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Kapitel 7 2010 – Miami FL und Charleston SC, USA
Lukas

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Am Ende hatten sie doch von Frankfurt aus losfliegen müssen, um nonstop nach Miami in Florida zu gelangen. Mit großen Augen betrag Daniela die vordere Abteilung des Flugzeugs. „So viel Platz für einen?“

„Die Stühle lassen sich in Liegestellung bringen. Business Class eben.“

„Vornehm geht die Welt zugrunde.“

„Fliegen Sie erst mal eine asiatische Fluglinie, dann wissen Sie, was edel ist.“

„Ein Drei-Gänge-Menü und Alkohol umsonst?“, fragte sie später, als die Flugbereiterinnen das Essen brachten.

„Aber sicher.“

„In der Bretterklasse gibt’s das nicht.“

Anschließend drehten sich ihre Gespräche meist um Belangloses. Dabei fanden sie heraus, dass sie denselben Film- und Musikgeschmack teilten, und nach dem zweiten Glas Rotwein wagte er es, ihr das Du anzubieten. Sie lachte leise und sagte: „Gern. Warst du schon mal in den USA?“

„Schon öfters. Mein Lieblingsreiseland.“ Er erzählte ihr von den Touren, die er unternommen hatte. „Mein Traum ist es, mir einen Camper zu mieten und dann verschiedene Nationalparks zu erkunden.“

„Du und Camping? Du kommst mir eher wie ein Luxushotelfreak vor.“

Das hatte gesessen. „Als Anwalt muss man formal auftreten. Das sagt aber nichts über mich als Privatperson aus.“

„Na, ich lass mich überraschen.“

Nach der Ankunft und dem Passieren der Passkontrolle und des Zolls nahmen sie sich einen Mietwagen. „Der geht aber auf meine Rechnung“, sagte sie, was er widerspruchslos akzeptierte.

Mit einem Ford Focus fuhren sie auf der Interstate 95 nach Norden und fanden, dank Navigationssystem, problemlos das von ihm gebuchte Hotel.

„Hier ist alles so cool. Ich war bisher nur in London, Paris und am Mittelmeer“, verriet sie beim Abendessen. „Deshalb bin ich froh, dass ich jemanden dabeihabe, der sich auskennt.“

Er nickte wissend, verschwieg aber, dass er ihre Gesellschaft ebenso schätzte. Nur nichts übereilen, schoss es ihm durch den Kopf, gut Ding will Weile haben. „Zu wem fahren wir morgen? Deine Verwandtschaftsverhältnisse verwirren mich ein wenig.“

Sie gluckste. „Da muss ich manchmal selbst nachdenken. Aber ich kann sie dir aufzeichnen.“

Aus ihrer voluminösen Handtasche zog sie Notizblock und Stift hervor und skizzierte einen Stammbaum, dessen Verästelungen sie mit Namen versah. „Mein Großvater mütterlicherseits hieß Heinz und war Arzt. Der hatte eine Schwester namens Maria, die mit ihrem Mann Martin Hahnbaum, einem Amerikaner deutscher Herkunft, in die USA ausgewandert ist.“ Die Namen Heinz und Maria verband sie mit einem neuen darunter. „Morgen besuchen wir Marias Sohn und ihre Mutter. Die lebt ebenfalls hier. Vermutlich haben sie und Maria sich getroffen. Die Schwester von Marias Mutter ist bereits verstorben, wie mir ihr Sohn mitgeteilt hat.“

„Aha“, machte er und fragte sich, welche Rolle seine Familie dabei spielte. „Eine Verbindung zu den Mischkes gibt es meines Wissens nicht.“

„Und wie sieht dein Stammbaum aus?“

„Der ist recht einfach. Der Vorname meines Vaters ist Ludwig, und mein Großvater hieß Bruno. Der ist 1945 gefallen.“

Sie kräuselte ihre Stirn. „Wenn ich das richtig sehe, hat deine Großmutter deinen Vater allein aufgezogen.“

„Ja. Sie hat später wieder geheiratet, allerdings wurde mein Vater von ihrem neuen Ehemann nicht adoptiert. Keine Ahnung, warum. Ich kannte sie kaum. Sie starb relativ jung an Krebs.“

„War niemand mit dem Namen Lamprecht darunter?“ Sie zählte noch einige andere Nachnamen auf, die in ihrer Familie vorkamen.

