Читать книгу Der schottische Bankier von Surabaya - Ian Hamilton - Страница 17
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ОглавлениеSONNY FUHR SIE ZUM FLUGHAFEN. Sie sprachen nicht, bis sie den Tunnel passiert hatten und durch Hongkong auf die Brücke zufuhren. »Du musst ihn im Auge behalten«, sagte Ava. »Mir kommt sein Zustand nicht allzu schlecht vor – sein Verstand ist immer noch scharf, aber körperlich hat er abgebaut. Was mich jedoch am meisten irritiert, ist, dass er sentimental zu werden scheint.«
»Das ist das Wort, nach dem ich vorhin gesucht habe, als ich dir erzählt habe, dass er über die alten Zeiten reden möchte.«
»Ich glaube nicht, dass es ein Symptom für irgendetwas ist. Kann sein, dass wir auf simple Stimmungsschwankungen überreagieren, also bedränge ihn nicht, ja? Wenn du dich an ihn dranhängst, sei diskret; denk daran, mit wem du es zu tun hast. Er war immer sehr sensibel, was seine Umgebung angeht, und wenn du nicht vorsichtig bist, entdeckt er dich im Nu.«
»Ich dachte, ich setze jemand anders ein – eine Freundin von mir, die er nicht kennt.«
Ava nickte. »Das ist eine gute Idee, Sonny. Ja, wirklich Ist diese Frau aber auch professionell genug, um das hinzukriegen?«
»Klar!«
Seine Antwort klang so aggressiv, dass sie jede Menge Fragen in Avas Kopf auslöste. Sie verkniff sie sich allesamt. »Gut. Bitte halt mich auf dem Laufenden.«
Sonny ließ sie am VIP-Abflugterminal aussteigen. Sie brauchte keine fünf Minuten, um bei Cathay Pacific einzuchecken, und nur zehn Minuten, um Zoll und Passkontrolle zu passieren, und hatte fünf weitere Minuten später auch die Sicherheitskontrolle hinter sich gebracht. Sie hatte sich zwei Stunden Zeit eingeräumt, und so steuerte sie die First Class Lounge von Cathay an. Sie holte sich einen doppelten Espresso, die South China Morning Post und die International Herald Tribune und ließ sich in einem der bequemen Sessel nieder, mit denen die Lounge ausgestattet war.
Die Schlagzeilen der Zeitungen verkündeten einen massiven Aktienverkauf in den USA, der offenkundig von einem Eingabefehler ausgelöst worden war. Ein Börsenmakler, der Termingeschäfte machte, hatte sechzehn Milliarden statt sechzehn Millionen eingegeben, und von da an hatte der Computer übernommen. Avas Geld war breit angelegt – kanadische Staatsanleihen, Bankaktien, Gold, Real Estate Investment Trusts –, und sie kümmerte sich kaum um das Marktgeschehen, aber sie fand es alarmierend, dass dermaßen viel Geld durch schiere Dummheit vaporisiert werden konnte.
Ihr Handy klingelte. Sie blickte auf das Display und sah den Namen MARCUS LEE. Alle Gedanken an die US-amerikanische Börse waren wie fortgeblasen. »Hi, Daddy«, sagte sie und hätte sich in den Hintern beißen können, weil sie seinem Anruf nicht zuvorgekommen war.
»Deine Mutter hat gesagt, du würdest in Hongkong zwischenlanden«, sagte er.
»Ich bin in der Cathay Lounge am Flughafen, auf dem Weg nach Vietnam.«
»Wieder an der Arbeit, sagt sie.«
»Ja, und zwar hauptsächlich ihretwegen, falls sie das nicht erwähnt haben sollte. Eine ihrer Freundinnen hat in einen Fonds investiert und ihr Geld verloren, und Mummy hat sie an mich verwiesen. Im Grunde nur ein kleiner Auftrag, und ich glaube nicht, dass er sehr lange dauern oder viel dabei rauskommen wird.«
Er schwieg, und Ava wappnete sich. Doch dann sagte er: »Pass auf dich auf.«
»Versprochen.«
»Wirklich, Ava. Ich weiß, dass du absolut kompetent bist, aber wir alle übernehmen uns gelegentlich. Denk daran, wie es Michael ergangen ist.«
»Er hat es überlebt.«
»Wo wir gerade von Michael sprechen – hast du heute schon deine E-Mails gelesen?«
»Nein, warum?«
»Amanda und er haben den Hochzeitstermin festgesetzt. Unsere beiden Familien haben gestern zusammen zu Abend gegessen und die Einzelheiten besprochen.«
Auf der Stelle durchzuckte sie ein fast irrationaler Eifersuchtsblitz. Weder Michael noch Amanda hatten ihr gegenüber etwas von einem konkreten Datum für ihre Hochzeit erwähnt. Und als Marcus von den zwei Familien sprach, meinte er die Yees und sich und seine erste Frau. Ava hatte den Hochzeitsplänen nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt, doch jetzt, wo sie es tat, galt ihr einziger Gedanke der Frage, ob man sie einladen würde. Kaum war die Frage aufgetaucht, hatte Ava sie auch schon wieder verscheucht. Sie konnte sich unmöglich, absolut unmöglich vorstellen, dass Michaels Mutter, die erste Frau ihres Vaters, sich einverstanden erklären würde, Jennie Lees Tochter bei der Hochzeit dabeizuhaben. Es war eine Sache, mit einem Mann verheiratet zu sein, der eine zweite und eine dritte Familie besaß, die einer nie unter die Augen kamen. Eine ganz andere Sache war es, eine der Töchter aus diesen Verbindungen bei einem großen, nicht-privaten und im Fokus der Öffentlichkeit stehenden Ereignis dabeizuhaben. Es würde keine Rolle spielen, was Michael und Amanda wollten. Weder er noch sie würden gegen die Wünsche seiner Mutter aufbegehren.
