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Dritter Montag

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Über Nacht war es merklich kühler geworden. Der Regen hatte aufgehört, die Straßen waren sogar schon getrocknet, am Himmel trieben noch vereinzelte Wolken, doch laut Wetterbericht war nur mit einzelnen Schauern zu rechnen. Als er kurz nach acht Uhr ins Büro kam, war Anielda schon unterwegs, er fand einen Zettel, den sie unter seiner Tür durchgeschoben hatte.

Bis Lattenburg waren es knapp 40 Kilometer, und sobald er die B 111 verlassen hatte, konnte er zügig fahren. Zu Wochenbeginn machte es ihm nichts aus, hinter dem Steuer zu hocken, aber am Freitag war er oft so weit, dass er schon stöhnte, wenn er die Autotür aufschloss.

Lattenburg lag im Westen, eine kleine, wenig attraktive Stadt, die von dem Ruhm zehrte, dass der Landesherr, der den aufmüpfigen Bürgern seiner Hauptstadt nach 1848 nicht mehr traute, das Kriegsarsenal auf die Burg verlegte. Für gut 20 Jahre erlebte das Städtchen einen bescheidenen Aufschwung durch Adel und Offiziere, die sich hier niederlassen mussten; nach der Reichsgründung war es mit dieser Herrlichkeit vorbei, und Lattenburg versank erneut in Schläfrigkeit. Die hatte eine gewisse Sprichwörtlichkeit erlangt; von den Lattenburger hieß es, sie würden am Sonntagvormittag im Gottesdienst laut lachen, weil sie dann die Witze begriffen, die am Stammtisch abends zuvor erzählt worden waren. Und wenn ein Lattenburger auf eine Schnecke trat, dann passierte ihm das nicht, weil er so rasch gelaufen war, sondern weil die Schnecke beim Überholen nicht aufgepasst hatte.

Auf dem Markt fand er einen korrekten Parkplatz, zwei Stunden nur mit Parkscheibe, in der Provinz lebte man billiger, und eine intakte Telefonzelle. "Sickert" gab es nur einmal, Hermann Sickert, Zwanigerstieg 13.

"Zehn Minuten, der Herr. Immer diese Richtung."

Nach fünf Minuten erreichte er den Zwanigerstieg, der nach links abbog, zum Burghügel hinauf. Das Gässchen war zu schmal für Autos, deshalb parkten sie auf der Burgstraße kreuz und quer; dass er in dem Durcheinander einen metallic-blauen Golf entdeckte, war reiner Zufall. Einen Moment wollte er über sich lachen, nun sah er überall schon Gespenster, aber dann siegte die Vorsicht, und er lief die paar Schritte zurück. WP 511. Das Auto von Martin Wolzek, und jetzt glaubte er auch nicht mehr an einen Zufall.

Das Haus Nummer 13, schmal und vier Stockwerke hoch, stammte aus der Gründerzeit und war liebevoll restauriert worden; es sah nicht so aus, als ob hier Sozialmieter eingezogen wären. Auf der rechten Straßenseite verlief eine hohe Mauer, die von Bäumen überragt wurde, dahinter gab es einen großen Garten oder einen Park. Er musste eine ganzes Ende hinaufsteigen, bis er in der Mauer eine Nische fand, in der eine Bank stand. Wenn er sich etwas vorbeugte, hatte er den Eingang von Nummer 13 im Blick. Drei Zigaretten lang schlug er die Zeit tot, dann trat ein großer Mann auf die Straße. Offenbar wurde er gerufen, er drehte sich halb um und schaute nach oben; auf dem kleinen Balkon im ersten Stock stand eine Frau, die ihm etwas herunterwarf; Martin Wolzek fing es geschickt auf, winkte lässig mit zwei Fingern und ging eilig die Gasse hinunter. Eine halbe Minute sah die Frau ihm noch nach und verschwand wieder im Zimmer. Ganz sicher war er sich seiner Sache nicht; es konnte Doris Weigand, verehelichte Sickert, gewesen sein, aber er hatte ihr Gesicht nur flüchtig gesehen, und das Foto war immerhin dreißig Jahre alt. Dass diese Frau auf Joachim Baldur im Park des Hauses Abendfrieden eingesprochen hatte, stand dagegen zweifelsfrei fest. Ohne Wolzek hätte er jetzt bei "Sickert" geklingelt und sich unter einem Vorwand mit ihr unterhalten, gerade lange genug, um sie genau zu betrachten. Doch jetzt überlegte er, ob es das Risiko lohne.

