Читать книгу Die Horst Bieber Krimi Sammlung 2021: Krimi Paket 8 Romane auf 1500 Seiten - Horst Bieber - Страница 26

Dritter Mittwoch

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Fast ein Uhr.

Aus dem Fleck wurden zwei leuchtende Punkte, der Wagen war in den Seitenweg abgebogen. Er schaltete den Restlichtverstärker an, schraubte das Objektiv-Verbindungsstück an die Kamera. Auf der Scheibe erschienen gelblichgrüne Konturen.

Die beiden Flecken verwandelten sich in zwei tanzende Scheinwerfer, die im Schneckentempo näherkamen. Bald hörte er den Motor, der Wagen rumpelte, in der Stille registrierte er das Ächzen des beanspruchten Fahrwerks. Hinter den Stämmen saß er geschützt, das Auto schlich an dem Teich vorbei, bog auf den Hof ein, rangierte um die Scheune herum und parkte endlich auf der Rückseite, keine zehn Meter von der Eingangstür entfernt. Die Scheinwerfer erloschen, er hatte vorsichtshalber zur Seite geblickt, der Motor wurde abgestellt, und er setzte das schwere Gerät an, beide Ellbogen auf die Knie gestützt.

Das Auto war deutlich zu erkennen. Erst kurz vor der Tür zeichneten sich in den Gesichtern der beiden Männer dunklere Konturen ab. Den Kleineren kannte er nicht, aber der andere, der Große, war Martin Wolzek, was ihn nicht verwunderte. Trotzdem schnaufte er erleichtert, sein Verdacht schien sich zu bestätigen und die Mühe zu lohnen.

Jetzt machte sich Wolzek an der Tür zu schaffen. Der andere Mann trug einen schweren, formlosen Beutel in der Hand, der alles Mögliche enthalten konnte. Wolzek öffnete die Tür ohne Zögern, er hatte also keinen Verdacht geschöpft, und als die beiden Männer im Haus verschwunden waren, schaltete er das Nachtsichtgerät aus, um den Akku zu schonen, und setzte sich einen Kopfhörer auf. Jetzt musste die Wanze in dem möblierten Zimmer...jawohl, sie arbeitete und schaltete Sender und Empfänger ein.

In den Ritzen der Bretter, die vor das Fenster genagelt waren, erschien Licht. Wenn noch andere kamen und die Tür öffneten, musste etwas Licht auf den Hof fallen...sorgfältig befestigte er die Kamera auf dem Restlichtverstärker und stellte Entfernung, Blende und Belichtung ein.

"He, Vorsicht, das Zeugs ist brennbar." Eine sehr verzerrte Männerstimme, dunkel und mit einem schleppenden Tonfall.

"Keine Angst, es ist gut verpackt."

Pause. Dumpfe Geräusche, die er nicht identifizieren konnte.

"Bring's trotzdem weg."

"Okay."

Pause. "Wo ist der verdammte Schraubenzieher?"

"Keinen Ahnung. Nimm doch die Zunge."

"Ich kann mich beherrschen...hier ist er ja."

Etwas quietschte und schrammte, dann trat eine gespenstische Ruhe ein. Eilig zog er den Stecker des Kopfhörers heraus, stöpselte ihn in den zweiten Empfänger, die zweite Wanze in dem schmalen Flur sendete, die Cassette des zweiten Gerätes drehte sich, aber die Geräusche ergaben keinen Sinn, ein rhythmisches, dumpfes Klopfen, das nach wenigen Sekunden wieder abbrach.

Er wechselte auf das erste Gerät zurück.

Nach fast fünf Minuten Schritte. Knarren. "So, fertig."

"Gut."

Schweigen. Das Rauschen endete abrupt, die Wanze hatte abgeschaltet, was nur heißen konnte, dass die beiden Männer still saßen und keine Geräusche verursachten. Warte-Profis, dache er einen Moment amüsiert. Obwohl er sich nicht die Mühe mit der Installation gemacht hatte, um das herauszufinden.

Dann sprangen die Zimmergeräte wieder an.

"...zu riskant. Eine Woche noch, dann räume ich hier aus."

"Ich halte das Ganze sowieso für eine Schnapsidee."