Jack Yee, Amandas Vater, den Ava gut kannte und dem sie schon einmal geholfen hatte, würde sie mit Freuden einladen, wenn sie ihn darum bat. Kaum war ihr dieser Gedanke in den Sinn gekommen, verwarf sie ihn auch schon wieder, und ihre Eifersucht wandelte sich in Zorn. Ihre Mutter verstand, akzeptierte und respektierte die Position, die Ehefrau Nummer eins in der Familie besaß, und sie hatte diesen Respekt und dieses Verständnis an ihre Töchter weitergegeben. Aber dieser Respekt muss für beide Seiten gelten, dachte Ava. Wenn sie also an der Hochzeit teilnahm, dann müsste die Einladung von Seiten der Familie Lee kommen. Eine Einladung von jemand anderem wäre eine Missachtung ihrer Mutter und würde die Beziehung, die Jennie, Ava und Marian zu Marcus Lee hatten, herabwürdigen.
»Wann soll die Hochzeit sein?«, fragte Ava so ruhig, wie es ihr möglich war.
»Im Januar. Ich weiß, es ist ein bisschen komisch, aber so fügt es sich in ihre beruflichen Terminpläne ein.«
»Und wo?«
»Im Grand Hyatt.«
»Schön.«
»Jack kann sich das leisten. Amanda ist sein einziges Kind.«
»Ich weiß.«
»Und meinst du, du kannst es einrichten zu kommen?«
Ava war sicher, sich verhört zu haben. »Was?«
»Ich wünschte, du hättest deine E-Mails gelesen – das wäre besser gewesen. Aber da das nicht der Fall ist, ist es wohl an mir, es dir zu sagen. Amanda möchte, dass du ihre Trauzeugin bist.«
»Daddy, das ist verrückt«, erwiderte sie, ohne zu überlegen.
»Amanda findet das nicht, und Michael auch nicht.«
»Aber Michaels Mutter –«
»Ist auch damit einverstanden.«
»Wie ist das möglich?«
»Das Leben, meines insbesondere, nimmt oft einen unerwarteten Verlauf. Dies ist nur eine weitere unverhoffte Wendung.«
»Sprich nicht in Rätseln.«
»Elizabeth liebt unsere Kinder abgöttisch und keines mehr als ihr ältestes. Sie sind sich immer schon sehr nahe gewesen – das war fast schon nicht mehr normal – und vertrauen sich alles an. Michael hat ihr erzählt, wie er dir das erste Mal im Mandarin Oriental begegnet ist. Michael hat ihr von seinen Problemen erzählt. Er hat ihr erzählt, dass er dich um Hilfe gebeten hat. Und als alles vorbei war, hat er ihr erzählt, dass du ihn und sein Unternehmen gerettet hast.«
»Verstehe«, sagte Ava und verspürte leichte Schuldgefühle wegen der Zwiespältigkeit, mit der sie ihrem Halbbruder begegnete.
»Und dann hat Amanda sich eingeschaltet.«
»Ich verstehe nicht.«
»Elizabeth hat mir erzählt, dass du und Amanda ein Gespräch hattet, als Michael auf dem absoluten Tiefpunkt war.«
»Wir hatten mehr als nur ein Gespräch.«
»Dieses eine war sehr speziell. Amanda hat Elizabeth damals erzählt, dass du Michael nicht wegen der Konsequenzen, die seine Probleme für ihn haben könnten, hilfst. Sie hat gesagt, dass du es tust, um die Familie zu schützen – dass Michael die Familie in Gefahr gebracht habe und dass du es nicht zulassen wolltest, dass er seinen Vater, deine Mutter und zwei Tanten, denen du nie begegnet bist, und zwei kleine Kinder in Australien, denen du auch nie begegnet bist, ins Unglück stürzt.«
»Ich erinnere mich in der Tat, das gesagt zu haben«, sagte Ava leise.
