Читать книгу Makroökonomik und Wirtschaftspolitik - Iris Böschen - Страница 16

1.3.2.2. Das neoklassische Grundmodell

Оглавление

In den neoklassischen Wachstumsmodellen wird nicht mehr wie in dem keynesianischen Modell die Antwort auf die Frage nach der Stabilität des Wachstumsprozesses gesucht, sondern die Antwort auf die Frage, unter welchen Bedingungen stabile Gleichgewichtspfade existieren. Eine Vorhersage des Modells der Wirtschaftswissenschaftler Robert M. Solow (geboren 1924) und Trevor Swan (1918–1989) ist, dass eine Volkswirtschaft umso stärker wachsen kann, je geringer das Pro-Kopf-Einkommen in der Ausgangssituation im Verhältnis zum langfristigen oder gleichgewichtigen Niveau ist. Eine weitere Vorhersage ist, dass das Pro-Kopf-Einkommenswachstum ohne ständige Verbesserungen der Technik stagniert.[12]

In der modellierten Volkswirtschaft wird der Output mit Hilfe von Arbeit und Kapital hergestellt. Es herrscht Vollbeschäftigung. Die Produktionsfunktion ist durch konstante Skalenerträge gekennzeichnet sowie durch fallende Grenzproduktivitäten der Produktionsfaktoren und positive und stetig bestimmbare Elastizitäten der Substitution zwischen den Produktionsfaktoren. Die Substitutionselastizität ist ein Maß für die Leichtigkeit, mit der die beiden Produktionsfaktoren bei konstantem Outputniveau gegeneinander ausgetauscht werden können. (In keynesianischen Modellen können die Produktionsfaktoren meistens nicht gegeneinander ausgetauscht werden). Es wird darüber hinaus unterstellt, dass die Grenzerträge der Produktionsfaktoren gleich den jeweiligen Faktorentlohnungssätzen – Lohn für den Einsatz von Arbeit und Rendite für den Kapitaleinsatz – sind. Das Wachstum der Bevölkerung liegt exogen fest, und weil Altersaufbau, Erwerbsquote etc. als konstant gelten, stimmt die Wachstumsrate der verfügbaren Arbeit mit der Wachstumsrate der Bevölkerung überein. Ein konstanter Anteil des BIP wird dem Kapitalstock als Nettoinvestition zugerechnet. Der Rest wird konsumiert. Dem Modell wird eine lineare Produktionsfunktion zu Grunde gelegt. Es gilt die Annahme, dass die Grenzproduktivitäten der Produktionsfaktoren ihrer jeweiligen Entlohnung, d.h. Lohn bei der Arbeit und Rendite beim Kapital, entsprechen und konstant sind. Bei einem Pro-Kopf-Einkommen von 1000 betragen die Bruttoinvestitionen pro Kopf in der Ausgangssituation 100 und die Abschreibungen auf den Kapitalstock ebenfalls 100 (vgl. Anhang). Weil die Nettoinvestitionen gleich Null sind, verändert sich der Kapitalstock in der Ausgangssituation nicht und damit ist auch das Pro-Kopf-Einkommen konstant. Unter der Annahme, dass die Investitionsneigung in dieser Situation auf 20 Prozent steigt, erhöhen sich im ersten Jahr die |20|Pro-Kopf-Investitionen auf 200, während die Abschreibungen für den Kapitalstock noch bei 100 liegen. Der Kapitalstock pro Kopf nimmt demnach von 1000 auf 1100 (=1000+200–100) zu. Dies steigert auch – allerdings weniger stark – das Pro-Kopf-Einkommen. Dieses beträgt dann 1065. In der zweiten Periode wächst der Kapitalstock nach wie vor, aber weniger stark. Zum einen erhöhen sich die Abschreibungen i.H.v. 10 Prozent auf 110, zumal der Kapitalstock zu Beginn der Periode 2 bei 1100 liegt. Die vom Einkommen abhängigen Investitionen belaufen sich nach wie vor auf 20 Prozent, so dass bei einem Pro-Kopf-Einkommen von 1065 für die Investitionen ein Wert von 213 resultiert. Die Investitionen nehmen damit um 6,5 Prozent gegenüber der Vorperiode zu, also nicht mehr so stark wie zuvor. Das Pro-Kopf-Einkommen steigt auf 1131. Bereits in Periode 3 ergib sich folgendes Resultat: Die Abschreibungen betragen 10 Prozent von 1100+213–110 = 1203, d.h. 120. Die Investitionen liegen bei 20 Prozent von 1131, d.h. sie betragen 226. Der Anstieg beläuft sich nur noch auf 6,1 Prozent gegenüber Periode 2. Das Pro-Kopf-Einkommen liegt nun bei 1197. Das Pro-Kopf-Einkommen ist auch in Periode 3 gestiegen. Der Anstieg ist allerdings weniger hoch. In Periode 2 betrug er 6,1 Prozent gegenüber Periode 1 und in Periode 3 ist nur noch ein Anstieg des Pro-Kopf-Einkommens von 5,8 Prozent gegenüber der Vorperiode zu verzeichnen. Auch der Kapitalstock steigt stetig, jedoch mit abnehmenden Wachstumsraten. Dieser Prozess dauert an, bis die Abschreibungen wieder so hoch sind wie die Investitionen. Unter den genannten Bedingungen ist dies in Periode 199 der Fall (vgl. die Berechnungen im Anhang). Hier verharren der Kapitalstock und das Volkseinkommen auf dem gleichen Niveau. Der sogenannte ‚steady state‘, das langfristige Gleichgewicht, ist erreicht. Eine höhere Sparquote kann dem Modell von Solow zufolge keine stetige Erhöhung des Volkseinkommens herbeiführen. Das wirtschaftliche Wachstum nimmt nur für einen bestimmten Zeitraum zu, nicht dauerhaft. Dieses Ergebnis hängt von der Annahme ab, dass der zusätzliche Kapitaleinsatz bei einem unveränderten Arbeitskräfteeinsatz mit abnehmenden Grenzerträgen verbunden ist.

