Читать книгу Die Eiswolf-Saga. Teil 3: Wolfsbrüder - Holger Weinbach - Страница 8

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Anno 966 – Frühling

Kastellan Marek war es gleichgültig, dass der Regen seine Krieger bis auf die Knochen durchweichte. Wobei es weniger die Ritter waren, die der Witterung ausgesetzt waren, wie Konrad mit einem Rundumblick feststellte. Die meisten der anwesenden Schwertträger hatten sich zu ihrem Meister unter das Vordach der Schmiede zurückgezogen. Selbst Wilbert der Schmied hatte sein Feuer im Stich gelassen und stand neben ihnen, um Zeuge der Darbietung auf dem Hof zu sein.

Eine Darbietung, in deren Mittelpunkt Konrad stand – erneut.

Vielmehr: noch immer! Das ungeschliffene Schwert, rostig und schartig, lag plump und schwer in seiner Hand. Zu schwer, nach einem Morgen der Übungen. Atemlos wagte Konrad, sich darauf abzustützen. Leicht nur, unmerklich, um sein schmerzendes Knie zu entlasten, das Lothars letzten Hieb mit dem Schaft der Lanze abbekommen hatte.

Ritter Lothar hatte erst im vergangenen Jahr die Schwertleite erhalten und war über viele Jahre zuerst Page und danach Knappe unter Brandolf gewesen. Er war nicht sonderlich gut auf den neuen Knappen zu sprechen. Konrad vermutete, dass es an seiner deutlich schnelleren Laufbahn lag. Immerhin war er kurzerhand vom Burgherrn zum Knappen ernannt worden, ohne jemals Page gewesen zu sein.

»Halte das Schwert hoch, Knappe. Es ist keine Heugabel, auf die man sich abstützt, wenn man müde wird«, blaffte Lothar ihn an, darauf bedacht, dass vor allem Kastellan Marek ihn hörte. Noch bevor Konrad seine Übungswaffe hochnehmen konnte, stieß Lothar mit der Lanze in seiner Linken zielgenau gegen die Klinge. Konrad verlor den Halt und fing sich mit dem verletzten Bein ab. Der Schmerz in seinem Knie raubte ihm den Atem. Konrad knickte ein, ließ das Schwert fallen und fing sich mit beiden Händen ab.

»Nimm das Schwert aus dem Dreck oder du bist ein toter Mann!«, schrie Lothar und zog sein eigenes Übungsschwert, während er einen Schritt nach vorne machte.

Konrad biss die Zähne zusammen, rollte sich über den nassen Boden nach hinten und ergriff zugleich sein Schwert. Er unterdrückte einen Schrei, als er sich so schnell wie möglich aufraffte. Blitze schossen durch sein Knie, doch er hielt das Schwert abwehrbereit gegen Lothar erhoben. Hätte Marek ihn nicht den ganzen Tag schon durch die Mangel gedreht, hätte Lothar jetzt einen anderen Gegner vor sich. Aber genau darauf legte der Schwertmeister es an. Konrad warf ihm einen kurzen Blick zu und biss die Zähne zusammen.

Der junge Ritter brach seinen Angriff ab. »Sei stets bereit«, blaffte er belehrend, doch Konrad konnte die Enttäuschung in seiner Stimme hören. Zu gerne hätte er Konrad schnell bezwungen. Lothar war überzeugt, der Beste unter den Rittern werden zu können, mit Ausnahme des Kastellans. Selbst Sander gegenüber nahm er den Mund voll und behauptete, in ein paar Jahren in die Leibgarde des Kaisers aufgenommen zu werden. Dabei war Sander der geschickteste Kämpfer, den Konrad jemals gesehen hatte. Er war flink, wusste mit minimalsten Bewegungen und einer hohen Effizienz seine Zweikämpfe zu bestreiten. Und er war nicht zu eitel, Konrad darin zu unterweisen.

›Plane deinen Angriff genau. Sei dir deiner Bewegungen bewusst, bevor du sie ausübst. Spüre die Bewegungen deines Gegners, bevor er sich regt‹, lauteten Sanders Weisheiten jedes Mal, wenn Konrad mit gezogener Waffe vor ihm stand.

