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2 Wie stehen Dialekt und „Hochdeutsch“ zueinander?

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Wenn unsere Dialekte die natürliche Fortsetzung der alt- und mittelhochdeutschen Sprache sind, so kann man sie nicht – wie es häufig getan wird – als „falsches Hochdeutsch“ bezeichnen, da sie sich überhaupt nicht vom Hochdeutschen herleiten lassen. Dieses „Hochdeutsch“, das die Sprachwissenschaftler heute lieber Standarddeutsch nennen, hat seine eigene Geschichte. Es ist auf jeden Fall nicht – wie dies in anderen Ländern der Fall war – der verschriftlichte Dialekt der wirtschaftlich und politisch wichtigsten Region eines Landes und es ist auch nicht die Sprache der Bewohner der Stadt Hannover, wie man immer wieder hören kann, sondern es ist eine überregionale „Kompromiss-Schreibform“, die zunächst nirgends gesprochen wurde, sondern die sich über Jahrhunderte entwickelte. Eine überregionale Schreibform war nämlich im Laufe der Jahrhunderte immer notwendiger geworden, da Verwaltungsakte im ganzen Reich verstanden werden mussten und weil der Han del zunehmend an Bedeutung gewann. Und der Handel benötigte schriftliche Verträge und Abkommen, die man überall verstand. Als dann auch noch der Buchdruck erfunden wurde, wurde der Wunsch nach einer einheitlichen Schriftsprache nochmals verstärkt, denn die Drucker wollten ihre aufwendig erstellten Drucke natürlich in einem möglichst weiten Gebiet verkaufen. Auch Martin Luther verfolgte bei seiner Bibelübersetzung das Ziel, im damaligen deutschen Sprachraum von vielen verstanden zu werden, weshalb er sich immer wieder erkundigte, wo man was wie sagte, damit er stets die Ausdrücke verwenden konnte, die am weitesten verbreitet waren. Da ihm diese Arbeit gut gelungen ist, wurde seine Art zu schreiben für viele zum Vorbild, sodass er einen wesentlichen Beitrag bei der Entstehung der deutschen Hoch- oder Standardsprache geleistet hat. Die Suche nach einer möglichst weit verbreiteten Sprachform dauerte Jahrhunderte, und sie ist auch heute immer noch nicht beendet. Die deutsche Sprachwissenschaft hat sich übrigens inzwischen auch von der Vorstellung verabschiedet, dass es nur ein einziges richtiges Deutsch geben muss, sondern man spricht heute von einer polyzentrischen Standardsprache. Dies bedeutet, dass es für manche Dinge im Deutschen mehrere richtige Lösungen gibt. So kann man zum Beispiel den Tag vor dem Sonntag sowohl Samstag als auch Sonnabend nennen. Beide Bezeichnungen sind richtig. Sie haben lediglich einen unterschiedlichen regionalen Geltungsbereich: Samstag sagt man im Süden und in der Mitte des deutschen Sprachraums, Sonnabend im Norden und im Osten. Mit der Auffassung der deutschen Sprache als einer polyzentrischen Sprache ist nun auch die so häufig gestellte Frage, wo man das beste Deutsch spricht, überflüssig geworden. Es gibt letztendlich verschiedene richtige Lösungen. Allerdings darf man nun nicht gleich zum Gegenteil übergehen und behaupten, dass man dann auch sprechen kann, wie man will. So ist es nicht. Die Sprachgemeinschaften in den verschiedenen Regionen wissen genau, was in ihrer Gegend akzeptiert ist und was nicht. Und die Frage, was die einzelnen Regionen in der Standardsprache im Lautlichen, in der Grammatik oder im Wortschatz akzeptieren, beschäftigt wiederum die Dialektforschung.

