Читать книгу Leichen bluten nicht - Roland Benito-Krimi 6 - Inger Gammelgaard Madsen - Страница 13

Оглавление

9

Er hatte geglaubt, es würde schwer werden, aber das war es überhaupt nicht gewesen. Der Tote lag auf einer Bahre mit einem weißen Tuch bedeckt. Der Bestattungsassistent hatte es zur Seite gezogen, sodass sie die Daten auf dem kleinen Schild überprüfen konnten, das an dem leblosen, grauen großen Zeh des Mannes hing, der von einem gelblich-blauen, verhornten Zehnagel geschmückt wurde. Pia glich die Daten mit ihren Unterlagen ab. Sie stimmten überein. Dann überließ der Assistent ihnen die Arbeit. Das Einzige, was ihn gerade erschüttert hatte war, das Bein des Mannes zu berühren: Es fühlte sich an wie die kalten Schweinekörper an den Haken in der Schlachterei der Danish Crown, die er oft zum Spaß getätschelt hatte, während er mit einem der Schlachter gesprochen hatte. Der Mann hatte im Kühlraum des Krankenhauses gelegen. Aber er sah aus, als ob er bloß schliefe. Sie hatten ihn gewaschen und seine Haare frisiert, die dünn und ganz weiß waren. Sie hatten ihm die Kleidung angezogen, die seine Witwe ihnen in einem gebrauchten Pappkarton überreicht hatte, einen feinen Anzug – als ob er im Himmel zu einer Vorstandssitzung eingeladen wäre, hatte Pia geflüstert, obwohl nur sie drei und der Tote anwesend waren. Dann hatten sie ihn in den Sarg gelegt. Erling packte anstelle von Pia an, die Rückenprobleme hatte und nicht schwer heben durfte. Kjeldsen wog über 80 Kilo. Zusammen mit dem Sarg, der 50 Kilo wog, würde das Gesamtgewicht, das ins Grab heruntergelassen werden sollte, 130 Kilo betragen. Die Branchenvorschriften für Bestatter und Angestellte in Krematorien, die Andreas extra nachgelesen hatte, schrieben vor, dass Hebevorrichtungen als Hilfsmittel verwendet werden sollten. Doch Pia wollte, dass es manuell erledigt wurde. Alles andere empfand sie als würdelos, auch, wenn keine Angehörigen vor Ort waren. Andreas sah ein, dass alles immer noch im Sinne seines Vaters vonstattenging – oder besser gesagt seines Großvaters; damals gab es keine Hilfsmittel. Er war kurz davor, zu protestieren, schwieg jedoch. Trotz allem war er neu im Fach und so schlimm war es auch nicht, die Leiche in den Sarg zu heben. Erling war ein großer, starker Kerl und übernahm den Großteil des Gewichts. Pia bettete den Kopf des Toten auf dem Kissen, das die Gattin ebenfalls mitgebracht hatte, zugedeckt werden sollte er jedoch nicht. Die Arme wurden dicht an den Körper gelegt. So machte es noch stärker den Eindruck, als schliefe er nur. Niemand sollte den Verstorbenen sehen, daher hatte Erling den Sargdeckel sofort mit vier Schrauben befestigt. Obwohl es in dem Raum kühl gewesen war, war Andreas heiß geworden; der Schweiß hatte sich wie eine klebrige zweite Haut auf seine Stirn gelegt, und das Hemd klebte an seinem Rücken. Die Hitze war für die meisten Bestatter ein großes Problem, hatte Pia erklärt, während sie Kjeldsen ankleideten. Es gab einen Mangel an Kühlräumen für die Aufbewahrung der Toten, weil viele kleine Krankenhäuser im Umland im Laufe der Jahre geschlossen worden waren. Sie hatten Glück, in der Stadt Aarhus zu wohnen, die gute Kühlräume zur Verfügung stellte, sowohl auf dem Westfriedhof als auch hier in der Uni-Klinik. Die schlimmsten Toten, hatte Pia unterstrichen, waren die, die aus der Volkskirche ausgetreten waren. Viele ahnten nicht, was das bedeutete, außer, dass das Begräbnis teurer wurde, da die Kosten für das Ausheben und das Zuschütten des Grabes nicht mehr durch die Kirchensteuer abgedeckt war. Es war auch nicht länger die Rede von einer Kirchlichen Beerdigung oder Beisetzung, und oft musste der Bestatter die Rede selbst halten, die sonst der Priester hielt, wenn keiner der Angehörigen oder Freunde dies tun wollte. Andreas fragte sich beunruhigt, was er noch alles lernen sollte. Musste er jetzt auch noch Priester spielen?

Kjeldsen war glücklicherweise Mitglied der Volkskirche gewesen und der Priester hatte die Zeremonie in der Vejlby Kirche vorbereitet. Alles war glatt gegangen mit einem schnellen Begräbnis, wie von den Hinterbliebenen gewünscht. Andreas fühlte sich erfolgreich in diesem Punkt und Pia hatte ihn danach, wenn auch ein wenig widerwillig, für seinen Einsatz gelobt. Anfängerglück, hatte sie mit einem Aufblitzen in den Augen spöttisch hinzugefügt.

