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3 Wie kam es zur Herausbildung der alemannischen Dialekte?
ОглавлениеLange Zeit ist man in der Geschichts- und Sprachforschung davon ausgegangen, dass sich die alemannische Sprache aus der Sprache eines Stammesverbandes herausgebildet habe, die dieser aus seiner vorigen Heimat an der Elbe mitgebracht habe. Eine solche Kontinuität ist aber ebenso wenig nachzuweisen wie die These von einem einheitlichen Stamm. Man ist sich inzwischen vielmehr darüber einig, dass die Krieger des „alemannischen Heeres“ aus allen Teilen der Germania kamen und dass das Wort Alemannen, damals Alamanni geschrieben, am besten mit „zusammengesetztes Mischvolk“ zu übersetzen ist. Wie die Alemannen damals gesprochen haben, entzieht sich unseren Kenntnissen, da wir für diese Frühzeit keine schriftlichen Quellen vorliegen haben. Doch wird man davon ausgehen können, dass sich die Sprache dieses „Mischvolks“ erst einmal zur besseren Kommunikation angleichen musste, wie es immer beim Zusammenkommen von Menschen mit verschiedenen Sprachen und Dialekten der Fall ist.
Wie aus den Geschichtsquellen zu entnehmen ist, eroberten diese „Alemannen“ Ende des 3. Jahrhunderts n. Chr. das Gebiet zwischen Rhein, Bodensee und Iller und vertrieben die Römer nach Süden, hinter den sogenannten spätrömischen Limes. Später drangen sie noch weiter nach Süden vor. Diese Eroberer werden dann teils als Alamannen, teils als Schwaben bezeichnet. Die Schreibform mit -a-, also Alamannen, wird heute noch von Historikern und Archäologen, die sich mit der Frühzeit der alemannischen Besiedlung befassen, gern verwendet. Die Sprachwissenschaftler, die sich mit der heutigen alemannischen Sprache beschäftigen, ersetzen dagegen dieses früher volltonige -a- durch ein „schwächeres“ -e-, wie es der natürlichen lautlichen Entwicklung bei vielen Wörtern entspricht. Auf jeden Fall verlor im Laufe der Jahrhunderte der Name Alamanni im Gegensatz zur Bezeichnung Schwaben immer mehr an Bedeutung. Im Mittelalter bezeichnete sich diese Bevölkerungsgruppe nur noch als Schwaben (swâba, swâpa), wohingegen ihre westlichen Nachbarn an der alten Bezeichnung Alemannen festhielten, aus der im Französischen das Wort Allemands wurde. Im Deutschen wurde das Wort Alemannen erst in den letzten Jahrhunderten im Zuge einer Entdeckung vergangener Zeiten wiederbelebt. Einen großen Beitrag zu seiner Verbreitung leistete sicherlich Johann Peter Hebel mit seinen „Allemannischen Gedichten“ (1803). Seither werden im allgemeinen Sprachgebrauch die beiden Bezeichnungen Schwaben und Alemannen wieder nebeneinander verwendet. Während man aber in der Bevölkerung von der Bezeichnung Schwäbisch eine relativ präzise Vorstellung hat, die sich mit der sprachwissenschaftlichen Verwendung des Wortes ziemlich genau deckt, wird der Begriff Alemannisch sehr unterschiedlich aufgefasst. In der Bevölkerung Baden-Württembergs konkurriert er mit der politischen Bezeichnung Badisch, in der Sprachwissenschaft besteht dagegen das Problem darin, dass man die alten Bezeichnungen bei der Benennung der Dialekte übernahm, da sich der Versuch, eine neutrale Bezeichnung wie Westoberdeutsch u. Ä. zu verwenden, nicht durchsetzte. Alemannisch ist für die Dialektforscher der Oberbegriff der im Südwesten des deutschen Sprachraums (Elsass, Baden-Württemberg, Schweiz, Bayern, Vorarlberg, Liechtenstein) gesprochenen Dialekte. Schwäbisch ist dann einer von mehreren alemannischen Dialekten. Die weitere Unterteilung wird unten in Abschnitt 4 genauer dargestellt.
