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Aufregende Anfänge mit Sixty-Nine

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Wer damals eine Geschichte mit und über Amon Düül II machen wollte, der musste sich in Geduld üben und ihre Maßstäbe akzeptieren. Wer dafür keine Zeit aufbrachte, der war von vornherein suspekt – ein Etablierter, einer aus dem System, das man hasste und bekämpfte. Aber wenn sich jemand zu einem »Interview« entschloss, stellte er verblüfft fest, dass die Band sehr wohl in der Lage war, sich zu artikulieren. Hatte man jedoch zu einem Musiker Kontakt gefunden, dann durfte man sich der Intrigen der übrigen sicher sein, denn trotz ihres proklamierten Gemeinschaftssinnes bestand Amon Düül II immer aus extremen Individualisten. Das Image, das in jener Zeit entstand, scheint noch heute untrennbar mit der Band verbunden, so wie auch bei Grateful Dead, einer ihrer größten Vorbilder. Mit diesen hatten sie viel gemeinsam, aber das, was sie nicht gemeinsam hatten, fehlte ihnen haargenau, um den Schritt ins professionelle Lager zu schaffen – eine starke, dominierende und als Autorität anerkannte Persönlichkeit wie Jerry Garcia. Über ihr zwiespältiges Verhältnis zu Autoritätspersonen werde ich später, anhand diverser Gespräche mit Leuten aus der Band und ihrem Umfeld, eingehen.

Ende des Jahres erschien in Konkret von Werner Schmidmaier ein Artikel »Revolution aus Deutschland«. Darin konnte man u. a. lesen: »Anfang 1969 wird eine neue Platte auf dem Musikmarkt erscheinen, die eine neue Ära des Schaugeschäftes einleiten soll: nach dem Beat und seinen Ausläufern feiert die ›Percussion‹ ein lautstarkes come-back. Ihre Geburtshelfer: die acht Männer, drei Mädchen und zwei Kinder der Amon Düül, Deutschlands erster Musik-Kommune ... zusammen waren sie aus dem Internat gegangen, zusammen aus der Malklasse des Happening-Akademikers Waki Zöllner ausgeschieden ... geheimnisvoll bleibt, woher plötzlich die Geschenke kommen: ein Mini-Cooper und ein Transportbus, Verstärker, Instrumente, eine größere Wohnung am Prinzregentenplatz. Die Kommune entwickelte sich unaufhaltsam zur Musikfarm ... die etablierten Show-Experten ignorierten sie. Felix Schmidt vom Spiegel fand sie »unmusikalisch«, ganz zu schweigen von Bravo. Die jungen Schreiber jedoch lobten sie.: … Die unterschiedliche Auffassung bei ›Pop-Experten‹ und Jungjournalisten mochte von der Informationspolitik der Amon Düül herkommen: Grundsätzlich widerborstig, mit einer paranoiden Scheu vor Fotografen und Interviewern, konnte kein Journalist je eine Auskunft aus ihnen herauslocken. Die jungen Kritiker dagegen warteten nicht auf Auskünfte der Amon Düül, sondern hörten mit eigenen Ohren hin. Und sahen: wenn die Amon Düül-Bunnies im zuckenden Licht-Flash die Hüften und die Tambourins schwingen und die Papua-Köpfe der Amon Düül-Männer über der ohrenbetäubenden Kombination von sechs zugleich geschlagenen Trommeln wippen ...«

Auch Herr Schmidmaier schien keine Auskünfte von der Band erhalten zu haben, denn allein in den wenigen zitierten Zeilen seines langen Artikels stecken mehrere Fehler und Mutmaßungen. Einige werden als Legende wohl ewig weiterbestehen, selbst mir ist es trotz jahrelangem Kontakt zu den Musikern nicht gelungen, all die Unstimmigkeiten zu entwirren. Die Herkunft der »Geschenke« war allerdings nicht besonders geheimnisvoll: sie kamen von den Eltern, wurden mit Erbschaften oder Studiengeldern finanziert.

