Читать книгу Die Tote im Dominastudio - Isabella Bach - Страница 12
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ОглавлениеVor einer Woche:
Der Mann stand im grellen Lichtschein einer Taschenlampe, unsicher wie ein kleiner Junge am ersten Schultag.
Rammstein hämmerte und kreischte aus zwei Lautsprecherboxen.
Felicitas Heyn alias Lady Caprice leuchtete die nackte Gestalt in der Zimmertür bis in die letzte Pore aus, betrachtete die zugekniffenen Augen.
Der Mann kreuzte die Hände über seinem Geschlecht.
Die Domina saß auf einem hohen Sessel am anderen Ende des Raumes, schwarzes Leder auf schwarzem Samt. Die Beine der Five-Pocket-Nappalederhose lässig gespreizt, genoss sie das Schauspiel. Auf ihrem herzförmigen Gesicht spiegelte sich Verachtung. Sie erkannte über fünf Meter Entfernung, wie das Spielobjekt vor Aufregung zitterte. Felicitas hatte ihn von der Dusche ohne Bademantel über den Flur des SM-Studios Carpe Noctem gehen lassen: Die erste Prüfung.
Lady Caprice klickte auf die Fernbedienung. Die Musik erstarb.
Der Mann schüttelte seinen Kopf.
Felicitas hob das Kinn und strich sich durch ihr weißblondes, fedrig geschnittenes Haar. Es reichte im Nacken bis zum Beginn ihrer Schulterblätter. Der Ausschnitt ihres Leder-T-Shirts war moderat. Auf einen einengenden BH hatte sie verzichtet. Die Domina beobachtete amüsiert, wie die plötzliche Stille den Gast irritierte.
Okay, Willi, dann wollen wir mal sehen, ob du zum Sklaven taugst. Felicitas wäre wegen der Doppeldeutigkeit des Namens beinahe in ein unpassendes Kleinmädchengekicher ausgebrochen. Der Spitzname für den Penis in der englischen Sprache war unfreiwillig komisch. Aber sie beherrschte sich, wollte unter keinen Umständen eine menschliche Regung zeigen. Das fiel ihr nicht leicht, denn ihre Spezialität waren verbale Erniedrigungen, bei denen sie sich prächtig amüsierte. Die Domina demütigte Männer mit Vorliebe auf dem schmalen Grat zwischen unnachgiebiger Grausamkeit und Situationskomik. In ihren Sessions gefiel sich Felicitas in der Rolle des bösartigen Kobolds. Sie war eine Spaßmacherin, vordergründig, hinterlistig – je nach Laune. Trotzdem unterdrückte Lady Caprice das Grinsen, das sich auf ihrem Gesicht breitmachen wollte. Macht lächelt nicht. Sie legte die lederbehandschuhten Finger um den Kettengriff und schwang die Kutscherpeitsche durch die Luft. »Tür zu!«
Das Spielobjekt zuckte unter dem Knall zusammen, schloss eilfertig die Zimmertür.
»Jeder meiner Befehle wird mit einem Ja, Herrin! quittiert.« Felicitas wusste, dass ihre dunkle Stimme trotz der Härte eine Wärme barg, die jeden zwischen null und hundert Jahren in einen Bann zog.
Der Nackte verbeugte sich. »Ja klar, mach ich!«
»Wie heißt das?«
»Ja, Herrin!«
»Einen Schritt nach vorne! Arschbacken zusammenkneifen! Hände neben den Körper!«
Der Mann setzte einen Fuß vor den anderen, zögerte.
Unwillig beugte Lady Caprice ihren knabenhaften Körper nach vorne. Die Peitsche schnitt erneut durch die Luft. »Wird’s bald, du professionelle Null, oder soll ich dir deine Eier hoch bis zu den Ohren ziehen?«
Der Mann riss seine Augen weit auf, stand stramm. »Ja, Herrin!«
Die Domina sah mit Genugtuung, wie sich Schweißtropfen auf seiner Stirn bildeten. Sie fixierte den großen Mann verächtlich. Seine Haut zeigte die Bleiche von Fischgräten.
Der neue Gast hatte im Vorgespräch unfroh gelacht. »Tausende von Angestellten tanzen nach meiner Pfeife. Trotzdem ist da eine Leere in mir.« Seine Hand nestelte nervös am Seidenschlips.
Felicitas verstand. »Ist das heute dein erstes Mal?«
Der Gast nickte.
Felicitas las in seinen wässrig grauen Augen Resignation. Sie hob aufmunternd eine Hand. »Lass’ mich raten: Du hast es satt und willst nicht immer stark sein; aber Frauchen ist eine Dame. Sie könnte dir deine Neigungen niemals verzeihen.«
Der Gast nickte verzweifelt. »Das wäre das Ende unserer Ehe. Ich liebe meine Frau.« Er hüstelte. »Aber manchmal öden mich ihr Sanftmut und ihre Rechtschaffenheit an. Verstehen Sie das?«
Felicitas Heyn strich sich über den Pony. Die Nöte des Wirtschaftsbosses waren nicht gerade neu. Sie lächelte, aber ihre Augen blieben unbeteiligt. »Aber sicher, Wilfried.«
Natürlich nannte Dr. Wilfried Birnbaum nicht seinen Klarnamen. Im selben Atemzug offenbarte der Gast der Domina seine bürgerliche Existenz – mit Gesten, die seine Worten Bedeutung geben sollten.