"Befehl ist Befehl, Genosse. Oder hast du etwa eine bessere Idee?"

Lange Pause.

"Nein."

"Na siehs'te! Und eines kann ich dir flüstern: Nach der großen Pleite verlasse ich mich hier auf keinen mehr. Diese Waschlappen! Marsch durch die Institutionen! Wenn ich das schon hör'! Die ganze schöne linke Gesinnung funktioniert nur, solange die Knete vom Staat überkommt. Nee, nicht mit mir, ich hab' Zeit, ich hab' Geduld, und wer es eiliger hat, soll seinen eigenen Kopf hinhalten."

"Und glaubst du wirklich, der Wind wird wieder drehen?"

"Tut er doch schon! Mensch, so haben sich diese intellektuellen Hosenscheißer die neue Gesinnung auch nicht vorgestellt. Noch etwas nachhelfen, und der Wind dreht sich endgültig. Glaub' mir!"

Längere Pause, unterbrochen von Knistern und Schaben.

"Dann sollten wir in dem Aufruf aber auch deutlicher werden."

"Nein, bloß nicht! Erstens haben wir darüber abgestimmt, zweitens benutzt sie die Formeln und Argumente schon bei jeder passenden Gelegenheit, und drittens, lieber Anwärter, merk' dir eins: Wenn du jemanden leimen willst, darfst du ihn nie auf den Fliegenfänger schubsen. Auf den muss er schon selbst kriechen."

Danach schwieg der andere Mann, und Kramer setzte nachdenklich den Kopfhörer ab. Wenn er richtig gehört hatte, konnte er alles vergessen, was er bisher kombiniert hatte, dann hatte er es mit einem wirklichen Komplott zu tun, in dem alle Beteiligten um drei und vier Ecken dachten, in dem Menschenleben keine Rolle spielten...

Die Cassette des Zimmergerätes drehte sich immer wieder einmal, aber er hatte genug gehört.

Eine gute Stunde danach bemerkte er drei helle Flecke am Horizont, und zehn Minuten später fuhren drei Autos auf den Hof. Er hatte den Restlichtverstärker eingeschaltet, bediente den Kameraverschluss und presste ein Auge an den Sucher, hielt den Atem an, als die Tür von innen geöffnet wurde, Licht auf den Hof fiel und er die ersten Männer deutlich erkennen konnte. Glatzen. Lederjacken, Tarnanzugshosen, Kampfstiefel, breite Nietengürtel, schwarze Hemden. Skinheads oder Neonazis oder Rechtsradikale, nach der Kleidung zu schließen. Zehn Mann, Jugendliche, einer trug auf dem Rücken seiner Jacke den Adler der kaiserlichen Kriegsflagge. Und zwei im Hause, die jetzt heraustraten. Gruppenaufnahme, er knipste, der Transportmotor schnurrte brav, es klappte wie bestellt und geprobt.

"Alles glatt gegangen?"

"Ihr seid spät dran."

"Nein, ganz große Scheiße." Die Männer polterten in den Raum, das Mikrophon wurde von den lauten Geräuschen fast übersteuert.

"Was ist los?"

"Die Silke hat geschlafen. Warum hat sie uns nicht gewarnt? Die Polente hat dieses verdammte Clubhaus überwacht."

"Was?"

"Ich brauch' jetzt unbedingt einen Schluck."

"Wenn ich den Arsch erwische...Das war verdammt knapp...dieser Blödian hat auch gleich die Nerven verloren...ich? sollte ich etwa brav anhalten?"

"Ruhe!", donnerte eine Stimme. "Der Reihe nach. Werner!"

Die Geräusche von unruhig hin- und herlaufenden Menschen dauerten an, aber wenigstens sprach jetzt nur einer.

"Die Bullen haben schon auf uns gewartet. Wir konnten eben noch die Fackeln werfen, dann ging's schon los, halt, Polizei, stehenbleiben, Ole hat noch die ganzen Flugblätter rausgeschmissen, dann nix wie rein in die Autos, aber die Bullen wollten uns den Weg abschneiden, und Jensen hat direkt auf zwei Typen zugehalten und sie plattgefahren."

"Ihr seid ja von..."