Die Sonne strömte durch die hohen Fenster in die Kapelle und blendete die Trauergemeinde, als die Tür geöffnet wurde. Rote Rosen und weiße Lilien leuchteten zwischen all dem Grün auf dem hellen Birkenholzdeckel des Sarges auf. Die Wärme breitete sich in Andreas’ Brust aus. Plötzlich war der Tod ansehnlich. Sie hatten ihn ansehnlich gemacht. Es überwältigte ihn, dass er eine solche Befriedigung verspürte. Pia hatte die Sargdekoration in einem Blumengeschäft auf dem Weg zur Kapelle abgeholt. Andreas war mit ihr gefahren, Erling den Leichenwagen. Jetzt stand er rückwärts vor der Tür geparkt und Erling kam hinein, um den Bahrwagen zu bedienen, der den Sarg zum Auto fahren sollte. Wenn der Tote erst einmal im Sarg lag, hatte Pia Gott sei Dank nichts dagegen, dass ein Sargroller benutzt wurde. Erling bewegte sich geübt und routiniert, obwohl er hinkte, und Andreas erinnerte sich plötzlich daran, wie oft er ihn hatte trösten müssen, als sie noch gemeinsam zur Schule gingen, wo er permanent gemobbt wurde, weil er der Sohn eines Bestatters war, zu dick, ein hitziges Temperament hatte, stotterte und hinkte. Später fanden sie heraus, dass Erling nicht in eine gewöhnliche Klasse gehen konnte, und er kam in eine Förderklasse. Von da an war es fast so, als ob die anderen Angst vor ihm hatten. Der Junge war ja nicht normal. Andreas hatte oft selbst die gleiche Furcht verspürt, aber jetzt, als Erwachsener, merkte man Erling seine Andersartigkeit kaum mehr an. Bis er anfing zu stottern und einen mit diesen leicht schielenden, blassen Augen anschaute. Pia steuerte den Wagen in die richtige Richtung, eine Hand auf der Seite des Sarges, und Erling brachte ihn auf die Höhe des Kofferraums, sodass er auf Schienen leicht ins Auto gleiten konnte. Andreas sah neugierig zu. Er hatte die Arbeit seines Vaters nie verfolgt, wie es seine zwei Geschwister getan hatten. Nur Abstand davon genommen. Das bereute er nun, denn andernfalls hätte er jetzt nicht bei Pia in die Lehre gehen müssen.

Auf dem Weg zur Kirche erklärte Pia ihm den weiteren Ablauf. Er lauschte schweigend und nickte, wenn Pia ihm einen schnellen Blick zuwarf, sodass sie verstand, dass er zuhörte. Wenn der Sarg erst auf seinen Platz gesetzt und die Blumen arrangiert waren, hatten sie in der Kirche nichts mehr zu tun, bis sie später die Beileidskarten einsammeln würden, um sie der Angehörigen zu überreichen. Die Sträuße und Kränze würde der Totengräber nach der Zeremonie aufs Grab legen, das war dieses Mal nicht ihre Aufgabe, könnte es aber sonst auch mal sein.

»Die Witwe will nicht, dass wir an den Feierlichkeiten teilnehmen, daher ist dies einer der leichteren Aufträge«, lächelte Pia.

Sie saßen eine Weile schweigend da. Pia hatte nichts von dem Besuch der Polizei erwähnt, das wunderte ihn.

»Hast du gestern mit der Polizei gesprochen?«, fragte er.

Pia schaute ihn kurz an, bevor sie einen Bus überholte, der gerade eine Haltestelle anfuhr.

»Mit der Polizei? Nein, wie kommst Du darauf?«

»Ein Kriminalkommissar, der nicht ganz dänisch aussah, war gestern hier und wollte mit uns reden.«

»Worüber denn?« Pia schaute vom Rückspiegel auf.

»Keine Ahnung. Ich habe sie an dich verwiesen. Ich weiß ja nichts, jedenfalls noch nicht. Soviel ich weiß ging es um einen Verstorbenen, der verschwunden ist.«

Pia lachte heiser.

»Das klingt doch zu verrückt, findest du nicht? Ein Toter kann ja nicht einfach verschwinden. Aus dem Grab oder was?«

»Wie gesagt weiß ich es nicht. Ich dachte, er hätte dich kontaktiert. Er hat gesagt, das würde er tun.«

»Aha, hat er aber nicht. Vielleicht ist dieser Tote ja wieder aufgetaucht«, spottete sie mit einem schiefen Lächeln.

Sie hatten gerade die Vejlby-Risskov-Halle passiert und die Kirche beinahe erreicht, als ihr Handy klingelte. Pia nahm den Anruf entgegen, aber Andreas bemerkte, dass in ihrem Blick etwas auf­flackerte, das sie vor ihm zu verbergen versuchte.

»Endlich«, sagte sie gedämpft. »Wann?«

Sie schielte zu ihm und lächelte entschuldigend. Sie waren angekommen, sie hielt den Wagen an und zog die Handbremse. Der Leichenwagen stand bereits an der strahlend weißen Kirche. Erling hatte die Hintertür geöffnet und den Sargroller nach draußen in den Kies gezogen.

»Steig aus und hilf Erling. Der Sarg muss an seinen Platz, bevor die Gäste ankommen. Ich bin gleich da«, flüsterte Pia gedämpft, während sie das Telefon ein Stück vom Ohr weghielt.

Andreas ging zur Kirche und half seinem Bruder dabei, den Sarg auf den Bahrwagen zu platzieren. Pia telefonierte im Auto immer noch. In das Gespräch war mehr Dynamik gekommen, nachdem er gegangen war. Wer hatte angerufen und derart großes Interesse bei seiner sonst so leidenschaftslosen Schwester geweckt?

Leichen bluten nicht - Roland Benito-Krimi 6

Подняться наверх