Читать книгу Die Verlorene Form - wie zwölf dänische Königspferde zu einem Guss wurden - Inka Benn - Страница 28

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Madame hatte sich nach ihrer Ereiferung erschöpft zurück gelehnt und auf dem Canapé ausgestreckt.

Saly verharrte unsicher über dem dicken Werk Platons. Er fühlte sich dumm und hintergangen. Seine Jahre im fernen Italien hatten ihn von den französischen Verhältnissen getrennt. Nach der Rückkehr in das mächtige Frankreich, hatte er sich nur wenige Gedanken um etwaige neuartige Zeitströmungen gemacht. Madame hingegen trug offensichtlich wesentlichen Anteil am Vorantreiben der modernen Wissenschaften und Künste. Die ganze Zeit hatte er ihre Wichtigkeit unterschätzt. Und auch ihre Macht. Und diese Frau hatte ihn, einen mäßig bekannten Bildhauer, als weiteres Element auserkoren. Was hatte sie in ihm zu sehen begonnen? Was will sie aus mir machen? Er befand sich in ihrer Abhängigkeit. Ganz und gar. Und musste gewappnet sein. Wenigstens geistig.

Madame massierte sich die Stirn:

„Wo waren wir stehen geblieben?“

Ihre Art, wie sie müde den Diskurs fortsetzen wollte, schien ihm reichlich leidenschaftslos. Konnte sie nicht einfach Rücksicht auf ihre Gefühle nehmen und ihren Ehrgeiz zügeln? Sie musste sich diese Sturheit im Denken und Reden wohl in Anbetracht der männlichen Übermacht angeeignet haben. Um standzuhalten beim Erkenntniswettbewerb. „Wir sprachen eben davon, dass den theoretischen Schriften und philosophischen Diskursen

unserer wichtigen Denker immer einen Hauch von Dichtung anhaftet und ich gab euch das Beispiel, von Rousseau und seiner Oper. Demnach darf man ihn und die anderen sowohl zu den Künstlern als auch zu den Denkern zählen.“

„Aber nicht jeder Künstler muss gleich ein Denker sein!“, wehrte sich Saly gegen diese Annahme. „Meines Erachtens ist der Denker zu theoretisch veranlagt. Wo bleibt denn sein Gefühl? Ist der Mensch nicht ganz Gefühl und Gedanke an sich?“ Jetzt war er gereizt.

Etwas zu herablassend unterbrach ihn Madame:

„Ihr meint: Ist der Mensch an sich nicht ganz Gedanke und Gefühl?“

Der vermeintlichen Verbesserung wollte er eigentlich gar nicht zustimmen:

„Wegen meiner... Also, jeder Mensch, so glaube ich, besteht zu gleichen Teilen aus Gefühl und Verstand...“

„Aus gleichen Teilen? Das ist zu bezweifeln. Dann wären wir ja alle gleich. Betrachten sie nur die Unterschiede zwischen Frauen und Männern! Frauen neigen zum Gefühl, im Extrem zu Hysterie und Männer ordnen sich ganz dem Wissenschaftlichen unter. Man denke an Erfinder, Ärzte und Forscher!“

„Aber, Madame, das ist verwunderlich, dass ihr so einen großen Unterschied darin seht! Ich dachte immer, ihr seid den Frauen zugetan, mutet ihnen ebensolchen Geist zu, wie den Männern, ja dachte ich, teilweise noch mehr, als den Männern, ihr seid doch selber ein gutes Beispiel dafür, wie gewandt und gebildet sich Damen benehmen können! Wieso gebt ihr das jetzt alles an die Herren ab?“

„Ah, ihr widersprecht! Gut gemacht! Vielleicht noch ein wenig geschliffener, einen stilvolleren Satzbau benutzen, einige nette Zitate einstreuen, dann seid ihr für die Herren gerüstet!“

Überlegen und schulmeisterisch kam sie ihm vor. Wie sie zwischen diesen zwei Ebenen wechselte. Ihn zu angemessenerem Ausdruck und gehaltvolleren Inhalten anhalten wollte.