"Was sollten wir denn machen? Uns festnehmen lassen? Die Bullen haben doch sofort losgeballert, wir haben zurückgeschossen, Mensch, Genosse Major, mussten wir doch, mit dem ganzen Sprengstoff im Kofferraum - sollten wir einfach stehenbleiben?"

Die störenden Geräusche wurden leiser, die meisten standen jetzt wohl still.

Nach einer langen Pause fragte der mit dem schleppenden Tonfall: "Ist jemand verwundet worden?"

"Von uns nicht."

"Und bei der Polizei?"

"Drei oder vier."

"Scheiße. Verdammte Inzucht. Das hat uns gerade noch gefehlt."

"Wir sind aber glatt weggekommen. Und haben als erstes die Nummernschilder ausgewechselt."

"Hat euch jemand verfolgt?"

"Nein, wir haben uns getrennt und erst am Ortlkopf wieder getroffen."

Pause. Der mit der schleppenden Stimme - war das Wolzek? Der Genosse Major?

"Na schön. Zieht euch um und packt das Zeugs weg. Ich muss überlegen, was wir jetzt machen."

Hastig stöpselte er den Kopfhörer-Stecker in das zweite Gerät für die Wanze im Flur. Wieder dieses unerklärliche rhythmische Geräusch. Er hob die Kamera mit dem Verstärker an die Augen. Männer kamen aus der Tür, luden Gegenstände aus den Kofferräumen, eine Maschinenpistole erkannte er auf dem Schirm, die anderen Sachen blieben durch die Körper verdeckt. Wieder klickte der Verschluss, summte der Kameramotor. Zurück auf den ersten Wanzen-Empfänger. Ein neues Geräusch, der Motor spulte den belichteten Film in die Patrone zurück. Hastig fädelte er den zweiten Film ein, lauschte, beide Kassettengeräte liefen jetzt gleichmäßig.

"...uns aber nicht. Einzeln mitgehen, nie in einer vorderen Reihe oder außen. Deckung, habt ihr verstanden, immer Deckung."

"Geht in Ordnung."

Langsam schmerzten seine Arme, das Gerät mit der Kamera wog immer schwerer. Dann hörte er den Befehl: "Abmarsch!"

Fast hätte er gelacht. Aus der Tür traten ganz normale Jugendliche auf den Hof. Lange Haare, Jeans, Jogging-Schuhe, bunte Anoraks ohne Embleme, keine Nietengürtel und keine Lederjacken, keine Springerstiefel, keine Messer. Harmlose junge Männer, nach denen sich keiner auf der Straße umdrehte. Nicht eine Glatze. Irgendwo im Haus musste die Verkleidung einschließlich der Perücken versteckt sein. Und kein Mensch würde ihm glauben, was er hier beobachtet und belauscht hatte. Wenn nicht - er hielt den Finger fest auf dem Auslöser und hörte, dass der Verschluss pausenlos klickte, der Film transportiert wurde. Als er zehn Männer zählte, ließ er den Auslöser los. Zwei oder drei Bilder wollte er sich für Wolzek und den anderen aufsparen.

Wolzek und sein Begleiter fuhren als letzte fort, nachdem sie die innere Stahltür und die Tarnungstür verschlossen hatten. Zwei Bilder hatte er noch geschossen, auf beiden mussten sie deutlich zu erkennen sein.

Drei Uhr. Er schluckte überrascht, es war ihm viel länger vorgekommen. Als die letzten Lichter verschwunden waren, erschien ihm die Nacht nicht mehr so friedvoll wie bisher. Er fror, und das nicht nur, weil er sich lange nicht bewegt hatte und seine Arme von den schweren Geräten zitterten.

Fünfzehn Minuten gab er vorsichtshalber zu, dann schraubte er die Kamera vom Restlichtverstärker, steckte einen Reservefilm in die Tasche und drang noch einmal in das Haus ein. Nicht nur, um seine beiden Wanzen abzubauen. Es war nicht seine Aufgabe, hier direkt einzugreifen, aber er konnte auch nicht so tun, als habe er nichts mitbekommen; da musste ihm noch etwas einfallen.

Wo zum Teufel versteckten die Burschen ihre Kleidung und die Sachen, die sie ins Haus getragen hatten?

