Читать книгу Die Tote im Dominastudio - Isabella Bach - Страница 17
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ОглавлениеFELICITAS HEYN saß auf der Couchlandschaft im Aufenthaltsraum des Carpe Noctem. Mit dem Rücken zur Wand verspeiste sie Sushi satt. Ihr Handy spielte I’m always on the bright side of life. Felicitas meldete sich. »Hi, Bernie, wie geht es dir?«
»Bestens, liebste Fee. Was hältst du davon, wenn ich dich nächste Woche Dienstag am Abend im Studio besuche?«
»Sehr viel. 21 Uhr würde passen; und die Karten für unsere SM-Kabarettveranstaltung am Samstag habe ich auch schon.«
»Klasse, ich freu’ mich drauf. Mach’s gut.«
»Du auch. Tschüss!« Felicitas klappte das Handy zu und bettete ihre Krokodillederstiefel auf einen Stoffhocker. Die Domina lächelte. Bernadette arbeitete mit großer Leidenschaft als Drehbuchautorin. Momentan recherchierte sie für einen Kriminalfilm, der im SM-Milieu spielen sollte. Felicitas schätzte die Freundin sehr. Sie war mittlerweile – abgesehen von Marlene – ihr einziger sozialer Kontakt, den sie außerhalb der sadomasochistischen Szene pflegte. Die Domina hatte in den letzten zwei Jahren alle anderen Freundschaften einschlafen lassen. Das so genannte normale Leben langweilte sie. Die dunkle Macht des SM-Paralleluniversums zog Felicitas ebenso in den Bann, wie es vor Jahren das Klosterleben getan hatte. Ohne Bernadette wäre Lady Caprice eine 24/72-Domina, würde ausschließlich in einer Schattenwelt leben.
Eine junge Frau mit dem Gesicht eines Teenagers öffnete die Tür zum Aufenthaltsraum des Studios. Klein, zarte Figur, eingeschnürte Wespentaille, Faltenminirock mit Karos. Über einem flachen Bauch wölbte sich das Ergebnis eines chirurgischen Eingriffs. Felicitas dachte an die Moderatorin und Autorin Sonya Kraus, die die in eine Korsage gezwängten Brüste als Pornohupen bezeichnen würde.
Die Domina grinste in sich hinein. Sie war froh über ihren kleinen Busen, dem die Erdanziehungskraft auch ohne BH wenig anhaben konnte.
Paula Otterstedt alias Jazz steuerte auf sie zu. Über ihrer Schulter hing ein riesiger schwarzer Wildlederbeutel. Das Mädchen trug immer ihren gesamten Hausrat mit sich herum. Sie guckte irritiert. »Ich dachte, du hast gerade einen Gast in der Mangel.«
Lady Caprice feixte. »Der büßt die nächsten zwei Stunden in Ketten auf einem Bein im Standkäfig.«
»Aber das ist doch der Minister, den ich gestern Abend in den Nachrichten gesehen hab.« In ihrer Stimme schwang Empörung. Jazz hockte sich neben Felicitas auf den Polsterrand.
Die Domina zuckte gelangweilt mit den Schultern. »Der scheißt auch nicht parfümiert.«
Die Neunzehnjährige schüttelte ihren kastanienrot gefärbten Pagenkopf. »Meine Fresse, bist du heute wieder auf locker gebürstet!«
Felicitas schob sich unbeeindruckt ein Stück eingelegten Ingwer in den Mund.
Jazz kaute an der Nagelhaut ihres Mittelfingers. »Du meinst, während du hier gemütlich sitzt und dir die Wampe vollschlägst, schmort dein Promi da hinten in seinem eigenen Saft?«
Felicitas lachte. »Ich bin heute gnädig. Er darf alle zehn Minuten das Bein wechseln.«
Jazz schaute ungläubig. »Der Arme! Und dafür zahlt der den vollen Preis?«
»So läuft das bei einer Langzeiterziehung. Ich habe ihn nach einer Reihe von saftigen verbalen Demütigungen mit Eiswürfeln und heißem Wachs behandelt. Er ist unter dem Druck von ein paar Hodenklammern durch den Raum getanzt. Jetzt darf Anton darüber nachdenken, was für ein Arschloch er ist.«
»Echt krass.« Paula kicherte albern. »Mensch, Felicitas, wie kannst du nur so cool sein? Wenn ich in die dominante Rolle schlüpf, tun mir die Männer leid, wenn ich sie zu sehr quäl. Und dann diese Tittengeilheit! Am schlimmsten sind die, die mich streicheln wollen. Ich bin extrem kitzelig. Wie kriegst du die Kerle dazu, jede Menge Kohle abzudrücken, ohne dich auszuziehen; ohne Sex?« Das Mädchen nestelte an ihren ewigen Pulswärmern, zupfte an dem schwarzen Supermini, klemmte die Hände unter die dünnen Netzstrumpfbeine. Ihre Füße trippelten unaufhörlich auf der Stelle über den Teppich.
Felicitas angelte nach einem Lachsstückchen mit Reis. Als Switcherin spielte Jazz sowohl dominante als auch devote Rollen. Deshalb nahmen die Männer sie häufig nicht ernst. »Das geht gar nicht. Echte Dominas sind bis auf die Füße unberührbar. Ich beherrsche die Kerle mit Kopfkino. Sie liefern sich mir aus. Unsere Gäste gieren nach bedingungsloser Hingabe. Ficken können sie zu Hause.«
Paula hob ihren Kopf und seufzte. Die Narbe unter ihrem Kinn trat deutlich hervor. Sie schwieg.