Dabei wusste sie doch, dass es ihm allenfalls gelang, tief in sich hinein zu fühlen, die Emotionen in Gedanken zu fassen und mitunter irgendwelche Erkenntnisse zu haben. Derweil blieben Stil und Reihenfolge bei ihm stets unberücksichtigt.

Sie bemerkte seine verstimmte Unsicherheit:

„Glaubt mir, Saly, ihr seid ein besonderer Mensch! Ihr lebt für eure Kunst und drückt euch durch sie aus! Das habe ich euch schon des öfteren klarzumachen versucht. Seid stolz darauf, wie ihr seid, macht es zu eurer Attitüde und spielt ein wenig damit! Spielt, dass ihr mit eurem Denken spielt! Etwas anderes tun die die Herren Philosophen auch nicht! Lernt, die Sprache wie den Meißel, die Sätze wie die Feile und das Wort wie den Schleifsand zu beherrschen. Nur ein wenig, dann seid ihr auch darin ein Meister.“

„Ich las gerade bei Platon, dass jegliche Erkenntnis auf dem Denken beruht. Sinne täuschen und erzeugen nur Abbilder. Einzig wahr ist das Seiende, welches der Wiedererkennung entspringt. Da der Logos allmächtig ist und im Gegensatz zum Tier schlechthin als menschliches Kennzeichen gilt, müssten wir Menschen folglich göttlich sein. Aber hat Gott Gefühle? Was denkt Platon darüber?“

Madame lächelte:

„Wovon ihr anfänglich sprachet, entspringt dem Höhlengleichnis. Die Gefühle, glaube ich, kommen bei Platon erst in der Idee vom Guten vor. Hierin schlummert das Wesen der Seele. Und die ist wie eine Wachstafel, in der das Leben gefühlsbedingte und logische Eindrücke hinterlässt. Seine Theorie berücksichtigt beides. Darf ich euch auch eine Frage stellen? Was denkt ihr über Platons Philosophie zur Ästhetik?“

Eigentlich kannte die Pompadour bereits die Antwort des Bildhauers. Da sie darüber ihre seelenverwandten Ansichten geteilt hatten. Sowohl bei der Kunstbetrachtung als auch vordringlich in seinen Werken selbst. Dass sie ihn jetzt darüber resümieren ließ, war ein erzieherischer Schachzug. Endlich sollte sich Saly über seine Persönlichkeit und Kunst klarwerden.

Der Bildhauer räusperte sich zuversichtlich:

„Das ist ganz einfach! All jenes, was wir bereits feststellen konnten, zeigt sich im Schönen, im harmonischen Maß. Es geht in der Kunst nicht um die Nachahmung der Realität, sondern um die Verwirklichung der Idee – und“, er stockte, „ um Lust und Gefühle, nämlich die Liebe. Die ich bei Platon vermisse. Ich kann sie nirgends finden.“

„Es wird wohl der Eros sein, den wir in vielen Kunstwerken verwirklicht sehen. Aber die Entdeckung der Idee dahinter und der Gedankenaustausch darüber, sind weitaus wesentlicher. Denn nur zwei Individuen, die sich über Schönheit und Wahrheit im Austausch befinden und dabei erkennen, dass sie eine ähnliche Seele besitzen, können von Liebe sprechen.“

Saly wurde schwindelig. Wie soll ich mich dem weiter äußern? Er suchte in seinem Kopf nach passenden Bildern. Als erstes zeigte sich das anmutige, edle Gesicht der Venus von Colonna. Ihr im Ebenmaß der Sittsamkeit verstecktes, verführerisches Lächeln. Dieses hatte er genau so im Angesicht der Amitié Figur Madames entdeckt. Und überhaupt nahm die gesamte Figur Anleihe bei Coysevox's Nymphe im Park von Versailles. Diese wunderbar Ruhende, Barbusige, Wasserschöpfende. Mit ihrer Muschel. Als hätte Pigalle diese Verführung für ihn, Saly, in der Amitié versteckt. Zögerlich sprach er weiter:

„Ich verstehe darunter den Sinn der Amitié Figur. Es handelt sich um die Darstellung bedingungsloser, wahrer Freundschaft. Das Ideal einer göttlichen Liebe. Vermeintlich ohne Eros und Sexualität. Aber da ist auch auch das verführerische Lächeln der Venus, der erotische Gestus der Nymphe von Versailles. Und die Verbindung wird mit dem König eingegangen. Wie ist das zu verstehen?“

Sein rechter Fuß wippte unruhig im Takte der Worte. Madame sah erstaunt auf:

„Wie kommt ihr darauf? Meine neue Rolle, Monsieur Saly, spielt, wie ich bereits andeutete, keinesfalls mit irgendeinem Eros! Das Fleischliche ist der körperlichen Liebe überdrüssig, hat es krank gemacht. Ihr versteht: Mein Leib wurde von der Begierde vergiftet. Über Jahre. Er streut jetzt völlig nebensächlich seinen königlichen Samen in das frische Objekt. Und dieser absoluten Potenz gegenüber stehe ich. Als Mahnmal des immerwährenden Erkannthabens. Als Vertrautheit im Übergang zur Reife, Weisheit im Wohlwollen. Ein Mahnmal des um die ewige Verbundenheit erhöhten Einflusses. Dieser Beziehung entkommt kein noch so Mächtiger. Der Herrscher am seidenen Faden meines Rockzipfels. Keinesfalls Liebe. Noch nicht einmal platonisch.“

Madame sank in sich zusammen. Ihr war kalt. Saly sprang auf und griff nach ihrem Schal. Vorsichtig, ohne sie direkt zu berühren, legte er ihr den Stoff um die bebenden Schultern.

Sie ergriff seine Hand und sprach weiter:

„Das, was Platon beschreibt, gibt es bei uns. Unsere Liebe zur Kunst. Eine andere Art von Körperlichkeit.“

Beim letzten Wort hatte sie seine Hand fahren lassen. Die seine spürte noch lange den kalten Abdruck der ihrigen. Nur dieses Gefühl verhinderte, dass er sich ihr an den Hals warf um sie mit Küssen zu überhäufen. Aus all ihren Bekundungen sprach nun gerade die Liebe. Immer wider hatte sie darüber Andeutungen gemacht. Schon von Beginn an. Man konnte sagen, sie umschrieb der Liebe unterschiedliche Arten und bezog diese auf sei beide. Da waren zuletzt Mutter - und Vaterliebe, das hatte Madame selber so betitelt. Derart vereint hatten sie Adoree beigestanden. Dann ihre Bekenntnis zum Abschied in Versailles... 'Schade, dass wir uns nicht frischer kennen gelernt haben, wir hätten uns gut verstanden...'. Oder im Pavillon, das Tuch und die Rede von der Seelenverwandtschaft. Und mehrmals hatte sie ausgedrückt, sie halte ihn für einen ganz besonderen Menschen. Und für einen begnadeten Künstler. Das, zusammengenommen, musste doch die höchste Liebe geben, die möglich war! War es nur der König und der Stand, die das Ganze unwürdig machten? Hatte Madame nicht schon Umgang mit viel niederen Personen gepflegt als ihm? Was fehlte denn noch, mein Gott? Sein Herz begann unstet zu pumpen, ihm wurde heiß, seine Stirn tropfte und der widerliche Eigengeruch trat unter den Achseln aus. Saly sank nieder zu ihr, wie ein kleiner Junge saß er plötzlich auf der Kante des Polsters, wie damals an ihrem Bett. Flüchtig zog sie ein Tuch aus ihrem Mieder und begann seine Stirn zu tupfen. Das zweite Mal ihr Parfume. Sein Hass zerströmte erneut. Auf sie und seine verdrängte Begierde. Vor sich die Beichte der selbst provozierten Wahrheit: ,Ich übe keine Anziehungskraft auf sie aus. Ich bin kein Eros, nicht fleischlich, ich, der machtlos und vereinzelt in seiner eigenen Welt umher wandelt. Ich schere mich nicht um das Außen, bin ohne Vergleiche, strebe nach nichts, außer der Erfüllung meiner Kunst. Deine Liebe verbraucht zu viel von mir. Denn wie eine Sonne, dörrt sie den voll gesogenen Schwamm ins Vertrocknen... mein Fühlen entsprang deiner Quelle, meine Sehnsucht setzte sich deiner Hitze aus, und mein Geist wehrt sich gegen dich. Dies habe ich abzuleiden.'

