Читать книгу Die Verlorene Form - wie zwölf dänische Königspferde zu einem Guss wurden - Inka Benn - Страница 24
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ОглавлениеWasserschlebe war, was den Stand der Dinge in Charlottenborg anging, ein wenig ratlos. Er fragte sich, ob man Bernstorff unter den besonderen Umständen mit den Unannehmlichkeiten des Künstlers belasten konnte. Denn die Verhandlungen mit Moltke hinsichtlich der Begrenzung des Teehandels standen an. Oberste Priorität hatte es, den Verdacht der Bestechung durch die Altonaer und ihr Silber zu verschleiern. Und er selber, als persönlicher Sekretär Bernstorffs, würde bis aufs Äußerste in den Handel involviert sein. Wasserschlebe musste also jemanden finden, der sich um die Salys kümmerte, solange die Silberaffäre dauerte und bis Moltke sich in Bernstorffs Händen befand.
Carstens war Sekretär in der deutschen Kanzlei. Ein zuverlässiger Däne, der schon seit über zwanzig Jahren im Dienste der Deutschen stand. Weil der bescheidene Mann als Mittler zwischen dem Schleswig–Holsteinischen Lager und den Reichsdänen als unverzichtbar galt, genoss er Bernstorffs vollstes Vertrauen. Sicherlich würde Carstens jemanden wissen, der den Franzosen zur Seite stehen und behilflich sein könnte, die vertraglichen Übereinkünfte zu deren Vorteil auszulegen.
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Es war Prinzessin Louise, die Schwester des Königs, die auserkoren wurde, sich um die Salys zu kümmern. Entgegen ihrer pietistischen, frommen Erziehung entwickelte sich Louise zur Förderin der Kunst und Kultur in Kopenhagen. Die aufgeschlossene Prinzessin hatte den Bau des neuen Theaters am Nytorv durchsetzen können und dessen Stil mitbestimmt. Erprobt im Gerangel um Einfluss und Geld konnte sie manchen Kampf mit dem Finanzminister und ihrem Bruder, der Majestät, für sich entscheiden. Ein Zeichen ihres forschen Charakters.
Ein weiterer Vorzug war, dass die Prinzessin das Französische besser artikulieren konnte als Deutsch oder Dänisch. In beiden Haussprachen stotterte sie stark. Das Französische jedoch kam ihr entgegen, da sie es verstand, die Sprach-Melodie mit bewundernswerter Bravour und erhabener Sicherheit als einen kaum bemerkbaren harmonischen Singsang zu interpretieren.
Sie war die richtige.
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Die Prinzessin hatte bereits eine Eingebung. Zunächst müsste es einen angemessenen Empfang für den Künstler geben. Genauso dringlich war es, ein Quartier für die Familie zu finden. In direkter Nähe zum Theater gab es ein stattliches neues Palais, dessen untere Etage den festen Schauspielensembles als Wohnungen dienten und wo für engagierte, reisende Schauspieltruppen, Sänger oder Musiker das obere Stockwerk reserviert war. Um den Salys eine langfristige Bleibe zu schaffen, würde sie kurzerhand veranlassen, zwei dieser Wohnungen zusammenzulegen. Davon unberührt bliebe das Appartement, welches sie für persönliche Zwecke nutze. Die pflichtschuldigen Besuche bei den Salys könnten einer ausgesprochen nützlichen Tarnung dienen. Wenn die Pariser Damen so waren, wie man sie sich vorstellte.
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Die Gäste für den Empfang hatte die Prinzessin sorgfältigst ausgewählt. Es handelte sich in erster Linie um Mitglieder des Lehrkörpers der Kunst - und Handwerksschule und angesehene Leute, wie Schriftsteller und Wissenschaftler, über deren Kontakt sich Beziehungen ergeben würden, von denen der Bildhauer profitieren konnte. Da sie über Saly herausgefunden hatte, dass dieser eher zu den Künstlerpersönlichkeiten gehörte, die einen bescheidenen Charakter besaßen und beim geringsten Anlass zur hysterischen Überforderung neigten, wollte sie ihn nicht sogleich mit zu vielen neuen Menschen strapazieren. Darum waren auch einige Leute eingeladen, deren Bekanntschaft Saly schon hatte machen dürfen. Der Dichter Klopstock sowie die beiden deutschen Veterinäre Reitzenstein und Prizelius, die den Franzosen auf der Reise begleitet hatten. Ebenso natürlich Wasserschlebe, der ihr versichert hatte, dass ihn eine feste Freundschaft mit dem Künstler verband. Auch Bernstorff war für den Franzosen kein Unbekannter. Man hatte sich bereits flüchtig in Paris kennengelernt und sich im Schriftverkehr auf den künstlerischen Stil des Denkmals einigen können. Demnach würde Saly den Außenminister wohl kaum mehr fürchten. Allein Moltke war ein Wagnis. Dieser pragmatische Mann würde sicherlich die geschäftlichen Beziehungen zu Saly in den Vordergrund spielen und ihn hierdurch als einen von seinen Gunsten Abhängigen dastehen lassen. Wasserschlebes Aufgabe wäre es, Saly diesbezüglich zu schützen und zu verteidigen.
