Читать книгу Die Horst Bieber Krimi Sammlung 2021: Krimi Paket 8 Romane auf 1500 Seiten - Horst Bieber - Страница 15

Zweiter Samstag

Оглавление

Zum Frühstück verdrückte er die schäbigen Reste aus dem Kühlschrank, seine Vorräte tendierten wieder mal gegen Null. Er hasste Einkaufen, Supermärkte, Schlangen vor Kassen und die schlechte Luft in diesen Schuppen, aber auch der Tiefkühler präsentierte sich leer und anklagend. Außerdem musste er zur Wäscherei, nein, er liebte sein Junggesellen-Dasein bis auf diese Stunden. Mürrisch schon bei dem Gedanken, was er alles erledigen musste, verließ er das Haus.

Anielda rief gegen Mittag an; sie war eine der wenigen Personen, die seine im Telefonbuch nicht eingetragene Privatnummer kannten, und bei ihrem vorwurfsvollen "Wo hast du Blödmann bloß gesteckt?", erhellte ihn ein Geistesblitz.

"Das erzähle ich dir bei einem guten Mittagessen."

"He?! Was soll das? Was planst du Finsterling wieder?"

"Ich koche, und du putzt."

Das verschlug ihr die Sprache, er hielt sich die Daumen, und sie resignierte: "Ausbeutung, schamlose Erpressung, widerliches Ausnutzen einer Notlage, okay, ich komme."

Er kochte gern und gar nicht schlecht, aber weil es für eine Person erstens nicht lohnte und er zweitens bei einem Auftrag nie wusste, wann er nach Hause kam, blieb der Herd meistens kalt. Anielda konnte nicht kochen, das behauptete sie wenigstens, er vermutete eher, dass sie diese Mühe scheute.

"Es riecht gut", lobte sie. "Was wird das, wenn du es nicht anbrennen lässt?"

"Eine bunte Gemüsepfanne, mit Schinkenwürfeln, teils mit Käse überbacken, Filetstreifen. Dazu große Kartoffeln mit einer hausgemachten Quark-Kräuter-Creme."

"Ich seh' schon, das meiste wandert wieder in den Tiefkühler."

"So ist es, liebe Anielda. Und wenn du mir eine Bemerkung gestattest: Ich bin seit gestern allergisch gegen Netzstrümpfe und Shorts."

"Deinetwegen ziehe ich mich hier nicht aus. Also Netzstrümpfe und Shorts. Hat sie dich geohrfeigt oder in die Ei...hm, getreten?"

Gegen zwei Uhr lichtete sich das Chaos in seiner Küche, sie war wie ein Weltmeister mit Staubsauger und Putzlappen durch die Zimmer gefahren, sauste unter die Dusche und lockerte breit grinsend schon unter der Küchentür ihren Shortsgürtel: "Jetzt werde ich dich schädigen."

"Guten Appetit."

Sie hielt ihr Versprechen, dennoch blieb genug übrig, um mehrere Portionen einzufrieren, und beim Kaffee erzählte er ihr von seinem Auftrag. Und von der seltsamen Idee, die ihm heute Nacht bei Babsies Anblick gekommen war. Auf Babsie war sie eifersüchtig und verzog deshalb das Gesicht, aber das hinderte sie nicht, ernsthaft zu grübeln und ihn mit einer Vermutung zu überraschen: "Dieser Ludwig hat offenbar viele Frauen beeindruckt. So dass sie noch heute an ihn denken, sich grämen und dich nur als Klagemauer benutzen."

Viel Freundlichkeit durfte er nicht von ihr erwarten. Sie war und blieb halt boshaft.

"Nicht einmal als Ersatz."

"Heißen Dank."

"Oh, keine Ursache. Mich würde nur interessieren, warum dieser Joachim seinen Bruder so falsch dargestellt hat."

"Nicht unbedingt falsch, Anielda..."

"Okay, okay, dann so einseitig."

Langsam nickte er, antwortete aber nicht. Weil sie trotz ihrer Stacheligkeit eine aufrichtige Freundin war, nahm sie ihm jetzt nicht übel, dass er seine Gedanken verschwieg.

Im Haus Abendfrieden wurde er mehrfach verbunden, bis er einen Mann an der Strippe hatte, der sich zu einer Auskunft bequemte: "Ja, Herrn Baldur geht es wieder besser."

"Kann man ihn besuchen?"

"Doch, ja, schon, aber länger als zehn Minuten...oder eine Viertelstunde..."

"Ich verstehe. Mein Name ist Kramer, Rolf Kramer. Würden Sie Herrn Baldur freundlicherweise ausrichten, ich hätte ihn nicht vergessen und würde morgen vorbeischauen?"