Auf dem Fußboden des Flures konnte er keine Fugen erkennen. Langsam leuchtete er jeden Winkel, jeden Quadratzentimeter aus. Auch in den gesprungenen Fliesen der Küche entdeckte er kein Muster, keine Umrisse einer Falltür oder Klappe. Aber so etwas musste hier existieren! Das erste Zimmer. Staub auf den Dielenbrettern, gleichmäßig bis auf die Sohlenabdrücke.

Das zweite Zimmer. Probeweise rüttelte er an den Garderobenhaken. Nicht sehr fest verschraubt, aber keiner ließ sich drehen oder gab nach.

Das dritte Zimmer. Nichts - aber unter der Tür stockte er und drehte sich noch einmal um, richtete die Lampe auf den Boden. Flüchtig gehobelte Bodenbretter, aber ohne die dicke Staubschicht, die in den anderen Zimmern lag. Warum war hier der Fußboden - dann erkannte er das gesuchte Muster. Der Staub war ungleichmäßig verteilt, auf den Brettern direkt unter dem Fenster sah er dünner aus.

Ein Zufall?

Unter den etwas saubereren Dielen klang es hohl. Doch die Bretter saßen bombenfest, rührten sich unter seinem Absatz keinen Millimeter. Unschlüssig sah er sich um. Kleiderhaken - kein Ergebnis. Sonst kein Möbelstück, kein Gegenstand. Den Lichtschalter hatte jemand halb aus der Wand gerissen, die Isolierung der Kabel war gebrochen, im Strahl der Lampe schimmerte das Kupfer golden - Moment mal! Warum drei Kabel? Blankes, nicht angelaufenes Kupfer? Als hier elektrische Leitungen verlegt wurden, nahm Großvater die Großmutter zur Frau und dachte kein Mensch an eine Schutzerdung. Vorsichtig drehte er den altertümlichen Schalter. Nichts, die Lampe blieb dunkel. Auch Glühbirnen hielten nicht ewig. Aber warum drei Kabel?

Was hatte der eine gesucht? Einen Schraubenzieher - und er dachte nicht daran, seine Zunge zu benutzen. Schraubenzieher - keine Zunge...

Eilig ging er in den großen Raum auf der Rückfront zurück und inspizierte das Regal. Dosen, Büchsen, Plastikbeutel mit Reis und Nudeln...

Dann fand er einen Schraubenzieher mit einem Holzgriff. Das musste er sein! In dem dritten Zimmer probierte er sein Glück und legte den Schraubenzieher über zwei der drei blanken Kabel. Wenn er jetzt einen Kurzschluss erzeugte...dann blieb ihm fast das Herz stehen. Unter ihm erscholl ein dumpfes, rhythmisches Pochen, das sofort wieder erstarb. Ihm war der Angstschweiß ausgebrochen, und als er wieder regelmäßig atmen konnte, legte er den Schraubenzieher über die beiden anderen Kabel. Sofort hob das Pochen an, brach nicht ab, eine Pumpe, natürlich, ein schabendes Geräusch von Metall auf Metall, und dann senkten sich die Bodenbretter unter dem Fenster auf einer Seite majestätisch ab, auf der anderen Seite in Gelenken gelagert. Eine gähnende Höhle tat sich auf, aus der es kühl zu ihm heraufwehte, nach fünfzehn Sekunden stießen die Bretter mit einem dumpfen Poltern auf den Kellerfußboden, und die Hydraulik-Pumpe stellte sich ab.

Er holte tief Luft und kletterte über die Leiter auf der freien Seite der Öffnung hinunter. Direkt neben der Leiter stand ein Pfosten mit einem Lichtschalter, er riskierte es, und mehrere Lampen leuchteten auf.

Obwohl er sich so etwas Ähnliches vorgestellt hatte, blieb er wie angenagelt stehen und traute seinen Augen nicht. Es war wirklich ein Gewölbe, nachträglich gegraben und mit Stahlbögen abgestützt. Vielleicht zwölf auf zehn Meter groß, und bis in den letzten Winkel vollgepackt. In der Mitte blieb gerade Platz für einen schmalen Gang, in dem ein Tisch mit zwei Stühlen stand. Kisten über Kisten, aus Holz und Metall, mit Tragegriffen, Bündel, Dosen, Kanister und Röhren. Einige Aufschriften konnte er entziffern: Vorsicht, Sprengstoff. Feuergefährlich. Explosiv. Gurte mit Patronen. Er öffnete wahllos den Deckel einer Kiste: Magazine für Maschinenpistolen. Andere Kisten: Pistolen. Maschinenwaffen. Handgranaten. Flache Scheiben mit einer Erhöhung in der Mitte: 12 Kilogramm, las er, also Tretminen. Zünder. Zeitschaltuhren. Gewehre mit Zielfernrohren. Tränengas- und Rauchpatronen. Messer und Klappspaten.

