Читать книгу Die Hausarztpraxis von morgen - Iris Veit - Страница 14
2.6 Der Anpassungsprozess 2.6.1 Phasen der Anpassung
ОглавлениеEine chronische Erkrankung ist ein Einschnitt in das bisherige Leben, der für jeden Menschen Verlust, Verunsicherung und Bedrohung bedeutet und das Selbstwertgefühl sowie das Bedürfnis nach Selbstkontrolle beeinträchtigen kann. Das Selbstwertgefühl kann verletzt werden, weil die Krankheit die soziale Stellung, berufliche Tätigkeit, Partnerschaft und Attraktivität gefährdet. Das Bedürfnis nach Selbstkontrolle kann beeinträchtigt sein, weil die Krankheit bisherige Lebenspläne in Frage stellen kann und Entscheidungsspielräume des Kranken so einengt, dass dieser sich der Krankheit ausgeliefert fühlt. An die Veränderungen, die eine chronisch körperliche Erkrankung mit sich bringt, muss sich der Patient anpassen. Dieser Prozess dauert lange und ist durch verschiedene Phasen gekennzeichnet. Am Anfang kann der Patient die Krankheit und ihre Folgen überhaupt verleugnen. Danach ist er hin- und hergerissen zwischen Verleugnung und Akzeptanz und feilscht mit dem Arzt. Jedenfalls sollte der Hausarzt seinen Patienten Zeit geben.
Wie gut Anpassung gelingt, ist davon abhängig, ob der Patient in seinem frühen Leben eine grundsätzliche Zuversicht hat gewinnen können, dass sich Dinge gut entwickeln werden. Hat der Patient in seiner Herkunftsfamilie eine Gelassenheit im Umgang mit Schwerem lernen können oder nicht; oder wurde zügig zu Medikamenten gegriffen, auch wenn es nur Globuli waren? Besonders geprägt ist der Anpassungsprozess davon, ob der Patient über gute soziale Beziehungen heute verfügt. Ein solches Wissen sollte den Hausarzt dazu bewegen, sich für Herkunft und das aktuelle Beziehungsgefüge zu interessieren und im Behandlungsplan auf die Förderung sozialer Bindungen Wert zu legen. Wie ein jeder mit Schwerem umgeht, ist veränderbar und keine in die Wiege gelegte Gabe.