Читать книгу Die Horst Bieber Krimi Sammlung 2021: Krimi Paket 8 Romane auf 1500 Seiten - Horst Bieber - Страница 14

Zweiter Freitag

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Beim Frühstück haderte er mit dem Schicksal, schimpfte sich einen Esel wegen der verpassten Gelegenheit, lobte sich wegen seiner Standhaftigkeit und bekämpfte die Kopfschmerzen mit zwei Tabletten. In solchen Momenten mochte er sich selbst nicht leiden, das kam selten vor und dauerte nie lange, verflüchtigte sich, sobald die Tabletten wirkten.

"Sie sehen so aus, als brauchten Sie unbedingt noch einen starken Kaffee."

"Sie haben es erraten, Frau Klingbeil."

"Danach heben Sie ab, ganz ohne Flugzeug."

Ihre Warnung war berechtigt, das Gebräu weckte Tote auf, und er hörte auf, sich zu bemitleiden. Ludwig Baldur - oder Lambert, wie er sich noch in Kassel genannt hatte - versteckte sich, und bei seinem Vermögen sollte er dazu alle Möglichkeiten haben. Einen letzten Versuch wollte er noch investieren.

Gegen Mittag kurvte er durch die Innenstadt von Münster auf der Suche nach einem Parkplatz, verfluchte aus ganzem Herzen die Radfahrer-Pulks, die kein Ende nehmen wollten, und steuerte entnervt das nächste Parkhaus an. Die Telefonzelle neben dem Ausgang war nicht besetzt, und er beglückwünschte sich ein zweites Mal, als er das Telefonbuch aufschlug: heil, nicht zerrissen.

Baldur, Maren fand er nicht, aber eine Winkelmann, Maren; er notierte sich die Adresse und winkte einem Taxi. Besser ein Überfall als schon am Telefon abgewimmelt zu werden. Die freudige Miene des Taxifahrers verstand er, als die Bebauung immer spärlicher wurde. Sie wohnte weit draußen, in einer Neubausiedlung der gehobenen Preisklasse, mit viel Grün und einem kleinen Wäldchen an der Rückseite der Grundstücke.

"Können Sie einen Moment warten?"

"Aber sicher. Die Uhr läuft." Daran hatte er nicht gezweifelt.

Schon nach dem ersten Klingeln wurde die Tür geöffnet; an der Frau vorbei wollte sich ein großer fröhlicher Terrier ins Freie drängen, sie erwischte ihn im letzten Moment am Halsband.

"Guten Tag, Frau Winkelmann, mein Name ist Kramer, Rolf Kramer. Ich hätte Sie gern in einer privaten Angelegenheit gesprochen."

"Guten Tag. Um was geht es denn?"

Der Terrier zerrte mächtig, der Besucher schien ihn nicht zu interessieren.

"Ich bin Privatdetektiv und von Joachim Baldur beauftragt, seinen Bruder Ludwig zu suchen."

Vor Überraschung öffnete sie die Hand, der Terrier startete, dass die Pfoten auf den Fliesen kratzten, und raste dann laut bellend um das Haus herum.

"Von Joachim?"

"Ja, von Ihrem geschiedenen Mann."

"Können Sie das - ich meine, das kann jeder behaupten."

"Ich habe einen Brief dabei."

Im Garten schlug der Hund wohl eine wüste Abwehrschlacht gegen Außerirdische, nach dem Lärm zu schließen, den er veranstaltete. Langsam gab sie ihm das Schreiben zurück und musterte ihn unschlüssig. Sie war immer noch eine schöne Frau, und was früher Schüchternheit gewesen war, hatte sich in Zurückhaltung verwandelt. Sein Wunsch gefiel ihr nicht, das verhehlte sie nicht, aber sie hatte keine Angst, weder vor dem Privatdetektiv noch vor der Vergangenheit.

"Meinetwegen", murmelte sie endlich.

"Vielen Dank, ich muss eben noch mein Taxi bezahlen."