In Folie verschweißte, handliche Pakete mit einem schmutzig gelben Kitt. Beschriftet in kyrillischen und lateinischen Buchstaben: Sempex. Sempex? - das war doch dieser Plastiksprengstoff, der von den Kontrollgeräten so schwer zu orten war?

Leuchtspurmunition, Leuchtgranaten. Waffenöl, Putzwolle. Er glaubte zu träumen, das war ein regelrechtes Waffenarsenal, damit konnte man eine kriegsstarke Kompanie ausrüsten...Taucheranzüge. Druckluftflaschen. Tarnuniformen, da hing ja auch die Kollektion von Ledersachen, mit der sich "harmlose" Männer in Rechtsradikale und Neonazis verkleideten. Einschließlich Glatzen-Perücken. Harmlos - nun ja. Am Ende des Ganges war in einem Metallregal eine kleine Druckmaschine befestigt; zwei oder drei missglückte Andrucke waren achtlos zusammengeknüllt auf den Boden geworfen; er überlegte und steckte sie ein.

Es wurde Zeit, dass er hier verschwand.

Nach drei Aufnahmen spulte die Kamera den präparierten Film zurück; er wechselte ihn gegen die Reservepatrone aus und knipste noch dreißig Bilder, darauf bedacht, möglichst viel von den Waffen, den Geräten und den Schriften auf den Kisten scharf auf's Bild zu bekommen. Und von der schwarzen Lederkleidung.

Am Fuß der Leiter blieb er trotz seines schmerzenden Magens stehen und kontrollierte das Gewölbe. Nein, alles wie vorher, alle Kisten wieder zugeklappt, keine Spuren hinterlassen, nichts vergessen. Licht ausgeknipst und Leiter hoch. Er hatte das Gefühl, als habe er zu lange den Atem angehalten, tauche nun zur Oberfläche auf, dürfe wieder nach Luft schnappen.

Der Schraubenzieher lag unter dem Lichtschalter, er legte ihn über das mittlere und das rechte Kabel, die Pumpe sprang an, die Bretter hoben sich, und das schabende Geräusch zum Schluss rührte von der Verriegelung her. Als das rhythmische Geräusch verstummte, konnte er sich nicht entspannen, etwas störte ihn...der Lichtschalter. Er hatte versucht, die Lampe anzuknipsen. Vorsichtig drehte er den Schalter, erzeugte danach wieder Kurzschluss zwischen dem mittleren und dem rechten Draht, die Pumpe rührte sich nicht. Eine simple Tarnung, aber die waren oft die besten.

Den Schraubenzieher auf's Regal zurückgelegt, Licht aus, die innere Tür mit dem Rüttler verriegelt, die Täuschungsnägel hineingedrückt, das primitive Schloss mit dem Dietrich versperrt. Er musste sich zur Sorgfalt zwingen, und bevor er an den drei Bäumen den Rucksack packte, trank er den restlichen Kaffee aus der Thermoskanne.

Der Rückmarsch ermüdete, dehnte sich endlos. Am liebsten hätte er noch eine Stunde im Auto geschlafen, er gähnte und zitterte vor Erschöpfung, die nicht nur von der körperlichen Anstrengung herrührte, aber er wollte vor Anbruch des Tages zu Hause sein.

In der Haffstraße brannte kein Licht mehr, niemand bemerkte den müden Mann mit dem schweren Rucksack.

"Liebe Hörer, wir melden uns wieder vom Vereinsgelände..."

