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Zweiter Montag

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Gina, die Schöne und Unnahbare, schien in Depressionen zu verfallen, als er unter der Tür auftauchte, und ihr verzweifeltes Gesicht musste den verstocktesten Sünder zu Tränen rühren.

"Der allseits hochverehrte, hochgerühmte und gepriesene Rechtsanwalt Dr. Christian Bülow ist also nicht da?"

"Nein, du Quälgeist aller Kanzleien und Ämter."

"Das ist unfair, ungerecht. Hast du wenigstens etwas Zeit für einen ernsthaften Flirt mit einem hart arbeitenden Mann?"

"Nein, habe ich nicht."

"Könntest du dich in diesem Fall dazu herablassen, mir zu sagen, wo ich deinen Chef finde?"

"Du triffst ihn im Landgericht an, Saal sechs, auf der Bank der Verteidiger. Er wird sich bestimmt über etwas Ablenkung freuen und sogleich beim Vorsitzenden eine Dringlichkeits-Pause beantragen, um deine Fragen zu beantworten."

"Schon verstanden. Ich gehe, tief betrübt und nicht ohne die Drohung, wiederzukommen und deinen Chef nach zwei Details eines Prozesses zu interviewen, den sein Vater geführt hat."

"Ich werde mich bemühen, deine kryptischen Äußerungen korrekt weiterzuleiten."

Holger Weisbart trieb sich auf dem Gericht herum, wie er in der Redaktion des Tageblatts erfuhr, und deshalb setzte er sich beruhigt in das Archiv. Natürlich würde man ihm brühwarm berichten, dass dieser unerträgliche Privatdetektiv wieder im Hause gewesen war, aber später und an einem anderen Ort hatte er eine Chance, sich herauszureden, was ihm nicht gelingen konnte, solange er hier vor alten Zeitungsbänden saß.

Der junge Mann kannte ihn noch nicht. "Ich hätte gerne die Bände Januar und Februar 1965." Und weil der Knabe schon den Mund öffnete, um seinem Erstaunen Ausdruck zu geben, setzte er finster hinzu: "Oder gab es damals noch kein Tageblatt?"

Der Unfall hatte sich am 12. Januar ereignet. Der Chemiefacharbeiter Bernd Sattler war gegen 23 Uhr an der Kreuzung Wilhelm- und Karl-Friedrich-Straße von einem Auto erfasst worden. Der unbekannte Fahrer hatte nicht angehalten, also Fahrerflucht begangen, und Sattler starb noch an der Unfallstelle an seinen inneren Verletzungen. Direkte Augenzeugen gab es nicht.

In einer Meldung drei Tage später hieß es, Sattler habe zum Zeitpunkt des tödlichen Unfalls fast 2,0 Promille gehabt; das stellte die Schuld des Fahrers an dem Unfall in ein anderes Licht, änderte natürlich nichts an der Fahrerflucht. Das Unfall-Auto wurde offenbar nicht gefunden, obwohl es vorne rechts beschädigt sein musste; der Scheinwerfer war zersplittert.

Die Todesanzeige war sehr klein und nur von der Schwester Helma Schmitz, geborene Sattler, unterschrieben. "Mein geliebter Bruder...tragischer Unfall..."

Nachdenklich klappte er den Band zu. Es konnte, aber es musste nichts zu sagen haben. Der junge Mann antwortete ausgesprochen mürrisch, als er sich zerstreut bedankte.

Die junge Frau saß völlig ungerührt an ihrem Computer in der Anzeigenaufnahme und tippte, wobei sie diskret gähnte.

"In einer dringenden Familienangelegenheit (betr. den 17. Januar 1963) wird Ludwig Baldur, geboren 1932, gesucht. Für Hinweise auf seinen Aufenthaltsort ist eine Belohnung ausgesetzt; Vertraulichkeit wird zugesichert. Rolf Kramer, Telefon 33 78 65."

"Mehr nicht?" Auch der Wunsch nach einem Kalb mit fünf Beinen hätte sie nicht aus ihrer Gleichgültigkeit aufgeweckt.

"Nee. Aber die Anzeige muss morgen in allen Ausgaben des Tageblatts erscheinen und auffällig sein."

"Na, dann schauen wir uns mal die Preisliste an."

Es artete in einen regelrechten Schock aus, noch auf der Straße las er die Quittung immer wieder und konnte es einfach nicht glauben. er hatte eine Anzeige aufgeben, keine Zeitung kaufen wollen.

Bis zum späten Nachmittag trödelte er im Büro herum, räumte auf, brachte seine Akte auf den neuesten Stand, entwarf eine vorläufige Chronologie, begann aus lauter Langeweile Staub zu putzen und stürzte erleichtert auf das klingelnde Telefon los.