Sie hatte auf der Terrasse gesessen und bot ihm mit einer Handbewegung einen Sessel unter dem Sonnenschirm an. Der Terrier jagte Kaninchen, die Gärten hatten keine trennenden Zäune, und wenn der große Jäger seinen Atem für's Laufen gespart hätte statt aus voller Kehle Krach zu schlagen, hätte er vielleicht eines dieser eklig flinken braunen Bündel erwischt. Unwillkürlich lachte er, und sie beobachtete ihn amüsiert.

"Er fängt nie eines."

"Aber es macht ihm Spaß."

"Wahrscheinlich. Die Karnickel verscheucht er jedenfalls nicht."

"Aber er sorgt dafür, dass sie schlank bleiben."

"Auf diese Idee bin ich noch nicht gekommen." Es zuckte in ihren Mundwinkeln. "Trinken Sie einen Tee mit mir?"

"Gerne, vielen Dank."

Eine gute Viertelstunde ließ sie ihn allein, der Hund verlor die Lust an der erfolglosen Toberei und zockelte auf ihn zu, beschnupperte die hingestreckte Hand, schlappte Wasser aus seinem Napf und fiel dann wie ein nasser Sack auf seine Decke. Nur sein leises Hecheln unterbrach die fast unglaubliche Stille. Auf dem Tisch lag ein dicker Wälzer, vom Titel konnte er nur das Wort "Pfirsichblüten" lesen.

"Entschuldigen Sie, es hat etwas länger gedauert."

"Ich bitte Sie, ich habe Zeit."

Ihr glattes, blondes Haar hatte sie nachlässig hochgesteckt, und sie konnte es sich leisten, ein so kurzes, jugendliches Sommerkleidchen zu tragen. Der Tee duftete nach einer Blüte, die er nicht kannte.

"Luba", sagte sie versonnen. "Warum sucht Joachim seinen Bruder?"

"Gesagt hat er es nie, aber ich vermute, dass er sich mit Ludwig versöhnen will. Er ist krank, sehr krank, fürchte ich, und er hat nicht mehr lange zu leben."

Sie nickte nur. Gleichgültigkeit - oder hatte sie es schon gewusst? Ihre Miene verriet nichts.

"Ihm liegt diese Verfluchung auf der Seele."

"Der 17. Januar 1963", stimmte sie zu.

"Sie erinnern sich an den Tag?"

"Wie gestern." Was klang da durch - Spott? "An dem Tag habe ich Ludwig zum letzten Mal gesehen, im Gerichtssaal, und seitdem nie mehr etwas von ihm gehört."

"Dann wissen Sie also auch nicht, wo er sich heute aufhält?"

"Nein. Keine Ahnung."

"Auch keine Vermutung?"

"Nicht die geringste."

Einen Moment starrte er sie aufgebracht an, aber dann schlug sie die Beine übereinander, und er entspannte sich. Das Gespräch war noch nicht beendet, möglich, dass sie sich langweilte, vielleicht wollte sie etwas von ihrem Ex-Ehemann erfahren, was auch immer, sie würde ihn nicht sofort vor die Tür setzen.

"Sie haben Ludwig doch gut gekannt, nicht wahr?"

"Natürlich, unsere Eltern waren befreundet, Nachbarn, wir kennen uns seit Ewigkeiten."

"Haben Sie auch noch Edith Troy kennengelernt?"

"Aber ja", bestätigte sie gleichmütig. "Zuerst hat Jochen von ihr erzählt, von Lubas Flamme - Sie wissen, dass diese Troy im Labor gearbeitet hat?"

"Ja."

"Jochen hat sich zu Anfang über Luba lustig gemacht, ich erinnere mich noch genau, der liebe Ludwig hätte wohl zuviel von den Dämpfen aus seinen Reagenzgläsern eingeatmet, und das wär' ihm auf's Gehirn geschlagen. Dann brachte Ludwig sie mal mit, auf ein Gartenfest, und stellte sie Jochen und mir vor."

"Waren Sie zu der Zeit mit Joachim befreundet?"

