Читать книгу Die Tote im Dominastudio - Isabella Bach - Страница 16

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DREI STRASSEN vor dem Ziel ging Kajira auf, dass Dark Raven »oben« gesagt hatte. Mein Gott, »oben«! Ihr Herz fühlte sich an, als würde es vor Freude einen Salto schlagen. Er wollte sie tatsächlich in seinem Haus haben, in seinem Wohnzimmer, vielleicht sogar in seinem Schlafgemach. Adrenalin schoss durch ihren Körper. Seit 18 Monaten zitierte Gabriel sie in unregelmäßigen Abständen in seinen perfekt ausgestatteten Dungeon – ein Keller, in dem Schmerz und Lust sich die Hand gaben –: mit Pech versiegelte Wände, Kopfsteinpflaster, Standkäfig, Verlies, in die Wand gerammte schmiedeeiserne Ketten, Streckbank. Schraubzwingen. Der Sado musste ein Vermögen für sein Inquisitoren-Paradies aus dem Mittelalter hingeblättert haben.

Sein merkwürdiges Verhalten während der Session vor zehn Tagen in der Folterkammer hatte die Sklavin in Verwirrung gestürzt. Sie biss die Lippen zusammen. Eine diffuse Angst verwandelte ihre Finger auf dem Lenkrad in Eiszapfen. Sie stieg aus dem Auto. Ihre Knie waren weich.

Oben! Eine winzige Hoffnung machte sich in Daniela breit. Wir sind uns ungewöhnlich nahe gekommen. Wollte er sie heute Nacht zu seiner Haussklavin ernennen? Ihre Wangen glühten vor Aufregung. Kochen, putzen, waschen, ihm jederzeit bedingungslos dienen. Sie seufzte. Ihr größter Traum. Aber bin ich - eine nutzlose Kreatur - der Aufmerksamkeit des gefragtesten Sados der Stadt würdig? Kajiras Herz setzte einen Takt aus, wie immer, wenn sie das Auto vor dem Gebäude abstellte, das den Namen Domizil verdiente. Es sah von außen aus wie eine Burg: grobe graue Steine, Türmchen, schmaler Graben rund um das gesamte Grundstück, Minizugbrücke vor der Eingangstür.

Gabriel von Regenstein öffnete. Die Masochistin starrte ihn an. Anstelle eines Anzuges trug er einen lässig geknoteten Morgenmantel aus schwarzer Rohseide. Sein straffer Körper überragte sie um Kopflänge. Der Bauch war fest. Er wirkt auf keinen Fall wie ein alter Sack von 41. Die bloßen Füße steckten in mittelalterlichen Stulpenstiefeln aus braunem Wildleder. Das glatte Gesicht sah aus wie höchstens 30. Nicht nur deshalb erinnerte er Daniela an Oscar Wildes ewig jungen Dorian Gray. Unter dem Blick seiner gelben Tigeraugen mit der dunklen Iris betrat sie den quadratischen Flur. Er roch nach Lavendel und Eichenmoos. In Gabriels welligem, schwarzem Haar schimmerten Wassertropfen. Mit einem Scheitel in der Mitte fiel es auf seine breiten Schultern. Die silberne Schneide des Kurzschwertes, das der Gentleman-Sado in seiner Hand hielt, glänzte im sanften Licht.

Kajira erschauerte wohlig unter den Deckenleuchten, die aussahen wie Ufos im Landeanflug. Eine gelungene Überraschung.

Dark Raven schaute sie ausdruckslos an. »Mantel ausziehen!«

Die Sklavin konzentrierte sich. Sie wollte jede Silbe verinnerlichen.

»Ja, Herr und Meister!« Kajira ließ den Mantel auf die Schachbrettfliesen fallen. Ihr Schoß kribbelte. Das Spiel der absoluten Unterwerfung beginnt.