Zurück zur frühen Besiedlung unseres Raumes durch die Alemannen: Hier muss noch vor einer falschen Vorstellung gewarnt werden. Es ist in den meisten Gebieten wohl so gewesen, dass die romanische Bevölkerung weder umgebracht noch verschwunden ist, sondern dass es zu einem Nebeneinander von germanischer und romanischer Bevölkerung kam. Reliktwörter aus der romanischen Zeit, die man in vielen alemannischen und bairischen Mundarten noch heute nachweisen kann, können nämlich nur über eine längere Zweisprachigkeit in diese Mundarten gelangt sein. Die Dialektforschung wird in den nächsten Jahren, wenn man alle ausgewerteten Sprachatlanten vergleichen kann, sicherlich noch genauere Angaben hierzu machen können.
Die alemannischen „Eroberer“ zogen zunächst noch in mehr oder weniger großen Personenverbänden durch das Land. Dabei nannten sich diese Personenverbände oft nach ihrem Anführer. Die Leute um einen Sigimar wurden dann die Sigmaringe(r), die Leute um einen Tuwo die Tübinge(r), diejenigen um einen Gundolf die Gundolfinge(r) genannt. Als diese sich schließlich an einem Ort fest niederließen, wurde der Name des Personenverbands auf den Siedlungsort übertragen. So entstanden aus den oben genannten Beispielen die Ortsnamen Sigmaringen, Tübingen und Gundelfingen. Wenn wir einmal von den wenigen Ortsnamenrelikten aus keltischer oder romanischer Zeit absehen, so bilden die Ortsnamen auf -ingen neben denjenigen auf -heim bei uns die älteste Gruppe der Ortsnamen. Trägt man sie auf einer Karte ein (Karte 2), kann man früh besiedelte von spät besiedelten Räumen unterscheiden. Die Lage der -ingen-Orte deckt sich interessanterweise genau mit dem Fundgebiet alemannischer Reihengräber. Betrachtet man beide Eintragungen, so erkennt man, dass sich der Schwarzwald, wo von Norden bis Süden weder Ortsnamen auf -ingen und -heim noch Reihengräber zu finden sind, von seiner Umgebung deutlich abhebt. Dies zeigt, dass der Schwarzwald in der Frühzeit der Besiedlung keine Rolle spielte, er quasi siedlungsleer war. Für die Auseinanderentwicklung des alemannischen Sprachraums wird dies ausschlaggebend werden. In diesem Zusammenhang ist noch darauf hinzuweisen, dass auch die früher weit verbreitete These, ingen-Ortsnamen würden auf alemannische, heim-Ortsnamen auf fränkische Siedler schließen lassen, nicht nachzuweisen ist.
Wenn man über die Frühzeit der Besiedlung in unserem Raum Bescheid wissen will, so muss man also das Alter der Ortsnamen und ihre geografische Verteilung in Beziehung setzen. Die Zeit danach lässt sich dagegen ganz gut durch die Karten des „Historischen Südwestdeutschen Sprachatlasses“ (HSS) rekonstruieren. In diesem an der Universität Freiburg entstandenen Atlas wurden etwa 350 Besitz- und Abgabeverzeichnisse, sogenannte Urbare, des 14./15. Jahrhunderts untersucht. Auf diese Weise konnten auf 218 Karten die Schreibgewohnheiten der damaligen Zeit erfasst werden, aus denen man dann Rückschlüsse auf die damaligen Dialekte ziehen konnte. Da es zu diesem Zeitpunkt nämlich noch keine überregionale Schreibform wie unsere heutige Standardsprache gab, orientierten sich die Schreiber gerade bei Urkunden, die – wie die Urbare – nur für die lokale Verwaltung wichtig waren, relativ stark an der gesprochenen Sprache. Interessant ist nun, dass die Hälfte der Karten ein Bild zeigt, bei dem der Oberrhein von Norden kommende Neuerungen aus dem Fränkischen aufgenommen hat, während der durch den damals noch siedlungsleeren Schwarzwald getrennte Ostteil des Alemannischen bei einem älteren Zustand geblieben ist. Auf Karte 3 wird dieser räumliche Gegensatz am Beispiel des Gegenübers der Lautformen oberost – mit erhaltenem -o- in der Endsilbe – und oberst – mit Schwund dieses o-Lautes – für „zuoberst“ sichtbar. Erhalt und Wegfall dieses Vokals in der Endsilbe zeigen auch viele andere Wörter, sodass man mit Sicherheit feststellen kann, dass zum Zeitpunkt der Urkundenschreibung im 14./15. Jahrhundert der Unterschied zwischen den beiden alemannischen Gebieten offenbar schon deutlich wurde. Später ist dann der Vokal auch in den anderen alemannischen Mundarten geschwunden – bis auf das Wallis, wo es in der Mundart noch volle Endsilben gibt. Wenn nun aber zahlreiche Karten dasselbe Verteilungsbild zeigen – Neuerungen im Rheintal, Bewahrung im Ostteil –, dann können wir daraus schließen, dass sich das Oberrheingebiet schon im 14. Jahrhundert als erstes Teilgebiet vom übrigen alemannischen Raum abgetrennt hat.