"Befreundet? - ich liebte ihn, und er war so gnädig, mich ab und zu einzuladen." Das Zucken in ihrem Gesicht konnte viel bedeuten. "Jochen gibt dieser Troy die Hand, starrt sie mit offenem Mund an, der Blitz schlägt ein, und sie muss ihm ihre Hand regelrecht wegreißen. Seit der Minute war ich abgemeldet."

"Was hat denn Luba zu diesem - Blitzschlag gesagt?"

"Zuerst nichts, weil er nicht glauben wollte, dass Jochen ernsthaft hinter der Troy herlief. Dann ärgerte er sich wohl, aber er war sich seines Sieges sicher."

"Das hat Ihr Ex-Mann anders dargestellt."

"Wahrscheinlich. Bösartig wurde die Geschichte, nachdem die Troy zum ersten Mal mit Jochen geschlafen hatte und Jochen diesen - diesen Erfolg seinem Bruder in allen Einzelheiten mitteilen musste. Danach regierte Hass."

"Edith Troy konnte sich zwischen den beiden Brüdern nicht entscheiden."

"Ja, so hieß es später immer, aber das war nur eine halbe Wahrheit. Sie wollte keinen von beiden, sie wollte sich überhaupt nicht binden, nicht von dem alten Baldur, dem Vater Baldur abhängig werden. Aber wenn man sie mit der Pistole gezwungen hätte, sich für einen zu entscheiden, hätte sie ohne Zögern Ludwig genommen."

Über sein erstauntes Gesicht musste sie lächeln.

"Doch, das dürfen Sie mir ruhig glauben. Ich liebte Joachim, aber Luba war der erfolgreichere Bruder. Auch bei den Frauen. Im Werk, ach ja, Jochen spöttelte immer über den Alchimisten, der nie Chemie studiert hatte und auf gut Glück in seinen Kesseln herumrühre, aber Luba hatte seit dem zwölften Lebensjahr Privatunterricht bei den Werkschemikern gehabt, Mathematik und Physik gebüffelt - hat Jochen Ihnen auch erzählt, dass Luba von allen Abiturprüfungen befreit wurde?"

"Nein."

"Das dachte ich mir. Nein, Luba war der intelligentere Bruder, und Jochen hat ihn glühend beneidet."

"Aber Joachim ist doch nicht nur hinter der Troy hergelaufen, um seinem Bruder eins auszuwischen?"

"Nein, leider nicht. Beide meinten es ernst."

"Warum, Frau Winkelmann? Was hatte diese Troy, womit hat sie zwei ernsthafte junge Männer so beeindruckt?"

"Beeinflusst, Herr Kramer. Sie war sexuell großzügig und erfahren und sie lachte über Pflichten."

Darauf schwieg er lieber. Nicht eine Sekunde hatte sie vor dieser Erklärung überlegt. Die verliebte, schwärmende Maren hatte beides nicht gekonnt, das musste sie nicht eigens aussprechen, und alle anderen Gründe würde sie ihm verheimlichen. Als sie sich räusperte, fuhr er zusammen.

"Es war in der ganzen Stadt kein Geheimnis, dass ich unsterblich in Jochen verknallt war. Manche haben hinter meinem Rücken gelacht, auch die Troy - nein, die hat mich offen ausgelacht und mir geraten, den Stockfisch zu vergessen und nach einem richtigen Mann Ausschau zu halten. Nur Ludwig war immer freundlich und nett zu mir."

"Aber Sie haben auf Joachim gewartet."

"Ja. Ja, das habe ich getan." Ihr Gesicht wurde so verschlossen, dass er abwartete. Der Terrier schlief jetzt tief und gab seltsame Knurrlaute von sich. In einem Nachbarhaus spielte jemand sehr leise Klavier.

"Ja. Erfahrungen sind die Fehler, die man selbst begangen hat. Ich habe auf Jochen gewartet und ihn geheiratet. Weil ich ihn immer noch liebte, weil ich hoffte, dass er nach seinen Wanderjahren alles vergessen habe. Aber das war ein Irrtum..."

