte. Faolán fluchte. Zu viele Männer standen zwischen ihm und dem Eimer, als dass er ihn unbemerkt würde zu sich ziehen können.

Bjoren taumelte kurz im sich aufbäumenden Schiff, fing sich aber wieder. Mit der freien Hand wischte er sich über den langen Schnitt auf seiner Wange. Faolán widerstand dem Drang, sich an die eigene Narbe auf seiner Wange zu fassen.

Wütend starrte Bjoren auf seine rottropfende Hand. Er packte den Attentäter an der Kehle, riss ihn aus dem Griff seiner Männer und schleuderte ihn gegen den Steven. Wie aus dem Nichts tauchte Gorm auf. Erneut blitzte ein Dolch auf! Faolán wollte schreien, sie warnen. Doch er stand wie versteinert da und sah nur zu.

Es war zu spät.

Gorm stach mehrmals zu, dann trat er schwer atmend zurück und ließ die blutverschmierte Waffe fallen.

Mit aufgerissenen Augen starrte Bjoren Gorm an. Für einen Moment hatte der Sturm seinen Schrecken auf Faolán verloren. Er konnte nicht grausamer sein als das, was gerade auf dem Schiff geschah. Der Tod befand sich bereits unter ihnen.

Bjorens Hand löste sich vom Attentäter. Entsetzt sah der Bursche an sich herab, als bewunderte er seine blutverschmierte Tunika. Seine Lippen öffneten sich stumm, ehe der Glanz in seinen Augen erlosch. Schließlich kippte er nach hinten und stürzte in die gierige See.

Die Ereignisse stürzten über Faolán zusammen. Bjoren lebte! Der Attentäter war tot. Gorm hatte seinen Mitwisser beseitigt! Der Seegang brachte Faolán ins Taumeln. Oder war es Gorms Kaltblütigkeit, die ihm buchstäblich den Boden unter den Füßen wegriss?

Mit finsterer Miene musterte Bjoren Gorm. Der hielt dem Blick stand. Einige Nordmänner klopften ihm anerkennend auf die Schulter, doch Gorm schenkte ihnen keine Beachtung. Der Anführer wischte sich abermals Blut von der Wange und betrachtete es, dann nickte er. Ohne ein Wort zu wechseln, ließ Gorm sich von den Männern unter das schützende Segel führen.

Faolán verstand die Welt nicht mehr. War Gorm jetzt der Held der Stunde, weil er den Attentäter, seinen Komplizen, niedergestreckt hatte? Welches falsche Spiel trieb dieser Nordmann? Wahrscheinlich hätte er seinen Kumpan auch bei Erfolg getötet, um ohne Mitwisser Bjorens Platz einnehmen zu können. Dieser Mann war hochgefährlich! Und Faolán hatte ihm ins Handwerk gepfuscht …

Trotz seiner Verletzung blieb Bjoren am Steven stehen und hielt seinen Blick auf den Horizont gerichtet. Der Anschlag war so schnell vorüber, wie er gekommen war. Alles ging zur Normalität über, sofern man in diesem Sturm davon sprechen konnte. Nordmänner wie Gefangene schöpften wieder Wasser aus dem Rumpf, während die See mit Brachialgewalt versuchte, das Schiff zu bezwingen.

Einzig Faolán stand noch da und starrte Bjoren an. Er sagte zu sich selbst, er müsse den Kübel wieder heranholen. Untätig würde er auffallen und das wollte er vermeiden. Doch Faolán war noch immer wie gelähmt. Bjoren stand direkt neben dem Eimer. Würde Faolán jetzt das Seil einholen, läge Bjorens Aufmerksamkeit auf Faolán.

Als hätte Bjoren die Gedanken seines Gefangenen erraten, sah er Faolán in die Augen. Sein Blick war kalt und durchdringend. Mit einem Fuß stoppte er den kullernden Eimer. Unvermittelt sah er Faolán mit einem Blick an, der erkennen ließ, dass ihm nichts entgangen war. Dann schob er den Eimer Faolán zu.

Er weiß es!, sagte Faolán sich. Er weiß, dass ich ihn gerettet habe … dass ich mich eingemischt habe! Welche Auswirkungen würde es haben? Wenn Bjoren es wusste, würde es früher oder später auch Gorm erfahren oder würde der Anführer sein Wissen für sich behalten? Dann war nicht die Frage ob, sondern wer ihn zur Rechenschaft ziehen würde.

Bjoren löste den Blick und wandte sich wieder dem Sturm zu. Rasch zog Faolán den Bottich zu sich. Jetzt war nicht die Zeit zum Trödeln! Es war die Zeit, zu überleben!

Die Eiswolf-Saga. Teil 3: Wolfsbrüder

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