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Vierter Samstag

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Als er sich aufsetzte und stöhnte, glitt Anielda in sein Schlafzimmer, fröhlich wie der frische Morgen, während er die letzten Gespenster seines Alptraumes verscheuchte.

"Morgen, Rolf."

"Morgen, Anielda."

"Sobald du aufstehen kannst - das Frühstück ist fertig."

"Fünf Minuten noch."

Am Küchentisch schob sie ihm das Tageblatt hin. "Sie haben die Aktion 3 D geschnappt."

Holger Weisbart war ganz groß herausgekommen, und als er unwillkürlich lachen musste, zwinkerte sie erleichtert. Fast zwei Seiten, und seine Bilder mit dem Restlichtverstärker waren phantastisch, selbst in dem miesen Druck.

"Aktion DDD zerschlagen - Geheimes Waffenlager ausgehoben - Haben sich Linke als Neonazis getarnt?

In den späten Abendstunden des Freitags ist es dem Staatsschutz, einer Sonderkommission des Landeskriminalamtes und einem Sonder-Einsatz-Kommando (SEK) gelungen, ein geheimes Waffenlager auszuheben, das im Keller eines aufgelassenen Bauernhofes in der Gemarkung Baldingen verborgen war. Waffen, Munition, Sprengstoff und militärische Geräte stammen aus den Beständen der ehemaligen Nationalen Volksarmee. Nach den Worten des Einsatzleiters, Kriminalrat Simrock, reichten die Bestände aus, eine kriegsstarke Kompanie auszurüsten. Bis jetzt steht noch nicht fest, wer die Waffen geliefert hat und seit wann sie in dem äußerst geschickt und aufwendig getarnten Keller gelagert worden sind. Der Fund des Plastiksprengstoffs Sempex und einer bestimmten Art von Tretminen aus früher sowjetischer Produktion spricht nach Auskunft eines Experten dafür, dass nicht die Militärführung der DDR dieses Material zur Verfügung gestellt hat, sondern dass diese Teile auf dem Schwarzen Markt zusammengekauft worden sind - unter Umständen von sowjetischen Soldaten, die vor ihrer Rückkehr die Garnisonsbestände geplündert und auf eigene Rechnung an den Mann gebracht haben.

Doch die wahre Sensation ergab sich, als es gelang, die Mitglieder dieses Kommandos heimlich zu fotografieren, während sie den Bauernhof betraten.

Das war stark, er brummte gereizt. Der liebe Holger tat so, als handele es sich um Originalbilder der Polizeiaktion - na ja, Schwamm drüber.

Bei der Ankunft (siehe Bilder Seite drei oben) waren die Mitglieder von DDD gekleidet wie Rechtsradikale. Im Hause redeten sie den Anführer der Aktion allerdings mit 'Genosse Major' an.

Holger schuldete ihm einige -zig Biere! Einfach so zu tun, als sei er dabei gewesen!

Bei dem 'Genossen Major' handelt es sich um den 43jährigen Martin Wolzek, einen früheren Stasi-Mitarbeiter, der nach Erkenntnissen des Bundeskriminalamtes (BKA) bei der Kampf- und Sabotage-Schulung westdeutschen DKP-Mitgliedern der geheimen Militärorganisation (MO) in Springsee, Bezirk Frankfurt/Oder, und auf dem NVA-Übungsplatz in Storkow beteiligt gewesen war. Wolzek ist angeblich zuletzt Verbindungsmann der MO zur 'Arbeitsgruppe Minister' im Mielke-Ministerium gewesen; wie es heißt, hat er sich seine Befehle direkt im 'Büro der Leitung', also beim Minister Mielke, abgeholt. Weitere Einzelheiten hält das BKA geheim, um die noch laufenden Ermittlungen nicht zu gefährden.

Na, da hatte Holger für "seinen" Tipp wenigstens einige Informationen ausgehandelt.

Papiere und Flugblätter, die in dem Waffenkeller gefunden wurden, lassen allerdings den Schluss zu, dass es sich bei DDD um eine linksradikale Organisation handelt, die sich bei ihren Terroranschlägen durch entsprechende Kleidung und Maskierung als eine militant rechte Gruppe tarnte. Zweck dieser Täuschung sei es gewesen, so hat der 27jährige Jürgen Sch. bereits gestanden, in der Öffentlichkeit soviel Stimmung gegen die Rechte zu erzeugen, dass es zu einem breiten Aktionsbündnis einschließlich der Linken kommen würde. Die 'Verfemung des Sozialismus müsse ein Ende' haben, dafür sei 'jedes Mittel recht'.

