Читать книгу Die Verlorene Form - wie zwölf dänische Königspferde zu einem Guss wurden - Inka Benn - Страница 23
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ОглавлениеUngeduldig hatte Klopstock auf seine Liebste gewartet. Bis es ihm zu arg wurde. Da hatte er sich einen Wagen kommen lassen und war selber nach Charlottenborg hinüber gefahren.
Im Innenhof des Schlosses herrschte Chaos. Viel Gepäck und Stapel mit Möbelstücken standen herum. Aber kein Mensch war zu sehen. Durch den Haufen hindurch, halb darüber hinweg, kletterte der Dichter auf die Freitreppe zu, stürmte die Stufen hinauf, rannte durch den leeren Empfangsaal und hastete in das Atelier. Auch hier war niemand.
Aber Stimmen und Schritte von weit oben. Klopstock eilte hinauf und traf atemlos im vierten Stockwerk ein. Lautes Palaver aus dem rechten Flügel. Ein wilder Menschenauflauf stand bis in den Flur hinaus. Klopstock rief beim Hindurchdrücken ihren Namen:
„Meta! Meta, wo bist du? Ach, Liebste, ich bin da!“
Die Burschen versuchten, ein wenig Platz zu machen und der Mann drückte sich durch den Eingang. Erst jetzt konnte Klopstock den Grund für das Stocken sehen. Auf einem Stuhl, welcher auf einer Tischplatte festgezurrt war, thronte eine alte Dame angsterfüllt und blass, seitlich gestützt von zwei Fräuleins und seiner Meta. Diese ließ, als sie des geliebten Mannes ansichtig geworden war, die Hand der Alten fallen und drängte zu ihm hin. Winkend rief sie ihm entgegen:
„Hier bin ich! Hier, bei den anderen!“
Unterdessen geriet der Thron ins Wanken, dennoch schafften es die sechs jungen Leute die Sänfte schaukelnd auf einen Mann zuzutragen, welcher ihnen stark gestikulierend den Weg wies. Das musste Monsieur Saly sein. Die Prozession näherte sich nun dem Schlafgemach, so dass im Salon eine Lücke für die beiden Liebenden entstand. So konnten sie endlich einander in die Arme fallen. So boten die sich umklammernden, sich mit leidenschaftlichen Küssen bedeckenden Liebenden ein rührendes Bild leidenschaftlicher Wiedersehensfreude.
Erst als die laute Studentenschar die Wohnung verlassen hatte und Madame Saly im Bett verstaut war, konnte Klopstock sich persönlich bei Monsieur Saly vorstellen. Hastig bedankte sich der junge Mann im Namen Metas für die Reisegelegenheit und bat darum, seine Braut endlich entführen zu dürfen. Der Bildhauer jedoch, wenig beeindruckt von des Dichters Erregungsstand, umschloss Metas zarte Hände und drückte diese:
„Es war uns eine Ehre, euch, liebes Fräulein, während der Reise als große Hilfe und begabte Unterhalterin bei uns gewusst zu haben. Mademoiselle, Monsieur Klopstock, wir werden uns revanchieren, wenn man sich hier eingerichtet hat. Leben sie wohl, meine Liebe!“
Den Tränen nahe entzog sich das Fräulein Moller Saly und winkte den französischen Damen zum Abschied:
„Bald, meine lieben Freundinnen, bald werden wir uns wieder sehen!“
Der Pakt, den die lange Reise zur Wirkung gebracht hatte, sollte nicht so ohne weiteres aufgegeben werden.
Am Abend war Saly entschlossen, einen Brief nach Paris zu senden, in dem er Abel de Marigny um Aufklärung bitten wollte. Ärgerlich war nämlich, dass alleinig sein Freund genauestens darüber Bescheid wusste, welche Forderungen man im damals an die Annahme des Auftrags in Kopenhagen geknüpft hatte. Er selber, der im Zuge der Übersiedlung außer an sein Atelier an sonst nichts weiter gedacht hatte, war von Marigny ermahnt worden, auch die Forderungen für den Aufenthalt seiner Familie in bester Manier umgesetzt zu bekommen. Und jetzt, an Ort und Stelle, schämte sich der Künstler dafür, dass er sich selber nur dunkel an die Vereinbarungen, die seinen Aufenthalt und den seiner Familie in Dänemark betrafen, erinnern konnte. So gering schien sein Verantwortungsgefühl zu sein und dermaßen ausgeprägt sein Egoismus. Nun, man kam nicht drumherum, err brauchte stichhaltige Beweise, um seine Interessen hier an Ort und Stelle bei den Zuständigen durchzusetzen. Und zwar baldmöglichst.