Bei uns war die Lage in der Wohnung inzwischen absolut unerträglich geworden. Aus diesem Grund flüchteten wir am 28. Dezember per Autostopp nach Frankfurt zu Rüdigers Schwester Anna und ihrem Mann Jürgen Ploog. Bei den polaren Temperaturen, die herrschten, ein selbstmörderisches Unternehmen, das zeigt, wie verzweifelt wir waren. Außer einer Flasche Rum und der obligatorischen Amon Düül-Kassette hatten wir nicht viel bei uns. Ein Vertreter für Damenunterwäsche (ist wirklich wahr!) nahm uns mit. Er war ein netter Mensch und spendierte uns sogar einen Imbiss in einer Autobahnraststätte. Die Ploogs waren für uns so etwas wie die »Stimme Amerikas«. Jürgen Ploog, hauptberuflich Lufthansa-Pilot, Kenner der Beatnik-Literatur und selbst Cut-up-Autor und Mitherausgeber der Zeitschrift Gasolin, war immer bestens informiert. In der behaglichen großen Wohnung gingen Frankfurts Künstler, Literaten, Politgrößen und so mancher heimatlose Hippie ein und aus. Kaum angekommen, saßen wir schon über einem neuen Buchprojekt. Nova Beat sollte es heißen, über Musik, Psychedelic, alternative Szene, Drogen und Comics informieren. Leider ist es nie gemacht worden, obwohl wir schon zu Melzer und anderen Verlagen durchgedrungen waren. In Frankfurt fiel uns ein handgemaltes, völlig ausgeflipptes Plakat auf, dass für Silvester-Abend die Eröffnung eines gewissen underground in Anwesenheit der Münchner Gruppe Amon Düül II unter dem Motto »sixty-nine« ankündigte. Das underground befand sich in einem Keller am Herrenufer, runtergekommen, verräuchert und ungemütlich heiß. Nach einer langen Verspätung und etlichen Debatten legten Amon Düül II dann endlich los. So kompromisslos, aggressiv und angriffslustig habe ich sie danach nie mehr gehört. Der ganze Keller schien sich in Nichts aufzulösen. Rüdiger und ich waren von der Lightshow wie hypnotisiert. Da sagte er zum erstenmal: »Stell dir das mal als Film vor!« Und damit war das mit dem Film eine beschlossene Sache. Aber wir wussten, wie misstrauisch die Düüls Medienleuten gegenüber waren, seit Gott und die Welt an ihren Rockschößen hing. Als erstes sprach ich mit Renate, weil sie mir schon im PN und in Herrsching am zugänglichsten schien: Wir haben dann wohl auch einen Termin in München verabredet, aber es war alles sehr vage. Die Nacht ging in einem wilden Happening unter – so taumelten wir in das Jahr 1969. Viel später erfuhr ich, dass Brummbär der Veranstalter von »sixty-nine« war: »Ich hatte die Düüls ja schon vorher ziemlich oft engagiert. An diesem Abend kamen sie zu spät, weil sie im Schnee steckengeblieben waren. Die Leute waren deshalb ziemlich sauer. Und am Schluss ist das ja ein totales Freak-Out gewesen; alles stand um die Mikrofone herum und sang mit. Ja, das war schon ein Eröffnungsfest! Der Typ, dem das underground gehörte, wollte nur die Hälfte der Gage bezahlen, weil die Düüls zu spät kamen. Der hat einen Riesenterror gemacht und das ist in einen totalen Streit ausgeartet. Der war wohl ein wenig ankriminalisiert, wie eine Menge Leute damals, die wohl dachten: Pop-Business = Millionen. Ich habe die Lightshow gemacht. Und mit Louis Tratter, einem Frankfurter Filmemacher, hatte ich auf dem Müll einen ganzen Berg Tonbänder gefunden, und die haben wir für das Silvester-Happening verwendet. Wir haben sie alle aufeinander auf Stöcke gestellt und dann rieselte das Zeug automatisch auf die Leute runter. Und dazu hatten wir die ersten Stroboskop-Lampen in Deutschland. Und dann war da noch so eine Bauplastik, 4 mal 5 Meter, die haben wir über den Leuten entfaltet und drüber das Strob-Licht angemacht. Das war ein wahnsinniger Effekt. Der Keller dort war ziemlich abgefuckt, man hatte zwar die Ziegelsteine abgekloppt, aber dadurch sah’s auch nicht besser aus. Auf dem Plakat hatten wir alle möglichen Leute angekündigt, z. B. diesen Sexualmenschen Oswald Kolle. Das war natürlich nur Blödsinn. Louis Tratter war wirklich der Oberwahnsinnige. Der lief dauernd mit seinem Projektor rum und hat die Leute damit angeleuchtet. Der nannte das Filmvorführen. Es waren etwa so 300 Leute da, wirklicher Frankfurter Underground.«

Tags darauf fuhr ich mit den Düüls in Peter Leopolds rotem Mini nach München zurück. Für Rüdiger war kein Platz mehr, der musste wieder trampen. Wer noch alles im Auto saß, weiß ich nicht mehr, aber John Weinzierl war sicher dabei, und alle waren voll auf Drogen. Der Rest fuhr mit dem Bandbus hinterher und war plötzlich verschwunden. Es herrschte scheußliches Schneetreiben und Leo fuhr über die ausgestorbene Autobahn als sei’s eine Rennpiste. Geredet wurde wenig, bis wir plötzlich stehenblieben. Etwas war mit der Lichtmaschine nicht in Ordnung und wir waren schon die ganze Zeit ohne Licht gefahren. Ohne Licht und Warnschild schoben die Düüls den Mini erst mal rückwärts einen Hügel hoch, stiegen ein und ließen ihn auf der Überholspur zurückrollen. Als sich dieses Manöver etwa fünfmal wiederholt hatte, sprang der Motor endlich an. Ohne weitere Zwischenfälle erreichten wir die Autobahnausfahrt München, dann war das Benzin alle.

Keiner hatte Geld. Da erinnerte sich Leo an ein anderes Auto der Band, das ebenfalls mit einem Defekt, aber mit vollem Benzintank, irgendwo in der Nähe geparkt war. Es war schon Morgen, als ich in meiner kalten Wohnung halberfroren eintraf. Neujahr war eine ziemlich kühle Angelegenheit. Auf dieser schneeverwehten Autobahn zwischen Frankfurt und München hatte ich einen Schwur geleistet: Sollte ich jemals wieder heil nach Hause kommen, dann musste schnellstens der Amon Düül-Film gemacht werden und irgendwann auch ein Buch über Amon Düül II.

Tanz der Lemminge

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