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Dritter Freitag

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Um zwei Uhr wollte er nicht länger warten. Seit einer Stunde war kein Auto mehr vorbeigefahren, kein Fußgänger vorbeigekommen. Nirgendwo brannte mehr Licht; sie hockten hinter dem Gebüsch und beobachteten im Nachtglas die Abstellplätze vor den Häusern. Der gelbe Flitzer parkte neben dem blauen Golf, offenbar wollte Silke Glas die Nacht bei oder mit Martin Wolzek in der Bredener Straße verbringen. Wogegen er nichts einzuwenden hatte.

"Also los!", befahl er, schnallte sich das Funksprechgerät um und steckte die Hörkapsel ins Ohr. Anielda würde Schmiere stehen, darin hatte sie Übung, und ein bestimmtes Risiko musste er notgedrungen eingehen. Peilsender, Kleber, Draht, Geräte, Werkzeug, Akkulampe - er klopfte die Taschen ab und stieß sie an.

"Warum hast du nicht was Ordentliches gelernt?", jammerte sie, sträubte sich aber nicht.

Es hatte schwieriger ausgesehen. Die Lampen neben den Haustüren erhellten nicht einmal den schmalen Grünstreifen, der sich zwischen den Stellplätzen vor dem Haus 81 und der Parkfläche für das Nachbarhaus erstreckte. Zwar waren die trennenden Sträucher etwas niedrig, sie mussten sich hinlegen und unter dem Laub hindurchkriechen, aber dazu brauchte es keinen Winnetou, das schaffte sogar Anielda. Als sie an ihm Richtung Straße vorbeirobbte, klopfte er ihr auf den Po, ihr Grunzer versprach schreckliche Rache.

"Alles okay", hauchte zwei Minuten später etwas in sein Ohr. Wahrscheinlich schwitze sie wieder Blut und Wasser. Vorsichtig zwängte er sich durch das Gesträuch und kam direkt hinter dem gelben Kleinwagen heraus, wartete eine halbe Minute im Schatten des Autos, nein, hier war er sicher, weder von den Fenstern des Hauses Nummer 81 noch vom Haus in seinem Rücken aus zu sehen. Fast hätte er melodisch gepfiffen, so einfach wurde es ihm selten gemacht.

Den Sender anzubringen dauerte zwei Minuten, eine Minute brauchte er für den Temperaturfühler am Auspufftopf, dreißig Sekunden, um beide Geräte miteinander zu verkabeln. Nicht einmal die Lampe musste er dazu anknipsen. Er konnte sich alle Zeit nehmen, langsam und sorgfältig zu arbeiten, alles noch einmal zu kontrollieren.

"Alles okay", versicherte Anielda per Funk.

Der blaue VW bereitete ihm noch weniger Mühe, weil der Wagen etwas mehr Bodenfreiheit hatte.

"Nicht bewegen, ein Auto!"

Er erstarrte. Das Geräusch kam näher, ein verschwommener Lichtkegel glitt über die Hausfront, das Auto schnurrte vorbei, ohne seine Geschwindigkeit zu verändern.

"Es ist weg, alles okay!"

Unter seinen Armen war es feucht geworden. 'Platz und Ruhe!' kommandierte er dem inneren Schweinehund, drehte den Befestigungsdraht sorgfältig zusammen, verklebte die Kabelkontakte und kroch mit der Gewissheit ins Freie, dass er als Berufseinbrecher wegen schwacher Nerven längst verhungert wäre.

"Ich bin fertig."

Sie trafen sich hinter dem Gebüsch, und sie drohte: "Wenn du mich noch einmal auf den Po haust, ohne dass ich dich dazu aufgefordert habe, wirst du dein blaues Wunder erleben."

Vorsichtshalber sagte er zerknirscht: "Entschuldige."

Schweigend marschierten sie zu ihren Autos zurück, und Anielda wünschte ihm nicht einmal "Gute Nacht". Methusalems Auspufftopf musste dringend ausgewechselt werden.

