Читать книгу Tanz der Lemminge - Ingeborg Schober - Страница 13
Baby, du hast nichts zu verlieren als den Verstand!
ОглавлениеAn mir jedoch ging die Geburt des deutschen Undergrounds erst mal vorüber, denn ich saß in einem Lehrzimmer in Frankfurt und schrieb Referate über Kafka, Handke, Villon und Sartre. Zwar hörte ich von P. G. Hübsch und Bernd Brummbär und ihrem »Heidi Loves You« - Shop, Treffpunkt der Frankfurter Szene, aber unsere Heimordnung war streng und die Buchhändler angepasst. Nur in die Pudding Explosion, Holzgraben 9, bin ich öfters, um neue Platten zu kaufen. Die hatten am 25. Januar mit einem Flugblatt eröffnet, das das berühmte Frank-Zappa-auf-dem-Klo-Plakat zeigte: »Join the Underground, Baby, du hast nichts zu verlieren als den Verstand! – Superplakate, Buttons, Hippiezubehör, Poppolitics, Undergroundzeitschriften, Psychedelikatessen, Freak Out und so was alles!!!« Dass ich in der verstaubt-akademischen Buchwelt, in der »lustbetontes Chaos« ein Fremdwort war, nicht alt werden würde, war klar. Mitte Juni kam ich in ein verändertes München zurück. Selbst bei meinen Heimbewohnern hatte sich was von den »Haschrebellen« an der Isar rumgesprochen. Damals gab es noch schöne, heiße Sommer, und dieser war eben nicht nur politisch heiß. Im Garten der Kunstakademie stiegen die legendären ›Akademiefeste‹ mit Musik, Happening, Freak Out!
Bei einem dieser Feste, wo meist die Düüls auftraten, hat der Filmemacher Wim Wenders die Band zum ersten Mal live gesehen. »Das war im Frühjahr 1968. Das war, glaub ich, überhaupt eines der ersten Male, wo die überhaupt aufgetreten sind: Ich hab sie dann später oft gesehen, an verschiedenen Plätzen in München und dann z. T. auch kennengelernt. Zum Beispiel den Shrat hab ich gut gekannt. Aber das erste Mal war in der Kunstakademie, und das war ungeheuer chaotisch. Es gab damals eine Platte, die irgendwie ganz wichtig war in der Münchner Szene. Das waren die Hapshash And The Coloured Coat. Und dann gab es natürlich auch die ersten beiden Velvet-Underground-LPs, und besonders die schwarze, diese chaotische schwarze LP, die auch nicht weit entfernt ist von der Hapshash-Musik. Und wie die Amon Düül zum ersten Mal zu spielen angefangen haben, das war halt schon wie die Velvet Underground oder Hapshash. Und ein Versuch, damit fertig zu werden, ein Versuch, mit diesen Erfahrungen selbst Musik zu machen. Und zwar halt nicht als Imitation, sondern da was eigenes draus zu machen. Das war entsetzlich chaotisch. Und ich erinnere mich, dass sie in diesen ersten Sessions auch plötzlich mittendrin aufgehört haben, weil keiner mehr wusste, wie es weitergehen soll. Und das hab ich gleichzeitig auch sehr, sehr geschätzt. Und deshalb waren auch die Amon Düül für mich ein richtiger Mythos in der Zeit, weil das eine Band war, die was gesucht hat. Das war der Sinn, der Inhalt dieser Musik – eine Suche. Und sie hatten ein paar Stücke, die sie immer wieder gespielt haben, die waren dann jedes Mal anders und jedes Mal ein Stück weiter. Die Stücke basierten auf ganz rhythmischen Fetzen und sind dann immer länger geworden in den rhythmischen Bögen, und immer ausgewogener und auch immer schöner. Und beim ersten Mal war’s absolut chaotisch. Shrat spielt auch eine Rolle in meinem Film Summer in the City und vorher noch in Alabama, das war Ende ’68. Den Shrat hab ich am Liebsten gemocht, weil er angefangen hat zu singen. Und eigentlich in der ersten Zeit von Amon Düül nur irgendwie so was ins Mikrofon geblökt hat. Und mittendrin dann aufgehört hat und von der Bühne gegangen ist. Und eigentlich nicht singen konnte und dann tatsächlich singen gelernt hat, im Verlauf von den ein bis zwei Jahren, in denen ich das verfolgt hab. Und das war die Geschichte von Amon Düül, dass die Leute, die da Musik gemacht haben, das eigentlich gar nicht konnten, sondern nur den Wunsch hatten, das zu machen. Falk, der immer nur hinter seiner Orgel stand