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Vorwort

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Sind Sie eine werdende Hausärztin oder Hausarzt oder überlegen, eine solche zu werden? Sind Sie bereits gestandene Hausärztin oder Hausarzt, die sich in Aus- und Weiterbildung engagieren möchten? Sind Sie auf Fragen oder Situationen in Ihrer praktischen Tätigkeit gestoßen, auf die bisherige Lehrbücher der Allgemeinmedizin unzureichende Antworten geben? Sind Sie vielleicht enttäuscht, dass sich Ihr humanistischer Beweggrund, Mediziner zu werden, im Krankenhaus derzeit kaum realisieren lässt und denken über einen Quereinstieg in die Allgemeinmedizin nach? Dann kann dieses Buch eine gute Hilfe für Sie sein. Wir wollen die alte Frage: »Was ist ein guter Arzt?« für die Allgemeinmedizin neu aufrollen. Denn wir leben in einer Zeit des Wandels, der auch den Hausarztberuf erfasst. Wir wollen ein Nachdenken über die Komplexität der hausärztlichen Aufgabe anregen und den Mut entwickeln, alte Überlegungen neu zu gestalten und relevante Themen wieder einbringen, von denen die Diskussion bisweilen ausgetrocknet erscheint.

Dieses Buch ist im Wesentlichen vor der Covid-19-Pandemie entstanden. Mitten in der Pandemie denken viele über einen solchen Wandel und die Frage, welche Lehren gezogen werden können, nach. Denn die Pandemie hat schon bestehende Konflikte deutlicher hervortreten lassen und gewichtet. Sie verdeutlicht, dass Hausärztinnen und Hausärzte zur Anerkennung komplexer Zusammenhänge gezwungen sind. Das Buch behandelt ebenso wenig die direkten und indirekten gesundheitlichen Folgen des Klimawandels und der Umweltzerstörung. Die Überlegungen in diesem Buch halten jedoch den Fragen stand, die die Pandemie und der Klimawandel bisher aufgeworfen haben. Es ist damit brandaktuell.

Das Hervorstechende am Hausarztberuf ist, dass eine langfristig angelegte, vertrauensvolle und kooperative Beziehung zwischen Patienten und Arzt wesentliches Element der Behandlung ist. Sie sind nicht nur aufgerufen, zu einem Beschwerdekomplex Stellung zu nehmen. Sie sind mit Multimorbidität konfrontiert und mit der Frage, was das Wichtige im gegenwärtigen Moment für ihren Patienten ist. Sie behandeln gleichzeitig andere Familienmitglieder, Nachbarn oder Arbeitskollegen. Sie sind unmittelbar mit der zunehmenden gesellschaftlichen Aufspaltung in Arm und Reich, wachsender Unsicherheit in einer globalisierten Welt mit tiefgreifenden ökologischen Veränderungen, mit Vereinsamung trotz »social media« und den Auswirkungen technischer Evolutionen wie die Digitalisierung konfrontiert. Hausärztliche Versorgung offenbart die Notwendigkeit, den immer noch vorherrschenden dualistischen Standpunkt – hier Soma, da Psyche – zu verlassen und Beschwerden im lebensweltlichen Kontext ihrer Patienten zu verstehen. Gegenwärtig wird der Versorgungsauftrag noch komplexer, weil sich Ärztinnen und Ärzte eine ausgewogene Work-Life-Balance und eine Berücksichtigung ihrer Gefühle wünschen. Die Aufgaben in Lehre und Weiterbildung sowie Forschung sind über die unmittelbare Versorgung hinaus hinzugetreten.