"Was ist geschehen?"

Nachdenklich musterte sie ihn einen Moment und überlegte, ob sie sich diese Neugier verbitten sollte. Er gab ihren Blick offen zurück, bis ihre Mundwinkel wieder zitterten.

"Was geschehen ist? Als ich aus der Flitterwochen-Verliebtheit aufwachte, als das Glück, endlich bekommen zu haben, was ich mir so lange gewünscht hatte, ein wenig fade wurde, konnte ich nicht länger die Augen davor verschließen, dass ich erwachsen werden musste. Gut, dass Jochen mich nicht so liebte wie ich ihn, schmerzte nicht mehr, das wusste ich seit langem, aber als ich mich zum ersten Mal mit der Frage herumquälte, ob er mich aus Berechnung geheiratet habe, wurde mir sehr - habe ich sehr gefroren."

"Aus Berechnung?"

"Ja, aus Berechnung - nein, nein, Herr Kramer, was er damit erreichen wollte, weiß ich bis heute nicht."

"Wenn - falls er überhaupt etwas beabsichtigte."

"Meinetwegen." Sie hielt ihn auf Distanz. "Vom ersten Tag unserer Ehe an hatte er Heimlichkeiten. Unentwegt Geheimniskrämerei, Versteckspielen, kleine und große Lügen, faule Ausreden, alle möglichen Treffen mit wichtigen Personen. Vom Hochzeitstag bis zum Termin vor dem Scheidungsrichter."

"Andere Frauen?"

"Als die Kinder so groß waren, dass es ihnen auch auffiel, haben sie mich beschwatzt, und mehr als ein Privatdetektiv hat bei mir viel Geld verdient. Nein, keine anderen Frauen."

"Aber irgendeinen Hinweis werden die..."

"Nein. Vielleicht wollte er sich nur wichtigmachen, nicht wieder in diese zweite Rolle geraten wie früher bei Ludwig. Es hat mich auch bald nicht mehr wirklich interessiert. Weil mir immer klarer wurde, dass Jochen Angst hatte."

"Angst? Wovor? Oder vor wem?" Ihre Worte schien sie ernst zu meinen; trotzdem konnte er keinen Moment den Verdacht loswerden, dass sie ihn benutzen wollte, eine Botschaft loszuwerden, an wen und warum auch immer. Die Art, wie sie sich manchmal vertraulich über den Tisch zu ihm vorbeugte, passte nicht zu ihrer anfänglichen Zurückhaltung, so, als wolle sie jetzt um ihn werben und ihn gleichzeitig warnen, aus ihrem Verhalten bloß keine falschen Schlüsse zu ziehen.

"Ich weiß es nicht. In den ersten Jahren habe ich ihn manchmal direkt gefragt, aber er hat immer geleugnet, so erbärmlich gelogen, ich würde spinnen, alles sei in Ordnung, er habe nur wieder Kopfschmerzen oder Alpträume, nein, das war so - so billig, so abstoßend, ich hab's bald aufgegeben. Er wollte sich nicht helfen lassen, weil er nicht den Mut fand, eine Wahrheit auszusprechen."

"Welche Wahrheit?"

"Was weiß ich?! Er hat's mir nie verraten."

"Sie haben ihn verachtet."

"Wer sagt das?"

"Joachim - Ihr früherer Mann. Sie und die Kinder haben ihn zum Schluss verachtet."

"Das hat er gesagt?" Sie lächelte, etwas ungläubig, schließlich nachdenklich, zum Schluss bitter. "Erstaunlich, dass er wenigstens das erkannt hat."

"Warum haben Sie sich unter diesen Umständen nicht früher scheiden lassen?"

"Oh, Jochen wollte nicht. Die Pflicht! Als Ehemann, als Vater, als Teilhaber in der Firma meines Bruders. Mit der Pflicht hatte er es, das Wort benutzte er als Totschlagargument für alles, ich konnt's schon nicht mehr hören! Aber als mein Bruder starb und die Firma verkauft wurde, war er plötzlich aller Pflichten ledig. Richtig aufgeblüht ist er, danach konnte er uns nicht schnell genug verlassen. Wie ausgewechselt tanzte er durch die Gegend."

