Читать книгу Leichen bluten nicht - Roland Benito-Krimi 6 - Inger Gammelgaard Madsen - Страница 14

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Die Kriminaltechniker waren gerade eingetroffen und ein paar Beamte waren dabei, mit dem rot-weißen Band den Tatort abzusperren, als sie bei dem Haus ankam. Der Mord war im vierten Stock in einer Wohnung in der Grönnestraße passiert. Anne mochte diese Straße mit ihrer abwechslungsreichen Architektur sehr, von kleinen, gemütlichen Bauernhäusern mit Stockrosen am Mühlpfad über kasernenähnliche Gebäude und Fachwerkhäuser bis hin zu modernen Bauten gab es hier alles. Jetzt war dort ein Mord geschehen und in der stickigen, heißen Straße herrschte eine bedrückte Stimmung. Anwohner und Passanten versammelten sich allmählich zu einer kleinen Menschentraube und beobachteten das Geschehen neugierig. Sie konnte Benito nicht entdecken, daher wartete sie artig hinter dem Absperrband und machte ein paar Bilder von den Kriminaltechnikern und der Rechtsmedizinerin, die nun gemeinsam mit ihrem Fotografen ankam. Nicolaj und sie konnten es sich nicht leisten, einen Fotografen in ihrer kleinen Redaktion einzustellen. Selbst die großen waren jetzt in der Krisenzeit gezwungen gewesen, ihren professionellen Fotografen zu kündigen und ihre Journalisten selbst Fotos machen zu lassen. Und wie schwer konnte das mit einer Digitalkamera sein? Es war nicht länger der gebürtige Engländer Henry Leander, der sich in der Rechtsmedizin um die Toten kümmerte. Jetzt war es eine junge Frau. Die Zeiten änderten sich. Anne überlegte, ob sie Nicolajs Kontakt sein könnte. Kannten sie sich womöglich von früher? Sie sah genauso jung aus wie er. Die Rechtsmedizinerin ignorierte die Menschenmenge ganz professionell. Athletisch beugte sie sich unter dem Absperrband durch und ging mit ihrem großen, schwarzen Koffer in der Hand durch die Tür ins Haus hinein. Anne hatte Lust, mit hinein zu huschen und einige Bilder vom Opfer zu schießen, aber sie wusste, sie würde gestoppt werden, bevor sie auch nur einen Fuß hinter die Absperrung gesetzt hätte. Die beiden Beamten an der Tür beobachteten jeden Einzelnen der Anwesenden und Umherstehenden ganz genau. Es war nicht leicht, einen Mord geheim zu halten mitten in einer Stadt mit so vielen Touristen, noch dazu an einem warmen Dienstagvormittag, an dem viele Urlaub hatten. Dann kamen Roland Benito und sein beinahe glatzköpfiger Begleiter, den sie als Mikkel Jensen wiedererkannte. Keiner von ihnen schaute sie an, und sie sahen ebenfalls niemanden an. Ihre Gesichter waren vor Konzentration wie versteinert, als sie ins Treppenhaus gingen.

»Sie können mir wohl nicht ein bisschen darüber erzählen, was da drinnen passiert ist?«, fragte Anne einen der Beamten, die in ihrer Nähe standen. Die anderen Journalisten tauchten allmählich auf, jetzt ging es darum, schneller zu sein. Er schüttelte abweisend den Kopf. Andere versuchten ebenfalls, etwas aus den Beamten herauszulocken und hielten ihnen Mikrofone entgegen, aber ohne Ergebnis. Sie bekamen bloß die Anweisung, hinter dem Absperrband zu bleiben. Weitere kamen hinzu und riegelten den Verkehr ab. Autofahrer hupten ungeduldig, ein Radfahrer stürzte und schließlich musste ein Beamter auf die Straße gehen und die Leute wegscheuchen. Er wurde sofort von den Journalisten überfallen, als er aus seiner Umzäunung trat, aber Anne blieb in der Nähe des Treppenhauses. Sie wartete auf Benito. Als er endlich aus der Tür kam, war der Ernst ihm keineswegs aus dem Gesicht gewichen, und sein Blick wurde noch härter, als er sie entdeckte. Sein sonst so dunkler italienischer Teint wirkte ganz grau. Sie hatte ihn ganz für sich.

»Benito, du musst etwas darüber erzählen, was da passiert. Das ist der zweite Mord innerhalb von zwei Tagen. Junge Frauen kriegen langsam Angst, allein zu Hause zu bleiben. Kannst du etwas sagen, um sie zu beruhigen?« Sie hielt ihm das Diktiergerät hin. Er starrte es an, als ob es eine tödliche Waffe wäre.

»Woher weißt du, dass es sich um einen Mord handelt?«, fragte er, obwohl das ihre Vermutung nur bestätigen musste.

Sie zuckte die Schultern. »Man hört doch ein wenig, aber stimmt das? Ist es eine weitere Vergewaltigung mit Todesfolge? Der gleiche Täter?«

»Kein Kommentar, Anne.«

»Gibt es denn was Neues über die verschwundene Leiche? Damit müsst ihr doch vorangekommen sein. Haben die Fälle etwas miteinander zu tun?«

Andere Journalisten hatten den Kriminalkommissar entdeckt und waren zu ihnen hingeeilt, was zur Folge hatte, dass Roland das Tempo in Richtung seines Autos erhöhte.