Der Empfang fand auf Schloss Rosenborg statt. Mitten unter den fabelhaftesten Schätzen, die von Dänemarks Königen über die Jahrzehnte angehäuft worden waren. Ein wahrer Tummelplatz für Künstler und Gelehrte.
Saly zeigte sich ebenso beeindruckt wie die anderen Gäste, von denen die meisten das Schloss noch nie hatten betreten dürfen. Mehrere Kammern mit Prunksätteln, Paradewaffen, Rüstungen und prachtvollen Kleidungsstücken. Kostbares Kunsthandwerk, Glas, Porzellan in Schränken und Vitrinen. Und die im Krieg erbeutete Kunstsammlung der schleswigschen Grafen von Gottorf, überall verteilt in den Salons und Prunkkammern. Etwas überwältigt von der Mannigfaltigkeit und Fülle der Gegenstände taumelte Saly hinter den anderen durch die zahlreichen Gänge und Salons. Das Ganze schien kein Ende zu nehmen. Ab und zu blieb man an einem besonderen Gemälde hängen, oder kam zu einem gelungenen Portrait eines Vorfahren, auf das die Prinzessin hinwies, im Großen und Ganzen war das Ensemble allerdings unübersichtlich und planlos. Als hätte man über die Jahrzehnte alles hier hineingestopft. Und das Gebäude war dunkel. Es mochte am roten Stein liegen, der auch im Inneren dominierte oder an den vollgehängte
Wänden und den unmöglich drappierten Möbeln jeder Epoche – man bekam beinahe Atemnot und Beklemmungen. Zumindest befanden sich die Bücher aus der geplünderten Gottorfer Bibliothek, es handele sich immerhin um über tausend an der Zahl, nicht unter diesem Allerlei. Dafür war auf Anraten der Prinzessin eigens eine Bibliothek auf Slotsholmen in erbaut worden, die selbstverständlich jedem Künstler und Gelehrten zur Verfügung stand.
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Wie erleichtert Saly war, als man den roten Salon erreichte, wo die Gäste das Dinér erwartete. Er saß er zwischen Wasserschlebe und Bernstorff. Abgeschirmt und sicher.
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Die beiden Herren hatten ihn mit einer Kalesche aus Charlottenborg abgeholt. Gerade, als der Bildhauer beim Pudern seiner besten Perücke war und sich in einem halb blinden Spiegel, der irgendwo im Atelier herum stand, begutachtete, war Wasserschlebe eingetreten.
„Wir sollten uns ein wenig eilen, da die Prinzessin uns vor den anderen Gästen erwartet. Sie möchte dich vorab treffen. Allein. Also ein kleines Rendevous.“
Wasserschlebe lächelte.
Saly zog sich seinen Rock zurecht, zupfte an seiner Weste herum:
„Kann ich mich so sehen lassen? Mich dünkt, als habe ich eine Erwartung zu erfüllen. Es handelt sich hier um meine ...beste Kleidung ...“ abruptes Schweigen. Melancholisch starrte er in sein benebeltes Spiegelbild. Der Anzug war für die Feier in Bellevue gedacht gewesen, Madame hatte den Rock in Auftrag gegeben, bei ihrem Schneider, in Paris.
Wasserschlebe, der die schwankende Stimmung des Künstlers bemerkte, versuchte diesen mit einem Scherz wieder in die Welt zurückzuholen:
„Du siehst aus wie ein Marquis aus Paris, oder wie ein Duc, nicht unbedingt wie ein Bildhauer!“
Saly sinnierte weiter:
„Obwohl zu meinem Nachteil, will ich mich doch für das Souper bedanken, welches meiner Familie serviert wurde. Denn deine Essensspende der Grund dafür, dass ich genötigt war, die schwere Kleiderkiste aus dem Foyer allein und ohne Hilfe hierher zu schleifen. Jean darf ja nicht schwer heben und sollte auch etwas Warmes bekommen...“
Versteinert starrte er auf den Boden. Im Marmor waren tiefe Kratzspuren entstanden, so wie damals, in Versailles, als sie die Werkzeugkiste über das Parkett im Salon gezogen hatten...Wasserschlebe drängte nun aus dieser Atmosphäre, der Mann musste bei Sinnen bleiben, war es doch ein wichtiger Abend. Er wies nach draußen:
„Die Kutsche wartet und mit ihr Minister Bernstorff...“
Wasserschlebe verschwieg wohlweislich, dass es die Prinzessin gewesen war, die, den Imbiss für die Familie des Franzosen organisiert hatte. Saly hätte die Großzügigkeit nicht verstanden.