Ein Kiesel prallte von Konrads Brust ab und brachte seinen Verstand auf den verregneten Hof zurück. »Denkst du schon an das warme Feuer in der Halle oder träumst du von einem Federbett, Knappe? Und merke dir: Stelle dein Schwert niemals im Wasser ab! Die Klinge wird rosten.«

Irritiert warf Konrad einen Blick auf seine rostzerfressene Klinge. »Viel mehr Rost wird darauf wohl kaum noch Platz finden«, murrte er halblaut.

Kaum hatte er den Mund geschlossen, schoss ihm ein weiterer Stein gegen den Leib. Lothar hatte ihn mit dem Speerschaft aus dem Boden gelockert und gegen Konrad geschleudert. Lothar war schnell und geschickt, das musste Konrad ihm zugestehen.

»Der nächste trifft in dein vorlautes Maul, Knappe.«

Der Schmerz in Konrads Knie pochte. Wie sollte er dem nächsten Angriff standhalten? Sah Kastellan Marek denn nicht, dass er humpelte? Im Gegenteil, der Schwertmeister hatte ihn genau im Auge. Nur wegen einer Blessur würde er seinen Knappen nicht so schnell erlösen.

Lothar lächelte überlegen. Zwei ruckartige Bewegungen ließen Konrad zurückweichen, doch Lothar war stehen geblieben. Von der Schmiede drang Gelächter. Konrad hasste es, von Lothar hinters Licht geführt zu werden. Wäre er frisch und sein Verstand wacher, würde ihm das nicht passieren. Reiß dich zusammen, ermahnte er sich.

Sei auf der Hut, erinnerte er sich sogleich an Sanders Ratschlag, sei jeden Augenblick zu jeder Bewegung bereit. Plane deinen Angriff in einem Herzschlag. Entscheide, welche Waffe dich zuerst angreifen wird. Wenn du es weißt, sei schneller als dein Gegner.

Konrad musste sich entscheiden. Schwert oder Spieß? Klinge mit eigenem Schwert wegdrücken. Speer mit dem Körper abblocken. Fester Tritt gegen Speerschaft und aus Lothars Hand befördern. Er nahm das Schwert in die andere Hand, beugte sich nach vorne und rieb sein verletztes Knie.

»Hoffst du jetzt auf Mitleid?«, spottete Lothar und sah sehnsüchtig zu seinen Gefährten im Trockenen.

»Lass ihn tanzen!«, forderte einer der Zuschauer und andere unterstützten ihn mit Gelächter. Ein rhythmisches Klatschen folgte.

Konrad schloss die Augen. Er musste es schaffen. Wie damals, als er als Knappe aufgenommen wurde. Es war nur ein Langstock gewesen. Ein Plan. Ich brauche einen Plan innerhalb eines Herzschlages.

Und dann tauchten die Bilder auf. Die Bewegungsabläufe waren wie eine Erinnerung in seinem Kopf. Als wäre es schon geschehen. Diesmal bezog er alle Eventualitäten mit ein. Schnelligkeit und Präzision waren die Schlüssel.

Bevor Lothar seine Aufmerksamkeit von der Schmiede wieder nach vorne richtete, hatte Konrad seine vorgetäuschte Schonhaltung verlassen. Das Schwert hielt er noch immer in der linken Hand. Mit der Rechten griff er nach Lothars Speerschaft, mit der Linken schob er die Klinge an der Ellenbeuge vorbei und riss dann mit dem Heft Lothars Arm nach hinten. Überraschung stand in Lothars Gesicht geschrieben. Während er nach hinten taumelte, packte Konrad den Spieß, drehte ihn und drückte die Spitze gegen Lothars Halsschlagader.

Der Ritter erstarrte.

»Du bist tot!«, hauchte Konrad. Sein Puls dröhnte ihm in den Ohren.

Lothar verzog das Gesicht und rang um eine Antwort.

»Wer bringt hier wem das Tanzen bei?«, ließ die Häme von der Schmiede nicht lange auf sich warten.

»So eng habe ich Lothar bisher nur mit einem Mädchen gesehen«, kommentierte ein anderer und erntete lautes Gelächter.

»Na los, bringt es hinter euch und küsst euch!« Noch mehr Gelächter und Pfiffe.