Nach einer Weile stand auf. Nein, man durfte sein Glück auch nicht überstrapazieren, und dass sich Doris Weigand und Martin Wolzek kannten, komplizierte den ganzen Fall noch mehr. Locker spazierte er die Gasse hinunter, schaute kurz an der Haustür Nummer 13 auf die Klingelleiste: vier Parteien, im ersten Stock "Sickert". Das musste reichen.

Am Markt setzte er sich in ein Café, das schon um diese Tageszeit gut besucht war, und empfand eine gehörige Portion Nostalgie angesichts der älteren Herren, die an kleinen Tischen in bequemen Armstühlen saßen und seriöse Tageszeitungen studierten; nur das Rascheln der umgeschlagenen Seiten störte die feierliche Stille. Selbst die junge, flotte Bedienung flüsterte.

Wolzek sollte ruhig einen großen Vorsprung bekommen. Und wenn er es genau überlegte, war der Zufall, Martin Wolzek bei Doris Sickert, geborene Weigand, anzutreffen, so groß nun auch nicht. Früher würden sie jede Begegnung vermieden haben, aber die Zeiten hatten sich geändert, und er hatte mit seiner Anzeige einen großen Stein in den Teich geworfen. Ob er diesem Lothar Marx Abbitte leisten sollte?

Auf der Rückfahrt benutzte er die Autobahn, und während er vor den Ampeln auf der Kanalbrücke wartete, fiel ihm ein, dass er nach Kurt Fröhling sehen konnte. Natürlich hatte er sich rechts eingeordnet, nach links zu wechseln löste ein ganzes Hup- und Blinkkonzert aus, manchmal hasste er regelrecht diese konzentrierte Unfreundlichkeit auf vier Rädern. Je enger und voller es auf den Straßen wurde, desto rabiater wollte die Mehrheit ihr Recht durchsetzen.

Ein einsamer Lastwagen mit einem eingebauten hydraulischen Kleinbagger lud den letzten Brandschutt auf. Die Hütten direkt am Kanal, die das Feuer verschont hatte, schienen leer zu stehen. Pauls Gehilfe schloss gerade die Pinte auf.

Kurt Fröhling packte. Er hatte die Tür geöffnet und Kramer nur schweigend angesehen, dann unhöflich die Nase hochgezogen und kehrt gemacht. Sein Besucher interessierte ihn nicht, und dafür war der gewaltige Kater, der ihn sichtlich plagte, nur zum Teil verantwortlich.

"Du willst weg?"

"Geht Sie das was an?"

"Nein. Ich bin nur neugierig."

Ein Bett, ein Stuhl, ein wackliger Tisch, das war die ganze Einrichtung. Dazu ein paar Haken an der Wand, zwei billige Koffer und mehrere Pappkartons, nein, mit irdischen Reichtümern war Kurt nicht gesegnet.

"Ich vertreib' dich nicht, Kurt."

"Das würd' Ihnen auch nicht gelingen."

"Kann sein. Aber ich würde mich mit einem Hunderter an deinen Reisekosten beteiligen, wenn du mir noch ein paar Fragen beantwortest."

Das überlegte sich der Kleine lange, bevor er murrte: "Meinetwegen."

"Wohin soll es gehen?"

"Nach Magdeburg, zu einem alten Freund."

"Und Elke?"

"Die kommt alleine klar. Besonders mit einem so wichtigen Freund im Rücken." Das kam so giftig heraus, dass Kramer lachen musste: "Meinst du etwa mich?"

"Wen denn sonst?"

"Da muss ich dich enttäuschen, ich bin ziemlich unwichtig."

"Dafür machen Sie aber verdammt dicke Backen."

"Alles relativ, Kurt. Hatte die Marga eigentlich noch Geschwister?"

"Einen ganzen Stall voll. Fünf Schwestern."

"Auweia. Weißt du, was aus denen geworden ist?"

"Nee. Denen bin ich immer sorgfältig aus dem Weg gegangen." Wider Willen kicherte Kurt bei der Erinnerung. "Marga war der Nesthaken, fünf Drachen wollten das Küken beschützen, nee, das war mir zu anstrengend."

"Dann wundert mich, dass du überhaupt von Margas Tod erfahren hast. Und wann sie beerdigt wurde."

Der schräge Blick verriet widerwilligen Respekt. "Von der Jutta."

"Wer ist Jut...ach so, ja, Elkes Schwester."

"Halbschwester." Kurt verbesserte es sehr verkniffen, und Kramer ging ein Licht auf. "Mit der Jutta hast du immer Kontakt gehalten, auch, als du hier unter die Räder geraten bist."

