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Kapitel 1 2008 – Nürnberg
Lukas

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Seit seine Freundin Anika die Gemälde auf dem Speicher seiner Eltern entdeckt hatte, gab es für sie nur noch ein Thema. Ansonsten nicht so kulturbeflissen, wollte sie deshalb heute unbedingt ins Germanische Nationalmuseum, um der Sache auf den Grund zu gehen.

Lukas’ Nacken schmerzte und er startete einen letzten verzweifelten Versuch, sie umzustimmen: „Bei dem schönen Wetter sollten wir lieber zur Burg hinauf gehen – oder zum Dürerplatz.“

Trotz der modernen Glasfassade versprachen die hellen Sandsteinmauern des Museums zumindest eine angenehme Kühle.

Sachte legte sie ihre Hand auf seinen Rücken und schob ihn in Richtung Eingang. „Keine Widerrede. Kunst bildet. Außerdem ist es dort drinnen nicht so heiß.“

„Ein Spaziergang durch die Pegnitzwiesen und anschließend ein frisches Helles wäre keine Alternative, oder?“

„Später vielleicht. Ich muss unbedingt mehr über die Bilder erfahren.“

Die Bemerkung, ob sie eigentlich wüsste, wonach sie suchte, verkniff er sich. Zwar hatte sie kaum Ahnung von Kunst, aber wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte sie nichts und niemand davon abbringen. Die Bilder waren dort am besten aufgehoben, wo sie Zeit seines Lebens gelagert gewesen waren: auf dem Speicher im Haus seines Vaters, mit Decken vor Staub, Licht und Beschädigung geschützt. Er startete einen weiteren halbherzigen Versuch, sie von ihrem Vorhaben abzubringen: „Wäre die Neue Pinakothek in München für deine Recherche nicht besser geeignet? Immerhin beherbergt sie die Staatsgemäldesammlung. Dort könntest du die Malstile vergleichen, um herauszufinden, ob es wirklich ein Cezanne ist.“ Er ruckte sein Kinn in Richtung Museumseingang. „Bei denen hier liegt der Schwerpunkt auf Kulturentwicklung und Kunstgeschichte.“

Um deswegen extra nach München zu fahren, wäre der Zeitaufwand zu groß gewesen, zumal er als Rechtsanwalt und sie als MTA im Schichtdienst selten genug eine Möglichkeit fanden, ihre Freizeit gemeinsam zu verbringen. Aber vielleicht würde Anikas Interesse bis dahin verpufft sein.

„Jetzt sind wir hier, also gehen wir auch rein“, erwiderte sie und baute sich vor ihm auf. Sie war fast so groß wie er und funkelte ihn aus grauen Augen an. „Lukas Mischke, ein bisschen mehr Interesse an Kunst würde dir nicht schaden.“

„Habe ich doch.“

Seine Schultern senkten sich und mit ihnen sein Widerstand. Er liebte die Gemälde, seit er sie als Kind auf dem Dachboden entdeckt hatte. Wunderschöne Bilder, von denen manche Portraits und andere Landschaften zeigten. Motive, die neugierig machten: Wen zeigten die gemalten Personen und wo lagen diese herrlichen Landschaften? Gern hätte er selbst gemalt, aber dieses Talent war ihm nicht vergönnt.

„… einige Fotos ins Internet gestellt und nie eine Antwort erhalten.“ Ihre Stimme drang durch seine Grübeleien. Sie hielt ihr Handy hoch, eine Geste, mit der er nichts anfangen konnte. „Ich möchte mal mit einem Experten sprechen.“

Sie starrte ihn aus schmalen Augen an, während er der Versuchung widerstand, sich den heißen Nacken zu kratzen. „Wenn es dich glücklich macht.“

Anika war nur schwer zufriedenzustellen. Vielleicht mit neuen Klamotten oder dem hundertsten Paar Schuhe – oder einem Verlobungsring, nach dem sie lechzte. Darauf würde sie lange warten können. Eine Beziehung für eine gewisse Zeit – ja, aber gleich heiraten – nein. Dazu waren sie zu verschieden.