Lothars angespanntes Gesicht war dicht an dem Konrads. Dann spuckte er seitlich auf den Hof. »Das hebe ich mir für eine richtige Frau auf. Vielleicht versuche ich ja heute Abend mein Glück bei unserem Burgfräulein.«

Ehe Konrad sich versah, drehte Lothar sich aus dem Griff und brachte sich in Position für einen neuen Kampf. »Bin gespannt, ob du das wiederholen kannst.« Sein Gesicht war eisern. Er hob sein Schwert und war bereit.

»Ich fürchte«, donnerte des Kastellans Stimme über den Hof und brachte schlagartig das Geschnatter der Männer zum Erliegen, »Lothar hat für heute genug. Er scheint müde zu sein.«

Entgeistert senkte Lothar sein Schwert und ging mit energischen Schritten dem Kastellan entgegen. »Meister Marek, ich bitte Euch. Einen weiteren Kampf! Ich brauche nur noch diesen einen.«

»Du brauchst ein heißes Bad, würde ich sagen«, entgegnete der Schwertmeister ohne eine Regung. »Deine Muskeln sind kalt.«

Lothar stockte. »Mir ist nicht kalt! Ich kann es Euch beweisen.«

»Beweis es lieber heute Nacht bei einer der Mägde«, kam es von einem der hinteren Männer. Lothars feuriger Blick suchte nach dem Spötter, fand aber nur Gelächter.

»Für heute ist es genug!« Der Kastellan ließ keinen Zweifel an seiner Entscheidung aufkommen. »Sieh dir unseren Knappen an. Wenn du nicht aufpasst, stolpert er dir noch in die Klinge.«

Konrads Rücken straffte sich. Er wollte sich breitbeinig und kampfbereit hinstellen, doch als er das verletzte Knie belastete, zog er es mit schmerzverzerrter Miene zurück.

Marek wandte sich an Sander. »Bring ihn zu Barbara. Und für den Rest ist die Vorstellung beendet«, bellte der Kastellan über die Köpfe hinweg. Noch immer scherzend, nahmen einige der Krieger Lothar in ihre Mitte und trollten sich zur großen Halle.

Marek zögerte noch einen Moment, dann nickte er Konrad knapp zu und folgte ihnen. Einige Ritter um Sander aber blieben und holten Konrad aus dem Regen unter das Vordach der Schmiede.

»Selten ein so schnelles Ende bei Lothar gesehen«, lobte Ansgar.

»Ich weiß nicht, wen Marek schützen wollte. Lothar oder Konrad?«, frotzelte Rodebert, den sie aufgrund seiner Haarfarbe den Roten nannten.

»Daran wird der Heißsporn lange kauen.« Ansgar sah zur Halle, wo Lothar verschwunden war. »Vielleicht ist es ihm eine Lehre, den Mund nicht immer so voll zu nehmen.«

»Und der Papst heiratet an Ostern«, beurteilte Lambert die Wahrscheinlichkeit für Lothars Einsicht.

»Das war so ziemlich das größte Kompliment, das du als Knappe von unserem Schwertmeister erwarten kannst«, übersetzte Sander das minimalistische Nicken des Kastellans und die anderen bekräftigten es. »Geht schon voraus, wir kommen später nach«, sagte er zu den drei Rittern. Sie nickten Konrad noch einmal anerkennend zu und gingen dann ebenfalls in die große Halle.

Sander bot Konrad einen Arm an. »Stütze dich, sonst wird es noch schlimmer, bis wir bei Barbara sind – und du weißt, dass Barbara nicht zimperlich ist. Habe gehört, dass Knappen, die wegen einer Prellung zu ihr gegangen sind, ihre Unschuld verloren haben. Wahrscheinlich hat sie auch gleich nach Schwellungen bei ihnen gesehen.«

Sander setzte sein entwaffnendes Grinsen auf und zuckte mit den Schultern. »Ist nicht das Schlechteste, was dir passieren kann, habe ich gehört. Aber wie du aussiehst, hast du deine Unschuld schon verloren.«

Konrad versuchte, den seitlichen Blick Sanders zu ignorieren, und griff nach dem angebotenen Arm. Er spürte deutlich, wie ihm die Röte ins Gesicht schoss.