Eine Annäherung an diese Komplexität soll mit diesem Buch versucht werden. Es geht darum, Zusammenhänge zu verstehen. Schon in die Beschreibung der Phänomene fließt unterschiedliches philosophisches Denken der Autorin und Autoren ein. Sie sind mit psychodynamischen und systemischen, den altgriechischen aristotelischen Denktraditionen und der Denktradition, aus der die Neue Phänomenologie stammt, und der evidenzbasierten Medizin verbunden. Aber wir denken nicht nur, wir sind alle langjährig als Hausärzte und in der Aus- und Weiterbildung tätig und zeigen dies an einer Fülle von hausärztlichen Fallbeispielen. Wir haben in diesem Buch versucht, das Gemeinsame für die medizinische Versorgung herauszustellen und Brücken zu bauen, wo Begriffe das Trennende markieren. Nicht immer ist uns das gelungen. Daher werden unterschiedliche Denktraditionen und daraus resultierende Ansichten manchmal nebeneinanderstehen. Aber es ist einer der wenigen Versuche, das Verbindende zu unterstreichen und im Lichte langjähriger reflektierter hausärztlicher Praxis in ein Lehrbuch zu filtern, das die Allgemeinmedizin als Bewahrer einer humanistischen Tradition in der Medizin sieht, einen Auftrag, den sie von der Psychosomatik vergangener Jahrzehnte übernommen hat, die sich heute überwiegend als Gebietsmedizin präsentiert. Die Begriffe Beziehungsmedizin, Personen-zentrierte Medizin, salutogenetische Orientierung oder ärztliche Lebenskunst sind ähnliche Begriffe für ein verwandtes Anliegen. Die Begrifflichkeit ist offen, das Anliegen nicht.

Sicher ist, dass eine hohe Sachkompetenz für den hausärztlichen Versorgungsauftrag erforderlich ist, die zu fördern sich bisherige Lehrbücher der Allgemeinmedizin zur Aufgabe gemacht haben. Diese Sachaspekte werden wir in diesem Buch nicht wiederholen. Erfahrungswissen muss jeder selbst sammeln. Weisheit lässt sich nicht lehren oder gar von oben herab verordnen, wohl aber Wege und Methoden, um eine solche zu gewinnen. Daher versuchen wir, nicht nur bei der Beschreibung der komplexen Phänomene stehenzubleiben, sondern zu entwickeln, welche Kompetenzen für eine reflektierende Praxis wesentlich sind. Dazu gehört die Kompetenz der Selbstbeobachtung und des Nachdenkens über sich selbst, kommunikative Kompetenz und die Fähigkeit zur Kooperation. Wir wollen nicht nur Denkanstöße geben, sondern auch Handlungsanleitungen mit konkreten Formulierungsvorschlägen. Diese verbalen Interventionshilfen sind in den entsprechenden Kapiteln besonders hervorgehoben. Wir verweisen auf Internetquellen, wo Sie ergänzende Informationen für sich oder Ihre Patienten finden können. Am Ende steht ein Entwurf eines Bildes der Hausarztpraxis der Zukunft, das sowohl Kompetenzen als auch Strukturen einschließt. Daher versteht sich dieses Buch als ein ergänzendes Handbuch für werdende Allgemeinmedizinerinnen und Allgemeinmediziner und für Weiterbilderinnen und Weiterbilder. Insofern es die ganze Vielfalt hausärztlicher Behandlungskunst darzustellen versucht, ist es eine Werbung für den hausärztlichen Beruf, der so spannend und kreativ ist wie kaum ein anderer.

Obwohl die einzelnen Kapitel aufeinander abgestimmt sind, ist jedes Kapitel einzeln verständlich.

Wir danken allen Kolleginnen und Kollegen, die uns beim Schreiben unterstützt haben.

Wir bitten um Verständnis, dass aus Gründen der besseren Lesbarkeit überwiegend die männliche Form in einem neutralen Aspekt als Personenbezeichnung benutzt wird. Manchmal sind wir davon abgewichen, wenn wir annahmen, dass Ihre Vorstellungen beim Lesen von Genderaspekten beeinflusst sein könnten.

Komplexität anerkennendes Denken macht neugierig, kreativ und kooperativ und aufmerksam gegenüber den Auffassungen anderer. In diesem Sinn wünschen wir Ihnen eine anregende Lektüre.

Iris Veit, Harald Kamps, Bert Huenges und Torsten SchütteAugust 2020
Die Hausarztpraxis von morgen

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