Neben der eleganten Kutsche, die von zwei glänzenden Füchsen gezogen wurde, stand ein Lakai, der den Tritt hinunter klappte. Noch bevor Saly einen Fuß darauf setzen konnte, wurde ihm aus dem Inneren des Wagens von Außenminister Bernstorff die Hand gereicht:
„Monsieur Saly! Wie schön euch wieder zu sehen! Ich hörte, ihr und eure Familie habt die Reise gut überstanden. Lediglich eure verehrte Frau Mutter hatte mit einer Krankheit zu kämpfen. Ich hoffe, unser Doktor Berger hat sein bestes getan!“
Saly spürte den festen, unbehandschuhten Händedruck, welcher dazu einlud, sich nicht in des Ministers Schuld zu fühlen. Dennoch war es beschämend, dass er für den Chirurgen, der auf Bernstorffs Vermittlung hin die Kranken wieder zusammengeflickt hatte, noch nicht einmal den Lohn hatte aus eigener Tasche bezahlen können.
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Es hatte bereits gedämmert, als die Kutsche durch die belebte Stadt gefahren war. Über den Nytorv und den großen Boulevard zum Kongenshave, so dass man aus der Ferne das erleuchte Schloss Rosenborg sehen konnte. Bernstorff plauderte, wies auf dieses oder jenes Gebäude und ließ kurz bei einer Kirche halten.
„Ihr werdet heute Abend auch Pastor Cramer treffen, einen meiner engsten Freunde. Den Leiter dieser Gemeinde, die uns Deutschsprachige gewissermaßen zusammenhält. Wir unter uns, als eigenes Völkchen im Exil.“
Der Wagen fuhr weiter.
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Das Schloss von außen wirkte völlig stillos, erinnerte jedoch in weiten Teilen an eine verspielte Abart der Renaissance. Lediglich die Zierden aus roten Ziegeln, die sich vortrefflich vom Grau des Sandsteins abhoben, gaben dem Gebäude Zusammenhalt.
Dem entsprechend die Prinzessin, passender Aufzug und Empfang. Saly spürte sofort, dass diese Frau sehr speziell war. Ebenso speziell wie Madame de Pompadour. Wenn auch in einer völlig entgegengesetzten Weise. Diese Frau war beinahe hässlich. Unterstrichen durch die Wahl der Garderobe. Das überbreite Cul, jenes Untergestell, welches bei den Pariser Damen schon längst passé war, bauschte sich üppig an den Seiten und ließ den die Mitte der Figur untergehen. Noch unvorteilhafter wirkte der steife Kragen, der sich seltsam über eine kropfähnliche Wölbung nahe der Kehle stülpte. Die Vorrichtung ließ den Nacken überlang wirken und betonte die dünne Frisur, welche aus eigenen, stark gekürzten Haaren bestand. Lediglich der Schmuck, den die Dame trug, wies auf die besondere Herkunft hin.
Die Begrüßung gestaltete sich recht beachtenswert. Derweil die Prinzessin auf Saly zuging, fiel nämlich auf, dass jenes altmodische Kleidergestell zu einer Seite stärker schwang. Nur ganz flüchtig, als wenn eine leichte Hüftlahmheit zu kaschieren sei. Noch im Zweifel, was er davon zu halten hatte, umfasste die Prinzessin zutraulich mit beiden Händen Salys Rechte und hieß ihn willkommen.
Worte funkelten Saly an. Und mit jedem glänzte die merkwürdige Gestalt mehr. Die Sätze ließen das Abbild erblühen. Noch nie war ihm Derartiges begegnet. Eine Gestalt, die im Atemzug ihrer sprachlichen Lautäußerung so einvernehmend schön wirkte. Allein wie die Töne Schwingungen erzeugten und im ausladenden Kleid mitvibrierten. Gleichsam um die Taille zitterten. Saly war so sehr von der Erscheinung geblendet, dass er der ausgiebigen Konversation, in welcher sie ihm nach und nach alle Probleme und Sorgen entlockte, gedanklich nicht hatte folgen können. Erst, als die Prinzessin beteuerte, die Familie Saly stünde von nun an unter ihrem persönlichen Schutz, erwachte der Bildhauer aus seiner Trance.