»Ich gebe keinen Kommentar ab und verweise auf die Pressekonferenz später im Polizeipräsidium. Ihr werdet schon Bescheid bekommen«, rief er der Versammlung zu.

Die Journalisten folgten ihm mit den Mikrofonen und die Fotografen gingen seitwärts wie Krabben nebenher. Aber sie schafften es nicht, besonders viele Bilder von ihm zu machen, bevor er sein Auto erreichte, sich hineinsetzte, die Tür fest zuknallte, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, ob jemand ein Mikrofon oder eine Nase dazwischen hatte, und wegfuhr.

»Shit!«, fluchte Anne. Die Chance war verpasst. Sie lehnte sich gegen die Mauer des gegenüberliegenden Gebäudes, das mit Graffiti übersät war, zündete sich eine Zigarette an und wartete im Sonnenschein. Es konnte lange dauern, bis sie mit den technischen Untersuchungen fertig waren, vielleicht mehrere Tage, aber irgendwann musste das Opfer hinausgetragen werden. Die anderen Journalisten telefonierten, einige bekamen anscheinend andere Aufträge und zogen still ab. Zum Schluss waren nur noch sie und ein verschwitzter und übergewichtiger anderer Journalist da, und sie beäugten sich, wie es Konkurrenten nun einmal tun, aber sie wechselten kein Wort. Nach einer halben Stunde bekam auch er einen Anruf und trollte sich. Die Rechtsmedizinerin kam eine Weile danach aus dem Haus. Anne drückte schnell Zigarette Nummer zwei an der Mauer aus und eilte zu ihr hin.

»Ich soll von Nicolaj grüßen«, sagte sie keck.

Die Rechtsmedizinerin war dabei, ihren weißen Schutzanzug auszuziehen und schaute sie prüfend an. Ihre Augen waren blau mit türkisfarbenen Sprenkeln, die im Sonnenlicht funkelten. Ihre Haare waren kurz, blond und von der Sonne gebleicht. Einen kleinen Augenblick überlegte Anne, wie sie und Benito miteinander auskamen.

»Ich kenne keinen Nicolaj«, sagte sie abweisend und fing an, ihre Sachen ins Auto zu laden.

Anne traute sich nicht, weiter zu drängen, sie war sich unsicher, ob sie wirklich Nicolajs Kontakt gegenüber stand. Aber falls, hatte sie ihr viel zu verdanken.

»Ich komme von den Freelance Journalisten, da, wo auch Nicolaj arbeitet«, versuchte sie es trotzdem.

Die Rechtsmedizinerin schaute sie wieder an. »Wie gesagt kenne ich keinen Nicolaj und ich äußere mich nicht zu dem Fall. Sie müssen mit der Polizei sprechen.« Der Blick war abweisend, aber dennoch neugierig, es war, als ob sie sich Annes Gesicht einprägen wollte. Sie brauchte sehr lange, um ihr Auto zu beladen, und behielt die ganze Zeit das Gebäude im Auge, wo die Bänder in einer plötzlich aufkommenden sommerlichen Brise flatterten. Als ein Techniker mit einer Kamera in der Hand aus der Tür kam und die Kapuze abzog, sodass ihm das halblange Haar über die Stirn fiel, nahmen ihre Augen einen anderen Ausdruck an.

»Wie gesagt müssen Sie mit der Polizei sprechen. Die halten sicher bald eine Pressekonferenz ab«, sagte sie mit einem schnellen Lächeln und setzte sich in ihr Auto. Anne sah, wie sie sich vorbeugte und mit dem Techniker durch das heruntergelassene Fenster sprach, kurz darauf setzte er sich auf den Beifahrersitz. Sie fuhren weg.

Anne knipste einige weitere Bilder von dem Gebäude. Wenn sie den Kopf in den Nacken legte, erwischte sie ab und zu einen kleinen Schimmer eines Schutzanzugs eines der Techniker am Fenster. Sie machte auch ein Bild des Krankenwagens mit getönten Scheiben, der langsam auf sie zukam. Fast schleichend, als ob er nicht gesehen werden wollte. Zwei Beamte dirigierten ihn an den Schaulustigen vorbei, die immer noch da waren. Aber Anne schaffte es nicht, Fotos von der Bahre zu machen, die in den Krankenwagen gehoben wurde, immer stand jemand im Weg. Sie hatte nicht übel Lust, die Gaffer brutal wegzuschubsen, sodass sie ihre Arbeit machen konnte, die schließlich wichtiger war als deren kranke Neugierde. Warum konnten die nicht einfach später darüber im Internet oder der Zeitung nachlesen, wo sie alle Details mitbekommen konnten? Aber dann war auch diese Chance passé und der Krankenwagen fuhr genauso langsam weg, wie er gekommen war. Jetzt bewachte keiner mehr die Eingangstür, und Anne eilte, ohne nachzudenken, zum Hauseingang. Schnell fand sie den Namen der Bewohnerin im vierten Stock rechts. Tanja Borg. Sie lächelte zufrieden. Jetzt gab es etwas, das sie ausgraben und worüber sie in der Redaktion schreiben konnte.

Leichen bluten nicht - Roland Benito-Krimi 6

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