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Desperados - With A Little Help From My Friends

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Am 20. November schrieb mein Bruder einen Lagebericht zur Frankfurter Szene: »das kann doch nicht wahr sein, dass es bei euch so wüst und enervierend zugeht, da kann man ja richtig angst kriegen, ich erlebe zwar in frankfurt auch eine menge von konflikten und pathologischen sachen, doch die rühren eher aus einer völlig gegenteiligen situation. da hier alle hochgradig anti-autoritär eingestellt sind und ein extremes gemeinschaftsbewusstsein entwickelt haben, herrscht in der gruppe, in der wolf und ich verkehren, eine überempfindlichkeit, die am laufenden band zu kleinen katastrophen führt. stundenlang wird darüber diskutiert, ob man mit einem mädchen noch verkehren soll, das sein kind nicht in den sozialistischen kindergarten tut und in harten worten den anderen müttern vorwirft, die erziehung im sds-kindergarten tauge momentan noch nicht viel. oder du sitzt in einem lokal mit ein paar leuten und unterhältst dich mit einem bekannten über einen film, den ihr gerade gesehen habt. am nächsten tag erfährst du, dass sich ein mädchen, das dabeisaß, darüber beschwerte, nicht ins gespräch miteinbezogen worden zu sein, du würdest sie offensichtlich mit absicht ignorieren. die leute rufen sich denn auch nachts um zwei uhr noch an, weil sie ein problem haben, mit dem sie nicht alleine fertig werden. im vordergrund stehen freundschaften und das leben in der gemeinschaft. wer sich zurückzieht, muss das rechtfertigen oder wird privatistischer neigungen und eines anti-sozialen verhaltens beschuldigt. eine eigenartige auseinandersetzung, die dir ziemlich verrückt vorkommen wird, gab es kürzlich. es ging um eine große kommune, die im nächsten jahr gegründet werden soll. dabei entstanden zwei dominierende fronten, die einen wollten in die kommune nur leute aufnehmen, mit denen jeder einverstanden ist, die jeder für interessant und unproblematisch hält, und von denen nicht zu erwarten ist, dass sie große spannungen und kontroversen in die gruppe und deren leben bringen werden. die anderen wollen auch leute aufnehmen, mit denen nur einige einverstanden sind, die zwar interessant, aber auch schwierig sind, und mit denen es nicht immer leicht sein wird, reibungslos auszukommen. die ersteren wollen einen club von ›beautiful people‹ mit ziemlich gleichen interessen und lebensansichten, die zweiten eine gruppe ernsthafter leute, die vielfältige interessen und lebensweisen präsentieren und ein modell für die lösung gesellschaftlicher konflikte darstellen sollen. die beautiful-leute nennen die anderen spöttisch ›genossen‹, die mehr sozial ausgerichteten ihre kontrahenten ›bürgerliche‹. solange diese situation nicht gelöst ist, wird es zu der beabsichtigten kommune nicht kommen. in einer scharfen attacke hat dann einer die ursachen dieser frontstellung zu klären versucht. er griff die bürgerlichen hart an und warf ihnen vor, die revolution, von der ein stück in dieser kommune verwirklicht werden soll, sei für sie ja nur ein abenteuerliches spiel, während sie für die genossen eine todernste angelegenheit sei. dieser zwiespalt ließe sich aus der herkunft der jeweiligen leute erklären, die ›bürgerlichen‹ hätten fast alle noch kontakt mit ihren eltern, mit eltern, die ihnen den kauf eines autos finanzierten, die wohnungseinrichtung und das studium, mit eltern, die ihnen jederzeit aus ernsthaften finanziellen schwierigkeiten helfen würden. wenn für sie das experiment der kommune misslingen würde, dann wäre das keine katastrophe, sie könnten ja jederzeit zu ihren eltern und damit ins bürgertum zurück. sie seien also nichts anderes als desperados, die auf ein abenteuer ausziehen, das sie jederzeit wieder ohne große einbuße abbrechen könnten. anders sieht es bei den ›genossen‹ aus. sie haben kein zuhause, in das sie sich wieder retten können, sollte etwas schiefgehen. ihnen geht es nicht darum, aufregend zu leben, sondern in erster linie menschenwürdig. allerdings soll das keine kommune nach dem berliner oder hamburger muster werden, wo alle in ein paar zimmer zusammengepfercht hausen. wir haben gerade eine villa mit fünfzehn zimmern, vier bädern und drei küchen in aussicht. einziehen sollen ebenso viel mädchen wie ›typen‹, so sagt man in ffm zu männern; insgesamt denken wir an etwa zehn personen plus zwei, drei kleinere kinder, die miete soll pro zimmer nicht hundertfünfzig übersteigen. ein aufenthaltsraum mit fernsehen, stereoanlage, zeitschriften und nachschlagebibliothek, eine art informationszentrum ist vorgesehen, damit sich nicht jeder die sachen kaufen muss … um diesem langen brief endlich ein ende zu machen: wenn ihr nicht mehr als drei personen seid, könnt ihr gerne mal kommen. ich kann euch allerdings nur für tage oder wochenenden einladen, an denen wolf in frankfurt ist, weil ihr ihn sonst bei der arbeit stört. ... schöne grüße an den ganzen verein.«

