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5. Kapitel

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POLYNESIA

„Ihr Haus ist das interessanteste‚ das ich kenne“‚ sagte ich‚ als wir zur Stadt gingen. „Darf ich morgen wiederkommen?“

„Natürlich“‚ sagte der Doktor‚ „du kannst jeden Tag kommen‚ wenn du willst. Morgen zeige ich dir den Garten und meinen Zoo.“

„Ach‚ Sie haben auch einen zoologischen Garten?“ fragte ich.

„Ja‚ die vielen Tiere sind zu viel für das Haus‚ drum halte ich sie im Garten‚ es ist keine sehr große Sammlung‚ aber auf ihre Art ist sie interessant.“

„Es muß schön sein‚ die Sprachen dar verschiedenen Tiere sprechen zu können. Glauben Sie‚ ich könnte sie je lernen?“

„Sicherlich“‚ sagte der Doktor‚ „wenn du dir Mühe gibst‚ aber du mußt sehr geduldig sein. Du müßtest bei Polynesia die Anfangsgründe lernen‚ sie hat mir auch den ersten Unterricht gegeben.“

„Wer ist Polynesia?“ fragte ich.

„Polynesia ist ein westafrikanischer Papagei‚ der bei mir gewohnt hat. Jetzt ist sie nicht mehr hier“‚ sagte der Doktor traurig.

„Warum? Ist sie tot?“

„Ach‚ nein“‚ sagte er‚ „ich hoffe‚ sie lebt noch. Aber als wir nach Afrika kamen‚ war sie so glücklich‚ wieder in ihrer alten Heimat zu sein — sie hat vor Freude geweint‚ und als ich wieder nach Hause fuhr‚ hatte ich nicht das Herz‚ sie von ihrem sonnigen Lande loszureißen‚ obgleich sie mir anbot‚ mitzukommen‚ Ich hab sie in Afrika gelassen. Ja‚ ich vermisse sie schrecklich. Als wir abfuhren‚ weinte sie — aber ich glaube‚ ich habe das Richtige getan. Sie war einer der besten Freunde‚ die ich je gehabt habe. Sie hat mir vorgeschlagen‚ die Tiersprache zu lernen und ein Tierdoktor zu werden. Ich denke oft‚ ob sie in Afrika glücklich ist‚ und ob ich jemals ihr komisches altes würdevolles Gesicht wiedersehen werde. Gute‚ alte Polynesia! Ein ganz außerordentlicher Vogel. Ja! Ja!“

In diesem Augenblick hörten wir jemand hinter uns herlaufen‚ und als wir uns umdrehten‚ sahen wir den Hund Jip die Straße herabstürzen‚ so schnell‚ wie ihn seine Beine nur tragen konnten. Er schien über irgend etwas sehr aufgeregt zu sein‚ und sobald er bei uns war‚ begann er den Doktor auf eine besondere Weise anzubellen und anzuwinseln. Der Doktor geriet außer sich und sprach in seltsamen Zeichen auf den Hund ein. Schließlich drehte er sich mit glückstrahlendem Gesicht zu mir um.

„Polynesia ist zurückgekehrt“‚ rief er‚ „stell dir das nur vor‚ Jip sagt‚ sie sei soeben nach Haus gekommen. Meiner Seel! Es ist fünf Jahre her‚ seit ich sie nicht gesehen habe. Entschuldige mich eine Minute.“

Und er drehte sich um‚ als ob er nach Hause gehen wollte — aber der Papagei Polynesia kam uns bereits entgegengeflogen. Johann Dolittle klatschte in die Hände wie ein Kind‚ das ein neues Spielzeug bekommt‚ während ein Schwarm von Sperlingen mit aufgeregtem Piepen von der Straße zu den Zäunen aufflatterte. höchst entrüstet‚ daß ein grau und scharlachroter Papagei durch eine englische Gasse strich.

Polynesia kam gerade auf des Doktors Schulter zugeflogen‚ wo sie sofort begann‚ in einem gleichmäßigen Redefluß und einer Sprache zu sprechen‚ die ich nicht verstehen konnte. Sie mußte eine Menge zu erzählen haben‚ und bald hatte der Doktor mich‚ mein Eichhörnchen‚ Jip und alles andere vergessen‚ bis ihn schließlich der Vogel etwas über mich fragte.