"So schlimm war's ja nun nicht", knurrte der Kleine. "Ob hier oder drüben arbeitslos, das blieb sich gleich."

"Wenn die Elke nicht dein Kind war - warum habt ihr, Marga und du, der Elke das so lange verschwiegen?"

Jetzt musste er sich ganz darauf konzentrieren, einen Karton zuzuschnüren, und Kramer geduldete sich. Endlich merkte Kurt, dass er um eine Antwort nicht herumkam, schickte Kramer wieder einen erzürnten Blick zu und setzte sich auf das Bett.

"Ja, warum - die Marga wollte das nicht. Nicht ums Verrecken. Ich mein', mich hat die Elke nicht gestört, aber ich hätt' ihr's gesagt, nicht gleich, doch als sie mit der Schule fertig war, aber nein, die Marga wollte immer noch nicht."

"Weißt du, warum sie sich die ganze Zeit geweigert hat?"

"Nee", erwiderte Kurt so gedehnt, dass Kramer ihn scharf beobachtete. "Wissen? - nee, ich hab' mir manchmal was gedacht, aber wissen - nee. Und dann - also, dann hatt's mich auch nicht mehr interessiert."

"Und was hast du dir so gedacht?"

"Haben Sie mal eine Zigarette für mich?"

"Bitte."

Er steckte sich auch eine an, Kurt rauchte genussvoll, hustete, dass es die Bronchien zurechtrüttelte, und fuhr in verändertem Tonfall fort: "Sie kennen - kannten die DDR nicht?"

"Nein, ich war nie drüben, solange sie's noch gab."

"Ja, dann...ein uneheliches Kind war keine Schande. Marga hätt's auch abtreiben können, aber das wollt' sie nicht. Na ja, war ihre Entscheidung. Dieser Schönling war plötzlich wie vom Erdboden verschluckt, Marga heulte..."

"Zu der Zeit kanntest du sie schon?"

"Was heißt kennen? Sie war mir aufgefallen, wir waren im selben Kombinat, ich wußt', wer sie war und wie sie hieß und wo sie wohnte, aber mehr - nee, da war dieser Schönling vor, dieser Wolfgang Hellweg, und um den schlichen ein paar Typen rum, mit denen keiner gern zusammenrasselte. Na gut, der räumte das Feld, ich dacht' mir, vielleicht braucht sie Trost und einen starken Arm, Bumsen ist schließlich keine Schande, und ein anderer war eben glücklicher gewesen als ich. Also, das mit dem Trost war nicht so wild, aber ich war ja auch nicht blind, und mir ist schon aufgefallen, dass die Marga um viele Sachen nicht anstehen musste."

"Das verstehe ich nicht."

"Nee, können Sie auch nicht. Kinderbettchen und Kinderwagen und Kleidung und dann auch gleich eine größere Neubauwohnung, Kurt, hab' ich mir gedacht, dein Verdacht war ganz richtig, dieser Wolfgang Hellweg hat gute Drähte nach ganz oben, und Drähte in der DDR, also, das war Partei oder eben Mielkes Mannen. Deswegen hab' ich meine Schnauze zugeklemmt, und als die Marga und ich schließlich - nun ja, also, Marga hat gleich die Bedingung gestellt: Elke darf nie erfahren, wer ihr Vater ist. Mir war's wurscht, ich hatt' ja auch einen Vorteil..."

Den letzten Satz hätte er gern zurückgenommen, und Kramer lachte, weil ihm Kurts Grimasse die richtige Idee eingab: "Du meinst, als du dann angefangen hast zu bummeln und zu saufen und mal lange Finger zu machen, hat man dich mit Samthandschuhen angefasst."

"Sie haben keine Vorstellung von DDR-Samt."

"Aber es stimmt doch?"

"Na ja, zu Anfang schon. Ich bin ein paar Mal mit Verwarnungen davongekommen, wo man andere - aber es hat nicht ewig gehalten, nee, das nun nicht."

Und wieder ein Mosaiksteinchen, hier eines aufgeklaubt, dort eines gefunden, manchmal war es wie Puzzeln ohne Vorlage. Mehr würde er hier nicht erfahren, aber mehr brauchte er auch nicht.

"Mal eine ganz andere Frage. Du sollst 1989 oder 1990 hier eine gewisse Doris kennengelernt haben."

"Was Sie nicht so alles wissen!"

"Mein Beruf besteht aus Neugier. Wer war diese Doris?"