Er schlief bis Mittag, frühstückte gemütlich und hörte Stadtradio. Noch immer machte der Brand-Anschlag auf die wilde Siedlung an der Kanalbrücke Furore, aber trotz vieler Worte verfestigte sich sein Verdacht, dass die Polizei noch keinen Schritt weitergekommen war. Wer hinter der "Aktion 3 D" steckte, blieb ein Rätsel. Eines, das dringend gelöst werden musste. Denn in der Nacht war ein junger Mosambiquaner an den Folgen der schweren Brandverletzungen gestorben, die er bei dem Anschlag auf das Asylantenheim in der Böttgergasse erlitten hatte. Sein Zimmernachbar schwebte immer noch in Lebensgefahr.

"Hier spricht Silke Glas vom Stadtradio. Nach den beiden feigen und schrecklichen Anschlägen der Aktion 'Deutschland den Deutschen' haben Gewerkschaften, Kirchen, Bürgerinitiativen und die Rathausparteien zu einer großen Demonstration gegen Fremdenhass und Ausländerfeindlichkeit aufgerufen. Sie beginnt am Samstag um 17 Uhr mit einem Marsch vom Rathausplatz zum Westerfeld, wo die Abschlusskundgebung stattfindet. Alle Bürger sind dringend aufgefordert, daran teilzunehmen, ein Zeichen zu setzen, dass es sich bei 3 D um eine isolierte Verbrecherbande handelt. Samstag, 17 Uhr, auf dem Rathausplatz. Einer der Initiatoren ist Peter Schütze von der Aktion Ausländerhilfe. Herr Schütze, was sagen..."

An Schützes Meinung war er nicht interessiert und schaltete das Radio aus.

Elke Fröhling hatte insgesamt 19 Anschriften für "Hellweg" notiert. Die Zettel mit den fünf weiblichen Vornamen heftete er zusammen und legte sie gleich zur Seite. Unter den 14 männlichen Vornamen gab es einen Wolfgang und einen Wolfram, zwei Werner und einen Walter. Einer war nur mit W. abgekürzt, möglich, dass da einer mit seinen Eltern wegen des Vornamens Widukind oder Walarich haderte. Einer seiner früheren Kunden, ein älterer Jahrgang, trug als zweiten Vornamen auch W.; nach dem erfolgreichen Abschluss der Observation stolperten sie irgendwie in ein wüstes Besäufnis, in dessen Verlauf er auch die volle Bedeutung des W.'s erfuhr: Wotan. "Kein Name, sondern ein Zustand", hatte der Weißhaarige noch gelallt; Minuten später kippte er zur Seite, riss das Tischtuch mit und verabschiedete sich für ein paar Stunden von dieser Welt. Lustlos schnappte er sich das Telefonbuch und schrieb die Telefonnummer zu den Anschriften. Vertrauen war gut, Kontrolle war besser; er stockte: Wer hatte ihm mal eingetrichtert, dass Lenin in Wahrheit postuliert habe, Misstrauen sei gut und Kontrolle besser?

Bevor er in die Bredener Straße fuhr, tankte er bis zum Deckel-Gewinde auf. Der Tag war wieder schön geworden, die Sonne tat des Guten zuviel, und er hätte sich gern niedrigere Temperaturen gewünscht. Außerdem fehlten ihm zwei Stunden Schlaf.

Der blauen Golf stand auf seinem gewohnten Platz, er suchte sich einen etwas verwegenen Platz zum Parken, rutschte auf den Nebensitz, als warte er auf den Fahrer, und beobachtete den Eingang Nummer 81. Vierzig Minuten später erschien der große Mann, wieder im Jogginganzug, mit einer Tragetasche über der Schulter, rangierte das blaue Auto auf die Bredener Straße und steuerte Richtung Innenstadt.

Kramer rutschte hinter das Steuer, ließ den Motor an, schaltete den Peilempfänger ein und gab Wolzek mehrere hundert Meter Vorsprung. In der Gegenrichtung hatte der Berufsverkehr eingesetzt, ziemlich genau neunzig Sekunden später blinkten die Dioden, einzeln von links nach rechts und von rechts nach links, dann leuchtete ziemlich stetig die mittlere. An der nächsten Ampel hatte er WP 511 in Sicht und ließ sich zurückfallen.

