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10 Gibt es noch etwas typisch Schwäbisches außer dem Dialekt?
ОглавлениеIn der Stuttgarter S-Bahn sitzt eine ältere Schwäbin einem dunkelhäutigen Mann gegenüber. Stumm betrachtet sie ihn längere Zeit, dann spricht sie ihn an: „Gell, Sie send net vo dòò?“. Daraufhin schüttelt der Angesprochene den Kopf, worauf die Schwäbin sagt: „Drom“.
Fragt man verschiedene Personen, was typisch schwäbisch sei, so wird man die unterschiedlichsten Antworten erhalten. Einige werden auf die typisch schwäbische Küche verweisen. Nimmt man zum Beispiel ein Kochbuch mit dem Titel „Schwäbische Erfolgsrezepte“ zur Hand, so findet man darin typische schwäbische Klassiker wie Flädlesuppe, Maultaschen, Kässpätzle, Krautspätzle, Ochsenmaulsalat, Kartoffelpuffer und Zwiebelrostbraten. Aber gibt es diese tatsächlich nur im schwäbischen Raum? Wohl kaum! Hier müsste man wohl eher von süddeutschen Spezialitäten sprechen, denn all diese „schwäbischen“ Besonderheiten gibt es auch bei den nördlichen (Franken), östlichen (Baiern), südlichen (Vorarlberg-Alemannen) und westlichen Nachbarn (Oberrhein-Alemannen) der Schwaben.
Ist es dann der Charakter? Bei der Beantwortung dieser Frage gelangen wir aber auf noch unsichereres Gelände, denn sind wirklich alle Schwaben fleißig, sparsam, verschlossen, streng …? Das sind Vorurteile, die den Schwaben oft von außen gegeben werden und die in vielen Fällen auch tatsächlich stimmen mögen. In vielen Fällen aber auch nicht. Und vor allem: Diese Charakterzüge werden in anderen Gegenden ebenfalls gern zur Beschreibung verwendet, so zum Beispiel von den im Rheintal wohnenden Alemannen, wenn sie die ebenfalls alemannisch sprechenden Hotzenwälder beschreiben sollen. Eine große Rolle spielen die negativen Charakterzüge der Schwaben bei den sogenannten „Schwabenwitzen“, die besonders gern auf der badischen Seite von Baden-Württemberg erzählt werden. Es sind meistens Witze der folgenden Art:
Fußballspiel in einer schwäbischen Stadt: Zur Seitenwahl wirft der Schiedsrichter eine Münze in die Luft. Es gab 200 Verletzte.
Was macht ein Schwabe mit einer Adventskerze vor dem Spiegel? Er feiert den zweiten Advent.
Ein Schwabe wandert durch die Alpen und fällt in eine Gletscherspalte. Am nächsten Tag hört er eine Stimme von oben rufen: „Hallo, hier ist das Rote Kreuz!“ Darauf ruft der Schwabe zurück: „Mir gäbet nix!“
Zwei Besenhändler unterhalten sich auf dem Markt. Sagt der eine zum anderen: „Unter uns, wie könnt ihr eure Besen für 2 Euro das Stück verkaufen? Das schaffen wir nicht, obwohl wir das Reisig stehlen.“ Daraufhin antwortet sein schwäbischer Kollege: „Mir stählet de ganze Bäsa.“
Diese Witze sind aber typisch für Witze, die man über Nachbarn macht, und man findet sie überall, bei den Schotten wie bei den Hotzenwäldern. So typisch schwäbisch sind also auch sie nicht.