"Doris Zumke." Sein Achselzucken leugnete jede echte Zuneigung. "Ich hab' sie mal in einer Kneipe kennengelernt. Sie nuckelte ganz schön, aber sie konnt' sich das auch leisten, hatte 'ne schöne Pension von ihrem Alten, 'ne schöne große Wohnung, na ja, und gegen Bratkartoffeln hab' ich nichts."

"Also ein klassisches Bratkartoffel-Verhältnis."

"Ich müsste raten, was daran klassisch gewesen sein soll."

"Okay, vergiss die Klassik und sag' mir lieber, wo ich diese Doris Zumke finde."

"Petrikirchgasse. Die Hausnummer weiß ich nicht mehr, aber es war so ein rotes Ziegelhaus." Ein längst abgeschlossenes Kapitel, und Kurt ärgerte sich nur, dass ausgerechnet Kramer davon etwas erfahren hatte.

"So, Kurt, hier ist dein Hunderter, die Zigaretten leg' ich drauf, und zum Abschied eine kleine Bitte: Du erklärst der Elke jetzt nur, dass du die Suche nach Wolfgang Hellweg aufgegeben hast."

"Ich hab' ihr gar nichts gesagt."

"Wann?"

"Heute morgen. Sie war ziemlich sauer, weil ich sie aus dem Bett gerissen hab', na, ein Wort gab das andere, in Nullkommanix haben wir uns angebrüllt, wir sind fertig miteinander."

Er konnte jetzt schlecht sagen "Wie schön!", deshalb stand schweigend auf und verließ über eine bedrohlich schwankende und knarrende Treppe das baufällige Haus. Manche Probleme erledigten sich von selbst.

Die Petrikirche war so zuvorkommend, Parkplätze für die Besucher des Pfarrbüros zu reservieren, er nahm das Angebot wahr und fand auf Anhieb das rote Ziegelhaus und das Klingelschild "Zumke". Doris Zumke hatte die sechzig überschritten und war dank reichlicher Kalorienzufuhr, in flüssiger oder fester Form, in die Breite gegangen. Nach den wenigen Schritten zur Wohnungstür keuchte sie schwer, und Kramer erklärte seine Neugier mit einem simplen Irrtum.

Im Büro tippte er eine gute Stunde, ordnete die Spesen- und Rechnungsbelege, räumte auf, kochte Kaffee und ertappte sich immer häufiger dabei, dass er innehielt und minutenlang aus dem Fenster starrte. Überall war die Montagsemsigkeit ausgebrochen, der Lichtschacht vibrierte vor Geräuschen und Geschäftigkeit, das volle Leben pulste auf hohen Touren zu kleinen Preisen. Das Telefon blieb stumm, niemand wollte etwas von ihm, dabei hätte er jetzt gern mit einem zuverlässigen, nüchternen und geduldigen Menschen gesprochen und Rat eingeholt. Aber wenn der Berg nicht zum Propheten kam, musste der Prophet eine Karte für die Seilbahn lösen, also schnappte er sich Telefon und Elkes Hellwegs-Zettelkonvolut und versuchte sein Glück.

Rechtzeitig, vor Beginn des Berufsverkehrs, verließ er das Büro und fuhr zu seiner Tankstelle, um viel Geld für Sprit und Öl auszugeben. Plus Trinkgeld für Werner, der ihm Luft und Batterie nachsah und die Waschanlage auffüllte. Um diese Tageszeit kam er zügig voran und brauchte bis Baldingen keine fünfzig Minuten. Hinter dem Dorf bog er in die schmale Straße ab, die am Ortlkopf vorbeiführte, und fuhr diesmal auf die Ebene durch.

Der erste Hof links von ihm war tatsächlich noch bewirtschaftet, ein alter Mann und eine kaum jüngere Frau liefen langsam und schwerfällig hin und her und beachteten das Auto nicht. Die anderen Gehöfte waren jetzt nicht zu sehen, sie wurden von den Baum- und Strauchgruppen verdeckt. Nach der Karte musste er gleich rechts eine Zufahrt erreichen...

Die Asphaltdecke war zerbrochen, Wasser oder Frost hatten den Ziegelschutt, der zur Befestigung gedient hatte, nach oben gedrückt, er schlich wie über ein Rüttelbrett auf die beiden verfallenen Gebäude zu. Das Scheunendach war zum Teil eingesunken, das Wohnhaus hatte sich besser gehalten, aber Fenster und Türen waren verschwunden, und aus den Fachen bröckelten Lehm und Steine. Auf dem Hof rosteten alte Ackergeräte. Das Ansehnlichste war eine alte Linde zwischen Scheune und Fachwerkhaus, die sich ungehindert ausbreiten durfte.