Während sie den Rest aus der Teekanne gerecht aufteilte, beobachtete er sie prüfend. Gut, sie mochte Joachim heute verachten, das glaubte er ihr, aber es war mehr als das, auch wenn sie es sich und ihm nicht gestehen würde, mehr als Bitterkeit, das grenzte an Hass. Mit der Wut über ein verlorenes Leben herauszubrechen würde sie sich nicht gestatten, dagegen standen Erziehung und Temperament. Aber sie wollte, dass es der Ex-Ehemann erfuhr; ihn direkt zu kränken wagte sie nicht, sie brauchte einen Übermittler, nur deswegen hatte sie mit ihm gesprochen. Nicht über Ludwigs Aufenthaltsort, sondern über Joachim Baldur. Es machte sie nicht sympathischer, doch auf der anderen Seite bedauerte Kramer sie auch; Mitleid wäre ein zu großes Wort, aber Mitgefühl, das konnte er für sie empfinden.

"Joachim hat mir erzählt, dass er Ihnen von seinen - wie nannten Sie das? - während seiner Wanderjahre immer mal wieder eine Postkarte geschickt habe."

"Ja, schöne Grüße, ich denke an dich, ich fahre weiter, ich weiß noch nicht, wohin, es ist überall schön."

"Dann hat er Sie angerufen, und Sie haben sich in Paris getroffen."

"Ja." Sie merkte nicht, dass sie errötete und mit beiden Händen über ihren Busen strich.

"Ist er nie mehr in die Stadt zurückgekommen? Wollte er nie mehr alte Freunde, Bekannte treffen?"

"Nein. Keinen Fuß mehr in diese Hölle, das war seine Redensart. Gestorben, vorbei, ausradiert." Sie lachte kurz, und die Verzweiflung übertönte den Hohn. "Verstanden hab' ich's nicht, aber damals hab' ich's akzeptiert."

"Dann hat er also jeden Kontakt mit seiner Vergangenheit abgebrochen?"

"Ja - halt, das heißt, nein, nicht ganz. Einmal - auch so eine dieser peinlichen, überflüssigen Lügen. Dienstreise nach Mainz, sagte er. Nachmittags rief mich eine Bekannte an, ob wir uns nicht in Köln zum Abendessen treffen könnten."

"Sie wohnten in Neuss?"

"Ja. Wir verabreden uns, ich gehe in das Restaurant, und wen sehe ich? - Jochen im Gespräch mit einer anderen Frau."

"Kannten Sie sie?"

"Ja, von früher, sie arbeitete auch bei Selatan."

"Ihren Namen - kennen Sie..."

"Nein, leider nicht mehr. Ich habe kehrtgemacht und das Restaurant angerufen, verstehen Sie? Ich wollte Jochen nicht begegnen. Und mir eine seiner elenden Ausflüchte anhören und so tun müssen, als glaubte ich sie auch noch."

"Haben Sie ihn nicht zur Rede gestellt?"

"Nein, das war das Ganze - nicht mehr wert. Früher hätte ich...nein, zu der Zeit nicht mehr." Sie verstummte und presste die Lippen zusammen. Nach einer langen Pause holte sie tief Luft und lächelte schräg: "Diese Frau - sie hieß Doris - ich mochte sie nicht, aber Ludwig hatte immer große Stücke auf sie geschworen, und als er ins Gefängnis - na ja, dass sie sich eine andere Stelle besorgen musste, leuchtete mir schon ein, aber warum sie ausgerechnet nach Neuss kam..."

"Sie war Laborantin, nicht wahr?"

"Ja. Jochen hat zwar immer so getan, als sei sie ihm gleichgültig, aber mit der Zeit wurde ich doch misstrauisch, und diese Privatdetektive haben auch berichtet, dass er sich heimlich mit ihr traf."