Sanders Arm sank nach unten. »Es ist nicht wahr, oder? Sag mir, dass es nicht wahr ist? Du bist noch …«, Sander senkte seine Stimme, »ein Knabe? Jungfräulich?«

Hitze loderte Konrad bis in die Haarspitzen. Wie oft hatte er den Frauengeschichten der Ritter gelauscht und sich vorzustellen versucht, wie es wohl sein mochte, bei einer Frau zu liegen. Vielmehr stellte er sich vor, wie es wohl wäre, bei Lydis zu liegen …

Als er Sanders prüfenden Blick begegnete, spürte er noch mehr Scham in sich aufsteigen. »Nein«, log er halbherzig. »Ich bin kein Knabe mehr. Ich habe es schon oftmals –«

»Auf die Erde fallen lassen. Ich verstehe«, unterbrach ihn Sander und tätschelte Konrads Arm, als wäre er ein altes Weib, dem er über den Burghof half. »Ich vergaß, dass du das Pech hattest, unter Mönchen aufzuwachsen. Eine Schande ist das. Du bist im besten Alter. Du solltest den jungen Mädchen zeigen, was du hast. Vielleicht nehme ich dich das nächste Mal nach Waldesheim mit. Es gibt da ein Mädchen in Gertruds Haus, das könnte ganz nach deinem Geschmack sein.«

»Nein«, schoss es aus Konrad hervor. »Nein, lieber nicht.«

Sander nickte. »Da spricht der Mönch aus dir, obwohl du das Gelübde nicht abgelegt hast. Aber es ist deine Entscheidung. Wenn du deine Meinung je ändern solltest, lass es mich wissen.«

Mit einem Ruck zog Sander Konrad weiter, schneller als der humpeln konnte. »Wie hast du Lothar besiegt?«, wechselte er das Thema. »Du hast genau einen Versuch benötigt, wie ich gewettet habe.«

»Ihr habt gewettet?«, wiederholte Konrad ungläubig.

»Kein Vermögen, du kannst unbesorgt sein. Aber wie hast du es letztendlich geschafft? Wenn ich mich an deine Bewährungsprobe vor dem Kastellan erinnere, hast du drei Mann mit einem Stock das Fürchten gelehrt. Das gegen Lothar war ähnlich. Schnell, vorausschauend. Was geht in dir vor?«, präzisierte Sander seine Frage. Er hielt seinen Blick geradeaus, während er Konrad führte.

Konrad zögerte. Er hatte niemandem anvertraut, dass er den Verlauf eines bevorstehenden Kampfes wie eine wahrscheinliche Erinnerung in seinem Geiste sah, bevor sich überhaupt jemand regte. Er wusste nicht, ob er das einem Veteranen wie Sander offenbaren konnte. Würde er ihn auslachen?

»Oder hast du es gesehen?«, traf Sander ins Schwarze.

Konrad blieb stehen. In Sanders Gesicht lag eine Zufriedenheit, als hätte er die nächste Wette gewonnen. »Du siehst es, nicht wahr? Du siehst die Bewegungen deiner Gegner, bevor sie sich regen.«

Konrad biss sich auf die Zunge.

Sein Schweigen war Sander Antwort genug. »Das ist die Gabe, Junge!« Er zog Konrad weiter. »Lass uns aus dem Mistwetter gehen, sonst packt uns Barb noch in einen dampfenden Zuber. Und ich weiß, wie gerne sie ihren Blick über nackte, junge Burschen wie dich gleiten lässt …« Sanders Grinsen war zurück.

»Was genau meinst du mit dieser Gabe?«, brachte Konrad schließlich hervor, nicht sicher, ob er die Antwort tatsächlich hören wollte.

»Die Gabe, schneller zu sein als andere. Auf dem Schlachtfeld zu überleben, nicht nur durch Zufall«, antwortete Sander ernst. »Die Gabe, strategische Züge des Gegners vorauszuahnen. Sie blitzschnell zu analysieren und zu deinem Vorteil zu nutzen.« Sander hielt vor einer Tür und sah Konrad ernst an. »Eine Gabe, die einen Führer von einem Gefolgsmann unterscheidet.«

Bevor Konrad antworten konnte, stieß Sander die Tür auf, hinter der in einer Kammer eine füllige Frau mit dem Rücken zu ihnen an einem Webstuhl saß.