Mit zwei Fingern tippte sie ihm auf die Brust. Mein Gott, wie er das hasste. „Wir gehen jetzt da rein und erkundigen uns. Vielleicht ist eines der Bilder wertvoll?“

„Es wäre Sache meines Vaters, das herauszufinden. Schließlich gehören sie ihm.“

Im Grunde fürchtete Lukas, eines der Werke könnte tatsächlich ein Original sein. Vor allem sein Lieblingsbild – eine Orgie aus blauen und sandfarbenen Punkten – das sein Geheimnis erst ab einer gewissen Distanz preisgab, durfte keines sein. Niemand hielt einen echten Cezanne zu Hause versteckt, ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben. Wertlose Kopien bekannter Gemälde, wie sie zu tausenden existierten, interessierten niemanden.

Anika zog einen Schmollmund und wedelte mit ihrem Zeigefinger vor seiner Nase herum. „Trotzdem ist das Ganze unheimlich interessant. Wie sind sie eigentlich in euren Besitz gelangt?“

Zu dumm, dass seine Mutter ihr die Bilder gezeigt hatte, denn Anika hatte sofort Blut geleckt. Langsam folgte er ihr durch den Eingang. „Mein Urgroßvater soll sie gemalt haben“, sagte er.

„Alle? Und in verschiedenen Stilrichtungen und Maltechniken? Das glaubst du doch selbst nicht. Die Bilder sehen nicht aus, als kämen sie von einem einzigen Künstler. Wenn dein Uropa so talentiert war, würden seine Werke bestimmt in irgendwelchen Museen oder Galerien hängen.“

„Er hat nur abgemalt.“

„Lass uns herausfinden, ob das stimmt. Ich frage mal, ob einer ihrer Kunstsachverständigen sie prüfen könnte.“

„Vergiss es.“ Lukas rieb sich über den schmerzenden Magen. Eine unbekannte Angst drängte sich aus der hintersten Ecke seines Bewusstseins in den Vordergrund. Er wollte wirklich nichts über die Bilder herausfinden. „Ich habe Hunger.“

Ihr Blick wanderte zur Decke hoch. „Du bist unmöglich“, zischte sie.

„Und du rennst einem Phantom hinterher“, antwortete er schärfer als beabsichtigt.“

„Ja, ja.“ Sie winkte ab. „Das sagen alle, die eine Leiche im Keller liegen haben.“

„Keine Leiche, sondern ein paar edle Tropfen, über die du regelmäßig herfällst.“ Er ließ ein leises Lachen hören und legte seine Hand auf ihre warme Schulter, die das Tank-Top frei ließ. „Ich will keinen Streit, Anika. Bei uns sind weder Millionenwerte auf dem Speicher noch Leichen im Keller. Nur ein paar nette Bildchen. Erinnerungen an meinen Uropa. Weiter nichts.“

„Es könnten auch Fälschungen oder Diebesgut sein. Glaubst du, ich will den Sohn eines Kriminellen heiraten?“

„Den Enkel“, verbesserte er sie. „Mein Vater hat damit nichts zu tun. Die Bilder befanden sich bereits im Familienbesitz, als er noch ein junger Mann war.“

„Auch gut.“ Sie wischte seine Hand von ihrer Schulter. „Geh schon mal voraus in den Kopernikus Biergarten und reserviere einen Tisch. Bis einer frei wird, bin ich bestimmt fertig.“

Damit ließ sie ihn stehen und verschwand in den Hallen des Museums. Anika war die Tochter des ehemaligen dritten Bürgermeisters. Jahrelang war er in sie verknallt gewesen, aber sie hatte sich erst für ihn interessiert, als er sein Jurastudium abgeschlossen hatte und sein alter Herr als Stadtrat nominiert worden war. Anikas Vater war aus parteipolitischen Gründen strikt gegen ihre Verbindung. Ein schaler Geschmack machte sich in seinem Mund breit, den er im Biergarten runterzuspülen gedachte.

Auf der Pegnitzbrücke erhielt er eine SMS von seiner Mutter: „Komm schnell heim, die Kripo ist im Haus.“

Scheiße. Er blieb stehen, hörte sein Blut wie das Wasser der Pegnitz in den Ohren rauschen. Was, zum Teufel, wollte die Polizei bei ihnen?

In ihm wuchs ein ungeheuerlicher Verdacht: Anika hatte die Bilder mit ihrem Handy fotografiert und ins Internet gestellt.

Marias Geheimnis

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