Daneben machen die HSS-Karten aber auch schon auf erste Absetzungen des Schwäbischen aufmerksam. So zeigen die im Ostteil des Alemannischen geschriebenen Urkunden, wo später das Schwäbische entstanden ist, lautliche Besonderheiten, die der Oberrheingraben seinerseits nicht kennt. Zu solchen Auffälligkeiten gehören zum Beispiel der Ausfall des -b- in Wörtern wie krumm und zimmermann zu einem Zeitpunkt, als man am Oberrhein und südlich des Rheins – in der heutigen Schweiz – noch krumb und zimbermann schrieb. Auch das -ao-in Wörtern wie Schtraoß „Straße“, das man heute noch in Teilen des Ostschwäbischen kennt, ist in Urkunden am Oberrhein nicht zu finden. Entscheidend setzte sich dann das Schwäbische aber vom übrigen Alemannischen durch die sogenannte „Diphthongierung“ der langen Vokale -ii-, -uu-, -üü- ab, die es mit anderen Mundarten wie dem Fränkischen und dem Bairischen verbindet. Wörter wie Ziit „Zeit“, Huus „Haus“ oder Hüüser „Häuser“ erscheinen in diesen Mundarten plötzlich als Varianten Zeit beziehungsweise Zait, Hous/Haus, Heiser/Haiser, während man am Oberrhein, im Südschwarzwald, im Gebiet Hochrhein-Bodensee, im südlichsten Allgäu und in der Schweiz bis heute bei den alten mittelalterlichen Lautungen Zit/Ziit, Huus/Hüüs und Hiiser/Hüüser geblieben ist.
Bleibt noch der dritte alemannische Großraum, das Südalemannische. Es tritt in den Urkunden ebenfalls schon als eigenes Gebilde hervor, und zwar dadurch, dass es viele Neuerungen, die von Norden den Oberrheingraben oder von Norden und Osten den schwäbischen Raum erfassen, nicht mitmacht. Für die weitere Abtrennung des Schwäbischen und des Südalemannischen vom übrigen Alemannischen spielt dann sicher auch der politische Faktor eine Rolle. Es ist nämlich auffallend, dass die oben erwähnte „Diphthongierung“ bei „Haus“, „Zeit“ und „Häuser“ in Baden-Württemberg etwa einen Raum umfasst, der dem Territorium von Alt-Württemberg sehr ähnelt, während das Südalemannische durch den Austritt der Schweiz aus dem Deutschen Reich nach dem „Schwabenkrieg“ 1499 eine politische Unterstützung in seiner Abwehrhaltung vor sprachlichen Neuerungen aus dem Norden bekam. Diese Abwehrhaltung ist auch in der Gegenwart deutlich zu erkennen. Allerdings muss man einschränkend hinzufügen, dass das Südalemannische nicht nur konservativ ist, sondern dass auch dort Neuerungen eintreten können, die dann wiederum die beiden anderen alemannischen Räume nicht erreicht haben. Zusammenfassend können wir also feststellen, dass sich bereits in den Urkunden des 14./15. Jahrhunderts eine Dreiteilung des alemannischen Raumes abzeichnet. Wie man die alemannischen Dialekte heute unterteilt, soll im nächsten Kapitel dargelegt werden.