Bei dem "Clubhaus" handelte es sich um das zentrale Gebäude des "Vereins Begegnung", der vor elf Jahren gegründet worden war. Ausländer und Deutsche trieben hier gemeinsam Sport, es gab eine kleine Bühne und einen Saal für Veranstaltungen. Das ganze Projekt hatte mehr schlecht als recht funktioniert und war erst in die Schlagzeilen geraten, als sich eine Gruppe "MultiKulti" zum Sprecher des Vereins aufwarf; seitdem entluden sich hier immer wieder einmal Spannungen, von denen keiner so recht wusste oder sagen wollte, wer sie geschürt hatte. Ausländer, die schon länger in der Stadt wohnten, blieben fern, auch Deutsche zogen sich zurück, und auf dem Gelände des Vereins, das der Stadt gehörte, war eine Containersiedlung für Asylbewerber aufgestellt worden.

Er saß bei einem sehr verspäteten Frühstück und hörte zu, was Stadtradio berichtete.

Weil die Feuerwehr umgehend alarmiert worden war, hatte der Brand keinen großen Schaden angerichtet. Zweifellos handelte es sich, wie den am Tatort aufgefundenen Flugblättern zu entnehmen, wieder um eine Aktion der Gruppe 3 D, Deutschland den Deutschen. Diesmal lautete der zynische Aufdruck: "Wir haben nichts gegen Ausländer, wir lieben sie sogar - am meisten im Ausland." Und zum ersten Mal hatte eine rechtsradikale Splittergruppe auf die Polizei geschossen, die routinemäßig die Containersiedlung bewachte. Ein Polizist war durch einen Streifschuss leicht verletzt worden, einer hatte sich den Arm gebrochen, als er sich vor einem Täterauto durch einen Sprung zur Seite retten musste. Und einen jungen Obermeister hatte es erwischt; das Auto schleuderte ihn mehrere Meter durch die Luft; eine Stunde später war er an den Folgen seines Schädelbruchs und der inneren Verletzungen gestorben.

Von den Tätern fehlte jede Spur, die drei an dem Überfall beteiligten Wagen waren entkommen. Vieles sprach dafür, dass die Kennzeichen falsch waren. Ein Pressesprecher des Polizeipräsidiums erklärte, die drei jüngsten Anschläge - Bauwagensiedlung am Kanal, Böttgergasse und "Verein Begegnung" - gingen ohne jeden Zweifel auf das Konto der Aktion Drei D. Diese Organisation sei bis vor vier Monaten nicht in Erscheinung getreten, aber die Polizei verfolge bereits im rechtsradikalen Milieu einige vielversprechende Spuren.

Kramer grinste breit und glaubte ihm das so wenig wie Silke Glas, die den Sprecher mehrfach unterbrechen wollte, aber nicht zu Worte kam.

Doch dann folgten einige Sätze, die ihn aufhorchen ließ.

"Ich will nicht verschweigen, dass wir bei der Polizei sehr beunruhigt sind. Dass es Ausländerfeindlichkeit gibt, ist ja kein Geheimnis, aber wir hatten so viele Monate Ruhe, also keine Anschläge oder Gewalttaten, und wir haben, offen gesagt, eigentlich damit gerechnet, dass sich die Auseinandersetzung in den politischen Raum verlagert hat. Diese neue, diese gezielte Welle von Gewaltaktionen lässt uns das Schlimmste befürchten. Zumal wir uns, nach der Verschärfung des Asylrechts, über die eigentliche Stoßrichtung dieser Aktion noch im Unklaren sind."

"Moment! Was heißt 'unklar'? Es geht doch gegen...DDD greift doch Ausländer an!"

"Das ist nicht so eindeutig, Frau Glas. In der Böttgergasse - klar, eine Asylbewerberunterkunft. Ausländer aus aller Herren Länder. Aber in der Bauwagensiedlung an der Kanalbrücke lebten nur Deutsche..."

"Wenn die Bande das gewusst hat!"

"Hat sie. Bestimmt! Wer solche Anschläge so präzise ausführt, hat sich vorher genau informiert. Und jetzt der 'Verein Begegnung'. Ausländer, sicher, meistens Türken, aber die leben hier seit zehn und mehr Jahren, legal wohlgemerkt, arbeiten, zahlen Steuern und Sozialabgaben, die Kinder sprechen besser Dialekt als ich..."

"Ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen."

