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Dritter Dienstag

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Hemd, Hose und Pullover hatte er zum Trocknen auf die Motorhaube gelegt, und in der Unterwäsche begann er tierisch zu frieren, lief auf und ab, schwang die Arme, übte sich in Kniebeugen und verfluchte die Dunkelheit. Ohne Licht war an Wegfahren nicht zu denken, und ein halbwegs aufmerksamer Posten würde seine Scheinwerfer bemerken und sich unter Umständen wundern, woher der Wagen kam.

Kurz bevor er daran zweifelte, dass die Sonne jemals wieder aufgehen würde, zogen vier Scheinwerferpaare ganz langsam von links nach rechts, verwandelten sich in rote Pünktchen, die auch bald erloschen. Im Osten hatte sich der Himmel verändert, Sterne waren verschwunden, in einer halben Stunde musste die Dämmerung beginnen. Wohl oder übel stieg er in Hemd und Hose, der Pullover wog noch schwer vor Feuchtigkeit, und riskierte einen schnellen Marsch auf den verlassenen Hof zu. Der Weg war nicht ebener geworden, aber das Licht nahm zu.

Beim zweiten Versuch brauchte er nur dreißig Minuten. Über den östlichen Horizont spannte sich jetzt schon ein leuchtendes Band, die restlichen Sterne wurden wie Lampen ausgeknipst, Vögel rührten sich und begannen mit der Morgenprobe, überall glänzte Tau.

Auch dieser Hof schien seit Jahren verlassen, aber die Gebäude hatten sich besser gehalten. Oder die größten Schäden waren repariert worden. Vor die Fenster waren Läden geklappt, mit leicht angerosteten, aber festen Ketten und Schlössern gesichert. Türen und kleinere Öffnungen waren mit Brettern vernagelt, er lief um Haus, Scheune und Stallgebäude herum und fand nicht heraus, welche Tür die nächtlichen Besucher benutzt haben konnten. Einzig das Scheunentor ließ sich einen Spalt aufziehen, aber drinnen wurden nur alte Maschinen und Geräte aufbewahrt.

Was hatten die Besucher hier getrieben? Und wo hatten sie sich aufgehalten?

Ärgerlich rüttelte er an der Klinke einer Hintertür des Wohnhauses und hatte plötzlich das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Er stand ganz still und versuchte, seine Gedanken auszuschalten. Zuletzt ein Griff an die Klinke - ja, das war's. Diese Tür war ganz eigenartig vernagelt, das dicke Brett reichte nur über eine Seite hinaus, und das Schloss saß nicht stramm, das Brett bewegte sich mit dem Türladen ein paar Millimeter vor und zurück, die Nägel fassten nicht, nein, waren nur Attrappe. Einen Zugang hatte er also gefunden, und das Schloss, du meine Güte, das öffnete ein Kind mit einem starken Draht. Wenn es einen dabei hätte...

Womit entschieden war, dass er wiederkommen und Werkzeug mitbringen musste. Eilig machte er sich auf den Rückweg, jetzt war es bereits so hell, dass er in leichten Trab verfallen durfte, ohne zu stolpern. Als der Atem knapp wurde, fühlte er sich zum ersten Mal seit Stunden durchgewärmt.

Ohne Licht steuerte er auf die Landstraße und gab Gas.

Anielda weckte ihn, als sie am frühen Nachmittag anrief, sie wollte wieder auf ihren Beobachtungsposten in der Rauchstraße abdampfen. Ihre Laune war schon jetzt unter Null abgesunken.

"Sie war wieder in Millsen, im Zypressenweg."

"Wieder nur für kurze Zeit?"

"Gestern für fünfzig Minuten. Als sie reinging, trug sie Hose und Bluse, als sie rauskam, hatte sie ein Kleid angezogen. Was schließt du Superdetektiv daraus?"

"Dass heute dein letzter Tag ist."

"Gottseidank. Und wie war's bei dir?"

"Halb und halb. Eine kleine Warnung, Anielda: Wenn sie heute wieder ins Rauhe Land fahren sollte, sei sehr vorsichtig. Mir reicht, wenn du ungefähr herausfindest, wo sie abgeblieben ist, aber versuch' nicht, den genauen Ort festzustellen."

"Du weißt wieder mehr, was?"