»Wenn mich meine müden Augen nicht täuschen, gibt Sander mir die Ehre«, sprach Barb die beiden Männer mit ihrer filigranen Stimme an. »Wie kann ich dir zu Diensten sein? Ich hoffe doch, nicht wieder eine Verletzung!«

»Ich fürchte doch«, gestand Sander mit ungewohnt blumiger Stimme. Konrad sah ihn an, um sicherzugehen, dass es tatsächlich Sander war, der gesprochen hatte.

»Ich hoffe, diesmal bist es wenigstens du, den ich verbinden darf«, erwiderte Barbara und drehte sich um.

»Ich muss dich abermals enttäuschen.« Sander setzte eine entschuldigende Miene auf und schob Konrad zum leeren Tisch. »Konrad hat sich das Knie verdreht.«

Barbara erhob sich, und Konrads Augenmerk wurde unweigerlich auf ihre üppigen Brüste gelenkt, die sie durch einen weiten Ausschnitt stolz zur Schau trug.

Lächelnd ging Barbara zu einem Regal mit verschiedenen Töpfen. Zielsicher griff sie sich einen heraus. »Kleiner, setz dich schon mal auf den Tisch und mach dein Knie frei.«

Konrad begann, den Gürtel zu lösen, da schüttelte Sander energisch den Kopf. Er deutete auf das Hosenbein und machte eine rollende Handbewegung. Konrad verstand. Schnell wickelte er das Hosenbein bis über das Knie hoch und setzte sich auf den Tisch.

Barbara stellte mehrere Töpfe mit Salben neben ihm ab. »Immerhin ist Konrad ein gutaussehender Knappe. Nicht so wie dieser Lothar. Was ist das für ein Drama, jedes Mal, wenn er zu mir kommt. Tut immer so, als müsste er durch die Hölle gehen.« Sie besah sich Konrads Knie und sah ihm dann tief in die Augen. »Du hingegen bist aus anderem Holz geschnitzt! Mit ähnlichen Schwellungen habe ich schon gestandene Männer jaulend hereinkommen sehen. Du aber gibst keinen Laut von dir. Bist ein harter Hund, ganz nach Mareks Geschmack, wie?«

Kopfschüttelnd holte sie mit zwei Fingern eine gelbliche Paste aus einem der Töpfe. Mit geübten, zarten Händen begann sie, das violette Knie einzureiben. Konrad schloss die Augen und verdrängte die Gedanken um Lothar, indem er sich ganz auf Barbaras sanfte Berührung konzentrierte. Wärme umgab die Verletzung und der Schmerz ließ nach. Sein gesamter Körper entspannte sich, und Konrad atmete tief durch.

Da bemerkte er, dass Barbaras Hände allmählich größere Kreise zogen und den Oberschenkel hinauf wanderten.

»Wie weit soll ich deine Schmerzen behandeln, Kleiner?«, flötete Barbaras Stimme in Konrads Ohr. Mit einem Mal saß er steif auf dem Tisch.

»Das Knie. Nur das Knie«, brachte er heraus.

»Dann wären wir aber schon fertig, mein Süßer«, bedauerte Barbara, ohne aufzuhören. »Bist du dir sicher?« Barbaras Hand blieb viel zu nahe an Konrads Leiste liegen.

»Ganz sicher! Nur das Knie. Danke.«

»Er weiß, was er will. Nimm dich vor ihm in acht, Sander, er könnte Mareks neuer Liebling werden.«

»Wenn er es nicht schon längst ist«, antwortete Sander unbekümmert und grinste Barbara an. »Solange du ihn nur auf den Beinen hältst.«

Barbara nahm die Tontöpfe vom Tisch und brachte sie ins Regal zurück. »Jederzeit, mein Bester. Jederzeit.«,

Sander half Konrad vom Tisch. »Wir danken dir für deine Hilfe, Barbara. Ich werde mich erkenntlich zeigen.«

Barbara winkte ab. »Ach, geht schon, bevor ich dich beim Wort nehme …«

Mit breitem Grinsen riss Sander die Tür auf und zog Konrad hinter sich her. Auf dem Weg zur Halle wirkte Sander nachdenklich. Schließlich gab er preis, was ihn beschäftigte. »Mich lässt nicht los, was du mir vorhin offenbart hast. Dein Geheimnis um deine Unschuld ist bei mir gut aufbewahrt. Aber wenn du für Abhilfe sorgen möchtest, ich kann dich gerne einmal mit nach Waldesheim nehmen. Die Hübschen dort sind …«

»Ich habe nichts dergleichen vor«, fiel Konrad ihm ins Wort und hoffte, Sander möge das Thema wechseln.

