Читать книгу Die geheimnisvolle Nähe von Mensch und Tier - Immanuel Birmelin - Страница 23
Wie wichtig ist der Partner?
ОглавлениеJeden Morgen im Sommer fliegt eine wilde Graugänseschar in Grünau, Österreich, ein – genau wissend, dass es hier Futter gibt. Mensch und Vogel haben sich aneinander gewöhnt. Beim näheren Hinsehen bemerkt man dann, dass die Schar aus mehreren einzelnen Paaren besteht. Gans und Ganter. Ehepaare, könnte man sagen. Sie bleiben ein Leben lang zusammen, ziehen jedes Jahr gemeinsam Kinder groß und behaupten sich gegen andere Paare.
Katharina Hirschenhauser, eine Wissenschaftlerin des Konrad-Lorenz-Instituts, untersucht das Verhalten und die Stresshormone, die Graugänse bei Trennung zeigen. Sie hat die unangenehme Aufgabe, die Frau von Ganter Max zu entführen. Die Wissenschaftlerin nähert sich vorsichtig und bedächtig dem Paar. Plötzlich, ohne hastige Bewegungen, packt sie die Gans und entführt sie. Und Max bleibt allein zurück. Wie fühlt er sich, was geht in seinem Inneren vor?
Der Kot von Max wird zur Botschaft seiner inneren Belastung. In ihm ist das Stresshormon Cortisol enthalten, das Max aus seinem Körper ausscheidet. Die Menge an Stresshormonen ist ein Maß der psychischen Belastung. Je schlechter es ihm geht, umso mehr Stresshormone finden sich in seinem Kot.
Stress oder besser Distress (= dauernd anhaltender negativer Stress) entsteht in einem Organismus, wenn er die Umweltreize und Situationen nicht mehr adäquat verarbeiten kann und er bei der Verarbeitung überfordert ist. Sein psychisches und physiologisches Gleichgewicht gerät in Schieflage. Der Körper reagiert mit einer erhöhten Nebennierentätigkeit darauf und sendet Hormone ins Blut. Bei andauerndem Stress werden die Reproduktionsrate und das Immunsystem heruntergefahren. Es kommt zu Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes oder zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Das Tier oder der Mensch fühlt sich nicht mehr wohl. Stressmessungen mittels Cortisol sind ein Indikator für Unwohlsein eines Individuums.
Die chemische Analyse des Kots von Max ist kompliziert, aber das Ergebnis ist eindeutig. Die Stresshormone von Max jagen nach der Entführung in die Höhe, offenbar macht ihm die Trennung von seiner Partnerin zu schaffen. Sein Hormonpegel wird erst wieder normal, wenn er seine Partnerin zurückbekommt. Zumindest auf der Ebene der Stresshormone sind uns Gänse erstaunlich ähnlich.