und manchmal auf so eine Taste gedrückt hat. Man hat den auch gar nicht gehört. Und nach und nach, von Konzert zu Konzert, sind die Musiker geworden. Und allmählich hat man dann auch die Orgel hören können, und das waren dann nicht nur mehr einzelne Töne: Und so haben die sich nach und nach aus diesem Chaos rausgelöst und sind richtige Musiker geworden, so etwas wie die Jefferson Airplane von Deutschland. Und nicht nur, weil Renate dabei war und ähnlich ausgesehen hat wie Grace Slick, sondern von der ganzen Haltung her, der ganzen Auffassung. Am Anfang war das mehr Eastcoast-Musik und ist dann immer mehr und mehr eine Westcoast-Musik geworden. Eine sich immer mehr befreiende und losgelöste Musik.«
Währenddessen feierten Alt Rock ’n’ Roller das Comeback von Bill Haley im Blow Up, wurde in Venedig die Biennale für kurze Zeit wegen der internationalen Unruhen geschlossen, traten Amon Düül auf der Kasseler documenta auf. Ich hörte mit Vorliebe die ganze Nacht »Pop till Midnight« von Radio Luxembourg, schrieb für Hit eine Serie über die englische Avantgarde-Bands wie Pink Floyd, Incredible String Band, Johns Children, Peter Greens Fleetwood Mac, John Mayalls Blues Breakers, Move, Traffic, Art, Cream, The Hapshash And The Coloured Coat und über die amerikanischen Westcoast-Gruppen wie Jefferson Airplane, Electric Prunes, Mothers Of Invention, Love, Grateful Dead, The Velvet Underground & Nico, Moby Grape, Vanilla Fudge und Buffalo Springfield, ich sparte auf meinen zweiten Londonbesuch. »The Beat Goes On« sangen die Vanilla Fudge – was denn sonst? Haben wir wirklich schon damals bezweifelt, dass die Rockmusik weiterleben würde? Vom 7. bis 18. Juli gastierten zum ersten Mal Chicken Shack im Münchner Blow Up, wo bisher nur ›Tanzgruppen‹ auftreten durften. Und weil eben die Leute mit ihrer Musik nichts anfangen konnten und sich beschwerten, wurde ihnen auch ein Teil der Gage nicht ausbezahlt. Wir freundeten uns an, vor allem Sängerin Christine Perfect, heute bei Fleetwood Mac, wurde eine gute Freundin von mir. Wenn sie es in ihrem schäbigen Hotel in der Beichstraße nicht mehr aushielten, dann schlichen wir auf mein Heimzimmer und fanden das so aufregend wie heimlich unter der Bettdecke zu lesen. Da rauchte ich auch meinen ersten Joint. »Rauchst du?«, fragte mich Gitarrist Stan Webb, und ich sagte Ja und meinte natürlich Zigaretten. In der Zeit lernte ich alles über Blues und Rhythm ’n’ Blues und was ich sonst über Musik bis dahin nicht wusste. Und das war sehr viel. Wir hatten eine Menge Spaß. Als sie nach London zurückflogen, begann ein reger Briefwechsel. Da spielten im Blow Up die German Bonds aus Hamburg, und die Stones hatten mit »Jumpin' Jack Flash« einen weiteren Hit.
Ein reger Briefwechsel lief auch zwischen Hamburg, wo Harald, der Industriefilmemacher noch immer überregionale Multi-Media-Pläne hatte, zwischen Frankfurt, wo Wolf, ein Freund meines Bruders, beim Hessischen Rundfunk die Welt in Frage stellte, und München ab. Mein Bruder und ich hatten beschlossen, endlich die Konsequenz zu ziehen und unsere Lebens- und Wohnsituation radikal zu ändern. Da der Verlag vor der Liquidation stand und ich mein Heimzimmer nach Beendigung der Ausbildung räumen musste, lag schon aus finanziellen Gründen die Idee einer Kommune nahe. Neben Harald und Wolf wollte auch noch Barbara, eine gemeinsame Freundin von uns, die an der Dolmetscherschule war, mitmachen. Es sollte dennoch kein reiner »Zweckverbund«, sondern eine »kreative Kommune« werden, mit gemeinsamen Projekten und einigem Luxus. Am 28. Juli gaben wir in der Münchner Abendzeitung folgende Annonce auf: »Highlife-müder Millionär mit Haus und Garten, in zentraler Lage, für originelle, geldarme, obdachlose Clique mit Zukunft gesucht. Familienanschluss wird geboten.« Wir waren naiver als es die Polizei erlaubte und träumten von angetörnten Millionären, Postboten, Bankbeamten und Straßenbahnschaffnern.