Die Reise führte sie auf den Äußeren Ring. Zwei unendliche Schlangen erreichten gerade Tempo 40, an Überholen war nicht zu denken, Wolzek blieb auf der rechten Spur und ordnete sich vor der Ausfahrt auf die B 111 vorschriftsmäßig ein. Zum Glück lief der Verkehr auf der Bundesstraße noch langsamer, er musste beim Einfädeln trotzdem höllisch aufpassen und holte tief Luft, als der Vordermann endlich beschleunigte. Die nächste Lücke nutzte er, nach links zu steuern, die Lastwagen quälten sich mit langen blauen Auspuff-Fahnen die Steigung zum Tunnel hoch, der die Höhen südlich des Flusstales durchschnitt. Wegen der vielen abschirmenden Blechkisten vor ihm spielte der Peilempfänger verrückt, was ihn nicht störte, die nächste Abfahrt lag hinter dem Kamm der Höhen, und dort konnte er aufschließen. Der Lärm im Tunnel, von den Wänden zurückgeworfen, verstopfte ihm die Ohren.

Vier Kilometer weiter nahm der Empfänger wieder feste Verbindung mit dem Peilsender auf. Die Lücken wurden größer, er konnte Gas geben. Die Peilantenne arbeitet zuverlässig, ab und zu leuchtete die halbrechte oder halblinke Diode auf, dann schlug die Straße einen Bogen, und als die halbrechte Diode längere Zeit leuchtete, ohne dass die Straße eine Kurve machte, ordnete er sich ebenfalls nach rechts ein. Abfahrt Langenthal.

Als er an der Einmündung in die Landstraße wartete, leuchtete die rechte Diode.

Hinter dem Dorf Langenthal begann das Rauhe Land, eine Hochfläche mit niedrigen Hügeln und wenigen, windzerzausten Bäumen. Kleine Dörfer, schlechte Äcker und viele Weiden, auf denen das Gras braun verbrannt war. Von dem Metallic-Blauen war nichts zu sehen, jetzt musste er sich ganz auf das Gerät verlassen. Ab und zu riss der Kontakt ab, wenn er eine Steigung hinauffuhr, und stellte sich wieder ein, wenn sich die Straße senkte. Links und rechts lagen Einzelgehöfte, manche sahen verlassen aus, und immer häufiger fuhr er jetzt an kleinen Waldstücken vorbei.

Rotfels, ein Ausflugsort, Ausgangspunkt für lange Wanderungen in die Schlichtener Höhen. Wohin zum Teufel wollte Wolzek? Hier oben sagten sich doch Fuchs und Hase Gute Nacht.

Baldingen. Die Aktion "Unser Dorf soll schöner werden" hatte mit Pinseln und Blumenkübeln unbarmherzig zugeschlagen. Gewaltige Antennen und Satelliten-Schüsseln, im Winter, bei Schnee und Frost, konnten die Leute auch nur - dann bremste er scharf, die linke Diode war erloschen. Das kam davon, wenn man träumte!

Leise fluchend setzte er zurück, über die Einmündung der schmalen Straße hinaus, kurbelte und schoss nach links; das Fahrwerk protestierte ob der Löcher und Buckel, der Karren schaukelte wie betrunken, aber nach zweihundert Metern leuchtete die halbrechte Diode wieder auf. "Straße" war glatt übertrieben, es handelte sich um einen besseren, nur stückweise asphaltierten Weg, der sich wild durch das sanft ansteigende Gelände schlängelte, einen Nadelwald durchquerte und in ein Seitental mündete.

Und dann erloschen die Dioden endgültig.

'Das hast du prächtig hingekriegt, Rolf Kramer', lobte er sich sarkastisch. Irgendwo vor ihm hatte Wolzek den Motor abgestellt, und sein Temperaturfühler hatte brav und pünktlich den Sender abgewürgt. Von wegen: Zeit, um heranzukommen. Auf der anderen Seite musste jeder sein Auto schon aus großer Entfernung bemerken. Vielleicht sollte er das Tageslicht anders nutzen...

Beim Wenden wäre er beinahe in den Graben abgerutscht, im letzten Moment packten die Räder, und sehr vorsichtig steuerte er in den Wald zurück, bog in einen Wirtschaftsweg ab und fuhr so lange, bis er sicher sein konnte, dass sein Auto von der Straße aus nicht mehr zu sehen war. Mit Kamera, Teleobjektiv und Fernglas bewaffnet mochte er als etwas meschugger Tierfreund auf Motivsuche durchgehen.