Der Ritter erwies ihm den Gefallen nicht. »Aber wenn du mich fragst, so gibt es auf der Burg niemanden in deinem Alter, der es nicht schon hinter sich hat.« Konrad schwieg, spürte jedoch erneut, wie ihm die Hitze in den Kopf stieg. »Oder gehörst du zu der edlen Sorte Männer, die es sich für die eine Auserwählte aufspart?«

Konrad mied es, Sander anzusehen. Er humpelte durch den Nieselregen zur großen Halle, ohne sich auf den angebotenen Arm des Kriegers zu stützen.

»Das ist es also! Du wartest auf die Richtige!« Sander pfiff durch die Zähne. »Das ist eine Kampfansage! Die Richtige auf dieser Burg zu finden, ist eine große Herausforderung. Wer dafür in Frage kommt, kann ich mir an einer Hand abzählen, selbst wenn ich zwei Finger verloren hätte!«

Konrad schwieg. Diesbezüglich benötigte er Sanders Rat nicht. Er hatte die Richtige längst gefunden. Nur wusste er nicht, wie er es anstellen sollte, sie auf sich aufmerksam zu machen. Er wagte sich, mit Schwert und Schild gegen die besten Ritter der Burg anzutreten, doch wenn es um Lydis ging, hatte er noch nicht den richtigen Weg gefunden, sie anzusprechen. Es war keine Furcht vor ihr, sondern die Angst, das Falsche zu sagen. Es mussten die perfekten Worte sein, wenn er sie ansprach. Wie ein Angriff, der dem Gegner keine Chance ließ. Nicht nur für den ersten Hieb! Nein, er brauchte ganze Sätze für einen ersten Schlagabtausch. Nur im Gegensatz zu einem Kampf sah Konrad überhaupt nicht voraus, wie Lydis reagieren würde.

Wie hatte Faolán das bei Svea gemacht? Was waren ihre ersten Worte gewesen, worüber handelte ihr erstes Gespräch? Sicher war es Faolán leicht gefallen. Wie sonst hätte er es als Novize fertiggebracht, in Neustatt ein Mädchen zu finden? Wo er doch nur alle paar Wochen dort gewesen war – und das unter den Adleraugen des Kellermeisters.

Konrad hätte Ering fragen können. Auch wenn er nichts über Frauen wusste, so war er doch der Wortgewandte unter ihnen gewesen. Sicherlich wäre ihm etwas Passendes eingefallen. Wo waren seine Freunde, wenn er sie brauchte?

»… und zu guter Letzt hätten wir da noch die wahrhaftig reine und holde Lydis.« Der Name brachte Konrads Kopf zurück auf den Burghof. Sander sprach weiter. »Aber wenn du dich umhörst, so ist sie für jedermann die Richtige, auf die es sich zu warten lohnt. Nur ist sie so leicht zu haben wie eine reife Kirsche auf dem höchsten und dünnsten Ast des Baumes.«

Sander öffnete die Tür zur Halle und führte Konrad hinein. Im Innern war es lebhaft. Das Wetter hatte viele Burgbewohner in die Halle getrieben, wo sie sich mit ihrem Tagewerk beschäftigten: kleinere Reparaturen und Handarbeit. Zu Konrads Erleichterung vertiefte Sander seine Ausführungen um Lydis nicht.

Konrads Blick schweifte über die Köpfe der Anwesenden. Kastellan Marek saß am Kopf einer Tafel bei seinen Männern. Lothar war auch dabei, mit sichtlich getrübter Laune. Hinter dem Kastellan öffnete sich die Tür, die zum Bergfried führte. Herein stürmte der junge Heinrich, gefolgt von Lydis, die lächelnd in der Tür stehen blieb und ihrem Bruder nachsah.

Konrad erstarrte. Wie jeden Abend, wenn Lydis zum Mahl die Halle betrat. Ihr blondes Haar, das sie meist zu einem dicken Zopf geflochten trug, war offen und glänzte wie verzaubertes, feines Garn im Schein der Talglichter. Ihr Kleid besaß die Farbe ihrer Augen und floss um ihre Hüften wie ein milder Frühlingsbach.