Anfänglich wurde angenommen, dass die Sparquote konstant ist. Diese Annahme wird beibehalten. Es soll allerdings untersucht werden, wie sich die Konsummöglichkeiten bei unterschiedlich hohen, konstanten Sparquoten verändern. Dieser Analyse liegt die Frage zugrunde, welchen Betrag die Wirtschaftssubjekte investieren sollen, wenn sie möglichst viel konsumieren können wollen. Deutlich ist, dass ohne Nettoinvestitionen die Abschreibungen zu einer Verminderung des Kapitalstocks führen. Die Folge wäre, dass auch die Einkommen gegen Null gehen und nicht mehr konsumiert werden könnte. Demgegenüber würde ebenfalls nichts konsumiert werden können, wenn die Wirtschaftssubjekte ihre gesamten Einkommen investierten. Der Kapitalstock würde zwar stark zunehmen, aber auch die Abschreibungen würden steigen. Es müsste laufend viel investiert werden. Das Optimum liegt zwischen der Nullinvestition und dem Verausgaben des gesamten Einkommens für Investitionen. Empirische Untersuchungen haben ergeben, dass eine Sparquote von 70 Prozent zu maximalen künftigen Konsummöglichkeiten führt (Bofinger 2011, 55ff.). Diese Sparquote wird als ‚goldene Regel der Kapitalakkumulation‘ bezeichnet. Logisch erscheint eine derart hohe Sparquote nicht. Die deutsche Sparquote liegt durchschnittlich in etwa bei 11 Prozent und gehört im internationalen Vergleich zu den höheren.

