Читать книгу Die Eiswolf-Saga. Teil 3: Wolfsbrüder - Holger Weinbach - Страница 6
ОглавлениеAnno 966 – Die Prophezeiung – Prolog
Erik Segersäll war König der Svear. Der Erste Mann seines Volkes. Und er war es nicht, weil er die Dinge auf sich zukommen ließ. Oder weil er abwartete. Er war König, weil er handelte. Er war der Erste, weil er die Svear entschlossen führte. Umso mehr hasste er es, untätig warten zu müssen!
Doch im Augenblick hatte er keine andere Wahl. Er übte sich in Geduld, während er in Jorunds Hütte saß und wartete. Wie schon viele Male zuvor in den vergangenen Monaten. Doch die Antwort auf die drängendste seiner Fragen war bisher ausgeblieben: Wann würde Bjoren Langarm zurückkehren? Vor über einem Jahr war er auf große Fahrt gegangen, um dem Ratschlag der Götter zu folgen. Um zu finden, was über Birkas Schicksal entscheiden sollte: Einen Wolf! Das zumindest waren die Worte der Götter. Obwohl Erik nicht wusste, wie ein Raubtier derartigen Einfluss auf die wichtigste Handelsstätte der Svear haben sollte, hatte er sich Odins Willen gebeugt und im vergangenen Frühjahr drei seiner schnellsten Langschiffe unter Bjorens Befehl auf die Suche nach diesem Wolf ausgesandt.
Erik streute eine Kräutermischung auf die heißen Steine am Rande der Feuergrube, wie Jorund es ihm aufgetragen hatte. Dünne Rauchsäulen kräuselten zum Dachfirst empor. Ein beißender Geruch stieg ihm in die Nase und er rieb sich über den Nasenrücken, um den Niesreiz zu bändigen. Nichts sollte Jorunds Konzentration stören. Oder wie Erik es nannte: seine Reise zu den Göttern.
Um seine Hände zu beschäftigen, fuhr er sich durch den gepflegten Bart. Sein Blick wanderte in das Dachgebälk hinauf. Nur wenig Licht drang an diesem Frühlingsmorgen durch die kleinen, dreieckigen Öffnungen an den Giebelseiten der fensterlosen Kate. Doch das wenige Licht verstärkte eher die drückende Dunkelheit in den Ecken. Die Rauchschwaden des Feuers und der verglühenden Kräuter umtanzten und vermischten sich, stiegen auf und blieben unter dem First hängen, bis sie durch die hellen Löcher in den Giebelwänden abzogen.
Vergeblich versuchte Erik, die Düfte der Kräuter zu unterscheiden. Je mehr er davon einatmete, umso benebelter wurden seine Sinne. Blinzelnd sah er zu Jorund hinüber, auf den das Räucherwerk offensichtlich eine andere Wirkung hatte. Der heilige Mann wiegte sich sanft vor und zurück und starrte mit seinen weißen, blinden Augen in Welten, die Erik zu Lebzeiten verschlossen bleiben sollten. Für Jorund hingegen war das Tor nach Walhall bereits jetzt weit geöffnet und er war ein geschätzter Gast an der Tafel der Götter. Zumindest entsprach das Eriks Vorstellung. Wie Jorund mit den Göttern sprach, wusste er nicht. Ein heiliger Mann sprach niemals über den Zugang in die Anderswelt. Es war sein Geheimnis, und er würde es mit in den Tod nehmen.
In Gedanken verloren bemerkte Erik, dass Jorund zu summen begonnen hatte. Er konzentrierte sich darauf, schärfte all seine Sinne, was ihm schwerfiel. Es war keine Melodie, sondern ein tiefer, kehliger Ton, der langsam anschwoll. Schließlich sprach der Weise der Svear mit rauer Stimme:
»Wenn das Wasser weicht, werden sie kommen,
Zwei Wölfe der Welten, um sich zu jagen.
Die Stadt wird entzweit
und der Helden Söhne werden gerufen.
Brüder werden sich gegenüberstehen,
um Seite an Seite in Walhall einzuziehen.
Wenn Mütter um ihre Söhne weinen
und Väter ihre Taten in Ehren halten,
wird einer der Wölfe das Licht verschlingen
und Dunkelheit heraufbeschwören.
Der Schwan wird die Tochter davontragen,
doch ihr Geist soll bleiben
und Vernunft bringen, wenn Blindheit droht.
Das Feuer wird die Nacht erhellen,
in der die Wölfe sich zerreißen.
Nur einer von ihnen kehrt zurück,
auf verschlungenen Pfaden.
Gezeichnet mit der Bestie,
vermag er die Tote auferstehen zu lassen,
mit ihrer Hilfe Herrscher zu vereinen
und als Wolf heimzukehren.«
Stille kehrte in die Hütte zurück. Die Worte des Weisen verwoben sich mit dem Rauch, nahmen Form an und stiegen empor, um eins mit dem Gebälk und den unzähligen Weissagungen aus früheren Tagen zu werden. Erik wiederholte sie in Gedanken, um keines zu vergessen. Ein frischer Duft stieg ihm in die Nase und seine Sinne schärften sich.