Neben der Standardsprache und den Dialekten gibt es aber gerade im süddeutschen Raum auch noch Zwischenstufen. Dies hängt damit zusammen, dass die Menschen im Süden Deutschlands, also etwa in den Bundesländern Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Südhessen, heute immer noch einen Ortsdialekt sprechen, aber gleichzeitig ihre Ortschaften tagsüber oft verlassen müssen, um anderswo zu arbeiten. An ihrer Arbeitsstelle können sie aber nicht einfach weiter im Ortsdialekt sprechen, da sie dann nicht von allen verstanden würden. Aus diesem Grund wählen süddeutsche Sprecherinnen und Sprecher in solchen Situationen eine Zwischenebene, und da ihnen neben dem Ortsdialekt auch die Hochsprache (Standardsprache) vertraut ist, bilden sie Kompromissformen, die zwischen ihrem Ortsdialekt und der Standardsprache liegen. So wechselt ein schwäbischer Dialektsprecher zum Beispiel in einer solchen Situation von i hau gschafft zunächst zu i han gschafft und wenn es die Situation und der Gesprächspartner verlangen zu i hab gschafft, weiter zu ich hab gschafft bis hin zu ich hab gearbeitet und schließlich zu ich habe gearbeitet. Vor einer solchen Wahl steht der süddeutsche Sprecher immer wieder, und zwar auf allen sprachlichen Ebenen, das heißt im Wortschatz wie auch im Lautlichen. Ein Sprecher aus der Gegend von Heidenheim an der Brenz wird zweifellos nicht mehr mir schlaufa für „wir schlafen“ sagen, wenn er es mit Personen aus anderen süddeutschen Räumen zu tun hat, sondern er wird mir schlòòfa sagen, also das Wort „schlafen“ mit einem offenen o-Laut sprechen. Das hochdeutsche wir schlaafa wird er erst verwenden, wenn es die Situation verlangt, ganz auf die hochdeutsche Ebene zu wechseln. Arno Ruoff, der einer der besten Kenner der schwäbischen Sprachverhältnisse war, unterschied letztendlich fünf verschiedene Ebenen, auf denen sich die Schwaben sprachlich aufhalten können: 1. Ortsmundart, 2. Regionalsprache, 3. Großräumige Umgangssprache, 4. Regionale Hochsprache, 5. Hochsprache (Standardsprache).

Die sprachlichen Ebenen in Süddeutschland anhand eines Beispiels nach Arno Ruoff


Menschen, die von außen in den süddeutschen Raum kommen, tun sich mit dieser „Mehrsprachigkeit“ sehr schwer. Oft glauben Norddeutsche, die nur eine mehr oder weniger korrekte Hochsprache sprechen, dass die Schwaben den ganzen Tag Dialekt sprechen, weil sie von sich ausgehen und alles, was nicht irgendwie nach Standardsprache klingt, als Dialekt bezeichnen. Die verschiedenen Sprachstufen der Süddeutschen mögen für den Zugereisten zwar unverständlich bleiben, doch bieten sie den Einheimischen die Möglichkeit, situationsgerecht sprachlich zu reagieren. Der Dialekt dient in solchen Situationen vor allem dazu, Nähe und Distanz zu markieren, und der Wechsel der Sprachebene kann in bestimmten Situationen von großem Vorteil sein, so etwa, wenn eine Person eine andere kritisieren muss, dann aber das Gespräch nicht mit der Kritik beenden will, sondern in einer wieder angenehmeren Atmosphäre die Arbeit fortsetzen möchte. Hier bietet sich der Wechsel von einer standardnäheren zu einer regionaleren Sprechweise an. Und zu Hause markiert man seine Zugehörigkeit zur Ortsgemeinschaft oder zur Familie durch die Verwendung der Ortsmundart.

Kommen wir nochmals auf die Frage nach dem „richtigen Hochdeutsch“ zurück. Wie oben bereits erwähnt, geht die heutige Sprachwissenschaft von verschiedenen Varianten dieser Sprachebene aus. Daher können norddeutsche Sprecher nicht einfach von sich behaupten, dass sie besonders gutes Hochdeutsch sprechen. Ohne hier zu sehr ins Detail gehen zu wollen, muss man oft feststellen, dass dieses angeblich „perfekte Hochdeutsch“ lediglich die norddeutsche Form unserer Hochsprache ist. Wer uns mit guten Tach „guten Tag“ anredet und das Ratt „das Rad“ neu erfinden will, spricht nicht ein quasi „überregionales“ Hochdeutsch, sondern ein norddeutsches, und wer den Farrer „Pfarrer“ oder ein Ferd „Pferd“ gesehen hat, zeigt, dass er nordostdeutsches Hochdeutsch spricht. Da norddeutsche Sprecher bei Fragen nach einem korrekten Deutsch häufig sehr selbstbewusst auftreten und die norddeutschen Formen auch in den Medien, im Radio wie im Fernsehen, akzeptiert werden, sind viele süddeutsche Sprecher der Ansicht, dass ihre Sprechweise „minderwertiger“ sei, und nehmen norddeutsche Formen als Vorbild. So hat zum Beispiel eine vom Ludwig-Uhland-Institut der Universität Tübingen durchgeführte Untersuchung gezeigt, dass baden-württembergische Gymnasiallehrerinnen und Gymnasiallehrer des Faches Deutsch eindeutig norddeutsche Wörter wie Harke „Rechen“ oder Abendbrot „Abendessen“ für „hochdeutsch“ halten, wo doch beide Wörter im süddeutschen Raum mit Rechen und Abendessen oder Nachtessen eigene regionale Entsprechungen haben, die zur Standardsprache gerechnet werden dürfen. Hier ist in den Schulen und bei den Verantwortlichen der öffentlichen Medien sicher noch einiges an „Aufklärungsarbeit“ zu leisten, damit auch die Süddeutschen unverkrampfter mit ihrer eigenen Lösung der Standardsprache umgehen können.

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