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Teurer Freund Marigny!
Ich möchte dir von den Misständen hier in Schloss Charlottenborg berichten. Das erste, was meine Familie betrifft, verhält sich so, dass es für Vater, Mutter und meine beiden Schwestern, entgegen der schriftlichen Absprachen, derer du Zeuge warst, keine Wohnung gibt. Folglich musste ich die meinige räumen und sie ihnen überlassen. Diese Tatsache bereitet uns allen viele Umstände, nicht nur, dass man wenig Schlaf findet sondern auch, dass die Bedrängnis untereinander zu nicht verzeihlichen Worten und Handlungen führt. Insbesondere Madame Saly, der es gesundheitlich eher schlecht als recht zu gehen scheint, regt sich über ihre Lage auf und scheucht ihre Töchter wie Dienstboten, die uns übrigens immer noch nicht zugebilligt wurden. Eine Zofe und ein Hausdiener müssten uns doch gewiss zustehen. Kannst du die Vereinbarungen diesbezüglich in den Unterlagen überprüfen? Da Kisten mit mit Schriftstücken noch nicht ausgepackt wurden (ich weiß nicht, wo mein Bureau sein wird), kann ich meine Kopien gar nicht finden. Außerdem plagt mich eine weitere, peinliche Unannehmlichkeit: Mir droht langsam das Geld auszugehen! Zum Essen müssen wir nach außerhalb, in private Gasthäuser, was sehr kostspielig ist (die Versorgung des Hofpersonals, so wie wir es von Versailles her kennen, scheint auf Christiansborg nicht üblich - oder aber wir sind dort nicht willkommen). Und ich hatte hohe Arztkosten zu begleichen. Der Arm von Jean (es handelt sich immer noch um den Pferdebiss), drohte steif zu werden, weshalb ein Chirurg gerufen werden musste, der das entzündete Fleisch vom Muskel trennte und diesen wieder funktionstüchtig machte. Mehr darüber im Brief an Adoree. Jean geht es also wieder leidlich, dennoch darf er beim Einrichten des vorzüglichen Ateliers, welches zu meinem Stolz prächtig werden wird, nicht mit anpacken. Erinnerst du dich an das Glashaus auf Bellevue?
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Salys Herz setzte einen Moment aus, als er die erleuchtete Madame in sich fühlte.
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So einen Anbau, nur wesentlich größer, gibt es auch hier. Ganz für mich und meine Arbeit. Nun, jetzt zum Winter hin kann man ihn nicht gut nutzen, es ist zugig und oft so feucht, dass das ganze Glas beschlägt. Aber im Sommer! Darauf freue ich mich sehr. Im Übrigen, der Werkstatt fehlt es an nichts, aber auch wirklich gar nichts. Diesbezüglich ist alles perfekt. Mir scheint aber, die Dänen gehen davon aus, dass jemand nicht essen muss, wenn er ein Künstler ist. Und auch sein Alltag nur von der Kunst bestimmt wird. In gewisser Weise wünsche ich mir solch ein Leben fernab der weltlichen Probleme – aber trage ich nicht auch die Verantwortung für die Meinigen und ihr Wohlergehen? So erzürnt es mich ein wenig, noch keine Apanage gesehen zu haben, und dass noch niemand Offizielles mich hat bei Hofe oder der Handelskompagnie eingeführt und abgesehen von den Unannehmlichkeiten, die ich bereits schilderte, fühle ich mich ein wenig übersehen. Nur der gute Wasserschlebe hält zu mir (er hat mir sogar ein wenig Geld vorgestreckt) und versucht, alles in Ordnung zu bringen.
Bitte grüße meine liebe Adoree von mir, ein Brief an sie ist unterwegs!
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Dein Freund Saly
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P.S. Es wäre schön, wenn deine Tante, das sie sich so gut mit meiner Mutter verstanden hat, ein paar Zeilen zur Aufmunterung an sie richtet.
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Spät in der Nacht fuhr ein schwerer Wagen lärmend in den Innenhof ein. Das Dröhnen der eisenbeschlagenen Pferdehufe hallte von den Wänden wider und erschütterte die beiden schlafenden Monsieurs Saly im Parterre. Zuerst schreckte der Vater hoch, dann der Sohn. Bei beiden hatten das Holz der notdürftigen Liegen dem Poltern Resonanz gegeben und sich ihn ihren Gehörgängen verstärkt.