"Mach' ich, Herr Kramer. Wiederhör'n."

Anielda räumte schon die Spülmaschine ein und entschied: "Ich warte hier auf dich."

"Das ist eine Drohung, kein Versprechen."

"Feigling."

In das Senckerviertel verirrte er sich selten. Hier hatte sich der soziale Wohnungsbau ausgetobt, und was einmal den Anspruch erheben durfte, eine mustergültige Siedlung zu sein, war heute heruntergekommen und wenn nicht gerade schäbig, so doch grau, staubig und ärmlich geworden. So lange Wohnungen noch erschwinglich waren, hatte jeder, der es sich leisten konnte, das Senckerviertel verlassen. Jetzt, angesichts explodierender Mieten, waren die Wohnungen wieder begehrt, aber nun fehlte das Geld, jene Reparaturen auszuführen, die lange Zeit versäumt worden waren.

Ausnahmsweise ohne Mühe fand er einen Parkplatz und schlenderte durch die Straßen. Die Selatan-Siedlung lag direkt am Kanal, vierstöckige Häuser, rot geklinkert, auf der südlichen Seite der Eichendorffstraße, auf der anderen Seite standen Linden, eine schmale Wiese neigte sich zum Ufer. Gegenüber versperrten die Hallen der Selatan Chemische Werke die Aussicht. Links führte eine Fußgänger-Brücke über den Kanal, dessen Wasser tief schwarz-ölig schimmerte. Baldur Vater hatte dafür gesorgt, dass seine Mieter nie übersehen konnten, wem sie ihre Wohnungen verdankten.

Im Telefonbuch hatte Kramer vergeblich nach einem Sattler, Bernd gesucht. Aber eine Schmitz, Helma, Eichendorffstraße 11, war eingetragen. Ob sie Sattlers Schwester war? Und seit mehr als dreißig Jahren in der Wohnung lebte, die ihr Bruder Bernd Sattler nach seiner fristlosen Entlassung wegen Alkohol am Arbeitsplatz nicht verlieren wollte? Eine Stunde hatte er am Montag, den 10. September 1962, mit Joachim Baldur deswegen verhandelt, gefleht, gebettelt.

Die Achtzig mochte sie erreicht haben, das Haar war weiß und dünn geworden, sie blinzelte arg kurzsichtig, aber als er sich vorgestellt und erklärt hatte, er suche im Auftrag Joachim Baldurs dessen Bruder Ludwig, kicherte sie listig: "Das ist ja ein Ding. Kommen Sie nur herein, Herr Kramer."

Helma Schmitz wohnte tatsächlich seit 1962 in dieser Wohnung, was sie fast stolz betonte, ja, über dreißig Jahre, nein, nein, nicht allein, was sollte sie mit vier großen Zimmern, die beiden Enkelinnen hatten sich eingemietet. Zwar legte sie den Kopf schräg, wenn er sprach, aber schwerhörig war sie nicht, und ihr Gedächtnis funktionierte "prima, ganz prima, Herr Kramer". Das glaubte er ihr auf's Wort.

"Ja, die rote Edith." Trotz der langen Zeit erinnerte sie sich an erstaunlich viele Einzelheiten, wahrscheinlich war es eines der aufregendsten Erlebnisse ihres Lebens gewesen, und der Bruder hatte sie natürlich auf dem Laufenden gehalten.

"Was macht Ihr Bruder Bernd denn heute?"

"Da haben Sie Pech. Der liegt auf dem Friedhof am Kanal, seit dem Januar 1965 schon, wissen Sie, er soff tatsächlich, und der Schnaps hat ihn vorzeitig unter die Erde gebracht."

Ein gewisser Tadel war nicht zu überhören, er schmunzelte in sich hinein, was ihr nicht entging: "Der Schnaps - der Hermann, also mein Mann, der hing ja gelegentlich auch an der Buddel, ich hab' immer gesagt, Hermann, du musst dich entscheiden, zu Tode rauchen oder zu Tode saufen, beides zusammen ist zu teuer. Aber er hat ja nicht auf mich gehört."

"Als sie hier einzogen, war Ihr Mann schon krank?"

"War er, aber das hatte nichts mit dem Trinken zu tun, ein Arbeitsunfall an der Fräsmaschine, nee, nee, im Dienst trank er nicht, das muss ich zu seiner Ehre sagen."

"Frau Schmitz, hat Ihr Bruder Bernd mal etwas von einem Streit zwischen Joachim und Ludwig Baldur erzählt?"