"Wir fürchten, Frau Glas, dass sich hier eine Vereinigung von zwei verschiedenen Bewegungen abzeichnet, Ausländerhass und Rassismus auf der einen und sozialer Protest auf der anderen Seite..."

Weil Silke Glas die Brisanz dieser Aussage nicht verstand, verabschiedete sie den Sprecher unhöflich schnell und kündigte dann an, dass sich inzwischen 31 Parteien, Organisationen und Gruppen zu einer parteiübergreifenden Aktionsgemeinschaft gegen Gewalt, Rechtsradikalismus und Ausländerfeindlichkeit zusammengeschlossen hatten.

"Ich lese aus dem Aufruf vor: Die Gefahr für den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat verlangt von allen Politikern, Parteiziele hintanzustellen. Ob links oder rechts, ob national oder international - jetzt gilt es, Freiheit und Sicherheit aller Menschen, die in Deutschland leben, entschlossen und gemeinsam zu verteidigen. So, das war's, es verabschiedet sich Silke Glas vom Stadtradio."

Auch er drückte den Einschaltknopf und rieb sich das Kinn. Sehr lange und sehr nachdenklich. Verrückte Theorien produzierte er am laufenden Meter, darin war er groß, aber in seinem Kopf formte sich eine Idee, wie er sie auch beweisen konnte. Gähnend schlich er zum Telefon.

Anielda legte los wie ein überhitzter Dampfkessel: "Was fällt dir eigentlich ein? Wo treibst du dich herum? Was wird hier gespielt? Glaubst du eigentlich..."

Er nahm den Hörer vom Ohr und hielt ihn weit weg. Überdruck musste entweichen, auch Anielda durfte Dampf ablassen, und nach einer Minute unterbrach er sie: "Bist du endlich fertig?"

"Du...du..."

"Noch ein 'du', und ich kürze dein Honorar. Jetzt kommst du mit deinem Auto zu meiner Garage in die Haffstraße, bringst Geduld und gute Laune mit. Alles klar? Oder noch einmal langsam zum Mitschreiben?"

"Ich werd' dir was hinter die Ohren schreiben..."

Mit solch leeren Drohungen schreckte sie ihn schon lange nicht mehr.

Als sie endlich knatternd in die Garagenzeile einbog, hatte er bei seinem Wagen schon den Peilempfänger ausgebaut, sprang aber doch vorsichtshalber zur Seite, weil er weder ihren Bremsen noch ihrem Temperament traute. Ihr hungriges Lächeln, als sie ausstieg, bestätigte ihm, dass er gut daran getan hatte.

"Guten Tag, lieber Rolf", flötete sie.

Er zeigte ihr einen Vogel, und damit war ihr normaler Umgangston wieder hergestellt.

"Keine Überwachung mehr?", erkundigte sie sich, als er auch ihren Peilempfänger ausbaute und die Einzelteile in dem zerbeulten Kleintransporter verschloss.

"Nein. Oder ist die schöne Silke noch zu einer anderen Adresse gefahren?"

"Nein. Immer wieder nach Millsen, Zypressenweg 17. Der Besitzer des Hauses heißt übrigens Peter Christians. Dort bleibt sie immer nur höchstens eine Stunde und fährt dann in die Stadt zurück, entweder in die Rauchstraße oder zu diesem Wolzek in die Bredener Straße."

"Hast du diesen Christians einmal zu Gesicht bekommen?"

"Einmal, ganz flüchtig. Etwa 60 Jahre alt, schlank, weißhaarig, gut aussehend. Er hinkt, als ob er ein steifes Bein hätte, braucht aber keinen Stock."

"Ja, das dachte ich mir."

"Du denkst sehr viel, wie?"

"Meistens an dich. So, fertig, kutschiere den Schandfleck der deutschen Autoindustrie aus meiner Garage und lasse dich bei keinem der Leute mehr blicken."

"Das heißt, es geht dem Ende zu?"

"Ja, du darfst schon mal deine Rechnung schreiben."

Zwar drohte sie ihm noch mit der Faust, und nur für alle Fälle ging er in Deckung, aber sie wusste aus früheren Fällen, dass er ihr später alles erzählen würde. Spätestens im Thermalbad; er kannte diesen prüfenden Blick und das schnelle Lecken über die Lippen.