Madame hörte seinen Kampf, legte ihre kalte Linke auf seinen heißen Kopf und suchte den Zwiespalt zu überwinden. Als bezöge sie sich ganz auf die Entdeckung seiner vermeintlich glimmenden Eifersucht, beschwichtigte sie ihn bedachtsam:

„Ihr sprachet von der Amitié als mit dem Eros verbunden. Ich kann versichern, das Gegenteil ist der Fall. Und ich keinesfalls dafür derweise Modell gestanden, wie das Werk es euch weismachen will. Größe und Form der Brust sind die einer anderen Frau. Das bin ich dem König schuldig...“

'Und auch euch, Saly'... Hatte sie das hinzugesetzt? Ihn zu sich erhoben, auf eine Stufe mit dem König? Das würde bedeuten, dass er sie nach dem Herrscher begehren und lieben durfte.

Das Canapé erzitterte unter ihnen, als er tief Luft holte und für den Sprung ins kalte Wasser Anlauf nahm. Bevor er abtauchte rief er noch:

„Der Dorn hat mein Fleisch vergiftet und in mir das Satyrische geweckt!“

Er schwamm zu seinem Platz zurück und blubberte vor sich her:

„Lächelnde Venus, anmutige Nymphe... Ihr steckt in meinem Fleische. Erweckt mich, euren Faun...“

Die Entführung in das türkische Schlafzimmer begann.

Unbeholfen war sie aufgestanden, hatte den Verlorenen sitzen lassen, ihn zärtlich auf die Wange geküsst, rauschte nun an ihm vorbei, drehte sich um, kehrte zurück und nahm den Versteinerten an die Hand.

Wie nebenbei wurde er hinauf geführt, in ihr Schlafgemach.

Zunächst kam der Geruch. Orientalisch, schwer und rauchig schwelte es überall. Seine Schuhsohlen versanken im weichen Flor. Schwer trugen seine Augenlider den Blick. Zeitweilig nahm er all das Bunte dieser Welt wahr. Auf dem fliegenden Teppich, über sich schwebend. Ein Märchen aus Tausend und einer Nacht. Noch immer hielt sie seine Hand. Führte ihn behutsam zur Lagerstätte aus prallen Kissen, streifte ihre Schuhe ab, machte sich an seinen Schnallen zu schaffen und warf ihn rücklings auf das Plumeau. Im geschmeidigen Traum versank er. Alsdann sie neben ihm lag, umspült von Seide. Geschlossenen Auges, goldbehängt und verschleiert.

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* * *

Züngelt langsam sich heran,

ich im Geiste mit ihr schwamm,

an der Quelle zum Rubin,

meine Frage nach dem wann

soll mir die Erlösung kommen?

Bin auch endlich ich schon dran,

an den fleischigen Gefilden,

treibe lang in sie voran,

lass mich ein und lass mich aus

dort, wo alles begann

der Traum schon fühlte alle Macht

so wie ich's einst ersann

in liebesrauschender Wollust

es nun ertragen kann.

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