"Ein klein wenig. Tschüss."

Im Bastelzimmer suchte er zwei Wanzen, zwei Empfänger und zwei Cassettengeräte heraus, kontrollierte sie und bestückte sie mit frisch geladenen Akkus. Dietriche, der Schlossrüttler, Restlichtverstärker, ein Ersatz-Akkupack, Objektaufsatz, Kamera, zwei präparierte, zwei normale Filme, das würde die reinste Schlepperei werden. Der Rucksack wog jetzt schon wie Blei. Thermosflasche mit Kaffee, zwei Brote, Akkulampe. Plastikbahn zum Abdecken. Als er den gepackten Rucksack probeweise schulterte, fiel ihm ein, dass er diesen Prachtschinken auch noch nicht zu Ende gelesen hatte.

Die Strecke nach Baldingen kam ihm schon richtig vertraut vor, und als er am Ortlkopf vorbeifuhr, freute er sich auf das Nickerchen. Der Himmel hatte sich etwas bezogen, wahrscheinlich würde es in der Nacht noch kühler werden, aber auf der Rückbank lagen ein zusätzlicher Pullover und eine zweite Hose - nur für alle Fälle, obwohl er es sich heute nicht leisten konnte, von unerwarteten Besuchern überrascht und in den Graben getrieben zu werden. Wie gestern parkte er in dem Winkel von Scheune und Wohnhaus und drehte den Sitz herunter.

Um 21 Uhr riskierte er es, auf den verlassenen Hof zuzulaufen. Es war noch nicht völlig dunkel, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass ein Beobachter etwa auf dem Ortlkopf oder auf dem noch bewirtschafteten Hof ihn aus dieser Entfernung erkennen würde. Schwer bepackt stapfte er den Pfad entlang und fluchte über das Gewicht der Geräte auf seinem Rücken, aber am helllichten Tag durfte er sich dort nicht hinwagen, weder zu Fuß noch mit dem Auto, das Gehöft lag wie auf dem Präsentierteller.

Etwa hundert Meter vor seinem Ziel standen dreißig Meter links von der Spur drei Bäume eng zusammen; dort legte er den Rucksack ab und holte die Wanzen, die Lampe, den Schlossrüttler und das kleine Werkzeugpäckchen heraus. Die restliche Strecke pfiff er unmelodisch vor sich hin und ignorierte beharrlich das leichte Stechen in der Magengegend. Wenn die Unbekannten erschienen, während er noch im Haus steckte und seine Wanzen montierte, dann aber Gute Nacht...

Für das Schloss der äußeren Tür mit der vorgetäuschten Vernagelung genügte ein einfacher Dietrich; er zog sie vorsichtig auf, und ihm wurde warm. Die äußere Holztür verbarg eine Stahltür mit zwei Sicherheitsschlössern. So etwas hatte er befürchtet und auch erhofft. Hier feierten also keine verrückten Sektenmitglieder nächtliche Ritual-Messen; wer eine solche Tür samt Rahmen nachträglich einbaute, hatte etwas Wichtigeres zu verbergen. Sorgfältig suchte er die Kanten ab, die Tür war sogar in einen doppelten Stahlrahmen eingelassen, bei soviel Vorsicht musste er mit einer Alarmanlage rechnen. Und die notwendigen Kontakte konnten, aber mussten nicht außen sitzen.

Nach zwanzig Minuten holte er tief Luft und nahm den Rüttler. Kontakte hatte er nicht entdeckt, auch keinen Schalter in der Umgebung der Tür, um eine Anlage aus- und einzuschalten.

Der Rüttler sah wie eine verunglückte Werkzeugmaschine aus. Statt eines Bohrers besaß er allerdings eine schmale, aus mehreren Lamellen bestehende Edelstahl-Zunge, die er sorgfältig an den senkrechten Schlitz des Schlosses setzte. Ein Knopfdruck, der Motor summte, er spürte das leichte Schütteln und Vibrieren und drückte vorsichtig gegen das Gerät. Die Zunge glitt in kleinen Rucken in das Schloss, es knirschte leise, nach dreißig Sekunden ließ er den Knopf los und drehte das ganze Gerät ohne Widerstand nach rechts.

Keine Minute später war auch das zweite Schloss geöffnet.