Vom Verlag wurde ich großzügig abgefunden, da ich ja nun unverschuldet arbeitslos war. Mein Bruder entschloss sich, freiberuflich zu schreiben, ich wanderte erst mal zum Arbeitsamt, fand das aber dann doch lächerlich. Die Wohnsituation wurde immer brisanter, der Wunsch nach Selbstverwirklichung zur Besessenheit. Mit Barbara rannte ich erfolglos durch die Stadt, schickte nebenbei an Pop, eine neue Musikzeitschrift in der Schweiz, Manuskripte. Die Chicken Shack-Geschichte kam wieder zurück. Wolf wurde wankelmütig, auch Harald machte nach reichlicher Überlegung einen Rückzieher. Täglich hatten wir neue Kandidaten für das Wohnprojekt, ob wir menschlich miteinander klarkommen würden, wurde nie in Frage gestellt, solange die Leute »originell, nicht-bürgerlich und kreativ« waren.
Musikalisch war in diesem Monat eine ganze Menge los. Das erste Album Big Pink der Bob Dylan-Begleitband The Band erschien, beim Newport Pop Festival traten Tiny Tim, Jefferson Airplane, Country Joe & The Fish, Grateful Dead, Chamber Brothers, Quicksilver Messenger Service, Byrds, Alice Cooper, Steppenwolf, Sonny & Cher, Canned Heat, Electric Flag, Butterfield Blues Band, Eric Burdon, Blue Cheer, Iron Butterfly, Illinois Speed Press vor circa 40.000 Leuten auf, die Beatles-Biographie Alles was du brauchst ist Liebe von Hunter Davies erschien und deren erste Single »Hey Jude« auf dem hauseigenen Label Apple, und The Crazy World Of Arthur Brown hatte mit »Fire« einen Riesenhit. In diesem Monat verhängte auch das Oberlandesgericht München gegen den Kommunarden Fritz Teufel ein sechsmonatiges Hausverbot für den Justizpalast und das Amtsgericht »wegen Ruhestörung der Verhandlungsführung«.
Da saß ich schon im Zug nach Hamburg mit einem neuen ASTA-Flugticket für London. Eine Woche verbrachte ich unter Blankeneses linker Schickeria, dann hatte ich die Nase voll und flog nach London, dieses Mal mit vollem Programm und bestens vorbereitet. Mein Domizil schlug ich im Haus Ainger Rd. 12, beim Finchley Park, gleich um die Ecke von Middle Earth, Chalk Farm, auf. Dort wohnten die Chicken Shack, gingen Fleetwood Mac, Ten Years After, The Nice und auch John Mayall, Musikkritiker vom Melody Maker und New Musical Express, ein und aus, konnte ich von morgens bis abends Interviews machen und Blues hören. Während ich durch die Clubs und Pubs von London und Umgebung rannte, marschierten am 21. August russische Truppen in die ĈSSR ein und beendeten den »Prager Frühling«. Während ich die Pretty Things, Bonzo Dog Doo Dah Band und Yellow Submarine sah, tobte vom 25. bis 28. die Schlacht von Chicago. Als großes Yippie-Festival von Jerry Rubin während des Parteikonvents der Demokraten geplant, wurde die Manifestation der New Left, an der anfangs etwa zweitausend Hippies, Yippies und Black Panthers, begleitet von der Musikgruppe MC 5 teilnahmen, und die im Verlauf der Kämpfe auf 12.000 anwuchsen, von 25.000 Soldaten, Nationalgardisten und Polizisten nieder geprügelt. Es gab einen Toten und unzählige Verletzte.
»Won’t you please come to Chicago just to sing
in a land that’s known as freedom
how can such a thing be fair?«
Graham Nash
Tags darauf erlebte ich mein erstes Festival Isle of Wight mit Jefferson Airplane, The Doors, Arthur Brown und anderen. In den USA setzten die Radiosender »Street Fighting Man«, die neue Single der Rolling Stones, wegen »Aufforderung zur Gewalt« auf die schwarze Liste, hatten die Doors mit »Hello, I Love You« einen neuen Hit.