In unserer Wohnung war mittlerweile der »kalte Krieg« ausgebrochen. Barbara hatte Rüdiger und mich aus dem großen, beheizten Gemeinschaftsraum ausgesperrt, wo u.a. auch das Telefon installiert war. Um Strom für den elektrischen Heizofen zu sparen, flüchteten wir in warme Kneipen. Auch die finanzielle Lage hatte sich zugespitzt. Deshalb nahm ich einen Halbtagsjob in einer Musikalienhandlung an. Es wurde ein strenger Winter und in der Wohnung bitterkalt. Ende November kam mein Bruder nach München. Mit einem Konvoi von drei Autos brach »der ganze Verein« Richtung Bühlertal auf, um dort ein Wochenende auf dem Land zu verbringen. Auch die Filmemacher Klaus Lemke und Veith von Fürstenberg waren dabei. Wir hatten jede Menge Musik, darunter auch ein Live-Tonbandmitschnitt der Amon Düül II, aufgenommen im PN, reichlich zu rauchen und beste Laune. Es wurde ein Traumwochenende im tiefverschneiten Bühlertal, über dem das Haus wie ein verwunschenes Märchenschloss lag. Nach der kalten, aussichtslosen und enervierenden Zeit in München lebten wir endlich wieder wie Menschen. In der kleinen Besuchergruppe entstand ein seltenes, unheimlich intensives Zusammengehörigkeitsgefühl. Bei endlosen Teezeremonien schmiedeten wir neue Pläne, hörten die neuesten Westcoast-Platten von Ultimate Spinach, Grateful Dead und Jefferson Airplane, redeten und rauchten uns die Köpfe heiß, die wir anschließend draußen bei Schneeballschlachten abkühlten. Die permanente Hochspannung der letzten Monate wich einer kreativen Entspannung. Voll neuer Energie und Zuversicht kehrten wir nach München zurück. Und dann kam am 1. Dezember ein Brief von meinem Bruder: »nun ist es also soweit: wolf hat mich rausgeschmissen, d. h. er verlangt, dass ich umgehend seine wohnung verlasse. zu erklären ist das ganz einfach, auch wenn es völlig verrückt ist: er wollte mich schon am samstag anrufen, ich möchte doch mit meinen ganzen münchner freunden wieder nach münchen zurückfahren, so ganz einfach. sein wochenende in ffm stand unter dem zeichen von spekulationen, was wohl in der wohnung in bühlertal passiert, ob die leute nicht die wohnung verwüsten, ihn im ort unmöglich machen, usw. schließlich machte mir wolf den vorwurf, mich in münchen mehr um freundschaften zu kümmern als in ffm, wo ich ja schließlich hinwolle.«

Nun waren wir alle an dem Experiment mit neuen Lebensformen kläglich gescheitert und dementsprechend ernüchtert. Zugleich war es nur die erste von vielen mühseligen, nervenaufreibenden und desillusionierenden Erfahrungen. Es hätte ja auch gutgehen können, keinem war ein Vorwurf zu machen, wir waren alle überfordert von dem, was auf uns einstürmte, von dem, auf das wir uns einließen. Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität musste so krass werden, schließlich hatten wir alles auf einer theoretischen Basis gestartet. Das Misstrauen hatte sich aber dennoch bereits in die eigenen Reihen eingeschlichen, die Fehler des verhassten alten Systems kamen leise durch die Hintertür des neuen. Rüdiger hatte mit Veith von Fürstenberg meinen Bruder aus seiner Isolation im Bühlertal befreit und nach München zurückgeholt. Da meldete sich am 6. Dezember auch Harald wieder aus Hamburg und berichtete von der Eröffnung ihrer Boutique Doll und anderen Projekten. Begeistert antwortete ich: »sind ja tolle sachen, die da in hamburg steigen, freue mich wirklich, dass alles so schnell geklappt hat. ich versuche gerade mit einigen leuten hier in münchen eine art agentur für popveranstaltungen ins leben zu rufen. letztes wochenende war ich mit rüdiger, lemke und einigen anderen leuten bei siggi. wir haben eine menge pläne geschmiedet, da siggi nun wieder in münchen ist. vielleicht zieht er auch bald nach hamburg. solltet ihr zufällig an einer unglaublichen band interessiert sein, lasst es mich wissen, die ›amon düül‹ aus münchen sind sensationell, heute abend spielen sie hier samt lightshow in der akademie.« Es wurde eines der letzten Akademie-Feste, die mit Happenings, Filmvorführungen, Kunstaktionen und Musik die Münchner Desperados angelockt hatte. Nur noch eine Inschrift im Lichthof der Universität erinnerte an die vergangenen Musik-Polit-Aktivitäten: »Amon Düül was here!«

