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2. Kapitel

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ICH HÖRE VON DEM GROSSEN NATURFORSCHER

Als ich eines Frühlingsmorgens zwischen den Hügeln hinter der Stadt herumwanderte‚ sah ich einen Falken mit einem Eichhörnchen in den Klauen. Er saß auf einem Felsen‚ und das Eichhörnchen kämpfte verzweifelt um sein Leben. Der Falke erschrak so sehr‚ als ich plötzlich hervortrat‚ daß er das arme Geschöpf fallen ließ und fortflog. Ich hob das Eichhörnchen auf und entdeckte‚ zwei seiner Beine waren böse verletzt‚ und so trug ich es zur Stadt zurück.

An der Brücke ging ich in die Hütte des Muschelmannes und fragte ihn‚ ob er nicht etwas für mein Eichhörnchen tun könnte. Joe setzte seine Brille auf und untersuchte es sorgfältig‚ dann schüttelte er den Kopf. „Das eine Bein ist gebrochen und das andere recht zerbissen. Ich kann dir deine Schiffe flicken‚ Tom‚ aber weder habe ich das Werkzeug‚ noch hab’ ich gelernt‚ ein zerbrochenes Eichhörnchen wieder seetüchtig zu machen. Das ist eine Arbeit für einen Wundarzt —‚ und zwar für einen recht tüchtigen. Ich kenne nur einen Menschen‚ der dem Tier das Leben retten könnte‚ und das ist Johann Dolittle.“

„Wer ist Johann Dolittle?“ fragte ich‚ „ist das ein Tierarzt?“

„Nein“‚ sagte der Muschelmann‚ „Doktor Dolittle ist ein Naturforscher. Ein Mann‚ der alles über Tiere‚ Schmetterlinge‚ Pflanzen‚ Felsen und so weiter weiß. Johann Dolittle ist ein großer Naturforscher. Du hast nie etwas von ihm gehört und bist so wild auf Tiere? Er weiß eine Menge über Krebse und Muscheln‚ das weiß ich aus eigener Erfahrung. Er ist ein ruhiger Mann und spricht nicht viel‚ aber manche Leute sagen‚ er sei der größte Naturforscher der Welt.“

„Wo wohnt er?“ fragte ich.

„Hinter der Oxenthorp-Straße‚ auf der andern Seite der Stadt. Ich weiß nicht genau‚ welches Haus es ist‚ aber fast jeder wird es dir sagen können. Geh zu ihm hin‚ er ist ein großer Mann.“

Ich dankte dem Muschelmann‚ nahm mein Eichhörnchen und machte mich auf den Weg zur Oxenthorp-Straße. Das erste‚ was ich hörte‚ war‚ daß jemand „Fleisch‚ Fleisch!“ rief. Es war Matthäus Mugg‚ er mußte wissen‚ wo der Doktor wohnt. Matthäus kannte jeden Menschen. Ich lief über den Markt und bekam ihn gerade noch zu fassen.

„Matthäus“‚ fragte ich‚ „kennst du Doktor Dolittle?“

„Ob ich Doktor Dolittle kenne?“ rief er. „Weiß Gott‚ das sollte man glauben! Ich kenne ihn so gut wie meine Frau‚ manchmal sogar noch besser. Er ist ein großer Mann‚ ein sehr großer Mann. Ich geh jetzt grade zu seinem Hause. Komm mit‚ ich werd’ es dir zeigen.“

So machten wir uns beide auf den Weg. „Ich kenne Doktor Dolittle schon seit Jahren“‚ sagte er‚ als wir über den Marktplatz gingen‚ „aber ich glaube ziemlich sicher‚ er wird jetzt nich zu Hause sein. Er ist verreist‚ aber er kann jeden Tag zurückkommen. Ich werde dir sein Haus zeigen‚ und dann weißt du‚ wo du ihn finden kannst.“

„Wo ist er denn hingefahren?“ fragte ich.

„Das kann ich dir nicht sagen‚ kein Mensch weiß niemals nich‚ wohin er geht‚ noch was er tut‚ noch wann er zurückkommt. Er lebt allein mit seinen Lieblingstieren. Er hat ein paar große Reisen und wunderbare Entdeckungen gemacht. Als er das letzte Mal nach Hause kam‚ erzählte er mir‚ er habe im Stillen Ozean einen Stamm Indianer entdeckt‚ die auf zwei Inseln lebten‚ die Männer auf der einen und die Frauen auf der andern. Vernünftige Leute‚ diese Wilden. Sie kommen nur einmal im Jahr zusammen‚ wenn die Männer ihre Frauen zu einem großen Fest besuchen. Zu Weihnachten höchstwahrscheinlich. Ja‚ er ist ein wunderbarer Mann‚ der Doktor‚ niemand nich weiß von Tieren so viel wie er.“

„Woher weiß er so viel über Tiere?“ fragte ich.