Kriminalrat Simrock äußerte Zweifel an dieser Aussage. Zwei der in Baldingen festgenommen DDD-Mitglieder seien als rechtsradikale Aktivisten bekannt, denkbar sei jedenfalls auch, dass Rechtsradikale eine linke Gruppe unterwandert und instrumentalisiert hätten. Es wäre nicht der erste Fall, wie er andeutete.

Ein Motiv dafür könnte sein, dass DDD über erstaunliche Geldmittel verfügte, deren Herkunft bislang unklar ist. Bei Redaktionsschluss waren die Vernehmungen noch im Gange, und bis zu diesem Zeitpunkt hatten alle DDD-Terroristen behauptet, sie wüssten nicht, wer die Gruppe finanziere. Aber Geld sei 'nie ein Problem' gewesen. Wolzek hat jede Aussage verweigert; mehrere DDD-Aktivisten haben unabhängig voneinander jedoch erklärt, allein der 'Major' habe das nötige Geld beschafft, allerdings die Quelle immer geheim gehalten. Überhaupt habe Wolzek auf einem Höchstmaß an Konspiration bestanden, so dass unter den Mitgliedern der Aktion bereits Zweifel aufkamen, welche Ziele er tatsächlich verfolgte. Seine angebliche Tätigkeit als Makler diente nach Meinung der Polizei nur dazu, viele Reisen und konspirative Treffs - auch im Ausland - zu tarnen.

Er musste heftig lachen. Das wäre die Krönung! Ludwig Baldur, Kommunist aus Hass, finanzierte, ohne es zu wissen, Rechtsradikale. Anielda schaute ihn beunruhigt an, aber er winkte ab, weil er gerade an diesen verhinderten Karl Marx denken musste. Wie hieß er noch? - richtig. Lothar. Vielleicht doch kein Spinner, vielleicht hatte er nicht nur gerätselt und kombiniert, sondern einen Tipp weitergeben wollen. Oder sollen; der Teufel mochte sich in dieser Organisation auskennen, und wenn auch sie ihn benutzt und wie eine Marionette an langen Fäden geführt hatte, sollte es ihn nicht mehr erregen.

"Soll ich das Radio anmachen?"

"Warum?"

"Mensch, Rolf, die überschlagen sich, die Politiker, die Parteien, alle. Linke verkleiden sich als Rechte, du musst mal hören, was da los ist. Die Rechten heulen vor Wut, die Linken protestieren gegen diese Unterstellung, andere haben es schon immer gewusst, es geht durcheinander wie Kraut und Rüben."

"Les extremes se touchent."

"Du weißt doch, dass ich kein Französisch kann."

"Die Extreme berühren sich. Anielda, als es gegen die Bürgerlichen und Sozialdemokraten in der Weimarer Republik ging, haben die Nazis mit den Kommunisten zusammengearbeitet, zugegeben, nur punktuell, und als Hitler seinen Krieg gegen Polen vorbereitete, hat Stalin mitgespielt. Gegen ein Stück der Beute natürlich."

"Du hast ein etwas simpel gestricktes Weltbild", fauchte sie ihn verärgert an, und daraufhin hielt er lieber den Mund. Anieldas Herz saß nicht nur links, sondern schlug auch links.

Wolzek ist mit einer Reporterin vom Stadtradio liiert. Oberstaatsanwalt Schübel verweigerte jede Aussage auf die Frage, ob diese Reporterin Wolzeks Aktivitäten kannte und sie, freiwillig oder unfreiwillig, durch ihre guten Kontakte zur hiesigen Polizei und ihre Kenntnisse von geplanten polizeilichen Maßnahmen gefördert habe. Gegen alle Festgenommen wurde Haftbefehl wegen Mordes in zwei Fällen, versuchten Mordes, schwerer Körperverletzung, Brandstiftung, Bildung einer kriminellen Vereinigung und Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz erlassen.

Na, da hatte Weisbart seine Rache kalt genossen, er konnte sich Holgers sardonisches Grinsen gut vorstellen, als er die Sätze über Silke Glas in den Redaktionscomputer tippte. Den Rest des Artikels schenkte er sich. Er war sicher, dass auch Ludwig Baldur das Tageblatt las und den Namen Martin Wolzek kannte. Aber weil ein Name nicht erwähnt worden war, rief er Weisbart an, der unter einem wüsten Kater litt und herzzerreißend ins Telefon jammerte: "Mein Gott, welcher Idiot muss denn kurz nach Mitternacht anrufen?"

