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Kapitel 5 1945 – München
Hermann Mischke

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Alles Blut sackte in Hermann Mischkes Beine ab, machte sie bleischwer und seinen Kopf federleicht, während sein Mut wie ein zerbombtes Haus in sich zusammenstürzte. Was hatte er soeben gesagt? Er hätte diesen Versuch niemals wagen dürfen, aber es ging doch um das Leben seines einzigen Sohnes. Mischke holte tief Luft. Der Geruch von kaltem Rauch und abgestandenem Bier ekelte ihn auf einmal an.

Das Gemurmel der etwa dreißig Parteigenossen trat in den Hintergrund. Schwarz-weiß-rote Hakenkreuzfahnen bedeckten die Wände im Festsaal des Münchener Wirtshauses und von einem überlebensgroßen Bild über dem Podium starrte ihm sein geliebter Führer grimmig entgegen.

NSDAP-Kreisleiter Buntler straffte sich in seiner goldbraunen Uniform zu seiner ganzen Größe. „Blockwart Mischke, Sie wollen also allen Ernstes, dass ich mich dafür verwende, dass Ihr Sohn, der Ihren eigenen Worten nach ein tapferer, deutscher Soldat sein soll, zur Polizei versetzt wird? Ist wohl ein Drückeberger?“

„Aber nein, ganz und gar nicht. Er will in unserer Stadt denen, die den Glauben an den Endsieg verloren haben, ordentlich Feuer unterm Hintern machen.“

Buntler zog die Oberlippe hoch. „Ich denke, Ihr Viertel ist sauber? Sie wollen damit doch nicht sagen, dass Ihr Sohn das beenden soll, wozu Sie selbst nicht in der Lage sind?“

Mischkes Wangen wurden heiß. Sein Bezirk war sauber, aber dennoch vermutete er, dass diese hochnäsigen Lamprechts Dreck am Stecken hatten. „Ich tue, was ich kann, Herr Kreisleiter.“

„Wirklich? Die Zahl derer, die bei ihnen für den Volkssturm rekrutiert werden, könnte höher sein. Und haben sie wirklich alle Volksverräter gemeldet oder nur die, die wir sowieso schon identifiziert haben? Mischke?“ Buntlers Stimme wurde lauter. „Tun Sie endlich Ihre Pflicht für Führer, Volk und Vaterland!“

„Da … Da sind keine mehr übrig. Alle, die ich gemeldet hab, wurden abgeholt.“ Schweiß brach auf Mischkes Stirn aus. Er hatte zwei Familien ins KZ geschickt. Himmel, Arsch und Zwirn, was sollte er denn noch tun? „Bei mir herrscht Ordnung“, fügte er hastig hinzu.

Buntler machte eine wegwerfende Handbewegung. „Die Waffen-SS braucht jetzt jeden Mann. Ich kann Ihnen da nicht helfen.“

„Bruno hat viel geleistet – viel mehr als manch anderer. Er ist Träger des EK1. Erst kürzlich hat er sogar einen Freund aus unserer Nachbarschaft wegen Feigheit vor dem Feind gemeldet, der daraufhin exekutiert wurde.“

Seine letzten Worte hingen schwer in der Luft. Er hätte nicht Freund, sondern Kameraden sagen sollen, schoss es ihm durch den Kopf.

„Ein richtiger Schlächter also?“ Buntler schien sich diese Frage förmlich auf der Zunge zergehen zu lassen. „So was lob ich mir.“

Mischke suchte an der Stuhllehne hinter sich Halt. Das Blut rauschte in seinen Ohren. Sein Sohn war kein Schlächter, sondern ein wackerer Soldat, der seine Pflicht erfüllte. „Er hat Befehlen gehorcht.“

Buntlers Mund zuckte, als wollte er eine weitere Gemeinheit hinzufügen, aber unruhiges Gedränge vor der Tür am anderen Ende des Saals zog die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich. Stühle schrammten laut über den Parkettboden, Stiefelhacken knallten zusammen, ausgestreckte Arme wurden hochgerissen. Ein vielstimmiges „Sieg Heil!“ donnerte durch den Raum. Gauleiter Giesler war eingetroffen, grinste wie ein Filmstar und strahlte absolute Kompromisslosigkeit aus. Er unterstand direkt dem Führer, und da dieser sich nicht sonderlich für Lokalpolitik interessierte, war der Gauleiter uneingeschränkter Herrscher über das gesamte südliche Reich.

Mischke fühlte sich angesichts dieses Mannes unendlich klein. Automatisch klatschen seine Hände bei dem nun losbrechenden Applaus mit. Er wollte in die frenetischen Rufe seiner Parteigenossen einstimmen, aber Buntlers Gesichtsausdruck verschloss ihm den Mund.

„Hören Sie“, zischte Buntler, „ich gebe Ihnen vierzehn Tage und nicht eine Stunde länger, um mir zu beweisen, wie gut Sie ihren Laden im Griff haben. Bringen Sie mir zehn Mann für den Volkssturm – und einen Volksverräter. Wenn’s ein Jude ist, umso besser. Ich werde dann sehen, was ich für Sie und ihren Sohn tun kann. Vierzehn Tage – verstanden?“

In vier Tagen endet Brunos Heimaturlaub, und dann könnte es zu spät sein, wollte Mischke einwenden, brachte aber keinen Ton heraus. An Buntlers Bedingungen war nichts zu ändern.

Woher einen Juden nehmen, nachdem alle schon deportiert worden waren? Er konnte sich doch keinen aus dem Ärmel schütteln. Angeblich sollten noch einige im Untergrund leben, aber an die war nur schwer ranzukommen. Mischke lockerte die Krawatte, während Buntler kerzengerade an ihm vorbeistolzierte, quer durch den Saal, den Arm zum Deutschen Gruß gestreckt. „Heil Hitler!“, brüllte er.

„Heil Hitler!“, schrie die Menge.

Verzweifelt blickte Mischke zu einem befreundeten Polizisten, der mit einem Lächeln antwortete. Was wusste der schon von den Sorgen eines Vaters. Der hatte keinen Sohn an der Front.

Mischke sank auf seinen Stuhl. Vierzehn Tage, um die Aufgabe zu bewältigen. Vierzehn Tage, um das Leben seines Sohnes zu retten. Vierzehn Tage … Er durfte keine Minute verlieren, musste sofort etwas unternehmen. Und er wusste auch schon, wen er ans Messer liefern würde.

Marias Geheimnis

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