"Hättest du die unendliche Güte, deine sibyllinischen Äußerungen meinem Chef persönlich zu erläutern?"

"Gina, wenn es dich nicht gäbe..."

"...würdest du mich gern erfinden, ich weiß."

Über Mittag hatte sich Gina, sein blonder Engel, umgezogen und sah in dem weiten, blauen Kleid hinreißend aus; vor Bewunderung pfiff er leise durch die Zähne, aber ihre Ohren waren gut und ihr Gesicht verzog sich, als habe sie plötzlich Zahnschmerzen.

"Du bist und bleibst die schönste Frau, die ich kenne, Holde."

"Was mich überhaupt nicht beeindruckt."

"Eines Tages wirst du mir gestehen, dass ich der schönste Mann in deinem Leben bin."

"Ich weiß nicht, ob du den Tag noch erleben wirst. Der Chef wartet auf dich und bereut zutiefst, dass er Joachim Baldur deinen Namen je genannt hat."

"Dann ist er bereit, tätige Reue zu üben?"

Diesen Begriff lehnte Dr. Christian Bülow entschieden ab, faltete die Hände und musterte seinen Besucher mit der ihm eigenen sorgenvollen Miene, die ein Fremder leicht als Ablehnung oder Abneigung missverstehen konnte.

"Gina hat Ihnen sicher schon gesagt, dass ich mich gerne nach zwei Einzelheiten aus dem Prozess gegen Ludwig Baldur erkundigen möchte?"

"Ja, sie hat das kommende Unheil verkündet."

"Darin ist sie groß...hat die Kripo eigentlich noch andere Spuren verfolgt? Oder sich von Anfang an auf Ludwig Baldur konzentriert?"

"Warum fragen Sie das?"

"Weil ich mittlerweile meine Zweifel an dem Urteil habe."

Eine ganze Weile ging Bülow mit sich zu Rate, bevor er leise seufzte: "Ja, ein Gerücht ist damals aufgekommen."

"Und was besagte es?"

"Im Grunde war es eine hässliche, aber in solchen Fällen wohl unvermeidliche Verleumdung. Edith Troy, das Opfer, soll ihre Gunst vielen Männern geschenkt haben, also nicht nur den Baldur-Brüdern."

"Geschenkt oder verkauft?"

Bülow zuckte ungehalten die Achseln. "Ein böswilliges Gerücht ist selten eindeutig, Herr Kramer. Ob verschenkt oder verkauft, das spielte keine Rolle...ja, ja, ich weiß, was Sie einwenden wollen, aber die Kripo hat damals weder andere Geliebte der Troy noch mögliche Kunden einer Prostituierten namens Rote Edith gefunden. Sie dürfen sich darauf verlassen, dass mein Vater seinerzeit Kripo und Staatsanwaltschaft gezwungen hat, diese Spur zu verfolgen."

"Ohne Ergebnis?"

"Ohne. Aus seinen Aufzeichnungen weiß ich, dass ihn zum Schluss nur eines irritiert hat - diese Verleumdungen sind gezielt ausgestreut worden."

"Ach nee! Von wem denn?"

Wieder zuckte Bülow die Schultern, und mittlerweile kannte er den Anwalt gut genug, wortlose Antworten zu verstehen.

"Also die Familie Baldur... um dem Sohn zu helfen."

"Sie wissen, dass ich auf Spekulationen nicht eingehe."

"Natürlich. Meine zweite Frage lautet: Ist damals nachgeforscht worden, in welchem Verhältnis die einzelnen Zeugen zueinander standen?"

Ein guter Verteidiger verbarg seine Verblüffung hinter skeptischem Lächeln. "Was soll das heißen?"

"Eine Zeugin und ein Zeuge hatten damals ein Verhältnis. Beide kannten die Brüder Baldur und Edith Troy."

Jetzt überlegte Bülow mehrere Minuten mit ausdrucksloser Miene, und Kramer glaubte ihm mittlerweile nicht mehr, dass er nur aus Neugier die alten Akten seines Vaters gelesen hatte.

"Nein, Herr Kramer, das ist damals nicht geschehen. Ludwig tobte schon in der U-Haft wie ein Berserker und taugte nicht für die geringste sachliche Auskunft. Die Familie mauerte."

"Bis zu einem Punkt, wo sie billigend in Kauf nahm, dass Ludwig verurteilt wurde?"

Die juristische Formel entlockte Bülow ein winziges Lächeln. "Ja, genau bis zu diesem Punkt, Herr Kramer."

"Wer hat einmal scharfsinnig gesagt, die Familienbande sei eine solche?"

"Ein krauser Spötter, Herr Kramer. Und mit Spott verlieren Sie jeden Prozess."

