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8 Welche Zukunft hat der Dialekt?
ОглавлениеMan hört heute immer wieder von älteren Menschen die Klage, dass die Jungen nicht mehr so sprechen wie die Alten und dass das Schwäbische verloren geht. Hierauf ist zunächst einmal zu sagen, dass sich die Sprache selbstverständlich immer wandelt. Auch die Alten sprechen ja nicht mehr so wie die Generationen davor, denn schließlich sprechen sie auch kein Mittelhochdeutsch mehr. Allerdings haben die Alten nicht ganz unrecht, wenn sie einen großen Dialektwandel empfinden, und dies hängt mit zwei Erscheinungen zusammen, die es früher in der Tat nicht gab. Einerseits hat sich nämlich in den vergangenen Jahrzehnten die Alltagswelt tatsächlich radikal verändert. Das Melken mit der Hand, das Mähen mit der Sense, das Waschen im Bottich, der Küchenschrank, oft Känsterle genannt – all dies sind Vorgänge und Dinge, an die man sich höchstens noch erinnern kann, die es aber heute nicht mehr gibt, denn Melkmaschine, Mähdrescher, Waschmaschine und Einbauküche haben überall ihren Einzug gehalten. Mit dem Untergang der alten Welt, welche jahrhundertelang mehr oder weniger konstant war, ist auch der entsprechende Wortschatz verloren gegangen. Bei den Befragungen zum „Sprachatlas von Nord-Baden-Württemberg“, die wir vom Tübinger Ludwig-Uhland-Institut aus durchgeführt haben, wurde uns immer und immer wieder gesagt, dass die Welt, die wir erfragen würden, der Vergangenheit angehört. Erfragen mussten wir sie, weil alle Sprachatlanten aus unserem Raum diese Welt vor 30, 40, 50 Jahren noch mühelos erfragt haben und wir unser Material mit dem damals erhobenen Material vergleichen wollten. Der Untergang der alten bäuerlichen Welt ist aber nur ein Faktor, der dazu führt, dass wir glauben, dass der Dialekt untergeht. Ein anderer Faktor ist die Mobilität unserer heutigen Gesellschaft. Früher hat der Großteil der Einwohner im Dorf oder in den benachbarten Dörfern Arbeit gefunden. Für die Sprache hieß das, dass die Menschen früher den ganzen Tag in ihrer angestammten Sprache, und das war im Süden Deutschlands der Ortsdialekt, bleiben konnten. Heute dagegen muss eine Großzahl der Bewohner eines Ortes diesen tagsüber verlassen, um weiter weg, in 10, 20 oder gar 100 Kilometern Entfernung zu arbeiten. Wir hatten oben schon darauf hingewiesen, dass die süddeutschen Sprecher dadurch gezwungen sind, neben ihrem Dialekt noch eine Regionalsprache oder eine regionale Standardsprache zu sprechen. Für unseren Zusammenhang ist hierbei wichtig, dass viele Bewohner nur noch einen Bruchteil des Tages in ihrem Ortsdialekt verbringen. Und dies führt ebenfalls dazu, dass man meint, der Dialekt gehe verloren.
Für viele Menschen in Süddeutschland gilt aber nach wie vor, dass sie Dialekt sprechen. Sie sind der Beweis dafür, dass der Dialekt nicht ausstirbt. Diese Aussage gilt aber nicht mehr wie früher für alle Ortschaften. Gegenden, in denen die alteingesessene Bevölkerung noch die deutliche Mehrheit bildet, zeigen eindeutig eine Stabilität des Dialekts. Dieser mag dann in der Stadt nicht mehr so sein wie auf dem Land, aber oft handelt es sich hier lediglich um ein paar Lautungen, die man in der Stadt abgelegt hat, während man sie auf dem Land noch kennt. Als Beispiel kommen wir nochmals auf die Situation in der ostschwäbischen Stadt Ellwangen zurück. Dort werden Wörter wie „Bach“, „Dach“, „Tisch“, „Fisch“ nicht gedehnt ausgesprochen wie auf dem Land, sondern mit kurzem Vokal einfach als Bach, Dach, Tisch, Fisch. Und dasselbe gilt für die ostschwäbischen Lautungen Gaara „Garn“, gäära „gern“, Hoora „Horn“, Hiira „Hirn“, die in der Stadt zu Garn, gärn, Horn und Hirn zurückgebildet wurden. Ansonsten aber unterscheiden sich Stadt und Land kaum, und auch in der Stadt finden wir die für den Ellwanger Raum typischen Kennlautungen Woiza „Weizen“, gwest „gewesen“ und gsecht „gesagt“. Ganz anders ist die Situation in größeren Städten wie Stuttgart, Ulm und Augsburg, in Ballungszentren wie dem Großraum Stuttgart oder in Siedlungen wie der Gemeinde Korntal im Landkreis Ludwigsburg, die relativ jung ist und in der die zugezogene Bevölkerung keine der umliegenden Mundarten spricht, sondern sich sprachlich schon sehr an Stuttgart orientiert. In solchen Räumen ist der alte Ortsdialekt in der Tat untergegangen und durch eine Regionalsprache oder gar eine regionale Standardsprache ersetzt worden. Über die ganze Fläche betrachtet, sind diese Räume aber auch heute immer noch die Ausnahme. Man muss nur die Großstadt verlassen und mit den Einheimischen auf dem Land oder in den Städten ins Gespräch kommen, dann wird man schnell merken, dass auch heute noch in großen Teilen Süddeutschlands der Dialekt lebt. Ein Zeichen dafür, wie sehr er lebt, ist auch das Verhalten der Jugendlichen. Sie schreiben sich in weiten Teilen des Schwäbischen ihre SMS auf dem Handy in schwäbischer Mundart! Und wer das kann, der gehört für sie zu ihrer Gruppe. Besonders lebendig ist die Mundart inzwischen auch in „modernen“ Liedern, das heißt in Liedern, die nicht einfach eine untergegangene Heimat beweinen, sondern die sich kritisch mit der Welt auseinandersetzen. Das Gute an diesen neuen Texten ist, dass sie sich – auch sprachlich – genau an ihrer Herkunft orientieren und so wirklich „authentisch“ sind und nicht ein Kunstschwäbisch darstellen.