Den Nachmittag war er gut beschäftigt, zuerst in der Dunkelkammer. Drei Filme entwickeln, Kontaktabzüge herstellen, ja, die Bilder waren alle etwas geworden, von allen Negativen je zwei große Abzüge, es artete in Arbeit aus, für die ihn kein Mensch bezahlen würde. Danach wechselte er in sein Bastelzimmer und grummelte, hier musste mal wieder geputzt werden. Von den beiden Cassetten, die heute nacht die Gespräche in dem Hof aufgezeichnet hatten, stellte er Kopien her, überspielte eine Kopie auf ein Tonband, das er mit doppelter Geschwindigkeit laufen ließ, spulte zurück und koppelte an den Ausgang einen Oszillographen an. Mit normaler Geschwindigkeit abgespielt produzierte das Band dumpfe, tiefe Töne und Brummlaute, die im Kopfhörer völlig unverständlich waren, aber auf dem Schirm seines Gerätes wunderschöne Kurven erzeugte. Geduldig spielte er mit den Knöpfen für die Vertikal- und Horizontalablenkung, veränderte die Synchronisationsfrequenz, rauf und runter, und zauberte schließlich ein sauberes Hüllkurvenpaket auf die Bildfläche. Ja, das ließ sich auswerten; wie eine Stimmfrequenz-Analyse funktionierte, wusste er, ihm fehlten nur die Geräte, aber ein Landeskriminalamt sollte über die notwendige Ausrüstung verfügen. Und seine Maßnahme gegen unerwünschte Mithörer, die Invertierung eines bestimmten Ausschnitts aus dem Niederfrequenzbereich im Sender und die Rückdrehung im Empfänger, hatte sauber funktioniert. Das war eine Schwachstelle, weil die frequenzbestimmenden Kondensatoren und Widerstände ihre Werte mit der Temperatur leicht veränderten. Vergnügt schaltete er ab und räumte zusammen.

Das teure Messtischblatt würde er opfern. Mit krakeligen Druckbuchstaben schrieb er in eine Ecke: "Hier ist das Versteck!" und zog einen zittrigen Pfeil auf das leerstehende Gehöft, das er liebevoll umkringelte.

Die beiden Blätter, die er im Kellergewölbe eingesteckt hatte, waren mit Druckfarbe verschmiert und nur streckenweise leserlich.

Ein Aufruf

Sogenannte Liberale und selbsternannte Demokraten haben die sozialistische Linke nach der Auflösung der Sowjetunion, nach dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung verächtlich auf den Müllhaufen der Geschichte werfen wollen. Eine demoralisierte Linke hat es ohne Widerspruch hingenommen: Freie Bahn den freien Kräften. Diese Kräfte zeigen sich jetzt, bei der Wohnwagensiedlung an der Kanalbrücke, bei dem Asylbewerberheim in der Böttgergasse, beim Clubhaus des Vereins Begegnung.

Soll so das Neue Deutschland aussehen? Freie Bahn den Rechten? Weil man mit der Linken nicht in einer Front gegen diese Demokratiefeinde stehen darf?

Dies ist ein Aufruf an alle - zur Besinnung! Weil heute mehr auf dem Spiele steht als die Beschickung historischer Müllhaufen.

Na ja. Er schnaufte und holte einen dicken Umschlag, in den er ein Exemplar des Aufrufs, das Messtischblatt, die Cassetten und einen vollständigen Satz Fotos packte. Reichlich Klebeband, dann mit breitem Filzstift schöne große Druckbuchstaben aufgemalt: "Herrn Holger Weisbart. Persönlich/vertraulich".

Um 22 Uhr wartete er in einer kleinen dunklen Straße hinter dem Gebäude des Tageblatts, bis der Nachtpförtner seinen Dienst an dem Neben-Eingang für das technische Personal antrat, lief schnell hinüber und drückte dem alten Mann den Umschlag in die Hand: "Den soll ich hier abgeben..."

"Aber die Redaktion ist schon gegangen."

"Is' mir egal, ich soll's nur abgeben."

"Ja, ja, schon gut, geht in Ordnung", winkte der Pförtner mürrisch ab.

Die Horst Bieber Krimi Sammlung 2021: Krimi Paket 8 Romane auf 1500 Seiten

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