"Dann hatte er - Entschuldigung! - ein Verhältnis mit ihr?"

"Ich weiß es nicht, Herr Kramer, es ist möglich, aber heute lässt es mich kalt. Das ganze Kapitel habe ich endgültig abgeschlossen." Während der letzten Sätze hatte sie sich aufgerichtet und mit beiden Händen die Armlehnen umklammert, steif wie ein Ladestock gesessen, bis sie schlucken musste und sich entspannte. Ihre Stimme hatte sie unter Kontrolle, aber ihre Körpersprache verriet sie. Nachdem sie alle Botschaften übergebracht hatte, wollte sie das Gespräch beenden, und zwar so schnell wie möglich. Ihm war es recht, er musste sich jetzt entscheiden; sie hatte ihn so oft gefragt, ob er sie verstehe, dass er begriff, was sie von ihm erwartete. Aber nicht sie, sondern ihr früherer Ehemann zahlte sein Honorar, und das konnte er selbst dann nicht vergessen, wenn er den Begriff Loyalität sehr weit fasste.

Die Türklingel unterbrach ihr Schweigen, sie erschrak und stand eilig auf. "Das wird meine Tochter sein." Der Terrier raste schon zur Haustür, und die Vorfreude zerriss ihm schier die Kehle. Erleichtert drückte er seine Zigarette aus, die Entscheidung war ihm abgenommen. Eine halbe Minute später brauste der Hund an ihm vorbei und äugte im Garten wild entschlossen nach Kaninchen, denen er wieder einen gehörigen Schreck einzujagen gedachte. Im Haus hörte er ein hastiges Getuschel, dann trat eine junge Frau auf die Terrasse, und er stand auf.

"Guten Tag", grüßte sie burschikos, "ich bin die Tochter."

"Guten Tag. Kramer."

Sie gab ihm nicht die Hand, sondern musterte ihn von oben bis unten, und er lächelte höflich. Neugier hätte er verstanden, aber mit solcher Dreistigkeit hatte er nicht gerechnet. Von ihrer Mutter hatte sie Schönheit und Figur geerbt, aber der ordinäre Gesichtsausdruck stieß ihn ab. Schwarze Netzstrümpfe zu weißen Minishorts! "Frech" war das richtige Wort, aber das war aus der Mode gekommen, und deshalb verwechselte sie Frechheit wohl mit Selbstsicherheit.

"Störe ich euch?" Allein diese Frage erzeugte bei ihm Zahnschmerzen, und der lüsterne Blick, den sie zwischen ihm und ihrer Mutter hin- und hergehen ließ, gab den Ausschlag.

"Nein, gar nicht, ich wollte gerade gehen."

"Meinetwegen müssen Sie nicht abzischen." Auch ihr schrilles Lachen störte ihn.

"Nein, ich würde nur noch gern ein Taxi bestellen."

"Warum ein Taxi? Ich fahre Sie in die Stadt." Sie drehte sich zu ihrer Mutter um. "Ich geb' dir nur noch die Wäsche, okay?"

"Wenn du meinst..."

Sie meinte. "Ich heiße übrigens Anette. Anette Strohm." Dabei bleckte sie tadellose Zähne, die allerdings vermuten ließen, dass sie gern zubiss und nichts mehr hergab. "Also auf, worauf warten wir noch?"

Betont freundlich verabschiedete er sich von Maren Winkelmann, und sie hatte jetzt wieder ihr leicht abweisendes, trauriges Gesicht aufgesetzt. Gegen ihre Tochter kam sie nicht an, und ihr fiel beim besten Willen nicht ein, wie sie verhindern sollte, dass er sich mit der hemmungslosen und indiskreten Anette unterhielt.

Nachdem er zwei große Wäschebeutel vom Auto in das Haus geschleppt und auf den letzten Metern den Terrier mitgeschleift hatte, der sich begeistert in einen Sack verbiss, betrachtete sie ihn großmütig.

"Also Privatdetektiv. Von meinem Erzeuger angeheuert."