„Der Gepäckwagen!“ rief Saly.
Da man sich für den dürftigen Schlaf nicht entkleidet hatte, war es ein Leichtes, zur Tür zu eilen um den lang erwarteten Jean in Empfang zu nehmen.
Jean war übermüdet, hungrig und fror. Saly tat es sehr Leid, dass er dem Jungen kein besseres Quartier bieten konnte, als ein paar Leinensäcke vor dem Kaminfeuer im Atelier. Immerhin gelang es Joseph, sich nach oben zu schleichen und eine wollene Decke sowie Reste vom Reiseproviant aus der Wohnung zu stibitzen. Mehr war nicht möglich. Überhaupt hatte sich seit ihrer Ankunft im neuen Zuhause noch nichts entwickelt. Es gab weder Dienerschaft, noch Küchenpersonal, so dass man vor dem Zubettgehen alles hatte selber arrangieren müssen. Mühselig und unerfreulich nach einer so langen Reise. Den Empfang hatte sich der Künstler anders vorgestellt.
Jean erzählte beim Essen, wie es ihm inzwischen ergangen war. Von den Ängsten in der Fremde, vom Heimweh nach Lisette, den Unannehmlichkeiten, die es machte, wenn man ohne Geld reiste und vom Lichtblick des Aufeinandertreffens mit den beiden deutschen Rossärzten bei Roskilde. Wie glücklich er gewesen war, bekannte Gesichter zu sehen. Auch sein Arm habe gelitten, da er die Wunde nicht immer habe reinigen können. Saly sah sich die Stelle an, der Verband sah verdreckt und abgerissen aus.
„Morgen werden wir sofort nach einem guten Arzt rufen. Nun musst du dich ausruhen. Stell dir einfach vor, du bist endlich an dem Ort angekommen, von dem du immer geträumt hast. So lange dauerte unsere Reise.“
Nachdenklich kratze sich Saly am Kopf. Eine merkwürdige Übertragung. Hatte er Kopenhagen damit gemeint?
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Am nächsten Morgen nieselte es draußen vor sich hin und in Gedanken an die Gräben und die Nähe zum Meer, fröstelte Saly. In Venedig, der Stadt im Wasser, war es auch oft nebelig und feucht gewesen. Nur anders. Hatte man sich dort nicht ständig in heller Erwartung des Durchbrechens der Sonne in der Blüte des eigenen jungen Lebens befunden? Auf dem Kanale der Erwartung war man vor sich hin getrieben. In Zuversicht geschwommen und an den alten Meistern gewachsen.
An diesem Ort jedoch, schob sich von See her die Dunkelheit heran und drohte die Welt zu verschlingen. Weder Nacht noch Tag wäre es bald und weder tot noch lebendig würde man sich fühlen. In diesem kleinen Land hoch im Norden.
Er fragte sich gerade, wie es weitergehen sollte, mit seinem Gemüt , wie er all das bewältigen sollte, was ihm noch bevorstand, als er die vertraute Stimme Wasserschlebes hörte. Der Freund kam mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu und entschuldigte sich vielmals um das plötzliche Verschwinden am Vortage. Ob denn auf Charlottenborg alles zur Zufriedenheit wäre? Wasserschlebe wurde unaufgefordert und gnadenlos mit den Problemen, die sich aus dem provisorischen Zusammenleben ergaben, konfrontiert. Als er den französischen Damen seine Aufwartung machte, bombardierten die ihn mit den Vorwürfen, die eigentlich für wen auch immer bestimmt waren. So flüchtete der Sekretär des Außenministers bald und versprach Saly im Weggehen, er werde sich sofort um alles kümmern. Weil ihm noch etwas eingefallen war, kurz auf der Treppe, holte einen Brief hervor und nahm aus der Geldbörse ein Silberstück. Beides steckte er dem Künstler zu. Saly schaute auf den Brief. Das Geldstück fiel herunter, so dass er sich danach bücken musste. Das Papier zitterte in seinen Fingern. Die Post war von Adoree. Sofort überkam ihn erleichternde Freude. Als lugte aus dem Pergament die Sonne hervor sprach das Mädchen zu ihm:
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Mein liebster, teurer Freund!