Vorsichtig rangierte er neben die Scheune. Im Schatten des Baumes und der beiden Gebäude war der Wagen von der Straße aus nicht zu sehen; er drehte den Sitz herunter, langte nach der Decke und streckte sich aus. Vor Einbruch der Dunkelheit wollte er nichts unternehmen.

Als er fröstelnd aufwachte, zeigte die Uhr kurz nach elf. Seine Augen mussten sich an die Dunkelheit gewöhnen. Der Himmel war klar, schön kitschig mit hellen Sternen übersät, die sogar etwas Licht spendeten. Wenn er alles richtig erinnerte und das Messtischblatt stimmte, lag der Hof, auf dem er vermutlich ein verborgenes Auto geknipst hatte, halbrechts, knapp zwei Kilometer entfernt. Den dahinter liegenden Ortlkopf konnte er nur ahnen, dort schien der Horizont dunkler als in den anderen Richtungen.

Also war wieder Fußarbeit angesagt.

Nachts in der Stadt zu laufen, war je nach Viertel erfreulich oder unerfreulich, aber es gab wenigstens glatte Straßen. Jetzt schlich er einen Feldweg entlang, der aus zwei besseren Fahrspuren bestand, uneben, voller tückischer Löcher und Wellen. Immer schön langsam und vorsichtig, Schritt für Schritt, Fuß vor Fuß. Er schimpfte leise in sich hinein. Diese ungewohnte Stille beunruhigte ihn, und wenn irgendwo etwas raschelte, klang es gleich bedrohlich.

Dann irritierte ihn etwas am Horizont, er blieb stehen und starrte auf einen helleren Fleck, der sich langsam zu bewegen schien. Ob nah oder fern, das konnte er nicht ausmachen - plötzlich entzerrte sich der Fleck, leuchten zwei Pünktchen auf, Scheinwerfer, und nach einer Minute begriff er: Ein Auto näherte sich dem Gebäude, das er ansteuerte. Und dieses Haus schien viel näher zu sein, als er in der Finsternis vermutet hatte.

Jetzt laut fluchend stieg er in den Graben neben seinem Stolperweg und duckte sich. Ein Motor drehte hoch, der Wagen schlingerte heran, kam bedrohlich näher, er legte sich auf den Boden, spürte die Feuchtigkeit durch Hose, Hemd und Pullover dringen, das Motorengeräusch wurde lauter, Scheinwerferlicht strich über den Grabenrand hinweg, Lehmbrocken und kleine Steine rollten auf ihn herunter, dann wurde es wieder dunkler, das Auto entfernte sich, und als er endlich den Kopf zu heben wagte, sah er die roten Rücklichter, keine zehn Sekunden später die Bremsleuchten. Vierhundert, fünfhundert Meter weit weg? Er lauschte, glaubte, Stimmen und zuklappende Autotüren zu hören, aber war sich seiner Sache nicht sicher.

Minuten später stand er auf, drehte sich um und ließ sich gleich wieder in den Graben fallen: Ein zweites Auto näherte sich, rumpelte an ihm vorbei und schickte erneut Steine und Erde in die Rinne. Diesmal zitterte er weniger vor Spannung als wegen der verdammten Nässe auf dem Grund des Grabens. Das hatte er großartig hingekriegt!

Noch zwei Autos musste er passieren lassen, und alle vier Wagen hatten den verlassenen Bauernhof zum Ziel. Fast Mitternacht. Der ideale Treffpunkt für eine harmlose Party. Wenn er das Ehepaar auf dem bewirtschafteten Hof richtig einschätzte, schliefen die beiden jetzt tief und fest. Noch langsamer und leiser als vorher pirschte er über die Fahrspur auf das Gebäude zu, nutzte jetzt jeden Strauch oder Baum zur Deckung, und seine Vorsicht zahlte sich aus. Vor ihm leuchtete ein Feuerzeug auf, erlosch; mit angehaltenem Atem konzentrierte er sich auf den rotglühenden Punkt, der sich wie vor einer schwarzen Samtdecke langsam hin- und herbewegte. Jemand schob Wache, und ohne die Zigarette wäre er dem Unbekannten wohl glatt in die Arme gelaufen.

Obwohl es ihn fuchste, machte er kehrt. An der Wache vorbei zu schleichen war viel zu riskant, und wenn die Unbekannten wirklich vorsichtig waren, hatten sie einen zweiten Posten näher am Haus aufgestellt. Der erste Versuch war misslungen.

Die Horst Bieber Krimi Sammlung 2021: Krimi Paket 8 Romane auf 1500 Seiten

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