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Kapitel 6 2010 – München
Daniela

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Eine Woche später war Daniela vom Lehrerzimmer zum Klassenraum der Ersten unterwegs, als ihr Handy die Star-Wars-Melodie spielte, die sie sich als Erkennungszeichen für Familienmitglieder heruntergeladen hatte. Ihre Kinder, wie sie die Abc-Schützen nannte, liebten diese Melodie, wodurch sie ihnen vermutlich sympathischer erschien, obwohl sie fand, dass die Star-Wars-Filme für diese Altersgruppe weniger geeignet waren. Aber das zu entscheiden, war Sache der Eltern.

Ein Blick aufs Display zeigte, dass Mutter sie zu sprechen wünschte. Daniela seufzte innerlich, denn Mama schaffte es, immer dann anzurufen, wenn es ihr nicht in den Kram passte. „Ich ruf dich zurück“, sagte sie deshalb kurz angebunden.

„Ist aber wichtig, Kleines.“

In den Augen ihrer Mutter würde sie immer nur deren Kleines bleiben. Manchmal musste sie darüber schmunzeln, aber meistens nervte es nur. Sie öffnete die Tür zum Klassenzimmer, in dem es wie immer laut zuging. Augenblicklich verstummte das bunte Sprachengewirr aus aller Herren Länder. In diesem Alter verhielten sich die Youngster noch umgänglich. Ausgrenzungen, Mobbing und Aggressionen gegen die Lehrkraft fanden erst in den oberen Klassen statt. Sie liebte den Umgang mit den Kindern, ein Grund, warum sie diesen Beruf ergriffen hatte.

Heute war sie allerdings unkonzentriert, da ihr die Geschichte des Rechtsanwalts, sowie er selbst, nicht aus dem Kopf gingen. Lukas Mischkes stiller Vorwurf, ihre Ahnen hätten sich an Juden bereichert, war unterschwellig herauszuhören gewesen.

Obwohl dafür – falls überhaupt – ihre Großeltern oder sogar die Urgroßeltern verantwortlich wären, fühlte sie sich irgendwie mitschuldig.

Auch Mama hatte betroffen geschaut. Nur Danielas Schwester Nadine ging das alles am Arsch vorbei, wie sie sich ausgedrückt hatte. „Wir Deutsche sollten endlich einen Schlussstrich unter die alten Geschichten ziehen, und uns nicht ständig die Schuld unserer Vorfahren unter die Nase reiben lassen“, hatte sie weiterhin gesagt, und damit war die Sache für sie erledigt gewesen.

Auch Vater ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass er weder am Bauernhof von Danielas Großeltern noch an deren Vorgeschichte interessiert war. Die Ehe ihrer Eltern war schon seit Langem in Schieflage geraten, aber das mussten die beiden unter sich ausmachen.

Da Mama nur selten etwas als wichtig erachtete, sehnte Daniela das Ende der Unterrichtsstunde herbei. Kaum verkündete der Gong deren Ende, stürmten die Kleinen aus dem Zimmer Richtung Pausenhof. Als der Letzte draußen war, rief sie zu Hause an.

„Was gibt’s?“, fragte Daniela vorsichtig.

„Ich habe einen Anhaltspunkt gefunden, wo sich Tante Maria aufhalten könnte.“

„Und wo wäre das?“ Plötzlich bekam sie Angst vor der eigenen Courage, denn wer konnte schon sagen, ob sich da nicht eine böse Überraschung anbahnte.

„Das ist eine lange Geschichte. Hast du so viel Zeit?“

„Leg los und spann mich nicht länger auf die Folter.“

„Die Schwester deiner Urgroßmutter lebte vermutlich seit Ende des Krieges in den USA. Als sie im Sterben lag, hat sie mit Oma Kontakt aufgenommen. Ich habe den Brief in einem ihrer Ordner gefunden.“

„Hast du sie angerufen?“

„Wen? Die Urgroßmutter? Ich habe doch gerade gesagt, dass sie schon lange tot ist.“

Daniela rollte die Augen, obwohl Mama dies nicht sehen konnte. „Ich meinte ihre Familie, oder den, der Oma angeschrieben hat.“

„Natürlich.“

„Und?“

„Ich habe die in dem Brief angegebene Telefonnummer in den USA angerufen und tatsächlich jemanden erreicht.“

„Jetzt red’ endlich und lass dir nicht alles aus der Nase ziehen.“

„Ihren Sohn.“ Moms Stimme klang freudig erregt. „Der sprach sogar ein paar Brocken Deutsch.“

„Der muss schon uralt sein.“

„An die siebzig. Das ist heutzutage kein Alter.“

Das kam auf die Perspektive an. Mama war Anfang fünfzig. „Und was hat er so erzählt?“

„Dass er in Florida lebe, irgendwo in der Nähe von Fort Lauderdale. Er sagte, er würde Maria kennen und dass sie eine Verwandte von ihm sei.“

„Die muss jetzt aber auch schon um die siebzig sein.“

„Um die achtzig.“

„Wenn wir von der noch etwas erfahren wollen, bevor sie das Zeitliche segnet, sollten wir uns beeilen.“

„Stimmt. Er nannte mir eine Telefonnummer und eine Adresse, aber das Telefon sei stillgelegt. Er habe schon seit einigen Jahren nichts mehr von ihr gehört.“