„Von denen ist mir keiner bekannt.“ Sollte er darüber erleichtert sein? Das Rätsel über die Zusammenhänge wurde immer mysteriöser. „Schauen wir mal, was der morgige Tag bringt.“

„Hoffentlich Marias Adresse. Ich möchte zu gern wissen, was sie mit den Bildern auf eurem Speicher zu tun hat“, erwiderte Daniela mit kummervoller Miene.

„Hegst du einen Verdacht?“

Sie schüttelte den Kopf und betrachtete ihre Finger. „Wenn überhaupt, dann nur einen kleinen. Der Hof am Tegernsee, der Opa Heinz gehörte, hieß früher ‚Der Judenhof‘.“

„Und du fürchtest nun, sie hätten ihn sich während des Kriegs angeeignet, und dass die Bilder von dort stammen könnten?“

Danielas trauriger Blick beantwortete seine Frage. Plötzlich hellte sich ihr Gesichtsausdruck wieder auf. „Gemälde dieser Art würden wohl kaum in einem Bauernhof hängen, oder?“

Sie waren frühzeitig zu Bett gegangen, bedauerlicherweise jeder in sein eigenes. Seine Vernunft sagte ihm, dass er sich von ihr fernhalten sollte, solange die Herkunft der Bilder nicht geklärt war.

Vom Sohn der Urgroßtante, der ein großzügiges Haus mit atemberaubendem Meeresblick und Palmengarten sein Eigen nannte, erfuhren sie kaum etwas Verwertbares. Während sie dort zu Gast waren, wahrten Daniela und er Distanz, obwohl sich ihre Blicke häufig trafen, was ihn jedes Mal in Hochstimmung versetzte. Ihr Strahlen und Lächeln ließen darauf schließen, dass sie ähnlich empfand.

An Marias alter Adresse, in Charleston, South Carolina, trafen sie auf neue Bewohner, die von einer Maria nie etwas gehört haben wollten und sie mehr oder weniger höflich hinwegkomplimentierten. Vor ihrem Leihwagen blieb er unschlüssig stehen. „Sieht aus, als wären wir in einer Sackgasse gelandet. Was jetzt?“

„Wir könnten in Altersheimen nach ihr fragen.“ Sie zog ihr Notizbuch hervor. „Ich habe mir gestern Nacht einige Adressen runtergeladen. Wir haben ihren Namen, und damit dürfte es nicht so schwer sein, sie ausfindig zu machen – vorausgesetzt sie lebt noch in Charleston.“

„Prima Idee“, musste er zugeben. „Falls nicht, könnten wir uns die Stadt anschauen. Sie soll eine der schönsten in den USA sein.“

„Zuerst die Arbeit und dann das Vergnügen.“ Sie klopfte ihm auf die Brust, wobei sie ihr unwiderstehliches Lächeln zeigte. Wie gern würde er diese vollen Lippen küssen.

Im dritten Senior Citizen Home wurden sie endlich fündig. Die Anlage machte einen sauberen und gepflegten Eindruck. „Ja, bei uns gibt es eine Maria, die aus Deutschland stammt. Maria Lamprecht-Hahnbaum.“

„Das ist sie“, rief Daniela. „Lamprecht war ihr Nachname und sie hat einen Martin Hahnbaum geheiratet.“

„Viele amerikanische Frauen behalten ihren Mädchennamen als Zusatz“, erklärte die Frau. „Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass Frau Hahnbaum unter Demenz leidet. Was vor Kurzem passiert ist, vergisst sie. Sie lebt in ihrer Vergangenheit, die oft nicht einmal mehr die eigene Tochter beinhaltet. Sie spricht oft Deutsch mit uns, was jedoch keiner von uns versteht.“

