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Mama Düül und ihre Sauerkrautband spielt auf

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Amon Düül I hatte sich in Berlin mit der Kommune I liiert. »Das Zusammentreffen von Kommune Düül und Kommune I war sehr interessant. Im Musikstudio führte es einfach zum totalen Chaos. K 1 bedeutete damals Straßenkampf und Polit-Clownerie. Teufel/Langhans war damals so eine Art groteskes Warenzeichen. Aber das war sehr interessant, denn das waren zwei Exponenten, typische Exponenten würde ich sagen; die K 1 war für Berlin typisch und Amon Düül war für München typisch. Amon Düül war damals viel weniger politisch nach dieser Straßenkampf-Ideologie orientiert, sondern wollte eben mehr ästhetisch verändern. Obwohl wir uns zu der Zeit auch bereitwilligst politisieren ließen, man rannte da offene Türen ein. Politischer Protest und die Suche nach neuen ästhetischen Normen berührten sich. Als dann die K 1 ins Studio einlief und mein Schlagzeug umstellte und sagte: dieses Schlagzeug ist jetzt besetzt – und mit allen möglichen Dingen darauf einschlug, da hab ich gesehen, dass so nie eine Platte entstehen würde, nie etwas Reproduzierbares daraus werden konnte. Da hab ich mich noch am selben Abend entschlossen, wieder auszusteigen und bin zurück nach München. Langhans, Kunzelmann und Teufel hatten mich total entmachtet. Doch Meisel hat alles, was im Studio überhaupt passierte, aufgenommen und später zu weiteren Platten vermarktet.« So Peter Leopold, der einzige Düül-Musiker, der beiden Formationen angehörte. Während aus dem »Nichtreproduzierbaren« dann die Platte Psychedelic Underground wurde, die der deutschen Popszene die unausrottbare Kategorie »(Sauer-)Kraut-Rock« bescherte, nämlich dank dem Songtitel »Mama Düül und ihre Sauerkrautband spielt auf«, hatten Amon Düül II neue Leute um sich geschart. Da kam erst mal John Weinzierl, am 4. 4. 1949 in München geboren, ebenfalls Internatsschüler, und zwar in Hohenschwangau, wo er Falk U. Rogners Bruder Rüdiger kennenlernte. John wurde als Gitarrist eingestellt, für Peter »Leo« Leopold war inzwischen der Hofer Jazz-Schlagzeuger Dieter Serfas mit seiner Frau Margot und Sohn Peter (»der kleine Peter«) eingestiegen. Chris kannte Dieter aus dem Domicile und über Olaf Kübler. Chris: »Es gab also mit John frisches Blut, John der Benjamin, und man überlegte sich so einiges.«

Shrat: »Ich bin dann irgendwann mal kurzfristig ausgestiegen, denn meine einzige Bedingung war, es ist alles klar, solange der Peter nicht mehr mitspielt. Das war, als Dieter kam.«

Chris: »Da war ich damals auch dafür. Denn der Peter stand bei unserem Auszug aus Englschalking wie der Erzengel Gabriel vor der Tür. Ich wollte meine Sachen rausholen, und er meinte: Hier kommst du nicht rein! Der war ganz schön schlimm.«

Shrat: »Er hatte den Kronleuchter in der Hand!«

Peter: »Das weiß ich z. B. gar nicht mehr ...«

Chris: »... doch, doch! Ich hab nämlich noch eine Flasche ins Haus reingeworfen!«

Shrat: »Du hättest ihm beinahe den Kronleuchter auf den Kopf geschlagen. Das wollte er dir nie verzeihen.«

Chris: »In Herrsching besuchten uns anfangs noch die Düül I. Und da ging es dann immer darum, wer die längsten Haare und Mäntel hatte.«

Shrat: »Jedenfalls war ich mal zwei Tage weg, und als ich zurückkam, saß da plötzlich der Peter in Herrsching. Da hatte ich den ersten Knacks schon weg und dachte: Scheiße!«

Chris: »Da stand auch noch ein ›Gig‹ vor der Tür in Düsseldorf oder der war schon vorbei. Mit Dieter Serfas, das war der totale Einbruch. Er hat gejazzt und wir spielten alle dieses Schrumm-schrumm! Und weil der Peter so ganz geläutert, cool und relaxed ankam, wurde er rehabilitiert. Denn wir meinten, dass wir doch einen vernünftigen Schlagzeuger brauchen würden. Wir brauchten zwar einen, der das Metrum hält, das war der Dieter, aber auch einen, mit dem man menschlich klarkommt. Und mit Peter konnten wir das dann auch.«

Shrat: »Damals stellte sich dann auch die Frage: Konzept oder nicht? Das Konzept mit Multi-Media war in Herrsching längst gestorben. Es ging nur noch um die Band. Da spielte auch noch Holger Trültzsch mit, der später zu Popol Vuh ging.«