Diese Belehrung nahm er sich so zu Herzen, dass er sich ohne jede Flaxerei von Gina verabschiedete, was ihr nun wieder auch nicht recht erschien. Sie legte die schöne Stirn in sorgenvolle oder besorgte Falten, und im Aufzug fiel ihm ein, an welche Frau ihn die Aufnahme von Doris Weigand erinnert hatte. Sorgenvoll und besorgt hatte sie im Park von Haus Abendfrieden auf Joachim Baldur eingeredet, der darauf nicht reagierte.

Anielda schlich in sein Büro und jappste: "Ich verdurste."

"Ein schönes Glas voll des kühlen Wassers?"

"Blödmann! Koch' Kaffee, oder ich schweige wie eine Auster."

"Du weißt, dass ich den Tag herbeisehne."

Sie hatte sich wirklich die Hacken ihrer hohen Sandalen abgelaufen und hing wie ein nasses Handtuch in seinem Besuchersessel, beide Beine über eine Armlehne gelegt. Doris Weigand hatte bis zum 30. Juni 1969 bei der Selatan gearbeitet und war dann, nach "Auskunft der Personalabteilung" - Anielda grinste anzüglich, und Kramer vermutete, dass sie einem jungen, unerfahrenen Mann schamlos ein Rendezvous vorgeflunkert hatte -, zur Firma Winkelmann & Co in Neuss gegangen.

"Ach nee!" murmelte er.

"Sagt dir das was?"

"Und ob!"

Die Firma Winkelmann & Co. existierte nicht mehr als eigenständige Firma, sondern war 1988 an einen Chemie-Multi verkauft worden. Weil sie am Telefon nicht alle Facetten ihres zuweilen skrupellosen Charmes einsetzen konnte, hatte sie nur erfahren, dass Doris Weigand dort 1987 gekündigt hatte. Im Neusser Telefonbuch war sie nicht mehr eingetragen.

"Okay, dann fährst du morgen nach Neuss, nimmst dir ein Bild mit und versuchst, diese Doris aufzustöbern."

"Donnerwetter, Rolf, deine Großzügigkeit erschlägt mich regelrecht."

"Dazu hab' ich gelegentlich große Lust, liebe Anielda."

Helma Schmitz gluckste vergnügt, als sie ihn im Treppenhaus erkannte.

"Ich hatte Ihnen doch versprochen, das Bild von der Doris zurückzubringen."

"Für Kaffee ist es etwas spät, finden Sie nicht? Was halten Sie von einem kleinen Schlückchen?"

"Es darf nicht so groß werden, dass ich nicht mehr Auto fahren kann."

„ Fast den ganzen Nachmittag - nach dem Nickerchen, verstehen Sie?", hatte sie geopfert, den Inhalt der Blechkiste zu ordnen, und ihren pfiffig-schlauen Blicken entnahm er, dass sie sehr wohl ahnte, warum er sich nach Bernd Sattler und Doris Weigand erkundigt hatte.

Es gab mehrere Aufnahmen von Bernd und Doris, beim Picknick, im Urlaub, vor dem Werk. Doris im Kreise ihrer Kolleginnen, er erkannte Edith Troy. Eine feierliche Gruppenaufnahme; "da wurde eine neue Produktion aufgenommen." Ein Jubiläum oder eine Abschiedsfeier; Joachim und Ludwig Baldur mit einem älteren Ehepaar, um sie herum mehrere jüngere Männer und Frauen. Sie registrierte sein Interesse, setzte sich die Brille auf und rückte näher. "Der Luba, ja, und der Joachim. Ach, und da ist ja auch - wie sie hieß sie bloß noch? - Monika? Meike?"

"Maren?", tippte er, und sie kicherte beifällig.

"Die Maren, ja. In den Universitätsferien hat sie immer bei Selatan gearbeitet, sie brauchte das Geld doch so dringend, die Eltern waren ja nur Millionäre."

"Höre ich da eine kleine Boshaftigkeit heraus?"

"Ich und boshaft?! Herr Kramer! Sie hätte Fußböden gewischt, nur um ihrem geliebten Joachim nahe zu sein, unsterblich verschossen, alle haben sich über sie lustig gemacht."

"Woher wissen Sie das?"

"Der Bernd hat's erzählt, die Doris hat's erzählt, nein, darüber hat die ganze Belegschaft gelästert."

"Sie hat später ihren Joachim geheiratet."

"Ach was! Na, das freut mich wirklich, dann hat's ja doch noch geklappt." Nein, boshaft war sie nicht, sie klatschte und tratschte halt gern ein wenig.

Den vierten Kirschlikör lehnte er standhaft ab; er mochte keine süßen Sachen, und sie nippte zwar sehr damenhaft, aber doch auffällig oft.

Die Horst Bieber Krimi Sammlung 2021: Krimi Paket 8 Romane auf 1500 Seiten

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