Der Katzenfuttermann blieb stehen und beugte sich herunter‚ um mir etwas ins Ohr zu flüstern. „Er spricht ihre Sprache“‚ sagte er mit heiserer‚ geheimnisvoller Stimme.

„Die Tiersprache!“ rief ich.

„Ja‚ natürlich‚ alle Tiere haben eine Sprache. Einige sprechen mehr als die andern‚ und manche nur Zeichensprache wie Taubstumme‚ aber der Doktor versteht sie alle‚ die Vögel so gut wie die andern Tiere. Es ist ein Geheimnis‚ das nur er und ich wissen‚ denn die andern Leute lachen‚ wenn man davon spricht. Ja‚ er kann sogar die Tiersprache schreiben. Er liest seinen Tieren vor. Er hat Geschichtsbücher in der Affensprache geschrieben und Kanarienvogelgeschichten und lustige Lieder für Elstern. Das ist tatsächlich wahr. Jetzt ist er damit beschäftigt‚ die Sprache der Schaltiere‚ der Krebse‚ Muscheln und Schnecken‚ zu erlernen‚ aber er sagt‚ es sei sehr schwer‚ und er hat sich dabei schon oft erkältet‚ weil er seinen Kopf so viel unter Wasser halten muß. Er ist ein großer Mann.“

„Das muß er wirklich sein. Ich wünschte‚ er wäre zu Hause‚ damit ich ihn kennen lernte.“

Wir waren an den Rand der Stadt gelangt‚ und das Haus‚ auf das Matthäus zeigte‚ war klein und stand für sich allein. Ein großer Garten schien es zu umgeben‚ der lag viel höher als die Straße‚ so daß man einige Stufen hinaufsteigen mußte‚ ehe man hinein gelangte. Als wir zum Haus kamen‚ ging Matthäus die Stufen zur Vordertür hinauf‚ und ich folgte ihm. Ich dachte‚ er würde in den Garten gehen‚ aber das Tor war verschlossen. Ein Hund kam vom Hause herbeigerannt‚ nahm mehrere Stücke Fleisch und auch einige Tüten mit Korn und Kleie in Empfang‚ die der Katzenfuttermann durch die Gitterstäbe steckte. Ich bemerkte‚ dieser Hund blieb nicht stehen‚ um das Fleisch zu fressen‚ wie ein gewöhnlicher Hund‚ sondern er brachte alle Sachen zum Haus und verschwand. Er trug ein seltsames breites Halsband‚ das wie Messing aussah. Dann gingen wir wieder fort.

„Der Doktor ist noch nich zurück‚ sonst wäre das Tor nich verschlossen“‚ sagte Matthäus.

„Was war in den Tüten‚ die du dem Hund gegeben hast?“ fragte ich.

„Ach‚ das waren allerlei Nahrungsmittel“‚ sagte Matthäus‚ „Futter für die Tiere. Des Doktors Haus steckt voller Lieblingstiere. Wenn der Doktor nich zu Hause ist‚ gebe ich die Sachen dem Hund‚ und er bringt sie den andern Tieren.“

„Und was war das für ein seltsames Halsband‚ das er trug?“

„Das ist ein echt goldenes Hundehalsband. Vor langer Zeit‚ als er mit dem Doktor auf einer Reise war‚ hat man es ihm geschenkt. Er hat einem Menschen das Leben gerettet.“

„Wie lange hat der Doktor ihn schon?“

„Oh‚ sehr lange. Jip wird jetzt schon hübsch alt. Darum nimmt der Doktor ihn nich mehr auf Reisen mit. Er läßt ihn hier‚ damit er das Haus bewacht. Jeden Montag und Donnerstag bring ich ihm das Futter ans Gitter. Er läßt niemand in den Garten‚ wenn der Doktor fort ist. Nicht einmal mich‚ obgleich er mich gut kennt. Aber man weiß immer‚ ob der Doktor zurück ist oder nich. Wenn er wieder da ist‚ steht das Tor bestimmt offen.“

Ich ging also wieder zu meines Vaters Haus zurück und bettete mein Eichhörnchen in eine kleine mit Stroh gefüllte Kiste. Dort pflegte ich es selbst und versorgte es‚ so gut ich konnte‚ bis zu der Zeit‚ da der Doktor zurückkehren sollte. Täglich ging ich zum kleinen Haus am Rande der Stadt und sah nach‚ ob das Tor noch geschlossen war. Manchmal kam Jip‚ der Hund‚ ans Tor gelaufen‚ aber obgleich er mit dem Schweif wedelte und sich freute‚ daß ich kam‚ ließ er mich nie in den Garten.

Doktor Dolittles schwimmende Insel

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