"Um Ihren Onkel Ludwig zu suchen."

"Das verschollene schwarze Schaf. Was es nicht alles gibt! Rein mit Ihnen!"

Ihren Fahrstil hatte er sich völlig richtig vorgestellt, Vollgas oder Vollbremsung, und nicht die Spur von Rücksicht oder Vorsicht. Da half nur beten.

"Wohin müssen Sie?"

"In das Parkhaus am Hauptbahnhof."

"Prima, wir wohnen gleich um die Ecke." Nach einem wilden Ausweichmanöver lachte sie wieder schrill. "Na, hat sie Ihnen ihr Herz ausgeschüttet?"

"Was?" Den Teufel würde er tun und ihr etwas aus dem Gespräch mit der Mutter verraten. Und je dümmer er sich jetzt stellte, desto schneller würde sie ihn abschieben.

"Na, über ihr verpfuschtes Leben, über den miesen Alten, den armen unschuldigen Ludwig, die krummen Geschäfte des Alten."

"Wieso unschuldiger Ludwig?"

Die Frage bereute er sofort, sie drehte ungläubig den Kopf zu ihm und trat gleichzeitig aufs Gaspedal.

"Ach, so weit seid ihr gar nicht gekommen? Na, sie ist doch fest davon überzeugt, dass Ludwig diese - diese Laborantin nicht umgebracht hat." Im letzten Moment sah sie wieder nach vorn, bremste, dass die Reifen blockierten, und schlenkerte um den rückwärts einparkenden Wagen herum.

"Nun machen Sie nicht so ein Gesicht! Mir passiert schon nichts!"

Diese Zuversicht konnte er nicht teilen. Nach Atem ringend fragte er: "Ihre Mutter hält Ludwig für unschuldig?"

"Na klar doch! Mensch, das war doch einer der Gründe, warum die beiden sich so angifteten. Und seine krummen Geschäfte, ne, ich kann Ihnen flüstern, das war immer eine Stimmung zu Hause, ich bin so rasch wie möglich abgehauen. Aber der Mischa ist nicht viel besser, auch so ein fauler Apfel, gut im Bett, aber sonst eine absolute Null. Pech, aber das lässt sich ja ändern."

Dabei strahlte sie ihn so verheißungsvoll an, dass ihm eine Gänsehaut über den Rücken lief.

Wie er befürchtet hatte, lud sie ihn auf einen Schluck in ihre Wohnung ein, und auf dem letzten Kilometer war ihm eine Idee gekommen, für die er auch eine halbe Stunde mit ihr allein riskieren würde.

Die beiden Räume unter dem Dach waren sogar recht groß, aber von Aufräumen hielt sie wohl nicht viel, und das meiste Mobiliar schien vom Sperrmüll zu stammen.

"Bier? Whisky? Was trinkt der harte Private Eye?"

"In der Regel Milch, wegen der Muskelbildung für die vielen Schlägereien."

"Mit oder ohne Schnuller?"

"In erster Linie stark verdünnt."

Der Gin war billig und kratzte in der Kehle, er füllte das Glas schweigend mit Mineralwasser auf und beachtete ihr abschätziges Grienen nicht. Die Couch hatte sie mit einer weitausholenden Handbewegung leergeräumt und sich einen Sessel so herangezogen, dass sie ihm direkt gegenüber saß, die Beine weit gespreizt und das Kinn auf beide Fäuste gestemmt.

"Na, was kann ich für Sie tun?"

"Mir etwas über Ihren Onkel Albert erzählen?"

"Über Onkel Bert?" Damit hatte er sie überrascht.

"Ja, Ihren Onkel Albert. Den Bruder Ihrer Mutter."

"Albert ist albern. Also Onkel Bert. Hm." Sie kaute auf den Lippen. "Ich denke, Sie suchen meinen Onkel Ludwig."

"Können Sie sich an Onkel Bert nicht mehr erinnern?" Den Teufel würde er tun, sich das Heft aus der Hand nehmen zu lassen.