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Bei den Vorspeisen verwickelte man Saly ins Gespräch mit seinem Gegenüber, das ihm als Architekt und Leiter der Kunsthandwerksschule, Herr Eigtved, vorgestellt wurde. Daneben saß Kupferstecher Preisler, der dem folgenden Gespräch zwar aufmerksam zuhörte, sich aber nicht beteiligte. Saly vermutete, dass der Mann es mit der französischen Sprache schwer hatte und sich anstrengen musste, den Sinn der Unterhaltung zu verstehen. Diese beiden Herren waren also die Federführenden. Kurz nach der Annahme des Auftrages hatte man ihm alle Unterlagen über Frederikstad, den neuen, modernen Stadtteil Kopenhagens, nach Paris gesandt. Die Baupläne des dänischen Architekten und die kunstfertigen Kupferstiche Preislers sollten Saly beeindrucken. Auf dem Papier befand sich das neue Schloss im Zentrum. Und in die Mitte der im Rund gelegenen Palais hatte Preisler ein nur schemenhaft umrissenes Reiterdenkmal gesetzt.
In das Gespräch mischte sich nun ein anderer Herr ein, der sich als Drucker ausgab. Berling, so sein Name, hatte den Einfall gehabt, ein kleines Heftchen herauszugeben, das den Stand der Bauarbeiten von Amalienborg dokumentierte. Nun wollte er von Saly wissen, ob sich ein weiteres Pamphlet lohne, welches die Entstehung des Denkmals vom ersten Entwurf bis zur Fertigstellung aufzeige. Sicherlich seien die Bürger Kopenhagens sehr an diesen Dingen interessiert. Der Herr Architekt und sein Kompagnon zeigten sich begeistert und baten Saly um seine Meinung. Verlegen räusperte sich der Franzose:
„Sie müssen wissen, man ist ja gerade erst in Dänemark angekommen. Ich hatte noch keinerlei Gelegenheit, das vorzügliche architektonische Ensemble, dessen Schöpfer hier vor mir sitzen, persönlich in Augenschein zu nehmen.“
Ein wenig zögerlich klingt der berühmte Monsieur Bildhauer aus dem fernen Paris, dachte Eigtved bei sich. Gar nicht so forsch und selbstsicher, wie angenommen. Das könnte ja noch etwas werden. Der Mann hatte sicherlich noch keinen Entwurf in der Tasche.
Vor der Suppe kam der Herr Professor Berger, seines Zeichens Chirurg, an Salys Seite, erkundigte sich nach dem Genesungsfortschritt der Frau Mutter und stellte dem Künstler obendrein Pastor Cramer vor, der neben ihm stand. Man habe ihm, Cramer, schon einiges vom der Familie aus Frankreich erzählt. Ob es denn wohl möglich sei, Monsieur Joseph, der ja wohl ein begnadeter Komponist und Kirchenmusiker sei, einmal persönlich kennen zu lernen? Saly zuckte verdutzt und räusperte sich verlegen:
„Mein Vater spielt ganz leidlich einige Instrumente, darunter auch die Orgel. Leider, verehrter Herr Pastor, kenne ich mich mit der Qualität der Kompositionen, von denen eine Vielzahl vorliegt, nicht aus. Deshalb maße ich es mir nicht an, darüber urteilen zu können.“
„Genau deswegen“, so der Pastor, „würde ich den Musikus gern selber kennen lernen. Und auch ihr Fräulein Tochter, das, so wurde mir gesagt, wahre Anteilnahme für Bedürftige empfinde und ausgesprochene Begabung für die Pflege Kranker habe. Uns fehlen dringend Schwestern für das Spital und die Betreuung weiterer Einrichtungen. Ob man das Fräulein wohl damit belästigen darf?“
Saly zögerte verdutzt. Alle hier waren so freundlich und nahmen ihn und die Seinigen ungemein wichtig. Falls dies keine bloße Taktik war, so schuldete er dem Geistlichen eine Antwort:
„Bitte, mein Herr, besucht uns doch in den nächsten Tagen in Charlottenborg. Es ist zwar noch ein wenig behelfsmäßig dort, aber ich weiß, dass mein Vater und Martine sich über euer Kommen freuen würden.“
Jetzt machte sich die Prinzessin bemerkbar:
„Wartet damit noch einige Tage, Herr Cramer. Die Familie sollte zunächst ihr neues Heim bezogen haben. Man wird Euch dann Bescheid geben.“
Undzu Saly:
„Selbstverständlich, Monsieur, dürft ihr eure Lieben vorab einweihen und ihnen in Aussicht stellen, dass ihre Lage sich bald verbessern wird.“
Dieser strahlende Singsang. Diese Energie.
Dieselbe Aura, bei beiden Frauen.