"Sie meinen jetzt nicht den großen Krach, wo der Ludwig hinterher die Edith umgebracht hat?"

Er schüttelte den Kopf.

"Nein, sonst nicht. Der Luba wär' eher ein Träumer, hat der Bernd immer gesagt, wie ein großes Kind, das gern rummatscht. Mit dem Jochen hatte er nichts zu tun. Der machte das Geschäftliche, der hat auch hinterher dafür gesorgt, dass wir - also: mein Bruder Bernd - die Wohnung behalten konnten."

"Haben Sie einen der Baldur-Brüder mal kennengelernt?"

"Nee." Offenbar hatte sie auch wenig Wert darauf gelegt. "Der Luba saß ja bald im Knast, dann starb der alte Baldur, und der Jochen verkaufte und ging weg. Mit den neuen Chefs - " sie verzog das Gesicht - "nee, da kehrte ein anderer Ton ein, und der Bernd soff ja wieder, es war zum Auswachsen, natürlich wurde er erwischt und flog, dann hat er große Besserung versprochen und nichts gehalten, das ging so hin und her, mal Schnaps, mal Arbeit, ich kann Ihnen sagen, das waren harte Zeiten, bis der Bernd sturzbetrunken vor ein Auto lief. Gottseidank hat er nicht lange leiden müssen."

Kramer hörte geduldig zu. Sie freute sich, einem Menschen etwas erzählen zu können, die Enkelinnen lebten wahrscheinlich ihr eigenes Leben, übernachteten nur hier bei der Großmutter, und für sie waren die Tage inzwischen einsam geworden. Den Tod ihres Mannes und ihres Bruders stellte sie so nüchtern dar, dass er einige Zeit brauchte, um dahinter nicht Herzlosigkeit, sondern Ergebenheit zu erkennen. Es war halt so, warum mit dem Schicksal hadern? Der Bernd, ja, der war anders gewesen, immer leicht aufgeregt wegen aller möglichen Ungerechtigkeiten, die Chefs leisteten sich alles, kamen mit allem davon, und die Arbeiter wurden ausgebeutet, dass ihnen die Knochen knackten, ja, so krakeelte der Bernd, der konnte tagelang schimpfen und über die Fliege an der Wand fluchen, und je mehr Geld er hatte, desto größere Ansprüche stellte er. Deswegen hatte das mit der Doris ja auch nicht geklappt, du meine Güte, sie hatte ihren Bruder wirklich geliebt, aber sie hatte auch Doris gut verstehen können, dass die reineweg verzweifelte.

"Doris war Bernds Freundin?"

"Ja, so kann man das auch bezeichnen. Ich glaub', sie hat den Bernd wirklich gemocht, aber was soll man mit einem Mann anfangen, der es nirgendwo länger aushält, säuft und immer wieder bei Schwager und Schwester unterkriechen muss?"

Natürlich war die Doris zur Beerdigung gekommen, sie war eine Frau, die wusste, was sich gehörte.

"Aber interessiert Sie das wirklich, was so eine alte Frau daherplappert?"

"Wäre ich sonst gekommen?"

"Das hört der Mensch gerne. Dann müssen wir aber auch die Lippen befeuchten." Amüsiert lachte er, den Spruch hatte sie von Ehemann oder Bruder gelernt, und nahm die Einladung zum Kaffee an.

"Es geht noch einmal um Ihren Bruder Bernd", begann Kramer vorsichtig und half ihr, die gute Tischdecke auszubreiten, die sie sorgfältig glattstrich.

Sie nickte ohne Kümmernis.

"Mich würde interessieren, ob er sich zwischen der dann zurückgenommenen Kündigung - Sie erinnern sich? - und seinem tödlichen Unfall anders verhalten hat. Oder irgendetwas Ungewöhnliches getan hat."

"Nein", erwiderte sie verwundert, überlegte und wiederholte: "Nein, daran kann ich mich nicht erinnern."

"War er nervös? Oder ängstlich? Oder aufgeregt?"

Langsam schüttelte sie den Kopf: "Nein, nicht, dass ich wüsste. Aber zu der Zeit war er ja auch kaum zu Hause, ich meine, hier in der Wohnung, da hat er sich sehr um die Doris bemüht. Na ja, das klappte ja nicht mehr so recht, ich hab's Ihnen doch erzählt, und da kam er manchmal schon ganz wirr nach Hause und schimpfte oder heulte oder so."

"Ja, von der Doris haben Sie mir erzählt, Frau Schmitz. Aber Ihr Bruder hat doch damals schon getrunken, nicht wahr? Sie sagten, er sei geflogen, habe Besserung versprochen, sei wieder eingestellt worden."