Konrad blinzelte. Wie kam er auf solche Vergleiche? Noch nie hatte er …

»Sie ist es, nicht wahr?« Sander sah Konrad prüfend und mit einem Schmunzeln an. »Sag mir, dass ich mich irre und ich reite heute noch aus, um dir deine holde Maid zu suchen. Aber ich glaube, sie ist bereits hier. In dieser Halle. Nicht wahr?«

Widerwillig wandte Konrad sich Sander zu. Der Ritter hob beschwichtigend die Hände. »Keine Sorge, auch dieses Geheimnis ist bei mir sicher aufbewahrt. Und ich werde sie dir nicht streitig machen. Immerhin bin ich ein gutes Dutzend Jahre älter als du. Zu alt für ein so junges Mädchen.« Plötzlich sah er Konrad entsetzt an. »Das macht mich beinahe doppelt so alt wie sie! Darauf brauche ich einen Schluck Bier. Du sicherlich auch.«

Sander wartete die Antwort nicht ab und ging quer durch die Halle. Konrad humpelte zu einer Bank am Rand, setzte sich und versank in Gedanken. Wenn Sander seine Gefühle erraten konnte, wer auf der Burg konnte es noch? Marek? Bertram? Goswin? Am Ende sogar Lothar? Wenn Lothar davon erführe, würde er versuchen, Konrad wegen seiner Gefühle zu Lydis vor allen Rittern lächerlich zu machen. Und die meisten waren jünger als Sander. Das bedeutete noch mehr Konkurrenz!

Konrad hatte gar keine andere Wahl: Er musste bald den ersten Schritt wagen. Um selbst Gewissheit zu erhalten. Um den Lothars der Welt keine Gelegenheit zu geben, sich die Mäuler zu zerreißen.

Die Bank vibrierte, als sich jemand neben ihn setzte. Konrad konnte jetzt einen kräftigen Schluck Dünnbier verkraften. Erwartungsvoll wandte er sich Sander zu – doch es war nicht Sander, der neben ihm saß. Wie Lots Frau aus der biblischen Geschichte erstarrte er. Seine Lippen verwandelten sich zu Granit.

»Du hast dich heute wacker geschlagen. Die Männer erzählen sich, du hättest Lothar gleich beim ersten Versuch bezwungen?«

Lydis’ Stimme war das zauberhafteste Lied, das Konrads Ohren jemals berührt hatte. Ihre Augen waren größer und tiefer als der Burgbrunnen. Ihre blassen Lippen so zart, dass sie zum Sprechen schon beinahe zu schade waren.

»Ich hoffe, dir nicht zu nahe getreten zu sein«, entschuldigte Lydis sich, die Konrads stieren Blick und das Schweigen missverstand.

Als sie ansetzte, sich zu erheben, riss die Bewegung Konrad aus der Starre. »Nein. Warte!«

Zu stürmisch und falscher Tonfall …, raunte eine Stimme in seinem Hinterkopf, die sich verdächtig nach Ering anhörte. Sie ist kein Ritter auf dem Burghof. »Ich meine, ja, es ist wahr. Ich habe Lothar bezwungen. Aber er ist nicht sonderlich erfahren.« Prahlerei könnte sie anwidern, mahnte Erings Stimme. »Ich wollte sagen, es war ein glücklicher Zufall. Ich denke nicht, dass ich als Knappe …«

»Weshalb nicht?«, unterbrach Lydis ihn mit ungebrochenem Lächeln. »Sander spricht schon seit Wochen in den höchsten Tönen von dir. Er habe selten einen gelehrigeren und talentierteren Knappen als dich gesehen. Auch wenn ich Meister Marek selten über seine Männer sprechen höre, glaube ich doch, dass er Sanders Meinung teilt.«

Lydis’ Strahlen war Sonnenaufgang und der erwachende Frühling zugleich. Es schickte ein Krabbeln unzähliger Marienkäfer in Konrads Bauch, das er nur in ihrer Gegenwart spürte. Und so nah wie jetzt war sie ihm noch nie gewesen. Sein Magen verknotete sich.