Felicitas hob eine Augenbraue. »Langweile mich nicht. Wie sehen deine schmutzigen, kleinen Begierden aus?«
Der Gast legte die Hände in den Schoß. »In der Schule habe ich meine wunderbar strenge Mathematiklehrerin verehrt: Fräulein Brecht.« Mit hochrotem Kopf erzählte der Bankdirektor, dass er in der fünften Klasse mit Absicht ein Heft unter ihren Pult hatte fallen gelassen. »Alle außer mir waren schon in der Pause. Ich bückte mich hinunter und streifte mit der Innenfläche meiner Hand über das weiche Leder ihrer kniehohen schwarzen Stiefel. Ein Schauer kroch bis unter meine Kopfhaut. Aber noch schärfer fand ich die Ohrfeige, die das Fräulein mir dann verpasste.« Birnbaum seufzte tief auf. Er spielte mit dem Siegelring an seinem kleinen Finger.
Nach zwei Jahren in dieser Branche wunderte sich Felicitas über nichts mehr. Dr. Wilfried Birnbaum zog die Brieftasche aus der Innentasche seines perfekt sitzenden Anzuges und überreichte der Domina seinen Tribut.
Felicitas fächerte die Geldscheine zwischen den Händen auf. Ihr Teint blieb hell und kühl. »Tja, Strafe muss sein!« Der Satz löste in ihrem Kopf ein Stakkato von Bildern aus: eine karge Zelle; das Kreuz; die Marienstatue mit dem fröhlichen kleinen Jesus; Gott, der so eiskalt war wie die holprigen Steinböden damals im Kloster. Felicitas verspürte eine schmerzhafte Enge in ihrer Brust. Hastig schob sie die inneren Schnappschüsse zur Seite und räusperte sich: »Ich weiß genau, was du brauchst. Die Frage ist nur: Soll ich es dir wirklich geben?«
Dr. Wilfried Birnbaum starrte sie verwirrt an.
Die Domina triumphierte. Sie würde eine Menge Spaß mit dem Novizen haben.
Und jetzt war es soweit. Lady Caprice erhob sich katzengleich vom Sessel und zupfte an ihrem Lederstirnband. Die Sporen ihrer Cowboystiefel klackten auf dem Steinboden. »Komm näher! Langsam!«
Mit unsicheren Schritten bewegte sich der Mann auf sie zu.
Die Domina knipste die Taschenlampe aus. Laternenförmige Leuchten an den Wänden tauchten schwere Chintzvorhänge, ein Bett und diverse Gerätschaften in ein halbseidenes Licht. »Augen auf!«
»Ja, Herrin!«
Sie sah mit Vergnügen, wie ihr Objekt – vor ein paar Sekunden noch geblendet – erst in das Halbdunkel hinein blinzelte und dann erschrocken den weißen Gynäkologenstuhl anstarrte.
»Augen geradeaus! Wenn du noch einmal etwas anderes tust als genau das, was ich befehle, wirst du es bereuen!«
Felicitas hatte ihm im Vorfeld erklärt, dass er sich würdig erweisen müsse, ihr dienen zu dürfen.
Der Mann drehte hektisch den Kopf.
»Hinknien, du genetischer Müll! Stirn auf den Boden! Hände neben deine Matschbirne!«
Dieses Mal gehorchte der Gast sofort. »Ja, Herrin!«
Lady Caprice grinste breit. »Wage es nicht, auch nur den kleinen Finger zu rühren!«
Das Objekt erstarrte in Bewegungslosigkeit.
Felicitas reckte das Kinn nach vorne, summte Monty Pythons Always look on the bright side of life und schlenderte zurück zu ihrem Thron, setzte sich, legte gemütlich den linken Stiefel über den rechten, schaute sich den neuen Gast über eine Minute lang reglos an, genoss es, dass der brav in der befohlenen Stellung verharrte.
Die hoch gewachsene Frau dehnte genüsslich die Arme zur Seite, rieb den Rücken an der weichen Lehne, dachte an den Weißkopfadler, den sie sich am Anfang ihrer Domina-Karriere hatte stechen lassen. Er breitete seine Schwingen zwischen ihren Schulterblättern aus und reichte bis zum Steißbein. Gegen die Heftigkeit des Schmerzes während der Tätowierungssitzungen war ihr die Geburt ihrer Tochter Karolin als ein Spaziergang erschienen, weil Felicitas die Tortur innerhalb von zwei Tagen über die Bühne bringen wollte. Sie hatte die Qualen klaglos erduldet, war gestärkt daraus hervorgegangen – eine Demonstration, dass sie die alleinige Herrin über ihren Körper war. Ihr persönlicher Triumph über den Schmerz. Statt im Außen nach einer Kraftquelle zu fahnden, wollte sie mit diesem Symbol ihre innere Energie mobilisieren. Sieh mich an, Gott, deine Tyrannei kann mir nichts mehr anhaben - ich bin frei. Denn wer andere beherrscht, ist stark. Wer sich selbst beherrscht, ist mächtig.1 Felicitas’ Atem durchdrang als ein feines Zischen die Stille des Raumes.