»Spielen die Amon Düül II im Münchner PN, und man steigt hinab in den Keller, der ja mehr einer rauchigen Katakombe von Verschwörern gleicht als einem Lokal, bietet sich einem ein bemerkenswertes Bild. Kaum jemand tanzt, kaum jemand sitzt – fast alle Anwesenden stehen versteinert, kaum einer rührt sich«, beschrieb Klaus Lea in der Zeitschrift Planet 1969 die folgenden PN-Auftritte der Band. Auch Gerd Stein gehörte inzwischen zur treuen Fan-Gemeinde. »Dieser Auftritt bei der Notstand-Demo hatte mir einen so starken Impuls gegeben, dass ich völlig durcheinander war und mit Freunden drüber redete. Dann hab ich zu ihnen gesagt, ihr müsst in diesen Jazzkeller in der Türkenstraße mitgehen. Und es war wahnsinnig absurd und faszinierend. Ich wollte irgendetwas machen, die einzige Möglichkeit, die ich hatte, war das Fotografieren. Und da bin ich zu denen hin, das war dann im PN, und das war ein komisches Verhältnis. Die waren so ausgeflippt und ich war so spießig und hatte richtig Angst vor denen. Ich kam mir unheimlich konservativ vor. Warum? – Das war ihr Geheimnis und ihre Macht. Ich hatte das Gefühl minderwertig zu sein, obwohl das verrückt war. Aber intuitiv wusste ich, das ist eine Chance und die musst du nehmen. Und das haben die auch gespürt und konnten es nicht abblocken. Da waren vorher Fotos von denen gemacht worden und die waren beschissen, das war mein Glück. Und weil da innerlich so viel bei mir passierte, wurden die ersten Fotos, die ich von den Düüls gemacht habe, wahnsinnig gut. Danach hab ich nie wieder so gute Fotos von denen gemacht. Das war der Einstieg. Und die sind auf die Fotos ausgeflippt, und es war ein starker Kontakt da. Und ich fand, das könnte nur noch viel besser werden. In Wirklichkeit ist es dann immer mehr bergab gegangen. Da kamen die ganzen anderen Einflüsse dazu. Sie haben mich nach Herrsching eingeladen. Da kam ich rein in dieses Haus, diese Küche, die war so was von dreckig, doch das hab ich erst mal übergangen. Es fehlte mir noch einiges, als dass mir dabei schon was klargeworden wäre. Und dadurch war ich den ganzen Sachen schon ein bisschen ausgeliefert. Man hat sich den Düüls so in die Hand gegeben, anvertraut. Und das konnten sie wiederum nicht handhaben, und dadurch entstanden diese persönlichen fatalen Verstrickungen. Das ist sehr schade gewesen, weil es einerseits den Vorsprung, den sie hatten, auffraß, und andererseits kreativ nichts mehr entstehen ließ. Das war die Blockade. Am ersten Abend, das weiß ich noch genau, hat sich der Peter Leopold hingesetzt und bis vier Uhr morgens auf mich eingeredet. Und die anderen sagten, das wäre immer so. Der wollte auch keine Antwort, der wollte sich eben nur alles wegreden. Und damit war das auch erledigt. Von dem Abend an hatte ich mit ›Leo‹ nie mehr was zu tun gehabt. Doch für mich war das neu und toll, und ich hab gar nichts dagegen tun können. Ich war ausgeliefert.«

Rüdiger und mir ging es nicht anders. Irgendwie spukte schon das Filmprojekt in seinem Kopf, obwohl keiner darüber sprach. Wir fühlten uns nie zugehörig oder anerkannt, wollten partout ihre Freundschaft gewinnen und taten alles dafür. Ich schrieb fieberhaft Artikel um Artikel über die »Band aus dem Untergrund« und schickte sie an sämtliche deutschen Zeitungen. Die meisten bekam ich zurück wie den folgenden, für Konkret gedachten: »Draußen in Herrsching – 20 Meilen vor München – über dem Ammersee – entsteht eine neue Musikwelt. Ein neuer Sound wurde gefunden, von dem bald die gesamte Jugend sprechen wird – der Sound von Amon Düül II. Sie selbst können ihn nicht beschreiben, nur spielen. Vergleiche existieren nicht: exotisch und beschwörend wie die Gesänge der Medizinmänner klingt er uns, geheimnisvoll und lähmend wirken ihre Auftritte ...«

Tanz der Lemminge

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