»Behalte die Worte nicht nur in deinem Verstand, sondern vor allem in deinem Herzen«, riss Jorunds klare Stimme ihn aus der Konzentration. »Von den Göttern gegeben, wird diese Prophezeiung sich zur rechten Zeit erfüllen.« Erik wollte etwas erwidern, doch der Weise hob Stillschweigen gebietend einen Zeigefinger. »Ich weiß, dass du noch weitere Fragen hast, aber mehr kann ich heute nicht für dich tun. Bjoren wird die Antworten mit sich bringen, die du suchst. Bis dahin wirst du Geduld beweisen müssen, Erik, so schwer es dir auch fallen mag.«
»Bjoren kehrt zurück?«, entgegnete der König erleichtert. Zumindest das war eine Antwort, auf die er gehofft hat. Doch das milde Grinsen des Alten deutete an, dass seine Worte alles bedeuten konnten. »Wann?«
»Habe Vertrauen in die Götter.« Jorunds Grinsen wurde noch breiter, und er machte eine ausschweifende Geste in den Raum. »Einzig der Wanderer Odin weiß, was geschehen wird. Handelt Bjoren nach seinem Willen und Plan, wird der Göttervater ihm wohlgesonnen sein und ihm den Weg weisen.«
»Ist er Birka gegenüber wohlgesonnen?«, stellte Erik die nächste drängende Frage.
Jorunds Hände sanken in den Schoß zurück. Sein Lächeln ließ nach. Die Falten in seinem Gesicht wurden tiefer. »Die Götter haben Birkas Schicksal in die Hände der Menschen gelegt«, murmelte er. »Wir sind es, die über die Zukunft der Stadt entscheiden. Wir und die Wölfe. Und jetzt brauche ich Ruhe. Seit Sibbe gegangen ist …«
»Lass mich dir eine neue Gehilfin bringen«, antwortete Erik besorgt. Es missfiel ihm, dass Jorund auf der anderen Seite der Insel lebte, so weit von Birka entfernt wie auf Björkö nur möglich. »Es gibt genügend junge Frauen, die sich geehrt fühlten, unter deiner Führung die Pfade der Götter erkunden zu dürfen.«
Jorund schüttelte erschöpft den Kopf. »Das glaube ich dir gern. Und doch ist keine von ihnen geeignet! Du warst dabei, als ich sie mir angesehen habe. Aber ich danke dir für deine Fürsorge. Geh jetzt und denke über die Worte der Götter nach. Denn das ist es, was du tun solltest. Seit der Frühling zurückgekehrt ist, komme ich bestens zurecht.«
»Willst du dich nicht an meinem Feuer wärmen?«, drängte Erik. »Dort könnte ich für dich sorgen, wie im vergangenen Winter. Du kannst hier unmöglich allein leben.«
»Die Götter sind mit mir, und ich habe alles, was ich benötige. Einer deiner Männer kommt ohnehin jeden Tag und sieht nach mir, schichtet das Brennholz vor die Tür, und verhungern muss ich dank Ferun auch nicht.« Jorund nickte sachte mit dem Kopf und schmunzelte wieder, als lauschte er einer lieblichen Weise. Oder flüsterten ihm die Götter etwas zu?
»Aber meine Krieger können dich unmöglich vor Gefahren schützen, wenn sie nicht ständig in deiner Nähe sind. Solltest du in Not geraten, werden die Götter dir auch dann beistehen und dir den Weg weisen?«, versuchte Erik, den Alten zu überzeugen, obwohl er die Antwort kannte.
»Erik Segersäll, du wirst mich ebenso wenig von hier fortbekommen wie einst dein Vater. Es ist dieser Ort, an dem ich die Stimmen der Götter vernehme, und nicht in deiner lärmenden Halle. Sollte der Winter nicht überraschend zurückkehren, bleibe ich hier.«
Erik sah den Weisen kopfschüttelnd an und erhob sich. »Mögen die Götter mit dir sein.«
»Das sind sie, mein Freund, das sind sie«, schmunzelte Jorund.
Einen Augenblick noch wartete Erik, doch er wusste, dass alle weiteren Fragen unbeantwortet vergehen würden wie der Rauch im Gebälk. Er erhob sich und verließ die Kate.
Draußen blendete ihn das Licht der Frühlingssonne. Er kniff die Augen zusammen. Die satten Farben wirkten im ersten Augenblick unwirklich, und die klare Luft flutete seine Lungen wie die eines Neugeborenen. Noch einmal wiederholte er die Weissagung in Gedanken. Wölfe, die sich zerreißen und über Birkas Schicksal entscheiden.
Ein halbes Dutzend seiner Männer wartete nahe dem Ufer. Einer von ihnen brachte Eriks Pferd, und er saß wortlos auf. Noch einmal sah er zur Hütte des Weisen. »Alter, dickköpfiger Mann«, murmelte er kopfschüttelnd, aber ohne jeden Groll. »Wenn du doch nur nicht immer in Rätseln sprächest!«
Er trat seinem Pferd in die Flanken und trieb es in den Wald, zurück nach Birka.