Zum Ausgleich für seine Dusseligkeit stieß er bald auf ein verwittertes, kaum lesbares Schild: "Zum Ortlkopf." Das konnte die Höhe sein, die er von der Straße aus bemerkt hatte. Keine Kilometerangabe, jetzt war Fußarbeit gefragt, und er nahm sich fest vor, für solche Fälle ein paar bequeme Wanderschuhe in den Kofferraum zu packen. Nach jedem Fall hatte er seine Ausrüstung ergänzt, Anielda meinte bissig, bald fehle nur noch die Klappdusche.

Eine halbe Stunde später erreichte er pustend und durchgeschwitzt den Gipfel. Nicht ein Mensch war ihm begegnet. Der Wanderweg hatte sich bald in einen steinigen Pfad verwandelt, zum Schluss in eine bessere Trampelspur, die von Büschen zugewachsen war. Aber der Blick hinunter war fantastisch. "Tal" war der falsche Eindruck gewesen, er hatte sich von dem kleinen Höhenzug in die Irre führen lassen, unter ihm breite sich eine weite Ebene aus, Felder, Wiesen und Weiden. Geduldig suchte er mit dem Glas die Fläche ab. Vier, nein, fünf Einzelgehöfte, so weit das Glas reichte, kleine Baum- und Sträuchergruppen, dazwischen Teiche und feuchte Wiesen.

Aber kein Auto in Blau-Metallic. Auch kein anderes Auto, überhaupt kein Fahrzeug. Aber Kühe, die weit entfernt in langer Reihe auf eine verwitterte Scheune zuzogen, also musste es hier Menschen geben. Nur blicken ließ sich keiner.

Das Licht reichte noch gut zum Fotografieren, aber selbst bei größter Brennweite zeigte das Tele nichts Bemerkenswertes. Dennoch verknippste er einen ganzen Film. Wolzek konnte nicht über das letzte Gehöft hinausgekommen sein. Der Zustand der Straße erlaubte einfach kein größeres Tempo. Beim nächsten Mal würde er besser aufpassen und dichter aufschließen.

Auf den hundert Metern von der Garage zu seinem Haus spürte er den Muskelkater vom Abwärtssteigen. Babsie hockte schon auf ihrem Meilenstein und hielt Ausschau nach Freiern, das Geschäft lief schlecht, die Kunden fürchteten Aids und die Dealer, die sich hinter dem Bahnhof eingenistet hatten, auch in der Haffstraße. Außerdem hatte die Stadt fast alle "Hotels" und Pensionen in diesem Viertel angemietet, um Asylbewerber unterzubringen; wie es hieß, wollte der Eigentümer sogar das Stundenhotel, das seinem Haus schräg gegenüber lag, für die "gewerbliche" Nutzung schließen. Er winkte dem Winzling mit der frechen Klappe freundlich zu, und nach langer Bedenkpause beschloss sie, gnädigst mit der Hand zu wedeln.

Weil er zu müde war, holte er blind ein Plastiktöpfchen aus dem Tiefkühler und ließ den Inhalt in eine Pfanne kullern. Während des Essens telefonierte er mit Anielda, die ebenfalls vor Müdigkeit stöhnte und nichts zu berichten hatte.

"Sie ist nach Millsen gefahren, in den Zypressenweg 17, dort zwanzig Minuten geblieben und dann gleich in die Rauchstraße zurückgefahren. Sonst nichts."

"Okay, dann bis morgen."

Zwei Stunden fuhrwerkte er in seiner Dunkelkammer herum und entwickelte den Film, den er von der Hügelspitze aus verknipst hatte, vergrößerte die Aufnahmen von den Gehöften so stark, wie es das Korn noch erlaubte, trocknete sie in der Wärmepresse und nahm sie im Bastelzimmer unter die Superlupe. Bei drei Häusern war er danach ziemlich sicher, dass sie leer standen, beim vierten glaubte er die Stoßstange eines Autos zu erkennen, das nicht vollständig hinter einer Scheune parkte, und auf den Bildern des fünften Hauses erkannte er Menschen.

Die Horst Bieber Krimi Sammlung 2021: Krimi Paket 8 Romane auf 1500 Seiten

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