Chris: »Da hatten wir diese Lightshow-Projekte.«

Zu der Zeit traten Amon Düül II häufig im Jazzkeller in der Türkenstraße auf, der mittlerweile abgerissen ist. Da pilgerte alles hin, was in der Münchner Szene einen Namen hatte oder bekommen sollte. Und da hab ich sie zum ersten Mal live gesehen. Dass ich mich kaum mehr an Einzelheiten dieses Auftritts erinnern kann, sondern nur noch einen überwältigenden Gesamteindruck hatte, erklärt die Wirkung dieser Musik. Ich war völlig paralysiert vom Lärm, vom visuellen Schauspiel der Lightshow, der intensiven Stimmung in diesem verräucherten, runtergekommenen Keller, den ich nach ein paar Stunden mit einem sogenannten »Filmriss« verließ. Ich musste wohl auch die Gruppe angesprochen haben, kann mich aber im Gegensatz zu ihr nicht mehr erinnern. Dass sie damals schon Verfallserscheinungen zeigte, konnte mir nicht auffallen; ich hatte die Ur-Formation nie erlebt und keine Vergleichsmöglichkeit. Peter Kaiser dagegen, der die Uni-Besetzung miterlebt hatte, fand: »Das Charisma, die Magie, die Amon Düül ausmachte, ist eigentlich schon flötengegangen, als sie sich in I und II gespalten haben. Was soll das überhaupt - eine Gruppe spaltet sich in I und II? Das ist doch das Schizophrenste, was es gibt. Man kann das zwar rationalisieren, aber bei diesem ersten Konzert im Lichthof hat eben alles von vorn bis hinten gestimmt. Den Leuten ist einfach der Kopf weggeflogen. Und das waren Studenten, die hatten noch nie was von Popmusik gehört. Und die sind ausgeflippt. Da war eine Identität da: Wildheit, Nonchalance, Kinder trommelten, Frauen trommelten. Das war revolutionär. Alles danach war nur noch Abklatsch, und da fingen die Ego-Probleme an: du machst das, ich dieses!« Für die weitere Entwicklung der Gruppe sollte Peter Kaiser absolut recht behalten. Doch mir flog damals der Kopf genauso weg wie den Studenten im Lichthof. Und ich hatte schon eine Menge Popmusik gehört. Zu dieser Zeit, genauer am 24. Oktober, war in München die Premiere des Hippie-Musicals Hair, und das Amt für öffentliche Ordnung nahm Anstoß an einigen »freizügigen Szenen«. Mit auf der Bühne stand Nando Tischer. Er spielte in der Münchner Band Lovely Pictures, als »beste bayerische Beat-Band« vom Bayerischen Rundfunk ausgezeichnet, und hatte in Volker Schlöndorffs Film Der junge Törless mitgewirkt. Und er sollte sieben Jahre später Mitglied der Amon Düül II werden.

So war der Oktober vergangen, und Barbara und ich zogen am 31.10. in unsere erste eigene Wohnung. Für den Umzug hatten wir jemanden vom Studentenschnelldienst angeheuert. Dieser Jemand hieß Rüdiger Nüchtern. Rüdiger war Student an der Hochschule für Fernsehen und Film und wohnte noch bei seinen Eltern. Doch nachdem wir den Plattenspieler, einen alten Dual-10-Plattenwechsler, installiert hatten und mit einigen Freunden zwischen Kisten und Kartons den Einzug feierten, blieb er gleich als neuer Mieter da. Das war Allerheiligen. Mit 24 Grad zeigte sich der November als der mildeste seit 1899; Gott sei Dank, denn die Wohnung war nur partiell zu beheizen, und wir hatten ja kein Geld mehr. An diesem Tag begann in Nordvietnam der Waffenstillstand und bei uns der Krieg mit der Hausbesitzerin. Wir sahen eben für die damalige Zeit verboten aus, vogelwild, wie die Leute in München sagten; unsere Wohnung hatte die für Kommunen damals übliche, spartanische Antikonsumeinrichtung: keine Vorhänge, Matratzen auf dem Boden, weiße Wände, Plakate und Schallplatten. Ein mörderischer Winter stand uns bevor, von dem wir, vorerst enthusiastisch, noch nichts ahnten. Die Düüls begannen ihre legendären Montagsauftritte im PN an der Leopoldstraße, jeweils um 22 Uhr 30. Der Club-Besitzer Peter Naumann: »Ja, die haben über ein halbes Jahr hier jeden Montag gespielt. Der Montag wurde speziell den Münchner Gruppen zur Verfügung gestellt. Und mit Amon Düül II kam ich zu dem Arrangement, dass sie auf eigenes Risiko spielten, d.h., sie machen eigene Werbung, etc. Und dann wurde nach Umsatz abgerechnet. Es gab keine Festgage. Das erste halbe Jahr war es so unglaublich voll, da waren abends bis zu 500-600 Leute da an Spitzentagen. Da haben die dann auch gut verdient. Relativ gut, vielleicht so zwischen 800 und 1800 am Abend. Für einen Montag war das ganz enorm. Dann wurde es schlechter. Die hatten immer Streit, und auch der Besucherstrom ließ nach. Und dann wurde auch die Qualität der Musik schlechter, die Band fiel teilweise auseinander. Damals spielten die wohl zu siebt mit zwei Schlagzeugern. Das hat’s wirklich gebracht. Das hat hier gedampft wie im Urwald. Und dieser stampfende Rhythmus, das war die Faszination der Amon Düül. Anfangs waren die gar nicht so superlaut. Es war ein relativ guter, voller Sound. Da lief einem so richtig der Schauer über den Rücken. Mir ging’s jedenfalls so. Und dann kamen diese ganzen Gestalten in den langen Mänteln an, die man damals trug. Und fingen mit den Hasch-Geschichten an. Da wollte ich die auch nicht mehr hierhaben. Der Abrechnungsmodus war klar. Anfangs hab ich immer mit dem Shrat verhandelt, später kamen dann auch die anderen haufenweise ins Büro.«