"Ja, ja, das war die ganze Härte. Eine Woche bei der Doris, dann für Tage weg, ohne Arbeit, wieder bei uns, neue Stelle, ja, ja, ein ewiges Hin und Her."

"Wie ist er denn in der Zeit mit dem Geld hingekommen? Wenn er so unregelmäßig Lohn bezog?"

Die Frage erstaunte sie, ein paar Mal blinzelte sie heftig, dann lachte sie auf: "Ach, der Bernd hatte doch gespart. Da war immer was, nein, Geld hatte er immer." Etwas verschämt, aber auch begeistert kicherte sie. "Manchmal hab' ich damals sogar gedacht, Bruderherz, wo hast du lange Finger gemacht, aber im Betrieb, wissen Sie, in so einen Kessel konnte er ja nicht reinlangen. Und bei den Karten hatte er ein glückliches Händchen, doch, ja, der Hermann - mein Mann - wurde vor Neid immer giftgrün."

"Wie war das mit der Doris? Hat sie zu der Zeit auch gearbeitet?"

"Sicher doch, bei Selatan."

"Wie bitte?" Er starrte sie so perplex an, dass sie sich diebisch freute.

"Ja, wussten Sie das denn nicht? Die Doris hat bei Selatan im Labor gearbeitet."

"Im Labor?", wiederholte er tonlos.

"Na sicher. Mit der roten Edith zusammen..."

"Doris Weigand?" Er konnte nur flüstern.

"Klar. Die Doris war mit der Edith - na ja - fast befreundet. Sie hat doch die Leiche gefunden."

"Nein. Das ist nicht - das kann nicht wahr sein!"

"Und ob das wahr ist!"

"Und diese Doris Weigand war mit Ihrem Bruder Bernd Sattler befreundet?"

"Ja, sage ich doch die ganze Zeit. Und wenn der Bernd sich etwas mehr - also, wir, mein Mann und ich, haben immer gehofft, dass die beiden mal heiraten, damit der Bernd endlich zur Ruhe kommt und das verda...verflixte Saufen lässt."

Zum Glück musste sie jetzt umständlich die Tassen vollgießen, Zuckerdose und Milchkännchen zurechtrücken, die Decke glattzupfen und dann die Schale mit den Plätzchen genau in die Mitte schieben. Als sie ihn endlich wieder erwartungsvoll anschaute, hatte er sich gefangen.

"Wissen Sie, wo ich Doris heute finden kann?"

"Nein, leider nicht. Nach Bernds Tod ist sie noch drei- oder viermal gekommen, aber dann - nein, schade, dann ist das eingeschlafen. Wo sie jetzt wohnt? Wen könnte ich da fragen?"

Weil sie sich ehrlich bemühte und grübelte, um ihm zu helfen, wollte er sie nicht enttäuschen und schwieg deshalb gespannt, bis sie betrübt resignierte: "Es hieß mal, sie wär' ins Ruhrgebiet gezogen, aber wer hat mir das bloß erzählt?"

"Frau Schmitz, nicht ärgern! Einen Gefallen könnten Sie mir aber noch tun!"

"Ja, und welchen?"

"Haben Sie zufällig noch ein Bild von der Doris?"

"Natürlich. Moment, das haben wir gleich." Voller Eifer stand sie auf und kramte in dem riesigen Schrank, stieß einen kleinen Triumphlaut aus, als sie die große Blechkiste herauszog, und kippte den Inhalt auf den Tisch. Hunderte von Bildern! Er schickte ein stummes Stoßgebet zum Himmel, aber der Kaffee war gut, und er fürchtete, sie zu beleidigen, wenn er Ungeduld zeigte.

Ihr machte das Wühlen Spaß, ab und zu lachte sie fröhlich auf und musste ihm zu einer Photographie unbedingt eine Geschichte erzählen. Sobald er sich entspannt hatte, konnte er mitschmunzeln; sie besaß einen trockenen Humor und schweifte beim Reden nicht ab; wahrscheinlich unterhielt sie sich glänzend. Dann endlich schnaufte sie zufrieden: "Da ist es ja."

Ein postkartengroßes Portraitfoto, in einem Studio angefertigt. Eine junge Frau Anfang zwanzig, hübsch, aber nicht auffällig. Trotz der weit auseinanderstehenden Augen über hohen Backenknochen. Stupsnase und ein großer, breiter Mund, ein schmales Gesicht, die Einzelteile passten irgendwie nicht zusammen. Wo und wann war ihm das schon einmal durch den Kopf geschossen - hübsche Züge, aber falsch komponiert? Faszinierend und zugleich abstoßend?