Der wohl beste Kenner der badischen und württembergischen „Charaktere“, der Tübinger Kulturwissenschaftler Hermann Bausinger, hat in seinem Buch „Der herbe Charme des Landes“ einmal alle Gegensätze zusammengestellt, mit denen sich die Bewohner der beiden Landesteile unterscheiden wollen, und festgestellt, dass einige charakterliche Besonderheiten wie zum Beispiel Offenheit und Verschlossenheit der einen und der anderen Seite sicherlich mit den geografischen Bedingungen zusammenhängen mögen, denn das Rheintal ist nun einmal schon immer eine sehr offene Verkehrslandschaft gewesen, wo Neues aus dem Rhein-Main-Gebiet rascher hingelangt als in den Neckarraum, doch sind das nach Bausinger alles nur relative Beobachtungen, die nie für alle und immer passen. Hinzu kommt, dass bei solchen Kontrastierungen das Rheintal mit Baden und dann auch noch mit Alemannisch oft gleichgesetzt wird, was – wie wir oben bei der Einteilung der Dialekte gesehen haben – nicht geht. Diese begriffliche Ungleichheit ist überhaupt ein großes Problem bei allen Beschreibungen der verschiedenen Landes teile. In der Öffentlichkeit spricht man in der Regel vom Unterschied zwischen Schwaben und Badenern. Das eine ist aber ein sprachlicher, das andere ein politischer Begriff, und die Badener sprechen in Nord baden einen fränkischen, in Südbaden einen alemannischen Dialekt. Und denken die Badener, bei denen die Schwabenwitze besonders verbreitet sind, nicht vor allem an den Stuttgarter Raum und vergessen ganz, dass ja in Oberschwaben, im Allgäu und in Bayerisch-Schwaben auch Schwaben wohnen?
Bleibt zum Schluss noch die Frage: Gibt es dann wenigstens typische schwäbische Namen? Wir haben eingangs schon die Bedeutung der Ortsnamen für die Siedlungsgeschichte und Siedlungsgeografie herausgestellt. Da zum Zeitpunkt der Besiedlung das Schwäbische als alemannische Mundart noch gar nicht existierte, kann es auch keine schwäbischen Ortsnamen geben. Dagegen geschah die Bildung der Familiennamen in einem Zeitraum, als auch das Schwäbische sich immer mehr vom übrigen Alemannischen absetzte. Daher ist es gerechtfertigt, bei den Familiennamen nach typisch schwäbischen Namen zu suchen. Aber was ist ein typisch schwäbischer Familienname? Wenn wir rein nach der Statistik gehen, so sind auch im Schwäbischen die deutschlandweit am häufigsten vertretenen Namen wie Müller, Schmidt, Maier, Schneider, Fischer an erster Stelle. Wir müssen also anders vorgehen und nach Familiennamen suchen, die nicht zu den bekanntesten deutschen Familiennamen gehören, aber gleichzeitig im schwäbischen Raum stark vertreten sind und auch deutschlandweit hier ihren Schwerpunkt haben. Wenn man unter diesem Aspekt den „Atlas der Familiennamen von Baden-Württemberg“ des Autors dieser Zeilen durchschaut, so stößt man auf Namen wie Abele, Bäuerle, Buck, Bühler, Haag, Haug, Eisele, Merkle, Miller, Sauter, Straub, Strobel, Volz und Wiedmann. Allerdings deckt sich die Verbreitung dieser Namen nie mit dem ganzen schwäbischen Sprachraum. Der eine Name hat seinen Schwerpunkt im Südostschwäbischen, wie etwa Miller, ein Name wie Abele dagegen eher im Nordosten, und manche Namen wie Bühler sind auch im Alemannischen weit verbreitet.