|21|Überträgt man diesen Gedanken auf die Analyse unterschiedlich weit entwickelter Volkswirtschaften, so wird deutlich, warum die z.T. relativ hohen Wachstumsraten von Entwicklungsländern mit dem Aufbau ihres Kapitalstocks erklärt werden können. China kann als ehemaliges Entwicklungsland und heutiges Schwellenland als Beispiel herangezogen werden: So waren in den 70er und 80er Jahren zweistellige Wachstumsraten eher die Regel als die Ausnahme. Diese Dynamik hat erst in den vergangenen Jahren nachgelassen und Anfang 2016 zu Irritationen auf den Kapitalmärkten geführt.[13] Demgegenüber ist bei Ländern mit einem vergleichsweise hohen Wohlstandsniveau beobachtbar, dass die Wachstumsdynamik weniger hoch ist, weil die Grenzerträge der eingesetzten Produktionsfaktoren zwar positiv sind, der zusätzliche Ertrag aber laufend geringer wird. Es gibt jedoch Ausnahmen. So können der technische Fortschritt und die qualitative Weiterentwicklung des Humankapitals Wachstumsschübe auslösen.

Analytisch bewirkt technischer Fortschritt, dass bei unveränderten Faktoreinsatzmengen ein höherer Output produziert wird. Die Produktionstechnologie kann durch Innovationen optimiert werden. Kontinuierliche Produktinnovationen sind eine ausschlaggebende Bedingung für hohe Unternehmensgewinne. Befördert wird eine kontinuierliche Innovationsfähigkeit sowohl durch eine unternehmensinterne Forschungs- und Entwicklungspolitik als auch durch eine staatliche Grundlagenforschungs- und Bildungspolitik. Ohne technischen Fortschritt können in entwickelten Volkswirtschaften, die eine sinkende Wachstumsdynamik aufweisen, keine Zuwächse der Pro-Kopf-Einkommen realisiert werden.

Mit technischem Fortschritt und der Entwicklung von Produktinnovationen geht die Qualifizierung des sogenannten Humankapitals, die (Aus-)Bildung der Erwerbstätigen bzw. Erwerbsfähigen, einher. In der neoklassischen Produktionsfunktion wird angenommen, dass der Produktionsfaktor Arbeit eine homogene Größe ist. Eine jede Arbeitsstunde führt immer zum selben Output. Diese Annahme ist bei der weniger abstrakten Modellierung des Modells aufzuweichen. Tatsächlich ist die Verbesserung des allgemeinen Bildungsstandes ausschlaggebend für die wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten einer Volkswirtschaft. So können sinkende Grenzerträge des Kapitaleinsatzes kompensiert werden, indem der zunehmende Kapitalstock von immer qualifizierteren Arbeitskräften genutzt wird. Zudem ist beobachtbar, dass in Volkswirtschaften mit zunehmendem Qualifikationsniveau der Dienstleistungssektor sowohl den primären als auch den sekundären Wirtschaftssektor ‚verdrängt‘. Da der Dienstleistungssektor weniger kapitalintensiv ist, als die beiden anderen Sektoren, nimmt das Qualifikationsniveau der Arbeitnehmer einen höheren Stellenwert im Produktionsprozess ein. Ein hohes Qualifikationsniveau beinhaltet zeitgleich, dass mehr Produkt- und Prozessinnovationen entwickelt werden können und technischer Fortschritt umsetzbar ist.

Als Schwächen der keynesianischen und der neoklassischen Wachstumstheorie sind der hohe Abstraktionsgrad zu nennen, die Annahme der Exogenität des technischen Fortschritts, das Fehlen der Berücksichtigung des Humankapitals sowie der |22|Verteilung der Einkommen und institutioneller Faktoren. Zudem wird in den Modellen automatisch das wirtschaftliche Wachstum mit der Veränderung der Investitionen gleichgesetzt. Die Wachstumsrate pro Kopf wird vollständig von der Rate des technischen Fortschritts determiniert. Die langfristige Wachstumsrate des Outputniveaus hängt außerdem von der Wachstumsrate der Bevölkerung ab, die jedoch ebenfalls exogen gegeben ist. Der Tatsache, dass die Umwelt durch wirtschaftliches Wachstum geschädigt werden könnte, wird in keinem der Modelle Rechnung getragen. Es liegt also ein Wachstumsmodell vor, das vieles, nur nicht das langfristige Wachstum erklärt.

Makroökonomik und Wirtschaftspolitik

Подняться наверх