Wenn du diese Zielen liest bist du, was ich hoffe, wohlbehalten mit deiner Familie am Ziele angekommen. Heimlich habe ich auf Post von der Tour gehofft, und immer, wenn ein Bote kam, mit stockendem Herzen dagesessen ob einer guten oder schlechten Nachricht von euch. Da ich mich auch ein wenig im Reisen üben konnte, weiß ich um die Strapazen und verzeihe dir, dass du mich mit keiner Zeile bedacht hast. Sicherlich aber konntest du einige hübsche Skizzen anfertigen, von der Landschaft, von den Leuten und was es sonst noch alles so gibt, dort oben, im Norden. Kannst du verstehen, dass ich mir Dänemark gar nicht vorstellen will? Denn mehr denn je trage ich die Sonne Italiens im Herzen und - jetzt muss es endlich heraus - auch darunter. Du stutzt? Ja, du hast verstanden: Ich erwarte ein Kind! Abel und ich sind überglücklich – und du kannst dir gar nicht vorstellen, wie stolz wir beide sind! Und wie das Temperament meines Vaters überschäumt in Erwartung noch eines unverhofften Enkels! Madame Philidor, meine liebe Mutter, kann von nichts anderem mehr reden und hastet durch ganz Paris, um die erlesenste Aussteuer für das Baby zusammenzustellen. Darf ich sagen, dass auch meine Schwägerin aufgelöst in Freude die Nachricht entgegen nahm? Seither fühlt sie sich besser und schmiedet bereits Pläne für das Kleine. Da, mein lieber Freund, ist mir, in meiner tragenden Rolle, oft ein wenig zu viel! Wie gerne hätte ich jetzt dich um mich, dich, dem ich mich außerhalb des Aufhebens um das Baby Alles anvertrauen könnte... Lass mich bitte nicht allein mit diesen „Schwangeren“ und teilhaben an jenen schöpferischen Abenteuern, die wir, wie so oft schon gemeinsam entwirrt haben. So dringend ist es mir, dass wir unsere philosophischen Exkurse über Kunst und das Leben fortsetzen – da ich mich sonst wie eine Kranke fühle, die man schonen und von der Welt fernhalten muss.
Übrigens: Abel hat mir das Reiten verboten und entschieden, meiner Schimmelstute ebenfalls die hohen Weihen der Mutterfreude zu gönnen. Dazu hat er sie nach Pompadour geschickt, wo sie dem Neapolitaner untergeschoben werden soll. Was meinst du, ob Pferde auch lieben und Ekstase im Liebesakt verspüren? Geht es meiner Stute vielleicht hinterher besser als mir, da sie vielleicht bis zur Geburt des Füllens gar nicht weiß, dass sie schwanger ist?
Du kennst meine spöttelnde, unzufriedene Art, mit außergewöhnlichen Situationen umzugehen, alle anderen nehmen mich ernst.
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Deine liebe, schwangere Adoree
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PS: Da dieser Brief dich wohl nur über Umwegen erreicht hat, benötige deine persönliche Anschrift.
Saly sah auf das Datum: Der Brief war von Ende September, sein Eintreffen also noch nicht lange her. Demnach war das Kind noch nicht geboren und rund um Adoree konnte bis dato nicht viel Neues passiert sein. Er war also gewissermaßen auf dem Laufenden. Am Vormittag war der Chirurg, der Jean operiert hatte, noch einmal gekommen, um sich mit dem Fall der Madame Saly zu befassen. Der Medicus hatte dazu gedrängt werden müssen, denn gewöhnlich behandelte er einzig bei geleisteter anteiliger Vorkasse, damit ihm wenigstens ein Teil der Rechnung nicht auf der Strecke blieb. Und der Franzose hatte den Rest für die Behandlung seines Gehilfen noch nicht bezahlt. Überhaupt war es für den Deutschen ungewöhnlich, dass der Monsieur Künstler seinen Mithelfer so teuer zusammenflicken ließ. Es musste sich dabei um ein besonderes Verhältnis zwischen den beiden Männern handeln. Aber das würde man noch herausfinden.