»Das behauptet er?«, hörte er sich antworten. Eitelkeit ist eine Sünde und wird eine junge Dame nicht beeindrucken, erhob Ering in Konrads Kopf Einspruch. So sehr er sich vor wenigen Augenblicken noch Erings Beistand gewünscht hatte, jetzt fand er ihn wenig hilfreich. Er schloss für einen Moment die Augen und versuchte, seinen Freund aus seinen Gedanken zu verbannen.

»Der Preis für deinen Erfolg war hoch, wie ich sehe«, zwitscherte Lydis’ Stimme in Konrads Ohren.

Er sah ihr in die Augen. Sie waren Ozeane und das Firmament zugleich. Was meinte sie? Welchen Preis?

Zaghaft deutete Lydis auf Konrads entblößtes, geschwollenes Knie.

Als hätte sie ihn berührt, zuckte Konrads Bein zurück. Hastig rollte er das Hosenbein runter. Die Erinnerung an Barbaras Behandlung trieb ihm Hitze in den Kopf.

»Oh, ich habe bereits etliche Männerknie gesehen, keine Sorge. Auch schönere als deines, violett wie es ist.« Ein leises, heiteres Lachen kam über ihre wunderbaren Lippen, das Konrad so sehr an ihr liebte. Er war versucht, ihr dafür sein Knie erneut zu zeigen. Sie fand es nicht sonderlich reizvoll, erinnerte er sich und legte seine tatenlosen Hände wieder neben sich ab.

»Es war … eine völlige Fehleinschätzung, die dazu geführt hatte«, gestand Konrad, unfähig, Lydis’ Augen zu entkommen.

»Lothar ist ein guter Streiter und auf dem besten Weg, Mitglied in unseres Kaisers Leibgarde zu werden, wenn man seinen Worten Glauben schenken mag«, antwortete Lydis kichernd. »Umso niederschmetternder muss dein heutiger Sieg für ihn sein.«

»Sieg würde ich das nicht nennen«, hüstelte Konrad. »Wie gesagt, eher ein glücklicher Zufall. Wollen wir uns darauf einigen?«

»Ich glaube nicht an Zufälle. Das würde das Leben doch nur unberechenbar machen. Nichts wäre planbar. Jeder neue Tag brächte noch mehr Ungewissheit mit sich.« Sie beugte sich Konrad entgegen und hinter vorgehaltener Hand flüsterte sie: »Ich mag die Schicksalsergebenheit nicht, die mir die Priester weiszumachen versuchen. Und ich hasse Zufälle und ziehe es vor, mein Leben selbst planen zu können.«

»Ich auch«, pflichtete Konrad ihr bei. Ihr Grinsen verbarg sie hinter der Hand. Konrad fragte sich, ob es sich für die Tochter des Burgherrn geziemte, derart zu sprechen. Aber gerade das machte sie in seinen Augen noch attraktiver.

»Dann rate ich dir, dass es keine weiteren Zufälle gibt. Denn ein zufälliger Knappe hat einen schlechten Stand. Ein zufälliger Ritter noch mehr. Wenn er nur zufällig gewinnt, wird er eines Tages zufällig sterben – wahrscheinlich zufällig schnell.«

Lydis erhob sich, zauberhaft lächelnd, und ging ohne weitere Worte.

Konrad sah ihr sprachlos nach. Was meinte sie mit ihrer letzten Andeutung? Dachte sie etwa wie Sander und der Kastellan? Bis jetzt war er auf der Burg doch nur ein unbedeutender Knappe mit einem großen Traum gewesen.

Nein, es waren zwei Träume, korrigierte er sich. Er wollte Ritter werden und er wollte Lydis.

Sander kam mit zwei Bechern in der Hand zurück. Auf dem Weg kreuzte er Lydis’ Weg. Konrad beneidete den Ritter, wie ungezwungen er mit ihr plauderte. Als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Er lachte sogar mit ihr. Wie stellte Sander das an? Sanders Schlag bei Frauen war kein Geheimnis, aber wie machte er das? War es erlernbar, wie der Umgang mit dem Schwert? Könnte Sander es ihm beibringen?

»Das war dann wohl der erste Schritt auf einem langen Weg.« Sander setzte sich neben Konrad und drückte ihm einen gefüllten Becher in die Hand. »Und wenn ich mich nicht täusche, hat sie ihn gewagt. Du mutiger Krieger!«

Die Eiswolf-Saga. Teil 3: Wolfsbrüder

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