Der Sklave zuckte zusammen.
Die Domina lächelte in sich hinein. Das Motto ihrer Homepage Lady Caprice – der Name ist Programm! ging hundertprozentig auf.
Felicitas spürte, wie Birnbaum in seiner demütigen Haltung vor Spannung vibrierte. Der Herr Bankdirektor bot einen wunderbar jämmerlichen Anblick. Die Fingerspitzen der Lady Caprice kribbelten. Ich habe alles unter Kontrolle. Nicht zum ersten Mal stellte Felicitas mit Verwunderung fest, dass die Macht über einen anderen Menschen ihr ein ähnliches Geborgenheitsgefühl vermittelte, wie sie es als Nonne im Kloster empfunden hatte. Dominanz und Unterwerfung: zwei Schwestern im Geiste. Ein winziges Lächeln huschte über ihren Mund. Tja, Gott, aber heute entscheide ich, was passiert! Hier im Studio fühlte sie sich sicher.
Lady Caprice griff nach der Peitsche, schnalzte mit der Zunge und stand auf, stellte lautlos eine Stiefelspitze neben die Finger ihres Gastes. Sie roch seinen Schweiß, seine Angst. Die Domina sog den unwiderstehlichen Duft tief in sich auf. »Nicht bewegen!«
Eine Ader an Birnbaums Hals pulsierte. »Ja, Herrin!«
Felicitas umrundete den nackten Körper, ließ ihn nicht aus den Augen. Die breiten, niedrigen Sohlen der leicht spitzen Krokodillederschuhe verliehen einen guten Stand. Lady Caprice verabscheute High Heels. Sie verweigerte sich diesen Marterwerkzeugen, wurde den Verdacht nicht los, dass Männer diese Art Schuhe erfunden haben, damit sie ihre Frauen am Weglaufen hindern konnten. Minis, Korsagen und Netzstrümpfe hielt sie für unbequemes Nuttengedöns. Ihr einziges Zugeständnis war ab und an ein Push-up-BH.
Die Absätze der Domina klackten in der Stille. Sie blieb vor Birnbaums Stirn stehen, beugte sich nach vorne und blies ihm ihren Atem in den Nacken. Die winzigen Härchen stellten sich wie auf Befehl auf. Der Herr Bankdirektor stöhnte.
»Still, Kretin! Los, Stiefel lecken!«
Das Objekt streckte nach einem kurzen Zögern seine Zunge heraus, fuhr hektisch mit der Spitze über den Lederspann ihrer schuppigen Stiefelletten.
»Langsamer! Mit mehr Leidenschaft!«
Die Zunge des Gastes glitt breit und feucht den Stiefelschaft hinauf und wieder hinunter, zehn Minuten lang. Ein Glücksgefühl durchrieselte Felicitas. Das archaische Machtspiel hat begonnen.
»Gar nicht schlecht für eine erbärmliche Wanze. Jetzt darfst du in der Hocke tanzen.«
Der Bankdirektor blinzelte irritiert.
»Los, Lahmarsch! Tanz!«
Der Sklave ging zögerlich in die Hocke und hopste durch den Raum.
»Sehr schön. Und jetzt sing:
Auf der Mauer, auf der Lauer
sitz ich kleine Wanze.
Seht mich kleine Wanze an,
wie ich tanzen kann!«
Der halb erigierte Penis des Objekts schlug gegen die angespannten Oberschenkel.
»Auf der Mauer, auf der Lauer
sitz ich kleine Wanze.«
»Lauter!«
»Seht mich kleine Wanze an,
wie ich tanzen kann!«
»Fein.«
Die Domina schwang ihre Peitsche durch die Luft. Wenige Zentimeter über Birnbaums Kopf hinweg hallte der Knall von den Wänden wider. Der Wirtschaftsboss zog mit einem Ruck die Schultern zu den Ohren. Panik stand in seinem Gesicht.
Meine Fresse, Birnbaum, dachte Felicitas, wenn deine Angestellten wüssten, was du hier treibst …! Ich wette, für die Sekretärin wäre das ein echter Schenkelklopfer. »Was ist, Willi Winzig? Machst du etwa schon schlapp? Ich habe doch gerade erst mit dem Unterricht begonnen.« Der intelligente Mann als Volldepp. Köstlich!
Lady Caprice lachte – laut, höhnisch, böse.
Ihre Brustwarzen drückten gegen das anschmiegsame Lederhemd.
1Lebensweisheit von Lao-Tse. Anmerkung der Verfasserin (ebenso wie alle folgenden Anmerkungen)