Felicitas hätte gerne in den Kopf des Mädchens geschaut. Paula erzählte nie etwas von ihrer Kindheit, von ihrer Familie, und keiner außer ihrer Freundin Daniela wusste, wie das Leben der Switcherin außerhalb des Studios aussah.
Die Domina schüttelte den Kopf. »Sie spüren deine Unsicherheit. Der Minister kommt seit acht Monaten zu mir. Er hat vom ersten Augenblick an begriffen, worum es geht. Freiwilligkeit ist unser oberstes Gebot. Für einen angemessenen Tribut darf der Gast wählen, wie lange und mit wem er aus der Wirklichkeit aussteigt. In groben Zügen bestimmt er, was passiert. Ich respektiere, wenn das Spielobjekt keine Spuren möchte. Damit endet sein Wille. Ein Sklave ist eine leere Leinwand. Seine Herrin bespielt ihn mit ihrem eigenen Film, spontan, nach Lust und Laune. Ich will in erster Linie Spaß haben. Das Geld ist ein nettes Beiwerk.«
Eine Mischung aus Neid und Bewunderung traf die Domina aus nussbraunen Augen. »Okay, aber sechs Stunden und mehr dominant zu sein muss dich doch erschöpfen.«
Lady Caprice lächelte nachsichtig. Die Platte kannte sie. »Ich strenge mich nicht an. Ich bin so.« Felicitas wischte sich mit der Serviette über den Mund. »Was macht dir denn als Domina Spaß?«
Jazz runzelte die Stirn. »Den Kerlen Frauenkleider verpassen, sie in enge Korsetts und turmhohe Schuhe zwängen.«
»Was noch?«
»Ich arbeite gerne mit Strom.« Jazz griff in ihren Wildlederbeutel, förderte eine Glasflasche mit einem Korken zutage und stellte sie mit einem Augenzwinkern auf den Tisch. »Diesen Spezialflüssigklebstoff hat ein Kumpel für mich gemixt. Das Zeug leitet den Strom über die angeklebten Elektroden in die Haut. Geht nach der Behandlung ratzfatz restlos wieder ab. Endgeil, oder?«
Die Domina warf aber einen skeptischen Blick auf den dilettantischen Verschluss. Wenn der Korken sich aus der Flasche löst, ist die Schweinerei in Jazz’ Tasche komplett. Sei’s drum, ich bin nicht ihr Kindermädchen. »Nicht schlecht. Und was macht dich so richtig an?« Felicitas schob sich ein Stück Avocado-Sushi in den Mund.
Paulas Augen glänzten. Felicitas erkannte Bösartigkeit. »Am geilsten find ich Fesselungen und Atemreduktion, aus Menschen Gummipuppen machen.« Die oberen Zähne des Mädchens spielten mit dem Piercing auf der Mitte ihrer Zunge. Hola, das Mädchen ist härter, als ich dachte. Und sie möchte das kaschieren. Ist das ihre Masche? Will sie, dass andere Menschen sie unterschätzen?
Felicitas legte die Stirn in Falten. »Dann mach’ das. Aber halte in jeder Sekunde der Session die Zügel fest in deiner Hand. Eine Domina ist Dienstnehmerin, keine Dienstleisterin. Setze deine eigenen Wünsche um.«
Jazz starrte die Ältere an. Die Domina spürte den Hass in ihrem Blick. Neid ist ein schmerzhafter Stachel im Fleisch der Ehrgeizigen, dachte Lady Caprice ungerührt. »Grill den Scheißkerlen das Hirn. Nur dann werden sie vor dir kriechen.«
Die Kollegin legte den Kopf in einer Weise schief, die Felicitas unnatürlich vorkam. »Ich versteh nicht.«
Die Augen des Mädchens sagten der Domina, dass sie genau verstand. »Brich ihren Willen.«
Felicitas fixierte Jazz mit der erneuten Vermutung, dass die nur tat, als sei sie eine Pipimaus. Die Switcherin konnte ihre Gefühle schlecht verbergen.
Bevor Felicitas Jazz im Detail erklären konnte, auf welche Weise sie den Willen ihrer Gäste außer Gefecht setzte, vernahmen die beiden Frauen im Eingangsbereich des Carpe Noctem eine verärgerte Stimme.
»Daniela Wackernagel, du kommst über eine Stunde zu spät. Dein Glück, dass August Schenker den Termin abgesagt hat. Er ist ein Stammgast. Und wie du aussiehst! Hast du dich wieder für lau vermöbeln lassen? Begreifst du denn nicht: das ist geschäftsschädigend! Menschenskinder, du lernst es nie! Weißt du was? Das nächste Mal bist du draußen!«
2»24/7«: 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche – 365 Tage im Jahr. Ergänzung des Verlegers: 24/7-Dom bzw. 24/7-Domina kann man aber auch sein, wenn man/frau einen Lebenspartner hat, der nicht nur in SM-Sessions, sondern auch im Alltagsleben gehorcht; das schließt Kontakte zur »Stinowelt« (=stinknormalen Welt) durchaus nicht aus.