»Elizabeth hat Amanda gefragt, ob sie das glaube, und Amanda hat geantwortet, von ganzem Herzen.«
»Das war sehr freundlich.«
»Nein, das war die Wahrheit.«
»Dennoch.«
»Als Michael also vor zwei Wochen seine Mutter besucht hat, um ihr von den Hochzeitsplänen zu erzählen, hat er sie rundheraus gefragt, ob sie es akzeptieren könne, dich als Teil der Hochzeitsgesellschaft dabeizuhaben. Und Elizabeth hat geantwortet: ›Ich kann sie nicht nur nicht verleugnen. Ich werde sie mit offenen Armen willkommen heißen.‹«
Ava fand sich in einer ungewohnten Situation: Ihr fehlten die Worte. »Du liebe Güte«, sagte sie schließlich.
»So sieht das aus.«
»Und was nun?«
»Sag ihnen, dass du kommen wirst.«
Ja, dachte Ava, und dann musste sie an ihre Mutter denken. Wie würde Jennie Lee das aufnehmen? Würde sie das als illoyal empfinden? »Daddy, jemand muss mit Mummy darüber reden. Du verstehst doch, dass sie verletzt sein könnte, wenn ich die Einladung annehme.«
»Ja, das verstehe ich, und ich werde derjenige sein, der mit ihr spricht.«
»Danke … Ich hab dich lieb.«
Ava beendete das Gespräch und spürte die widersprüchlichsten Gefühle in sich aufsteigen. Was für ein Morgen!, dachte sie. Die Sache mit Sonny und dann mit Onkel und ihrem Vater und den Komplikationen, die die Hochzeit mit sich brachte – in den vergangenen Stunden hatte sie mehr emotionale Turbulenzen durchlebt als in den vergangenen zwei Monaten insgesamt.
Sie überprüfte die eingegangenen E-Mails auf ihrem iPhone. Mehr als vierzig hatten sich in den vergangenen vierundzwanzig Stunden angesammelt. Sie scrollte direkt zu Michaels. HOCHZEIT!!!!!! lautete der Betreff. Sie las sie schnell und konnte nicht umhin zu bemerken, dass er ihre Zusage, Trauzeugin zu sein, als selbstverständlich betrachtete. Amanda war weniger überschwänglich. Sie sagte einfach nur, dass sie sich freuen würde, wenn Ava einverstanden wäre. Ava antwortete Amanda zuerst; sie entwarf eine E-Mail und begann mit Hast Du auch gründlich darüber nachgedacht? Dann löschte sie sie wieder und schrieb eine E-Mail an Michael und Amanda gemeinsam und sagte, dass sie entzückt wäre, welche Rolle auch immer sie ihr bei der Hochzeit zugedacht hätten.
Als das erledigt war, widmete sie sich ihren übrigen Nachrichten. Die erste, die ihre Aufmerksamkeit fesselte, war von Joey Lac, der sie bat, Theresa und Bobby und seinen Onkel wissen zu lassen, dass er hilfsbereit gewesen war; dann wiederholte er, dass Lam Van Dinh nach seinem Dafürhalten dumm gewesen sein und das Geld bei einem schlechten Investment verloren haben könnte, nicht aber dass Lam das Geld gestohlen hätte. Er bat Ava, dies für sich zu behalten, denn er wisse, dass seine Einschätzung alle, die Geld bei der Investition verloren hätten, kränken könnte. Am Ende hatte er die Namen, die E-Mail-Adressen und die Telefonnummern der Ansprechperson bei der Bank Linno in Surabaya und des Vermieters in Toronto angefügt.
Die weiteren E-Mails waren von Maria, die sagte, dass Toronto jetzt schon ein einsamer Ort sei; der tägliche Bericht von May Ling und eine von Wörtern in Großbuchstaben durchsetzte Nachricht von Mimi. Wir haben den ganzen Tag lang Häuser angesehen, und ich kann kaum glauben, wie viel Geduld Derek hat. Er scheint nur eines zu wollen: dass ich glücklich bin. Ich habe mich in die reinste FURZMASCHINE verwandelt, aber ihn scheint das nicht zu stören. Ihn scheint überhaupt nichts zu stören, was mit der Schwangerschaft zusammenhängt, nicht einmal meine VIER GÄNGE ZUM KLO JEDE NACHT und DASS MEINE MÖPSE SO GROSS SIND WIE KOPFKISSEN und DASS WIR ES NUR NOCH NACH HUNDEART TREIBEN KÖNNEN. Hab ich ein Glück! Dank Dir.
Ava lächelte. Dank war das Letzte, was sie verdiente. Sie hatte alles versucht, um die beiden auseinanderzuhalten.
Sie überflog noch die restlichen Nachrichten und steckte das Handy dann wieder in die Tasche. Sie hatte niemandem geantwortet, außer Michael und Amanda. Toronto schien sehr weit weg, und Ava verspürte die Abkopplung, die immer einsetzte, wenn sie einen neuen Job übernommen hatte.