Читать книгу Tanz der Lemminge - Ingeborg Schober - Страница 14
Those Were The Days ...
Оглавление»Eine experimentierfreudige Gruppe von Schülern der Akademie der bildenden Künste München veranstaltet am 3. und 4. September jeweils von 21 bis 1 Uhr im Beatlokal Blow Up eine totale Show unter dem Titel The Transparent Vacuum Show. Vier Stunden lang wird das Publikum mit dem Versuch konfrontiert, die von der Gruppe verwendeten Elemente, Licht, Ton, Architektur und Kybernetik, zu koordinieren. Im Blow Up sollen auf etwa zwölf im ganzen Raum verteilten Leinwänden gleichzeitig Underground-Filme ablaufen, Dias projiziert werden und Episkope arbeiten. Die Band Amon Düül, deren Mitglieder in einer Kommune leben, und die Ende September bei den Essener Song-Tagen mitwirken wird, bringt eine beachtliche Tonmaschinerie in Gang, die von einer Tonband- und Schallplattenanlage unterstützt wird. Lichtmaschinen statt normaler Beleuchtung sollen den visuellen Eindruck ergänzen«, kündigte Rainer Thiele am 1. September in der Münchner Abendzeitung ein Ereignis an, das ich wiederum versäumen sollte. Dafür saß ich auf einer verregneten Wiese in Parliament Hill Fields, um ein Open-Air-Konzert der Jefferson Airplane zu hören. Und abends stand ich mir im Athletic Club die Beine in den Bauch, um Pink Floyd und ihre Lightshow live zu sehen. Am 5. September erhielt ich einen Brief von meinem Bruder: »gerade läuft bei mir die neue platte der doors: waiting for the sun, die jemand aus schweden mitgebracht hat. du kennst sie wahrscheinlich schon, jedenfalls finde ich sie so große klasse, dass ich mich nun endgültig entschlossen habe, über die doors einen größeren artikel zu schreiben, vielleicht für die süddeutsche zeitung, die mir grade ein irres buch zur besprechung gegeben hat. es heißt das bonbonfarbene tangerinrot-gespritzte stromlinienbaby von tom wolfe, dem verrücktesten reporter amerikas. rowohlts werbetext lautet: ›ein fanfarenstoß für die revolution der teenager und die neue pop-kultur, die hierzulande den vertretern des kulturellen establishment in die glieder fahren wird.‹ geschrieben ist es oft, als wäre ein disc-jockey von radio luxemburg am werk, dann habe ich noch einen film für dich, er heißt agilok & blubbo und läuft anfang oktober in münchen an. bei der pressevorführung gab es überwiegend entsetzen und sprachlosigkeit... ich werde dich, wenn es geht, mit dem regisseur peter f. schneider und vor allem dem musikmann des films, irmin schmidt (can), zusammenbringen, denn agilok ist knallvoll mit einem beat, wie er in deutschland nicht möglich schien, die songs sind noch besser, als die bei moorse, dessen neuer film übrigens nicht so groß ist. ansonsten ist schneiders film vulgär, poetisch, maßlos, schön, zart und brutal wie kein anderer junger film der letzten zeit, allerdings glaube ich, dass er beim breiten publikum durchfallen wird, weil er zu anarchistisch und gammlerhaft ist. die beiden typen in dem film laufen dauernd in alten wüst-gestreiften anzügen herum, langen schwarzen mänteln á la django und haben selbst im bett ihre schlapphüte auf. genauso erschien dann auch schneider bei der pressevorführung, eine verrostete maschinenpistole aus dem film in der hand. das mädchen rosy-rosy trägt russenkittel, maxikleider und -mäntel ... wenn du zufällig einen billigen robin hood-hut findest, am besten gebraucht, schwarz oder dunkelbraun, dann bring ihn mit ...«
Tags darauf vermittelte mir ein Mitarbeiter des Melody Maker einige Aufträge, da ich dringend Geld benötigte. Für Top Pops, ein 14-tägiges Musikblatt, das eine deutsche Ausgabe plante, wurde mir gar der Job eines Auslandskorrespondenten angeboten. Schon sah ich mich finanziell saniert. Abends schaute ich mir nochmals einen Auftritt der Jefferson Airplane und Doors im Middle Earth an. Am selben Tag schrieb Wolfgang Längsfeld in der Süddeutschen Zeitung über The Transparent Magic Vacuum Show:
»Amon Düül – Im Münchner Blow Up wurde eine deutsche Pop-Band entdeckt. – ... dass der Abend trotzdem noch zu einem Ereignis wurde, lag an der Musik. Was keiner so recht zu hoffen wagte, ist tatsächlich eingetreten: Deutschland hat eine Popband, die den Vergleich mit Pink Floyd oder Andy Warhols Velvet Underground nicht nur nicht zu scheuen braucht, sondern die sogar ganz sicher besser, einfallsreicher und progressiver ist als diese Stars aus England und Amerika. Unter dem exotisch poetischen Namen Amon Düül präsentiert sich eine Münchner Kommune, deren Mitglieder, so kitschig das klingen mag, unwirklich schön wie Pop-Ikonen sind. Ihre Musik, ein höchst ästhetischer Terror, basiert auf den üblichen Instrumenten des Beat, denen für die geschickt eingeflochtenen Soli allerlei exotische Sitars, Blockflöten oder Bronzeglocken beigegeben werden. Gesang wird nur selten als instrumentale Ergänzung oder in melismatisch rhapsodischer Monotonie, für eine Anrufung Krishnas etwa, verwendet. Überhaupt spielt orientalische Mystik bei den Amon Düül eine große Rolle. Einfache Melodiebögen, meist unisono gespielt, gleichen oft der ornamentalen Symmetrie indischer Mandalas. Daneben eine virtuos gespielte Violine, ganz ungewohnt elektrisch verstärkt wie eine Gitarre. Ihre Soli erzeugen dschungelhaftes Chaos, hin und wieder auch die klare Science Fiction-Schönheit der Ufo-Musik ...«
Drei Tage später, am 9. September, erlebte ich meine erste Superstar-Pressekonferenz. Die Doors hatten gerufen und alle, die in England ein Wort schreiben konnten, waren gekommen. Unprofessionell und durch mein schlechtes Englisch gehandicapt, gelang mir kein Interview. Da machte ich auch zum ersten Mal die Erfahrung, dass Superstars sehr menschlich sein können. Plötzlich saß ich mit Jim Morrison in einer Privatvorführung von Godards Weekend und hatte ein prächtiges Interview. Und am 14. September hatte mich Deutschland wieder und ich den London-Blues. »Those were the days, my friend ...«