Der Blick des Dom fiel auf ihre durchnässten Schuhe und das Schlafhemd. »Badelatschen und Schottenkaro.« Er schüttelte den Kopf, kräuselte die Nase. »Wieso mutest du ausgerechnet einem Ästheten wie mir derartig grausame Geschmacksentgleisungen zu?«

Heiße Röte stieg Daniela vom Hals hinauf ins Gesicht.

Gabriel von Regenstein ließ seine Maßanzüge vom ersten Schneider der Stadt bauen, wie er es so wundervoll ausdrückte. Kajira liebte es, wenn ihr Gebieter sich fein anzog, sich in der Öffentlichkeit höflich und gewählt ausdrückte. Der englische Akzent rundete das Bild eines Gentlemans ab. Warum die meisten Sados jedoch selbst auf den Bizarr-Parties keine SM-Klamotten trugen, war ihr zu hoch. Auf den ersten Blick sah Dark Raven aus wie ein Latin Lover im Edelzwirn.

Sie fühlte den kalten Stahl des Schwertes unter ihrem Kinn. »Antworte mir, Sklavin!«

Kajira traute sich kaum zu atmen. »Ich sollte in meinen Schlafklamotten kommen, in meinem Hausschuhen.«

Der Dom knurrte und erinnerte das Mädchen an einen wütenden Hund. »Das renitente Stück Scheiße will mir also sagen, dass ich schuld bin, wenn es aussieht wie ein Mülleimer?« Er packte sie mit der freien Hand an den Haaren, zog sie nach hinten, zwang sie auf die Knie.

Daniela spürte den Schmerz. Nie hatte sie sich lebendiger gefühlt als in seiner Gegenwart. Reflexartig wollte sie den Kopf schütteln. Es blieb bei einem Versuch. »Nein, mein Gebieter, es ist allein meine Schuld. Sie bestimmen die Regeln. Ich verdiene eine Strafe.« Sie genoss den harten Griff im Nacken. Oh Gott! Seine Hand auf ihrer Haut ließ sie erschauern.

»Nicht so vorlaut, Kajira. Ich entscheide, wann du leidest.«

»Natürlich, Herr.«

»Aufstehen!«

Die Lüsternheit in seinen Augen war ein Versprechen.

Kajiras Wangen glühten.

Dark Raven führte das Kurzschwert vor ihrer Nase in einer eleganten Bewegung durch die Luft. Ohne Übergang packte er das Schlafhemd am unteren Ende und schlitzte es bis zu zum Hals auf. Der grobe Stoff plumpste von Danielas Schultern.

Er ließ sie abrupt los. Kajira stolperte, fiel, kniete nackt vor ihm, keuchte vor Erregung. Schweiß rann von den Brüsten über die Rippen zu ihrer Bauchkuhle in den Nabel.

»In den Saal!«

Die Sklavin schwankte in einen klassischen Rittersaal. Er war fünf Mal so groß wie ihre gesamte Wohnung. Kajira starrte auf eine lange Tafel, auf lederbezogene Stühle mit hohen Lehnen, auf schmiedeeiserne Kerzenlüster; selbst die Rüstung fehlte nicht. An natursteinernen Wänden hingen Schwerter von unterschiedlicher Größe neben lodernden Fackeln.

Sie konnte ein »Wow!« nicht unterdrücken.

Der Dom drehte sich um. »Schweig! Anziehen!«

Er reichte Kajira Fußketten, die sie routiniert über ihre Knöchel zog.

Dark Raven befahl seiner Sklavin, sich die Augen mit einem Lederstreifen zu verbinden. Dann kettete er ihre Hände auf den Rücken und drehte sie um die eigene Achse.

Mit dieser Bewegung streifte sie endgültig allen Ballast ab. Jetzt hielt allein der Meister ihr Leben in seinen Händen. Kajira genoss den Moment der Schwerelosigkeit, die Freiheit der Fesseln. Ihr Herz klopfte vor Vorfreude stürmisch gegen die Brust.

Dark Ravens Schritte entfernten sich.

Die Sklavin lauschte in die dumpfe Stille.