Die Tür führte direkt in einen großen Raum. Er wagte vorerst nicht, die Taschenlampe anzuknipsen, lauschte und schnüffelte: Es roch lange nicht so modrig oder feucht, wie ein verlassenes Zimmer zu miefen pflegte. Hier hatten sich in letzter Zeit Menschen aufgehalten, und als er mit dem kleinsten Lichtstrahl umherleuchtete, sah er einen Tisch, mehrere Stühle und ein offenes Regal, auf dem Fleischdosen und Beutel mit Reis und Flocken standen. Der Boden bestand aus grob behauenen Dielenbrettern, die Wände waren flüchtig verputzt worden. Zwei Türen führten ins Innere des Hauses.

Weil sich der Druck in der Magengegend verstärkte, beschränkte er sich auf eine flüchtige Inspektion. Die anderen Räume waren völlig leer, keine Möbel, kein Gerümpel. Es gab nur einen langen, schmalen Flur, an dem alle Zimmer lagen, auch eine Küche mit einem altmodischen gemauerten Kohleherd, die seit Jahren nicht mehr benutzt worden war. Der Steinfußboden wies hässliche und gefährliche Lücken auf, an anderen Stellen des Hauses waren die schadhaften oder verfaulten Dielen durch frische Holzbretter ersetzt worden. Der Flur endete vor einer leiterähnlichen Stiege, die nach oben bis auf den Dachboden reichte; er kletterte hinauf und prüfte nur den Staub auf dem Boden, so weit der Lichtkegel reichte: fingerdick und unberührt. Hierhin hatte sich seit Monaten keiner verirrt.

In den leeren Zimmern entdeckte er die Abdrücke von Schuhen im Staub auf dem Boden. Aber bis auf Kleiderhaken, an denen Plastikbügel hingen, fehlte jede Einrichtung.

Die erste Wanze befestigte er mit Klebeband in dem schmalen Flur an der Decke. Aus einer Holzbohle war ein Stück herausgebrochen, und das Gerät passte genau in die Vertiefung. Die andere Wanze montierte er in dem möblierten Raum oberhalb der Tür, die in den Flur führte; das Deckbrett des Durchbruchs sprang so weit vor, dass sie auf der Oberseite nicht zu sehen war. Dann trat er einen eiligen Rückzug an und atmete erleichtert auf, nachdem er beide Schlösser der Stahltür mit dem Rüttler und das Schloss der Tarnungstür mit dem Dietrich wieder verschlossen hatte. Die Wanzen waren auf Wartebetrieb gestellt; sobald die Mikrophone etwas auffingen, schaltete eine Elektronik den Sender ein, und erst der arbeitende Sender setzte Empfänger und Kassettengerät in Betrieb.

Seine drei Bäume fand er auf Anhieb wieder. Zwischen ihnen und der Zufahrt auf den Hof lag ein kleiner Teich, der Schutz vor Abweichlern vom rechten Weg bieten sollte. Selbst wenn wieder Wachen patrouillierten, war es unwahrscheinlich, dass sie auch auf seiner Seite des Teiches nachschauten. Jetzt rückte er zwei Steine zusammen und richtete er sich auf das ein, was das Leben des Privatdetektivs bestimmte: Warten. Und Hoffen, dass wirklich etwas passierte.

Am Himmel funkelten nur einzelne Sterne, und trotz der Wolken, trotz des zweiten Pullovers kam es ihm noch kälter vor als gestern nacht. Nach einiger Zeit des Stillsitzens begann es in seiner Umgebung auch wieder zu rascheln und zu knistern, er hätte schon gern gewusst, welche Tiere da verstohlen unterwegs waren. An die Geräusche konnte man sich gewöhnen, und danach begann der Kampf gegen die Lider, die immer schwerer wurden. Seine Gedanken abzuschalten hatte er gelernt, anders ließen sich viele Stunden gar nicht aushalten, aber der Preis dafür war eine ungeheure Schläfrigkeit. Zum Schluss döste er mit offenen Augen vor sich hin und brauchte unendlich lange, bis er den hellen Fleck, der sich weit entfernt am Horizont entlangbewegte, als Autoscheinwerfer identifizierte.

Die Horst Bieber Krimi Sammlung 2021: Krimi Paket 8 Romane auf 1500 Seiten

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