Bei Madame wurde ein Darmgeschwür diagnostiziert. Während der Untersuchung hatte die Frau geschrien. Eine der beiden Töchter war sich erbrechend aus dem Zimmer gelaufen, die andere, ein hässliches, dünnes Ding, hatte sich tapfer gehalten und war in ihrem ängstlichen Bemühen einigermaßen dienlich. Um nicht noch mehr Zeit und Geld zu verlieren beschloss der Chirurg, die notwendige Operation sofort an Ort und Stelle durchzuführen. Da die Frau ohnedies schon an Schmerzen litt, war, der Erfahrung nach, die zusätzliche Pein leichter zu verkraften. Er trug dem französische Mädchen auf, noch mehr heißes Wasser und Leinen zu bringen, die Instrumente zu waschen und der Frau den Knebel zwischen die Zähne zu klemmen. Während sich Martine kreidebleich bemühte, die Zangen, Messer und Klammern rein zu schrubben, wurde ihr vom Arzt in bestem Französischerklärt, wie die Operation von Statten gehen sollte. Im Regelfall wären Geschwüre zwischen Dickdarm und Mastdarm mit der kurzen Zange gut zu erreichen, im schlimmsten Fall jedoch müsste der Bauch aufgeschnitten und der Knoten von außen geholt werden. Gewissheit habe man erst nach Ertasten des Geschwür.
Madame lag bereits auf dem Bauch und hielt den Kopf zur linken Seite gedreht, so dass der Speichel, der neben dem Knebel hinaustroff, sich auf dem Kissen verteilte. Ab und zu röchelte die Patientin. Der Arzt befahl, den Knebel zu entfernen den Kopf der Frau geradezurichten, so dass das Kinn über dem Kissen zu liegen kam. In dieser Haltung konnte der Speichel besser abfließen und falls es zum Erbrechen käme, wäre das Abschlucken der Speisereste unmöglich. Umsichtig und einfühlsam tat das Franzosenmädchen, was er verlangte. Es machte seine Sache wirklich gut.
Als der Chirurg mit der Operation fertig war, schwamm das knotige Geschwür aus dem Darm wie ein Katzenherz in der Auffangschale. Madame Saly hatte bereits eine Menge Blut verloren und blutete immer noch aus dem After nach. Der Deutsche wog ab, ob die Frau es wert wäre, dass er seine wertvolle Baumwolle für die Tamponage des Darmausgangs benutzte und davon etwas für die Nachversorgung hier ließ. Den Leuten würde es weitaus billiger kommen, wenn die Kleine sich weiter um die Mutter kümmerte und er selber nicht ständig hier erscheinen müsste. In seinem Beruf war nicht die Operation war das Aufwändigste und Zeitraubendste, sondern die Versorgung danach. Pflichtschuldig erklärte der Spezialist dem jungen Fräulein, wie oft es in der ersten Nacht die Tamponade zu wechseln habe, besprach mit ihr das Einwindeln und schärfte ihr ein, wann sie die Tropfen gegen die Entzündung eingeben soll. Diese Tropfen seien umgehend von der Apotheke zu besorgen. Und ob sie bereit sei, fiebersenkende Maßnahmen durchzuführen, da es sicherlich dazu käme, dass der Körper den Wundbrand durch
Ausschwitzen abwehre. Martine schwor während beim Abwaschen und einwickeln der Instrumente, ihr bestes bei der Pflege der Mutter zu geben.
Nachdem der deutsche Chirurg das Schlafzimmer verlassen hatte und alles wieder hergerichtet war, rief sie nach Odette. Diese sollte zumindest das Medikament von der Apotheke besorgen. In Anbetracht dessen, dass sie als Hilfe für die Pflege der Mutter ungeeignet war, ein lächerlicher Dienst. Erstaunlicherweise weigerte sich die ältere Schwester störrisch. Ihre Rechtfertigung, dass sie sich in Kopenhagen nicht auskenne, und die Sprache nicht verstünde klang merkwürdig lächerlich. Martine, die sich reichlich hilflos fühlte, rief nach dem Vater. Joseph stand, genau wie zuvor Odette, unten bei Saly, der gerade dabei war, mit dem Arzt die Kosten in Kurant für die beiden Operationen durchzugehen. Saly, von Natur aus ein erbärmlicher Verhandler, nahm die vom Arzt veranschlagten Summen wortlos hin und offerierte diesem den Silbertaler, welchen Wasserschlebe ihm eben erst geborgt hatte. Überrascht von der Großzügigkeit des Franzosen steckte der Medicus das wertvolle Geld hastig ein und empfahl sich mit den besten Worten.
Odette wusste, jetzt hatte man wieder Nichts im Hause. Noch nicht einmal für die Medizin.