Und Shrat erinnert sich: »Von den PN-Gigs sollte jeder anders werden. Das erste Plakat, das wir dafür machten, ist nach wie vor das Beste, das wir je hatten, obwohl man nichts drauf lesen konnte.«

Die neue Wohnung brachte uns nichts als Ärger. Der Goetheplatz war nicht in Schwabing, wo die Leute schon immer etwas extremer und toleranter lebten, sondern eine reine Kleinbürger- und Gastarbeitergegend. Vorurteile gegen Langhaarige, Gammler und Hippies machten einem das Leben schwer. In vielen Läden wurde man nicht bedient, in manche Lokale gar nicht erst reingelassen oder so provoziert, dass man freiwillig das Weite suchte. Und Barbara entpuppte sich bald als stockbiederes Mädchen mit allerlei Macken.

Eines Tages strich sie die Fensterrahmen grün und rot, und zwar auch außen. Ab da hatten wir in der Wohnung keine ruhige Minute mehr. »Puff«, sagten die Hausbewohner und schnitten uns. Tagsüber ging ich mit Rüdiger beim Studentenschnelldienst jobben, abends standen wir meist im Bungalow am Flipper. Der Bungalow in der Türkenstraße, auch inzwischen abgerissen, war der absolute Treffpunkt der Münchner Szene. Dort planten die Studenten der Filmhochschule ihre ersten Filme, wurden Deals aller Art gemacht, gingen Filmemacher Klaus Lemke, May Spils, Schauspieler wie Rolf Zacher und Musiker ein und aus. Das Bungalow war ein Umschlagplatz für ideelle und materielle Güter. Die Typen in ihren langen Ledermänteln und mottenzerfressenen Pelzen, in Schlapphüten und dunklen Sonnenbrillen, die Mädchen in einer Mischung aus Revolverbraut und dekadentem Vamp, saßen verschwörerisch zusammen wie ein Geheimbund. Mein Bruder hatte sich inzwischen im Bühlertal eingerichtet und schrieb Mitte des Monats: »es freut mich, dass ihr nun doch ein sicheres und offensichtlich lustiges dach über dem kopf habt. …. hast du übrigens versucht, bei der neuen zeitschrift underground unterzukommen?«

Nun, so sicher und lustig war das Dach eben nicht, unter dem wir wohnten. Aber es gab andere Aufenthaltsorte: im Blow Up spielten die Pink Floyd und es war das beste Konzert, das ich je von ihnen gesehen habe. Einige Tage später traten die Bee Gees mit einem 40-Mann-Orchester im Deutschen Museum auf, und die Leute standen Kopf: Orchestermusiker und Pop? Musste man die Popmusik nun doch ernst nehmen, war sie dabei, in die Kulturdomäne einzudringen? Drei Tage später ging an meinen Bruder ein Brandbrief: »barbara hat mich heute so gut wie aus der wohnung geschmissen ... zu meiner sorge, bald einen job zu finden, kommt nun auch wieder das wohnungssuchen, und zwar bis zum 1. 12., falls du eine möglichkeit sehen solltest, wie ich aus der geschichte herauskommen kann, ruf bitte nach 19.00 an.«

Rüdiger und ich hatten nun neben der Hausbesitzerin auch noch Barbara als Gegnerin, die den »chaotischen Zuständen« ein Ende bereiten wollte. Denn wie bei allen Kommunewohnungen gingen auch bei uns immer mehr Leute ein und aus, saßen völlig Unbekannte in der Küche und leerten den Kühlschrank oder mit Kopfhörern bei der Stereoanlage, wenn nicht gar im eigenen Bett. Weder Rüdiger noch mir gefiel das, aber wie sollte man sich durchsetzen ohne gleichzeitig als »spießig und bürgerlich« verspottet zu werden? Die »guten Freunde aus dem Underground« mussten nicht wie wir morgens jobben gehen, sondern machten sich darüber auch noch lustig. Außerdem, was heißt hier Privatbesitz? Alles für alle, Konsumgüter sind für die Allgemeinheit da! Bücher, Zeitschriften, Schallplatten, Klamotten, sie verschwanden schneller, als sie kamen. Und die Telefonrechnung stieg ins Astronomische. Wenn es ans Bezahlen ging, waren die »guten Freunde aus dem Underground« längst weitergezogen. Die Subkultur hatte eine neue Form des Schmarotzertums hervorgebracht, jederzeit ideologisch belegbar.

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