Anders ist es, wenn wir die Verbreitung der Familiennamen in Beziehung zu den großen Dialektgrenzen des Landes setzen. Hier zeigt sich, dass in der Tat eine starke Dialektgrenze gleichzeitig auch eine Verbreitungsgrenze von Familiennamen ist. Abermals soll dies an der schwäbisch-fränkischen Dialektgrenze zwischen Ellwangen und Crailsheim kurz veranschaulicht werden. So endet an dieser Grenze zum Beispiel von Norden her die Verbreitung der fränkischen Familiennamen Hanselmann, Ehrmann und Breuninger als auch von Süden her die Verbreitung der schwäbischen Familiennamen Wiedmann, Abele und Schiele. Noch stärker wirkt sich die Grenze natürlich bei nur kleinräumig verbreiteten Familiennamen aus. So ist die Dialektgrenze gleichzeitig „Endstation“ für die im Hohenlohischen verbreiteten fränkischen Familiennamen Otterbach, Glasbrenner, Leyh, Messerschmidt und Fohrer ebenso wie – von der anderen Seite her betrachtet – die vor allem auf der Ostalb vorzufindenden schwäbischen Familiennamen Vaas, Köder, Rief und Stelzer. Wie stark die alte Stammes-, Territorial-, Konfessions-, Verkehrs- und „Bewusstseinsgrenze“ nördlich von Ellwangen über Jahrhunderte als Kommunikationsgrenze gewirkt hat, zeigt sich daran, dass zahlreiche Familiennamen aus dem engeren Ellwanger Raum jenseits der Dialektgrenze überhaupt nicht zu finden sind. Dies ist der Fall bei den Namen Seckler, Stempfle, Egetenmaier, Lingel, Jaumann, Gaugler, Hilsenbeck, Eiberger, Rettenmaier und Rathgeb. Dass eine bedeutende Dialektgrenze mit einer Verbreitungsgrenze bei den Familiennamen übereinstimmt, macht deutlich, dass diese Grenze wirklich schon sehr alt ist und bis auf die Entstehungszeit der Familiennamen im 13.–15. Jahrhundert zurückgeht.
Eine Namengruppe, die man ebenfalls mit dem Schwäbischen in Verbindung bringen könnte, ist schließlich die der Gasthausnamen. Der Freiburger Namensforscher Konrad Kunze hat sich in mehreren Aufsätzen mit diesen Namen im deutschen Südwesten beschäftigt und interessanterweise ist es hier ähnlich wie bei den Familiennamen. Es gibt Gasthausnamen wie (Zum) Adler, die für den deutschen Südwesten typisch sind, aber eben für den ganzen Südwesten und nicht nur für das Schwäbische allein. An den Dialektgrenzen aber kann man durchaus wie bei den Familiennamen wieder Namensgegensätze erfassen: Während die Schwaben im Ellwanger Raum in den Hirsch gehen, bevorzugen die Franken das Lokal Zum Hirschen. Der schwäbische Hirsch gilt aber auch im alemannischen Mittelbaden, während man im Südalemannischen die fränkische Namensbildung kennt. Ein weiteres Beispiel für die Dialektgrenze als Namensgrenze ist die fränkische Namensbildung mithilfe des (ehemaligen) Besitzers: Gasthaus von Alois Förch (in Fremdingen) oder Gasthof Dollinger (in Dinkelsbühl). Dies ist ein Gasthausnamenstyp, den es im Schwäbischen überhaupt nicht gibt und der unmittelbar jenseits der schwäbisch-fränkischen Dialektgrenze beginnt. Noch näher an den schwäbischen Dialektraum kommen wir beim Gasthausnamen Stern. Hier haben wir einen schönen Gegensatz zum Alemannischen vorliegen, wo man das Lokal Zum Sternen nennt, allerdings geht der Stern auch noch etwas ins Fränkische hinein und ist damit ebenfalls nicht auf das Schwäbische eingeschränkt.
Fazit: Es gibt bei den Familien- und Gasthausnamen zwar Namen, die für den schwäbischen Sprachraum nahezu typisch sind. Namen, die den ganzen schwäbischen Raum abdecken und deutschlandweit nur hier vertreten sind, gibt es aber nicht. Damit können wir nun abschließend auch die letzte der zehn Fragen beantworten: Etwas typisch Schwäbisches außer dem Dialekt haben wir nicht. Es wird daher Zeit, dass wir uns nun den Besonderheiten dieses Dialekts zuwenden.