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Aufforderung zum Tanz
ОглавлениеDieses Buch beginnt in München, wo es auch endet. Es berichtet von Musikern, Lebenskünstlern, Genossen, Freunden (und auch mir), die viel gewinnen wollten und dadurch manches verloren haben. Der Einsatz war entsprechend hoch, das Leben meist gefährlicher, als wir wahrhaben wollten.
Wir schreiben das Jahr 1967, die Beatles und fünf Jahre Popmusik, Protestmärsche der Atomwaffengegner und Antivietnamdemonstranten und die Gründung der APO liegen schon hinter uns, als Europas Jugend Kenntnis vom »Sommer der Liebe«, 1966, an der Westküste Amerikas erhält. »If you go to San Francisco, wear some flowers in your hair.« Die Botschaft wurde schnell zum Werbeslogan, um Ketten, Glöckchen, Ringe, Räucherstäbchen und indischen Firlefanz zu verkaufen. Wir empfanden uns als Teil der internationalen Studenten-, Jugend- und Musikbewegung, suchten aber gleichzeitig nach einem eigenen Sprachrohr. Überall saßen die Leute in den Startlöchern, warteten auf das entscheidende Signal. Es herrschte nur die trügerische Ruhe vor dem Sturm.
Nach Vorbild des Films nannte sich in München die Viva-Maria-Gruppe um Kunzelmann, Langhans, Teufel und Dutschke. Sie war Keimzelle der Kommune I, am 1. Januar 1967 in Berlin gegründet.
In San Francisco fanden sich 20.000 Gleichgesinnte zum ersten Free Concert »Gathering of the Trips« im Golden Gate Park zusammen. Schwere Studentenunruhen erlebte nicht nur Barcelona. Schwere Zusammenstöße zwischen Polizei und Hippies führten bei einem Peace-In in Los Angeles zu zahlreichen Verletzten, und Flugblätter mit der Frage »Wann brennen die Berliner Kaufhäuser?«, die nach dem Kaufhausbrand im Brüsseler A L'Innovation in Berlin auftauchten, lösten nationale Empörung aus. Günter Grass trug bei einem Protestmarsch gegen die polizeiliche Stürmung des Berliner SDS-Büros ein Plakat »Tausche Grundgesetz gegen die Bibel!« Und in München demonstrierten Studenten gegen die geplanten Tariferhöhungen der öffentlichen Verkehrsmittel. Beim Berliner Ostermarsch kam es erstmals zu Ausschreitungen gegen das Springer-Haus, kurz darauf wurden elf Kommunarden nach einem »Puddingattentat« auf US-Vizepräsident Hubert Humphrey verhaftet. So standen die Dinge, als am 2. Juni ein Ereignis die Idee von der friedlichen Veränderung der Welt, einer Politisierung mit Spaß und Happening, infrage stellte. Der Student Benno Ohnesorg war während einer Demonstration gegen den Schah von Persien das Opfer einer Polizeikugel geworden. Für viele war das die Initialzündung, manch einer hat seinen Glauben an die demokratische Bundesrepublik verloren, für viele wurde er zumindest angeknackst, andere, bis dahin eher gleichgültig, abwartend und distanziert, wurden durch diesen Schock emotional politisiert.
Für die späteren Mitglieder der Amon Düül und viele, die in diesem Buch vorkommen, begann der Tanz der Lemminge erst jetzt.