"Doch, doch, natürlich. Was wollen Sie von ihm wissen?"

"Was hat er eigentlich gemacht? Beruflich, meine ich. Bis jetzt weiß ich nämlich nur, dass er Physiker war und sich mit optischen Geräten beschäftigt hat."

"Klar, hat er, mit Linsen und Lasern und Lichtleitern und all diesem komischen Zeugs. Davon versteh' ich nichts."

"War er ein erfolgreicher Mann?"

"Keine Ahnung, das dürfen Sie nicht mich fragen. Geld hat er viel verdient, das stimmt, und das Stinktier sagte immer..."

"Wer ist das Stinktier?"

"Mein Vater. Joachim Baldur, der Mann, der Ihnen hoffentlich die Rechnung bezahlt. Der hat immer rumgetönt, Bert wäre einer der größten Erfinder seit - seit - wie hieß dieser blöde Amerikaner noch, der mit dem Grammophon?"

"Edison?"

"Genau. Edison. Bert wäre der Edison der Optik. Na ja, dumme Sprüche sonderte das Stinktier pausenlos ab."

Über ihre Zuneigung zu ihrem Vater wollte er jetzt nicht rechten. "Onkel Bert war verheiratet?"

"Klar doch, hat Mama Maren das nicht erzählt?"

"Nein."

"Sieh mal an, und ich dachte ... na ja."

"Was haben Sie gedacht?"

"Dass Mutter Sie als seelischen Mülleimer benutzt hat, Sie sehen doch ganz so aus wie ein frommer Beichtvater. Alles verstehen heißt alles verzeihen."

"Das dämliche Äußere ist mein Betriebskapital", versetzte er trocken und überlegte, was passieren würde, wenn er sie jetzt anfasste. Noch näher konnte sie nicht heranrücken, ihre Knie berührten sich schon.

"Tante Jutta. Passt doch gut zusammen, wie? Jutta und Joachim. Stinktier und Frettchen."

Er legte eine Hand auf ihren Oberschenkel. Sie kicherte.

"Heißt das, Ihr Vater und Ihre Tante..."

"Sicher. Und dann diese Doris - Mensch, er tat ja immer so geheimnisvoll, wenn man ihn nur nach der Uhrzeit fragte, machte er daraus eine Agentenstory, aber dumm war er, es ist nicht zu beschreiben. Frauen, wo er sie nur kriegen konnte, und vorher immer die große Ouvertüre, ich muss verreisen, nein, ich weiß nicht, wann ich wiederkomme, nein, ein Hotel habe ich noch nicht, ich rufe mal an, macht euch keine Sorgen, es war zum Kotzen. Zum Kotzen!" Sie griff nach seiner Hand, um sie festzuhalten, und presste die Beine zusammen. "Dann doch lieber direkt, wie?"

Er beherrschte sich mit letzter Kraft, löste ihren festen Griff und befreite seine Hand, blieb höflich, als er sie abwehren musste, und erntete ein verächtliches "Bis bald mal!", mit dem er als Mann, als Mensch und als Schnüffler für immer abqualifiziert wurde.

Noch auf der Autobahn schüttelte es ihn.

Auf dem Weg von der Garage zu seinem Haus sah er Babsie, die gerade aus dem Stundenhotel stürmte, ihr Oberteil zurechtzupfte und sich auf den Meilenstein schwang, den eine allwissende Behörde hier vergessen hatte. Inzwischen beanspruchte der kleine Giftzwerg ihn als Stammplatz; sie wedelte gnädig mit einer Hand und schenkte sich jede Unflätigkeit, die sie normalerweise reichlich in seine Richtung absonderte, und ihm fiel ein, dass er auf der Suche nach Ludwig Baldur bisher vorwiegend mit Frauen zusammengetroffen war. Doch im Moment war er zu erschlagen, um darüber nachzudenken, was das zu bedeuten hatte.

Die Horst Bieber Krimi Sammlung 2021: Krimi Paket 8 Romane auf 1500 Seiten

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