"Bernd war sehr stolz auf seine Freundin."

Hatte sie seinen scharfen Blick missverstanden? "Ja", sagte er ruhig, "eine beeindruckende Frau."

"Eigentlich viel zu gut für meinen Bruder", vertraute sie ihm nach einer Pause an und schlug die Hand vor den Mund, als sei dadurch nichts verraten. "Klug und tüchtig und an allem interessiert, ganz anders als der Bernd. Sie wollte weiterkommen, verstehen Sie? Nicht ihr Leben lang im Labor stehen und von den Studierten herumkommandiert werden. Der Bernd hat oft gemeckert, wenn er einen in der Krone hatte, die Doris, die will, dass ich noch mal zur Schule gehe, die Mittlere Reife nachmache. Und Abendkurse und Gewerkschaft und Volkshochschule, ich weiß nicht, was sonst noch alles, nee, ich will abends meine Ruhe haben, ich muss hart ran."

"Er wollte ohne Hast sein Bierchen schlucken, nicht wahr?"

"Na, genau. Über den Alkohol haben die sich ständig in die Wolle gekriegt." Zum ersten Mal schwang da Trauer in ihren Worten mit, und er hütete sich, nach dem Grund zu fragen.

"Frau Schmitz, darf ich das Bild ausleihen? Ich bring's Ihnen auch so schnell wie möglich zurück."

"Na klar doch, Herr Kramer."

"Ich würde dann gern wieder eine Tasse Kaffee mit Ihnen trinken."

"Fein, das machen wir." Sie merkte, dass er aufbrechen wollte, und erkundigte sich betrübt: "Aber warum fragen Sie das eigentlich alles?"

"Das ist eine komplizierte Geschichte. Sie wissen doch, dass ich den Luba suchen soll, und der Luba erzählt überall, dass er unschuldig ist, die Edith also nicht umgebracht hat."

"Wer denn sonst?"

"Na ja, die Edith war wohl nicht - also, sie kannte mehr Männer als die beiden Baldur-Brüder."

"Wirklich?" Solche freudigen Blicke sagten alles, der Mensch war nun mal von Natur aus neugierig, aber sie lief zart rot an, weil sie sich doch ein wenig schämte...

"Darum rede ich mit allen, die damals die Brüder und die rote Edith gekannt haben."

"So ist das!" Sie zwinkerte ihm auffordernd zu, aber er legte den Kopf schräg: "Frau Schmitz, etwas Geduld, ich war doch nicht das letzte Mal hier."

Eine Viertelstunde später tobten zwei junge Damen in die Wohnung, die nur kurz den Kopf ins Zimmer steckten, "Hei, Oma", riefen und sofort wieder verschwunden waren. Der Besucher interessierte sie nicht die Bohne, und bei dem Lärm, der sofort aus ihren Zimmern herüberdröhnte, hätte er sich am liebsten die Ohren zugehalten. Beim Abschied ermahnte sie ihn nachdrücklich, sein Versprechen nicht zu vergessen, und ihre Augen funkelten in Vorfreude.

Anielda hatte seine Weinvorräte inspiziert und "aus lauter Langeweile" die beste Flasche schon zur Hälfte geleert, als er heimkam. Zur Strafe scheuchte er sie in die Dunkelkammer, damit sie mehrere Bilder von der Doris-Aufnahme herstellte. Aber seine Gutmütigkeit siegte, er verdonnerte sie also, am Montag die neue Adresse der Doris Weigand herauszufinden, was immerhin ein kleines Honorar für sie bedeutete, und zum Dank trank sie so viel von der zweiten Flasche, dass sie sich weigerte, nach Hause zu fahren.

"Wir müssen sowieso ins Thermalbad", nuschelte sie.

"Morgen soll es regnen."

"Das macht nichts, mein Bikini ist wasserfest."

In solchen Fällen wurde sie auf die Couch in seinem Wohnzimmer verbannt, und dort schlief sie bereits fest, als er noch am Fenster des dunklen Zimmers stand und trübsinnig auf die Haffstraße hinunterschaute. Manche - nicht viele, aber einige - Aufträge entwickelten sich so. Je länger man recherchierte, desto größer wurden die Umwege, die man einschlagen musste. Das mit Baldur vereinbarte Honorar langte für zwei Wochen, und mehr Zeit gedachte er auch nicht daranzuhängen. Als sie leise zu schnarchen begann, goss er den Rest seiner Schorle über den Mesquita-Kaktus und schlich aus dem Zimmer.

Die Horst Bieber Krimi Sammlung 2021: Krimi Paket 8 Romane auf 1500 Seiten

Подняться наверх