»Zu mir!«

Kajiras nackte Füße tasteten nach vorne. Die Fußketten klirrten auf dem Steinboden, hämmerten gegen ihre Knöchel. Oh du köstlicher Schmerz! Die Stimme des Meisters geisterte von einer Ecke zur anderen. Das Mädchen folgte ihr willig. Der Dunkle Rabe verhöhnte und beschimpfte sie. Die Sklavin genoss seine ungeteilte Aufmerksamkeit.

Als Kajira ihren Herrn fand, war ihr Mund staubtrocken.

»Niederknien!« Der Sado schob die Binde auf ihre Stirn.

Die Augen der jungen Frau weiteten sich vor Überraschung. Was für ein Anblick! Er saß breitbeinig auf dem Stuhl an der Stirnseite der Tafel, den Gürtel des Morgenmantels gelöst, das Kurzschwert in der Hand. »Blas mir einen!« Er schob das Leder zurück über ihre Augen.

Daniela war glücklich. Was für ein Privileg! Sie roch seinen warmen Schoß; spürte, wie seine Härte ihren Mund ausfüllte. Er schmeckte wunderbar. Die kalte Schneide am linken Ohr gab ihr den Kick. Dark Raven bewegte sich kein Jota, blieb stumm. Erst am Ende stieß er so fest zu, dass die Sklavin auf den Rücken fiel. Ihr Steißbein knallte mit Wucht gegen den Boden. Gabriels Lebenssaft floss aus dem Mund in Kajiras Kehle. Sie schluckte und leckte genießerisch die letzten Tropfen von den Lippen, mit der seligen Gewissheit, den Geliebten in sich aufgenommen zu haben.

Gabriel riss die Binde von ihrem Kopf.

Kajira verneigte sich voll Demut. »Danke, Herr!«

Er befreite ihre Hände, warf den Schlüssel für die Fußfesseln auf den Boden.

Sie wagte einen kurzen Seitenblick auf sein Gesicht und erschrak.

Ein Mundwinkel des Doms zuckte. Er rümpfte seine Nase, als würde er etwas besonders Ekliges sehen. Das Herz der Sklavin zog sich schmerzhaft zusammen. Dark Raven riss das Hundeband von ihrem Hals, zeigte auf die mit Messing beschlagene Eichenholztür. »Geh!«

Oh Gott, ich habe ihn enttäuscht! Angst kroch Kajiras Hals hinauf. »Bitte schicken Sie mich nicht weg.«

Auf Gabriels Stirn erschienen Zornfalten. »Was?«

Die Sklavin nahm all ihren Mut zusammen. »Bitte! Sie können alles mit mir machen. Alles!«

Kajira sah die Faust nicht kommen; aber sie hörte, wie ihre Nase brach. Sie schluckte, hieß den brennenden Schmerz willkommen.

»Hier ist dein Lohn. Und jetzt geh’ mir ein für alle Mal aus den Augen, Daniela. Du ödest mich an.« Dark Raven dehnte ihren bürgerlichen Namen. Seine Stimme war voller Verachtung.

Die junge Frau sperrte den Mund auf. Sie konnte nicht durch die Nase atmen. Warmes Blut tropfte auf ihre Füße. Nicht hinsehen! Sie kämpfte gegen eine Ohnmacht an. Er hat mich Daniela genannt – nicht Kajira! Von jetzt an war sie eine namenlose Sklavin ohne Herr. Weniger wert als die Ausscheidungen eines armseligen Wurms; ein Nichts. Ihre Glieder fühlten sich taub an, ohne Leben. Sie spürte nicht, wie die Nase anschwoll, wie das Brennen sich bis unter die Augen ausbreitete. Eng in den Trenchcoat gehüllt, schlich Daniela wie ein geprügelter Welpe aus der Burg. Wieso schickt er mich weg? Was habe ich falsch gemacht?

Im Auto entdeckte die junge Frau, dass sie ihren Wohnungsschlüssel vergessen hatte.

Die Tote im Dominastudio

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