„Ach‚ entschuldige‚ Stubbins“‚ sagte der Doktor‚ „ich war ganz davon in Anspruch genommen‚ meiner alten Freundin zuzuhören. Wir müssen weitergehen und uns dein Eichhörnchen ansehen. Polynesia‚ das ist Thomas Stubbins.“

Der Papagei auf des Doktors Schulter nickte mir ernst zu und sagte dann‚ zu meiner großen Überraschung‚ in klarem Englisch:

„ Wie geht es dir? Ich erinnere mich noch an die Nacht‚ als du geboren wurdest. Es war ein schrecklich kalter Winter. Du warst ein sehr häßliches Kind.“

„Stubbins möchte gern die Tiersprache lernen“‚ sagte der Doktor. „Ich hatte ihm gerade von dir und meinem Unterricht bei dir erzählt‚ als Jip gerannt kam und berichtete‚ daß du angekommen seist.“

„Nun“‚ sagte der Papagei und wandte sich zu mir‚ „wenn ich auch dem Doktor die erste Unterweisung gegeben habe‚ so ging das nur‚ weil er mir zuerst beigebracht hatte‚ das zu verstehen‚ was ich in der Menschensprache sage. Viele Papageien können wie Menschen sprechen‚ aber wenige von ihnen verstehen‚ was sie sagen. Sie sagen es nur — nun‚ weil sie es für hübsch halten‚ oder weil sie wissen‚ daß man ihnen dann Keks gibt.“

Unterdessen hatten wir uns umgewandt und gingen auf mein Vaterhaus zu. Jip lief voraus‚ und Polynesia hockte noch immer auf des Doktors Schulter. Der Vogel plauderte unaufhörlich und offenbar meist über Afrika — aber jetzt sprach er aus Höflichkeit gegen mich in der Menschensprache.

„Wie geht es Prinz Bumpo? “ fragte der Doktor.

„Oh‚ ich bin froh‚ daß du midi das fragst“‚ sagte Polynesia‚ „ich hätte es fast zu erzählen vergessen. Was glaubst du? Bumpo ist in England!“

„In England? Das ist nicht dein Ernst!“ rief der Doktor. „Was zum Himmel macht er hier?“

„Sein Vater‚ der König‚ hat ihm zum Studium in eine Stadt geschickt‚ Bullford oder so ähnlich hieß sie.“

„Bullford‚ Bullford“‚ murmelte der Doktor. „Von dieser Stadt habe ich nie etwas gehört. Oh‚ du meinst wohl Oxford.“

„Ja‚ so hieß sie“‚ sagte Polynesia‚ „ich wußte‚ es hatte irgend was mit Rindern zu tun. Oxford‚ ja‚ dahin ist er gegangen.“

„So‚ so“‚ murmelte der Doktor‚ „man denke: Bumpo studiert in Oxford. Ja‚ ja.“

„In Jolliginki sind große Dinge vor sich gegangen‚ bevor er abgereist ist. Er hatte eine Todesangst‚ hierher zu kommen; er war der erste Mann dieses Landes‚ der nach Europa fuhr; er glaubte‚ er würde von weißen Kannibalen gefressen‚ oder so was Ähnliches. Du kennst diese Neger und weißt‚ wie unwissend sie sind — aber sein Vater bestand darauf‚ daß er fuhr: er sagte‚ alle schwarzen Könige schickten jetzt ihre Söhne nach Oxford. Es sei Mode‚ und er müsse gehen. Bumpo wollte seine sechs Frauen mitnehmen‚ aber das erlaubte ihm der König nicht. Der arme Bumpo zog weinend fort‚ und der ganze Palast schwamm gleichfalls in Tränen. Ich habe noch nie ein solches Geheule gehört.“

„Weißt du‚ ob er je auf die Suche nach Dornröschen ausgezogen ist?“

„Natürlich“‚ sagte Polynesia. „Gleich nach deiner Abreise. Und das war gut für ihn‚ denn der König hatte von seiner Hilfe bei eurer Flucht gehört und war deswegen schrecklich wütend.“

„Und hat er Dornröschen gefunden?“

„Nun‚ er brachte ein Wesen mit‚ von dem er sagte‚ es wäre Dornröschen. Ich für mein Teil halte sie für eine weiße Negerin. Sie hat rote Haare und die größten Füße‚ die man sich nur denken kann. Aber Bumpo gefiel sie außerordentlich‚ und schließlich heiratete er sie unter großen Freudenfesten. Die Feierlichkeiten dauerten sieben Tage‚ sie wurde seine Hauptfrau‚ und man kennt sie jetzt nur als Kronprinzessin Bumpah‚ mit Betonung auf der letzten Silbe.“

„Und sag mir noch: ist er weiß geblieben?“

„Nur ungefähr drei Monate“‚ antwortete der Papagei‚ „dann bekam sein Gesicht langsam seine natürliche Farbe zurück. So fiel er auch zu sehr beim Baden auf mit dem weißen Gesicht und dem schwarzen Rest.“