"Im Journalismus gehen die Uhren anders, ich weiß. Hier ist Rolf Kramer, der dich beglückwünschen möchte."

"Häh?"

"Ich habe gerade deinen Sensationsartikel gelesen und bin so beeindruckt, dass ich dir per Draht meine Verehrung zu Füßen legen wollte."

"Ein Bier wäre mir lieber, du meine Güte, ich glaube, gestern ist bei mir ein Faden gerissen."

"In der 'Handschelle'?"

"Ja, klar. Gudrun ist mit dem Zapfen nicht mehr nachgekommen und hat mir erlaubt, ihr zu helfen."

"Jetzt lügst du wie gedruckt."

"Großes, mittleres, kleines Ehrenwort. Oh, mein Kopf."

"Mein Bedauern umschleicht und mein Mitgefühl umzingelt dich. In der weltbewegenden Enthüllungsstory habe ich allerdings einen Namen vermisst."

"Häh?"

"Silke Glas ist nicht nur mit Martin Wolzek befreundet, sie ist auch die Geliebte eines reichen Kommunisten, der in Millsen, Zypressenweg 17 wohnt. Oder genauer, sich dort versteckt."

"Du spinnst." Bei so verwertbaren Informationen schlug Weisbart den hartnäckigsten Kater umgehend in die Flucht.

"Millsen, Zypressenweg 17."

"Ich bin nicht taub! Was soll das heißen - ein reicher..."

"Tschüss, Holger." Er legte fast zärtlich auf.

Anielda lehnte in der Tür und blitzte ihn an. "Was zum Teufel hast du mit der ganzen Sache zu tun?"

"Nichts, mein Liebling. Und wenn du jetzt brav die Klappe hältst, gehe ich mit dir in die Stadt einkaufen."

"Schaufensterbummel!"

"Auch das!" resignierte er. Aber lieber mit Anielda Pflaster treten, als am Telefon erwischt zu werden, von Holger Weisbart etwa oder Lilo Schultheiß; auch diese Drohung schwebte noch über seinem Haupt. Von seinem Gewinn im Rosa Ferkel waren noch etwas über 200 Mark übrig, die er auf 250 aufrundete und ihr anbot, ohne freilich die Quelle seines Großmuts zu verraten, da musste er Ärger gewärtigen. Sie legte die Summe äußerst sparsam in einem Sommerkleid, einem Paar Schuhe und "einigen Kleinigkeiten" an, "die dich nichts angehen, du alter Voyeur."

Derweil stand er brav auf der Straße vor dem Wäschegeschäft und döste in der schwachen Sonne. Auf dem Pflaster lagen schon zertretene Handzettel, die zu Demonstrationen aufriefen, und als sie in einem Café den Rest seines Gewinnes für Eis ausgaben, hörte er im Radio, dass die gewalttätigen Auseinandersetzungen schon begonnen hatten. Jeder prügelte sich mit jedem, man verlor den Überblick, und er bat die Bedienung, das Radio abzustellen.

Am Nachmittag sagte sie ihm auf den Kopf zu, dass er nicht erreichbar sein wollte, und als er bejahte, gab sie sich damit zufrieden. Sie lief nicht so gerne wie er, aber heute klagte sie ausnahmsweise nicht über den ausgedehnten Spaziergang im Gremser Forst. Als sie mit Muskelkater in den Waden und dicken Füßen ins Auto stiegen, überraschte sie ihn: "Nehmen wir morgen Elke mit?"

"Ja, ich hab's ihr versprochen."

"Hast du mit ihr geschlafen?"

"Ich hätte gerne, aber im letzten Moment hat sie sich's anders überlegt."

Sie drehte den Kopf weg, sagte aber nichts. Das war auch besser, und deswegen erhob er keine Einwände, als sie in ihre Wohnung gebracht werden wollte. Abends hockte er vor dem Fernseher und verfolgte regungslos die Sensation des Tages. Das Tageblatt wurde so oft zitiert, dass Holger eigentlich jede Gehaltserhöhung durchsetzen konnte. Erst als Neunmalkluge in einer Diskussionsrunde von Fakten ungetrübte Plattitüden über linken und rechten Radikalismus verzapften und die Liberalen schon immer gewusst hatten, dass Linke und Rechte alle Differenzen zurückstellten, wenn sie gemeinsam gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung vorgehen konnten, schaltete er aus und suchte seinen Kopfhörer, um noch Musik zu hören.

Die Horst Bieber Krimi Sammlung 2021: Krimi Paket 8 Romane auf 1500 Seiten

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