„Oje, ist es schlimm?“

„Je nach Tagesform geht es mal besser mal schlechter. Ich kann Ihnen den Namen ihrer Tochter geben. Sie kümmert sich rührend um ihre Mutter und spricht zumindest ein bisschen Deutsch.“

Daniela schrieb sich die Adresse auf und bedankte sich. „Wir probieren es zuerst mal mit Maria.“

Durch lichte Gänge gelangten sie zu einem Raum, der wie ein Wohnzimmer eingerichtet war: Zwei Sessel, Tisch, Schrank, sowie ein Bett mit hochgezogenen Gittern an den Seiten. Darin eine weißhaarige Frau, die zur Zimmerdecke hoch starrte. Auf einem Nachttisch standen einige Fotos, an der Wand hinter ihr hing ein Holzkreuz und auf der ihr gegenüberliegenden Seite ein rundes Ölgemälde in einem Rosenholzrahmen. Es zeigte die Mutter Gottes, die das Jesuskind auf ihrem Arm küsste. Im Hintergrund waren im Abendlicht bewaldete Berge und Felder zu erkennen. Dem Künstler war es vortrefflich gelungen, dem Betrachter die Zartheit und Liebe, die die Mutter ihrem Kind entgegenbrachte, zu vermitteln.

Es musste um die Jahrhundertwende entstanden sein, schätzte Lukas, war aber garantiert kein Cezanne. Inzwischen hatte er sich genügend Kenntnisse angeeignet, um das beurteilen zu können.

„Das ist von Carl Fröschl gemalt worden“, sagte plötzlich die Frau auf Deutsch mit unverkennbar bayerischem Akzent. Sie schaute verklärt auf das Bild. „Ein Österreicher. Manchmal kommt von denen sogar was Gutes.“

War das eine Anspielung auf Hitler gewesen? „Es ist wirklich schön“, sagte Daniela.

„Mein Lieblingsbild.“

„Tante Maria? Ich bin Daniela, deine Nichte.“

Die Gesichtszüge der Frau verrieten Skepsis. „Seit wann hat Heinz eine Tochter? Er ist doch gar nicht verheiratet.“

„Doch, das ist er.“

„Ach geh. Der Heinz ist ein Weiberheld – schon immer gewesen. Die haben den umschwirrt, wie die Motten das Licht. Oder hat er am Ende gar die Luise zur Frau genommen?“

Lukas stutzte. So lautete der Vorname seiner Großmutter, die längst an Krebs gestorben war. Bei Danielas hingekritzeltem Stammbaum war keine Luise dabei gewesen. So viel er wusste, war seine Großmutter nie mit einem Heinz Lamprecht liiert gewesen. Die Namensgleichheit war womöglich reiner Zufall. Irritiert blickte er zu Daniela, die Maria mit einem Lächeln bedachte.

„Ich glaube nicht, Maria – wenn ich Sie so nennen darf?“

„Wie geht’s eigentlich dem Heinz? Und unserem Vater? Hab schon lang nichts mehr von denen gehört.“

Daniela trat von einem Bein aufs andere.

„Was ist?“, fragte er.

„Kann man ihr die Wahrheit sagen?“, flüsterte sie. „Mir wäre lieber, ihre Tochter wäre dabei. Ich fühle mich sowieso schon wie ein Eindringling in ihre Privatangelegenheiten.“

„Es sind deine Angelegenheiten genauso wie meine. Es besteht also kein Grund ein schlechtes Gewissen zu haben.“ Er räusperte sich und trat an Marias Bett heran, so dass sie ihn sehen konnte. „Ich bin Lukas Mischke. Erinnern Sie sich an Gemälde in Ihrem Elternhaus? War da vielleicht ein Cezanne darunter?“

Maria starrte ihn an: braune, wässrige Augen unter Schlupflidern, viele Fältchen, volle Lippen, hohe Backenknochen – ein Gesicht, dem man die einstige Schönheit immer noch ansah. Sie schloss die Augen und sagte: „Lassen Sie mich in Ruhe. Raus mit euch, aber sofort.“

Marias Geheimnis

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