„Und wie geht es Tschi-Tschi?“

„Tschi-Tschi“‚ fügte der Doktor erklärend hinzu‚ „war ein Lieblingsaffe‚ den ich vor Jahren gehabt habe. Ich habe ihn ebenfalls in Afrika gelassen‚ als ich abreiste.“

„Tschi-Tschi“‚ sagte Polynesia stirnrunzelnd‚ „Tschi-Tschi ist nicht sehr glücklich‚ ich habe ihn in der letzten Zeit ziemlich oft gesehen‚ er bat schreckliches Heimweh nach dir‚ dem Haus und dem Garten. Es ist seltsam: aber mir ist es ebenso gegangen. Du erinnerst dich noch‚ wie wild ich darauf gewesen bin‚ in die alte‚ liebe Heimat zurückzukehren‚ und Afrika ist ein wundervolles Land — ich geb’ nichts darauf‚ was andere Leute darüber sagen. Ich glaubte‚ ich würde es dort einfach großartig haben — aber ich weiß nicht warum: nach ein paar Wochen wurde es langweilig. Ich konnte nicht richtig zur Ruhe kommen. Nun‚ um es kurz zu machen‚ eines Abends beschloß ich‚ hierher zurückzukehren und dich aufzusuchen. Ich stöberte also den alten Tschi-Tschi auf und erzählte ihm davon. Er sagte‚ er könnte mich nicht im geringsten dafür tadeln‚ ihm ginge es genau so. In Afrika geschähe so unglaublich wenig‚ nach dem bunten Leben‚ das wir mit dir geführt hatten. Ihm fehlten die Geschichten‚ die du uns aus deinen Tierbüchern vorzulesen pflegtest‚ und unser Geplauder‚ wenn wir alle an den Winterabenden ums Küchenfeuer herumsaßen. Die Tiere in Afrika waren sehr nett zu uns und so weiter ...‚ aber diese guten Geschöpfe schienen etwas dumm zu sein. Tschi-Tschi sagte‚ er hätte das auch bemerkt. Aber ich glaube‚ nicht sie hatten sich verändert‚ sondern wir waren anders geworden. Als ich mich von ihm verabschiedete‚ brach der arme Kerl zusammen und weinte bitterlich‚ als ob sein einziger Freund ihn verließe‚ dabei hat er‚ wie du weißt‚ dort Millionen Verwandte. Er sagte‚ er fände es nicht gerecht‚ daß ich Flügel hätte und‚ wenn ich wollte‚ hierher fliegen könnte‚ während es für ihn keine Möglichkeit gäbe‚ mir zu folgen. Aber‚ paß auf‚ Doktor‚ ich wäre nicht ein bißchen überrascht‚ wenn er doch eines Tages einen Weg hierher fände. Tschi-Tschi ist ein feiner Kerl.“

Bei diesen Worten waren wir an unserem Hause angelangt. Meines Vaters Laden war bereits geschlossen und die Fensterläden zugemacht‚ aber meine Mutter stand in der Tür und sah die Straße hinunter.

„Ich fing gerade an‚ mich um ihn zu ängstigen“‚ sagte sie. „Ich danke Ihnen‚ mein Herr‚ daß Sie Tom nach Hause gebracht haben.“

„Keine Ursache‚ keine Ursache“‚ sagte der Doktor‚ „wir haben uns sehr interessant unterhalten.“

„Mit wem habe ich die Ehre?“ fragte meine Mutter und starrte den grauen Papagei an‚ der auf des Doktors Schulter hockte.

„Ich bin Johann Dolittle‚ ich glaube‚ Ihr Mann wird sich noch an mich erinnern. Er hat mir vor ungefähr vier Jahren ein Paar ausgezeichnete Stiefel gemacht.“

„Der Doktor will mein Eichhörnchen gesund machen‚ Mutter,“ rief ich. „Er weiß alles über Tiere.“

„Oh nein‚ Stubbins“‚ sagte der Doktor‚ „nicht alles. Keinesfalls alles.“

„Es ist sehr freundlich‚ daß Sie sich einen so weiten Weg machen‚ um nach seinem Tierchen zu sehen“‚ sagte meine Mutter. „Tom bringt immer seltsame Geschöpfe aus den Wäldern und Feldern nach Haus.“

„Wirklich?“ fragte der Doktor‚ „vielleicht wird er einmal Naturforscher‚ wenn er erwachsen ist‚ wer weiß?“

„Wollen Sie nicht hereinkommen?“ fragte meine Mutter‚ „es ist nicht alles in Ordnung‚ weil ich noch nicht mit dem Großreinemachen fertig bin‚ aber im Wohnzimmer brennt ein gutes Feuer.“

„ Vielen Dank“‚ sagte der Doktor‚ „was für ein reizendes Heim Sie haben!“

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