„Mist.“

„Wieso so pessimistisch? Ist nicht gesagt, dass sie gestorben ist. Amerikaner ziehen bekanntlich öfter um.“

„Deshalb kann man trotzdem Kontakt zu seinen Verwandten halten. Wie sollen wir sie jetzt finden?“

„Indem du hinfliegst und nach ihr suchst.“

Daniela klappte der Mund auf und zu. „So wie in der Fernsehsendung: Bitte melde dich? Das wird schwierig werden.“

„Am besten, du beginnst deine Suche in Florida.“

Typisch Mama. Wenn sie eine Lösung gefunden hatte, war die Sache für sie abgehakt. „Das wird leider nichts, wegen der Schule.“

„Dann flieg eben in den Ferien. Uns treibt doch nichts?“

„Mal sehen. Ich rufe später wieder an. Die Pause ist zu Ende.“

Nach dem Unterricht saß sie im Lehrerzimmer mit dem Handy in der Hand und überlegte, ob sie Lukas Mischke anrufen und ihn informieren sollte. Eigentlich war ihr egal, wie die Bilder in den Besitz seiner Familie gelangt waren. Weder Oma noch Opa hatten jemals etwas verlauten lassen, dass Gemälde aus dem Familienbesitz gestohlen worden wären.

Sie ließ das Handy sinken. Aber vielleicht gab es dennoch ein Geheimnis zu lüften. Außerdem war ihr Mischke sympathisch. Kurz entschlossen tippte sie die von ihm gegebene Nummer. Leider meldete sich nur der Anrufbeantworter mit seiner sonoren Stimme, die sofort ein angenehmes Gefühl in ihrem Bauch hervorrief. Sie unterbrach die Verbindung, ohne eine Nachricht hinterlassen zu haben. Ein zweites Mal würde sie ihn nicht anrufen.

Sie packte ihre sieben Sachen zusammen und eilte zur Straßenbahn, die sie in die Nähe ihres Wohnviertels bringen würde.

An ihrer Haltestelle war sie war nicht die Einzige, die austeigen wollte. Als sie sich an einem älteren Mann vorbeizwängte, wurde dies prompt auf münchnerisch kommentiert: „Jessas, passen S’ doch auf, wo S’ hinlatschen.“ Eine Seltenheit, da die meisten Fahrgäste garantiert Preiss’n oder Ausländer waren. Sie hatte damit kein Problem, denn nicht umsonst wurde München die Weltstadt mit Herz genannt. Draußen empfing sie lautes Gewittergrollen. Das letzte Stück bis zur Johann-Clanze-Straße würde sie mit dem Bus zurücklegen. Beim Aussteigen zogen dunkle Wolken über die Stadt, die Donnerschläge wurden lauter, und als die ersten Tropfen fielen, beschleunigte sie ihre Schritte.

Kurz vor dem Erreichen des Hauseingangs summte in ihrer Handtasche das Handy, das sie auf Vibrieren eingestellt hatte.

Lukas Mischke stand auf dem Display zu lesen.

Sollte sie das Gespräch annehmen oder nicht? Nach kurzem Zögern entschied sie sich dafür, denn schließlich hatte sie ihn zuerst angerufen. Also Pobacken zamm und durch. Mit wenigen Worten erklärte sie ihm, was ihre Mutter herausgefunden hatte.

„Das heißt, Sie fliegen in die USA, um Ihre Großtante ausfindig zu machen?“

Davon war bislang keine Rede gewesen. „Mal schauen“, erwiderte sie, während ihres Aufstiegs in den dritten Stock.

„Das wäre eine gute Gelegenheit, zu erfahren, ob tatsächlich eine Verbindung zwischen den Bildern und Ihrer Familie besteht.“

„Das hätten Sie wohl gern.“

„Daniela … Frau Kiesling, ich möchte nur gern die Zusammenhänge geklärt wissen. Weder Sie noch ich sind für die Taten unserer Vorfahren verantwortlich.“

Das hörte sich genauso an, wie die Argumentation ihrer Schwester. Sie blies sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Ich werde wahrscheinlich über den großen Teich fliegen, allerdings erst, wenn das Schuljahr zu Ende ist.“

„Prima“, sagte er. „Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich sie gern begleiten.“

„Wieso das denn? Meinen Sie, ich könnte etwas herausfinden, von dem Sie nichts wissen sollten?“

„Schmarrn.“ Pause. „Ich dachte nur, es wäre für Sie angenehmer, nicht allein zu reisen.“

„Meine Mutter wird eventuell mitkommen.“

„Das klang eben aber nicht so. Also abgemacht? Ich zahle auch Ihr Flugticket, denn letztlich habe ich den Stein ins Rollen gebracht. Das Schuljahr endet in drei Wochen. Wie wär’s am darauffolgenden Samstag?“

Irgendwie fühlte sie sich überrumpelt. „Das muss ich mir erst noch mal durch den Kopf gehen lassen.“

„Tun Sie das. Wir fliegen von München aus los. Das ist einfacher für Sie. Ich rühre mich wieder. Bis dann.“

„Ciao.“ Die Vorstellung, mit ihm in die USA zu fliegen, verursachte ein leichtes Kribbeln in ihrer Magengrube. Sie sollte Mama zuvor fragen, ob sie nicht doch mitkommen wollte – oder ihre Schwester Nadine – oder keine von beiden.

Marias Geheimnis

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